Dracula

Buch Dracula

London, 1897
Diese Ausgabe: Insel,


Worum es geht

Der berühmteste Untote der Literatur

Dracula ist ein Klassiker des Schauer­ro­mans, ja sogar der Klassiker dieses Genres schlechthin. In Bram Stokers Werk fand eine seit Jahrhun­derten durch den Volks­glauben geisternde Gestalt – der Vampir – zu ihrer mustergültigen Form. Der Autor lässt Be­standteile alter Sagen und mündlicher Überliefer­un­gen in eine faszinierende Gothic Novel einfließen. Dabei versetzt er den un­heim­lichen Blutsauger aus scheinbar längst vergangenen Tagen mit großem Geschick in die moderne Zeit. An der Schwelle des 20. Jahrhun­derts, in einer vom wis­senschaftlichen und technischen Fortschritt geprägten Epoche, beschwört Stoker das geheimnisvolle, übersinnliche und unaus­deut­bare Böse. Und obwohl er dies in einem lit­er­arischen Format der Romantik tut, als Tagebuch- und Brief­mon­tage, liest sich das Buch noch heute atemlos. Die schrit­tweise Enthüllung des Untoten wird ebenso spannend inszeniert wie dessen Einkesselung. Dracula ist eine Art Urtext, durch den der Siegeszug des Vampirs im Kino und in der Populärkultur überhaupt erst beginnen konnte. Dass Stoker zurückhaltend, aber unübersehbar auf ver­schiedene Deutungsmöglichkeiten des Vam­pirmythos anspielt – u. a. gesellschaftliche und erotische –, trägt zusätzlich zur Faszination der Legende bei.

Take-aways

  • Dracula ist die berühmteste lit­er­arische Gestaltung des Vam­pirstoffs.
  • Inhalt: Der Anwalt Jonathan Harker entdeckt auf Graf Draculas Schloss in Transsil­vanien, dass dieser nachts als Vampir sein Unwesen treibt. Harker folgt Dracula nach England, wo der Graf neue Opfer sucht, darunter Harkers Verlobte Mina. Der Mediziner Van Helsing nimmt mit einer Gruppe Vertrauter den Kampf gegen den Vampir auf. Dracula muss fliehen und wird kurz vor der Rückkehr in sein Schloss getötet.
  • Den Namen des Vampirs entlehnte Bram Stoker dem grausamen Fürsten Vlad Tepes (1431–1476), der den Beinamen Drăculea (Sohn des Drachen) trug.
  • Dracula steht in der Tradition der englischen Gothic Novel, einer Kombination aus Horror und Romantik.
  • Der Boom solcher übersinnlicher Erzählungen im vik­to­ri­an­is­chen England lässt sich als Kom­pen­sa­tion für die aufklärerische Ernüchterung der Zeit verstehen.
  • Die Erotik des Vam­pirstoffs beschränkt sich im Roman auf zarte Andeutungen.
  • Bram Stokers Dracula löste, besonders im Kino, eine Flut von Vam­pirgeschichten aus.
  • Die Gestalt Dracula hat sich als populäres Phänomen längst von der lit­er­arischen Vorlage gelöst. Manche Attribute, die der Figur zugeschrieben werden, finden sich im Roman noch nicht.
  • Kein anderes von Stokers Büchern erreichte nen­nenswerte Bekanntheit.
  • Zitat: „Du aber (...) gehörst jetzt mir, bist Fleisch von meinem Fleisch, Blut von meinem Blut, bist von meiner Art und für eine Weile meine freigebige Weinkelter.“ (Dracula zu Mina)
 

Zusammenfassung

Zu Gast auf Schloss Dracula

Der junge britische Anwalt Jonathan Harker reist nach Transsil­vanien, um im Auftrag einer Londoner Kanzlei mit einem Grafen zu verhandeln, der an einem Anwesen in England in­ter­essiert ist. Schon die Anreise lässt in Harker ungute Gefühle aufkommen. Die Wirtin in seiner Herberge in den Karpaten warnt ihn ein­dringlich vor der Reise zum Schloss des Grafen, ohne jedoch zu erklären, warum. In einer Kutsche erreicht Harker mitten in der Nacht das verfallene Schloss, begleitet von heulenden Wölfen. Der alte Herr, der allein in der geöffneten Tür steht und dessen fahle Haut von seiner schwarzen Kleidung absticht, ist der Hausherr persönlich, Graf Dracula. Trotz seiner fre­undlichen Begrüßung ist er Harker nicht geheuer. In den folgenden Tagen, während er mit Dracula die Details des Hauskaufs durchgeht, fallen Harker seltsame Dinge auf. Der Graf scheint kein Spiegelbild zu werfen. Er gerät beim Anblick von Blut­stropfen richtigge­hend in Rage. Und er lebt offenbar ohne jede Di­ener­schaft. Schließlich sieht Harker ihn spin­nen­gle­ich an der Außenwand des Schlosses ent­langspazieren – seine Furcht wächst immer mehr.

„Ich bin Dracula, und ich heiße Sie willkommen in meinem Hause, Mister Harker. Treten Sie näher, die Nachtluft ist kühl, und Sie müssen sicher etwas essen und sich ausruhen.“ (S. 31)

Eines Nachts tauchen drei verführerische Frauen in Harkers Kammer auf und nähern sich mit spitzen Zähnen seiner Kehle. Da erscheint Dracula und reißt sie zurück. Harker merkt, dass das Schloss eigentlich ein Kerker ist. Während Dracula seine Abreise nach London vorbereitet, soll Harker die Gemäuer offenbar nicht mehr lebend verlassen. Kurz vor der Abfahrt des Grafen findet Harker diesen in der Kapelle, mit offenen Augen in einem Sarg ruhend. Entsetzt flieht er in sein Zimmer. Bald darauf macht sich der Graf, mithilfe von Zigeunern und mit zahlreichen sandgefüllten Kisten, auf den Weg. Harker bleibt allein im Schloss zurück und schmiedet verzweifelt Fluchtpläne, um den grässlichen Vampirinnen zu entkommen.

Die Gestalt auf dem Friedhof

Die junge Lucy Westenra schreibt ihrer Londoner Freundin Mina Murray – der Verlobten von Jonathan Harker – aus der Hafenstadt Whitby: Innerhalb eines Tages hat sie drei Heiratsanträge erhalten. Während sie denjenigen des jungen Adligen Arthur Holmwood annehmen wird, muss sie leider die ebenfalls reizvollen Gesuche des Ner­ve­narztes Dr. Seward und des texanischen Abenteurers Quincey Morris ablehnen. In der Folge besucht Mina ihre Freundin in Whitby und bemerkt, dass diese schlafwan­delt.

„Der Mund war, soweit ich ihn unter dem dichten Schnurrbart sehen konnte, scharf geschnitten und zeigte einen fast grausamen Ausdruck, der durch merkwürdig spitze weiße Zähne, die über die Lippen ragten, un­ter­strichen wurde. (...) Ganz allgemein fiel mir noch seine ungewöhnliche Blässe auf.“ (Harker über Dracula, S. 33 f.)

Zwei Wochen nach Minas Ankunft wird das Städtchen nachts von einem Sturm heimgesucht, in dessen Verlauf ein russischer Schoner in den Hafen einläuft. Am Steuerrad hängt ein mit einem Tau gefesselter Toter, und während des Einlaufens springt ein mächtiger Hund von Bord, dessen Spur sich später verliert. Wie sich her­ausstellt, hat das Schiff vor allem Kisten voller Sand geladen ... Drei Tage nach dem Sturm schlafwan­delt Lucy erneut und gelangt auf den örtlichen Friedhof. Als Mina sie dort aufspürt, beobachtet sie eine bleiche und rotäugige Gestalt, die sich über die bewusstlose Lucy beugt. In den folgenden Tagen wird Lucy immer matter und blasser. Außerdem hat sie eine merkwürdige Wunde am Hals, die aussieht wie zwei Nadelstiche. Davon abgesehen ist Mina seit Längerem beunruhigt, weil sie von ihrem Verlobten Jonathan Harker keine Post bekommen hat. Endlich erhält sie Nachricht: Harker liegt in einem Budapester Hospital und erholt sich dort seit Wochen von einem schweren Ner­ven­fieber. Mina reist zu ihm und heiratet ihn noch im Krankenhaus. Harker übergibt ihr seine Aufze­ich­nun­gen, noch immer unsicher, ob er die Geschehnisse nur fantasiert oder wirklich erlebt hat.

Blutspenden

Lucys Zustand ver­schlechtert sich weiter. Ihr Verlobter Arthur Holmwood bittet seinen Freund Dr. Seward um Rat. Dieser wiederum wendet sich an seinen ehemaligen Professor Van Helsing aus Amsterdam, denn Lucys Krankheit scheint ihm merkwürdig genug, um sie mit dem un­ortho­doxen Gelehrten aus Holland zu besprechen. Derweil fällt Dr. Seward unter den Insassen seines Irrenhauses der Patient Renfield auf. Dieser verspeist Fliegen, Spinnen und Vögel, dient sich nachts einem unbekannten „Meister“ als williger Sklave an, scheint mit Fledermäusen zu kom­mu­nizieren und wechselt un­berechen­bar zwischen Anfällen von Gewalttätigkeit, Depression und Unterwürfigkeit. Van Helsing ist stark beunruhigt über Lucys Blässe und ihre Halswunde. Er klärt allerdings weder seine Patientin noch Dr. Seward über seine Vermutungen auf. Nachts schlägt regelmäßig eine Fledermaus an Lucys Fenster; morgens klagt sie über grauenhafte, aber undeutliche Träume. Van Helsing und Dr. Seward spenden der Geschwächten frisches eigenes Blut, Holmwood und Quincey Morris tun es ihnen gleich. Sie aber siecht weiter dahin. Als sie ihren Geliebten um einen letzten Kuss bittet, mit Zähnen, die wie angespitzt aussehen, geht Van Helsing energisch dazwischen. Warum, will er nicht sagen.

Einen Pfahl ins Herz der Braut

Mina kehrt mit Jonathan Harker nach London zurück. Dort erfährt sie mit Schrecken von Lucys Tod. Auch ihr Mann wird vom Grauen heimgesucht, denn bei einem Spaziergang entdeckt er plötzlich Graf Dracula in der Menge. Seine Erschütterung führt dazu, dass Mina, tief bewegt, Jonathans transsil­vanis­che Aufze­ich­nun­gen liest. Kurz darauf bekommt sie Besuch von Van Helsing, der mit ihr über Lucy sprechen möchte. Nebenbei bestätigt der Professor, dass Harkers Bericht keinem Fiebertraum entsprungen sei, sondern der Wahrheit entspreche.

„Hören Sie – die Kinder der Nacht! Was für eine Musik sie machen!“ (Dracula, S. 34)

Zeitungsar­tikel über Kinder, die nachts ver­schwinden, später mit Halswunden nach Hause zurückkehren und von einer mysteriösen „Frau in Schwarz“ berichten, alarmieren Van Helsing. Er versucht Dr. Seward schonend auf das Unglaubliche vorzu­bere­iten: dass Lucy nachts als Untote umgeht und den Kindern die Wunden zufügt. Die kommende Nacht verbringen die beiden Männer auf dem Friedhof. Sie öffnen Lucys Sarg: Er ist leer. Als sie am nächsten Tag zurückkehren, finden sie den Leichnam wieder vor. Van Helsing erläutert dem fas­sungslosen Arzt, dass Lucy von einem Vampir zu Tode gebracht und nun ihrerseits zum Vampir geworden sei. Um sie von dem Bann zu erlösen, müsse man sie rituell ein zweites Mal töten. Am folgenden Tag treffen Van Helsing und Dr. Seward mit Holmwood und Morris zusammen, die von den Plänen des Professors entsetzt sind. Trotzdem gehen sie nachts zu viert auf den Friedhof und ertappen Lucy auf frischer Tat: Sie setzt gerade an, das Blut eines Kindes zu trinken. Zischend vor Wut tritt sie den Männern entgegen, versucht jedoch gle­ichzeitig, ihren Bräutigam mit süßen Worten zu verführen. Als Van Helsing mit dem Kruzifix dazwis­chengeht, ver­schwindet sie in die Fam­i­lien­gruft. Dort suchen sie die Männer am nächsten Tag erneut auf. Holmwood treibt seiner früheren Braut einen hölzernen Pfahl ins Herz, um ihre untote Seele zu befreien. Als ihr Antlitz sich entspannt, darf er ihr endlich den lang ersehnten letzten Kuss geben. Anschließend wird ihr Kopf vom Rumpf getrennt und der Mund mit Knoblauch gefüllt. Die vier Männer schwören sich, nicht zu ruhen, ehe sie Graf Dracula zur Strecke gebracht haben.

Die Jagd beginnt

Als Erstes werden Jonathan und Mina Harker ins Vertrauen gezogen. Alle Beteiligten bekommen die jeweiligen Tagebücher und Aufze­ich­nun­gen ihrer Mitstreiter zu lesen. Auf einem gemeinsamen Treffen tragen die sechs Entschlosse­nen, allen voran Van Helsing, die wichtigsten Erken­nt­nisse über den Fall Dracula zusammen. Am Ende der Sitzung verfügt Van Helsing mit der Zustimmung der Männer, dass Mina zum Schutz ihrer Seele – und trotz ihres allseits gelobten Scharfsinns – von den künftigen Beratungen und Taten aus­geschlossen bleiben soll. Noch in derselben Nacht brechen die Männer auf, um das von Dracula in London erworbene Haus zu inspizieren. Zuvor müssen sie kurz bei Dr. Sewards Patient Renfield Halt machen, der mit allem rhetorischen Geschick seine sofortige Freilassung zu erwirken versucht. Angeblich hat er gute, lautere Gründe. Da er sich aber weigert, diese of­fen­zule­gen, wird sein Gesuch abgelehnt. In der ekel­er­re­gend stinkenden Kapelle von Draculas modrigem Grundstück finden die Männer 29 der 50 Sandkisten, die vom Grafen nach England verschifft worden sind. Den Rest hat Dracula wohl an andere Orte schaffen lassen, um im Ver­fol­gungs­fall alternative Ruhestätten zur Verfügung zu haben. Als Harker frühmorgens nach Hause zurückkehrt, findet er seine Frau überraschend blass vor ...

Das Blut des Vampirs

Die Männer machen ein weiteres Haus in Draculas Besitz ausfindig und planen, dort einzubrechen. Falls es ihnen gelingen sollte, sämtliche Sandsärge des Grafen binnen eines Tages mithilfe geweihter Hostien für den Vampir unbrauchbar zu machen, wäre dieser verloren. Derweil erleidet Renfield in seiner Zelle schwere Ver­let­zun­gen. Offenbar stammen sie von Dracula, der sich so an seinem von ihm abge­fal­l­enen Diener rächt. Bevor Renfield stirbt, enthüllt er Dr. Seward und Van Helsing, dass der Graf sich inzwischen über Mina hergemacht habe. Die Doktoren eilen zu den Harkers und finden Dracula in deren Schlafz­im­mer vor: Der Vampir hat den Kopf der jungen Frau an seine Brust gepresst und zwingt sie, sein Blut zu trinken. Jonathan liegt betäubt daneben. Mit einem Kruzifix gelingt es Van Helsing, den Vampir zu vertreiben, doch dessen Blut kann in Minas Körper fortan wie ein schle­ichen­des Gift wirken und sie unter den Einfluss des Grafen bringen. Die Männer, bestürzt von Draculas Attacke, wollen von nun an wieder alle In­for­ma­tio­nen mit Mina teilen. Diese ist ihrerseits entschlossen, sich das Leben zu nehmen, wenn sie ihre Seele an den Vampir verlieren sollte. Wie gezeichnet sie bereits ist, wird ihr schmerzhaft bewusst, als Van Helsing sie mit einer Hostie schützen will, diese sich aber wie ein glühendes Eisen in ihre Stirn brennt.

„Ich spüre, wie mich der Schrecken dieses grässlichen Ortes überwältigt. Ich fürchte mich – ich fürchte mich entsetzlich –, und es gibt keinen Ausweg für mich!“ (Harker, S. 58)

Im Lauf des Tages legen die Männer je eine Hostie in insgesamt 49 Sandkisten, die sie in den Häusern des Grafen aufspüren. Schließlich begegnen sie dem Vampir selbst. Der Versuch, ihn zu bezwingen, scheitert an dessen übermen­schlichen Kräften. Dracula entkommt hohnlachend und die Männer kehren nach Hause zurück. Am nächsten Morgen zeigt der unheilvolle Blu­taus­tausch zwischen Mina und Dracula eine positive Neben­wirkung: Unter Hypnose kann die junge Frau eine Verbindung zum Aufen­thalt­sort des Grafen herstellen. Ihre vagen Eindrücke lassen den Schluss zu, dass sich der Vampir erneut eingeschifft hat und die Reise im Schutz seiner letzten Kiste zurücklegt.

Transsil­vanis­ches Finale

Am folgenden Tag finden die Männer heraus, welches Schiff in Richtung Schwarzes Meer ausgelaufen ist und wo es festmachen wird. Sie planen, auf dem Landweg vo­rauszueilen und Draculas Kiste von außen mit einem Strauß wilder Rosen zu versiegeln, bevor der Graf sie verlassen kann. Mina wird mitreisen: Unter Hypnose mag sie zur Lokalisierung des Vampirs nützlich sein, außerdem kann sie in Begleitung der Männer der Magnetkraft Draculas besser widerstehen. Die Reisenden kommen bereits einige Tage vor dem Schiff in dessen Zielhafen Varna an. Doch dieses läuft überraschend in einen anderen Hafen ein. Als Mina und die Männer dort anlangen, fehlt von Dracula längst jede Spur. Die Verfolger vermuten, dass der Graf zunächst zurück auf sein Schloss will. Minas Auskünfte unter Hypnose deuten darauf hin, dass sich Dracula abermals auf dem Wasser befindet – mutmaßlich auf einem der Karpatenflüsse, die ihn seinem Schloss näher bringen. Die Verfolger teilen sich auf: Harker und Holmwood reisen Dracula mit einem Dampfboot flussaufwärts nach, Dr. Seward und Morris reiten ihm über Land hinterher. Van Helsing und Mina schließlich begeben sich auf Jonathans alter Route direkt zum Schloss.

„Es war, als ob sich die ganze grässliche Kreatur mit Blut vollgepumpt hätte. Er lag da wie ein schmutziger Blutegel, erschöpft von der Überfüllung.“ (Harker über Dracula, S. 83)

Je näher Mina dem Schloss kommt, desto un­berechen­barer wird sie und desto weniger gelingt die Hypnose. Als das Schloss schon in Sichtweite ist und die Nacht here­in­bricht, kann Van Helsing nur mithilfe eines Kreises von Hostienbröseln verhindern, dass sich die drei weiblichen Vampire, denen schon Harker begegnet ist, über die Reisenden hermachen. Am nächsten Morgen lässt Van Helsing die erschöpfte Mina im Schutz des Kreises zurück und macht sich allein auf zum Schloss. In der Kapelle findet er die drei Särge mit den untoten Frauen. Er widersteht deren verführerischem Anblick und treibt ihnen den tödlichen, rettenden Pfahl ins Herz. Dann macht er mithilfe einer weiteren Hostie Draculas eigenen Sarg unbrauchbar. Er eilt zurück zu Mina; in einer Höhle suchen die beiden Schutz vor dem ein­set­zen­den Schneefall. Von dort aus beobachten sie eine her­an­preschende Gruppe Zigeuner mit einem Leiterwagen, auf dem eine Kiste liegt, sowie vier Reiter, die den Wagen verfolgen. Morris, Dr. Seward, Harker und Holmwood zwingen die Zigeuner stehen zu bleiben. Es kommt zum Handgemenge. Draculas Kiste fällt vom Wagen. Während die Sonne untergeht, brechen Harker und Morris hastig den Sarg auf. Plötzlich richtet sich Dracula mit glühenden Augen empor, doch die Messer von Morris und Harker treffen ihn in Hals und Herz. Au­gen­blick­lich zerfällt er zu Staub. Quincey Morris wurde im Kampf mit den Zigeunern verletzt. Er stirbt in der tröstlichen Gewissheit, dass mit Draculas Tod auch das Brandmal auf Minas Stirn ver­schwun­den ist.

Zum Text

Aufbau und Stil

Dracula ist ein spätes, aber klassisches Beispiel der englischen Gothic Novel, einer Mischung aus Gruselgeschichte und Romantik. Stoker verwendet das Kom­po­si­tion­sprinzip des Brief- bzw. Tage­buchro­mans des 18. Jahrhun­derts und verknüpft es mit einem seit Langem bekannten Horrormotiv: dem Vampir. Das gesamte Buch besteht aus Aufze­ich­nun­gen der handelnden Figuren. Die einzelnen Erzählelemente werden vom Autor weitgehend chro­nol­o­gisch geordnet; die Handlung bleibt kon­tinuier­lich im Fluss. Den Hauptteil des Buches bestreiten die Aufze­ich­nun­gen derjenigen, die sich erst nach und nach des Schreckens bewusst werden, nämlich Jonathan und Mina Harker sowie Dr. Seward. Dagegen liegen von Van Helsing, dem Vam­pir­ex­perten, fast keine eigenen Berichte vor. Sein Wissen wird von Stoker indirekt – durch die Aufze­ich­nun­gen anderer – und sehr dosiert offenbart. Stilistisch sind sich die Tagebücher und Briefe der ver­schiede­nen Personen sehr ähnlich. Mitunter schwelgen sie in ro­man­tis­chen Wallungen, in der Regel jedoch schildern sie das Grauen realistisch, was zum au­then­tis­chen Eindruck beiträgt.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • Der Boom von Schauer­ro­ma­nen im vik­to­ri­an­is­chen England lässt sich als Gegen­be­we­gung zur aufklärerischen Ernüchterung der Zeit in­ter­pretieren. Stoker stellt in Dracula das uralte Motiv des Untoten in eine moderne Gesellschaft, in der sich die Wis­senschaft gegen den Aberglauben durchge­setzt zu haben scheint. Das sorgt für eine ironische Spitze gegen den Ra­tio­nal­is­mus: Plötzlich stehen die Verfechter des Fortschritts naiv da, weil sie jenseits ihres Pos­i­tivis­mus nichts gelten lassen.
  • Trotz seiner übernatürlichen Hauptfigur ist Dracula ein Loblied auf die Vernunft. Der Sech­ser­gruppe um den Vam­pir­spezial­is­ten Van Helsing gelingt es vor allem durch eingehende Planung und de­tail­lierte Sit­u­a­tion­s­analyse, auf ihrer Jagd nach dem Grafen vo­ranzukom­men. Selbst die Rückschläge stützen diese These: Sie sind meist auf willkürliche Lücken innerhalb der vernünftigen Analyse zurückzuführen.
  • Stokers Roman zeichnet ein am­biva­lentes Frauenbild. Mina Harker, die zunächst als liebende Braut und treusor­gende Gattin eingeführt wird, entwickelt sich zu einer starken Persönlichkeit, die nicht nur mit moderner Technik umgeht, sondern auch einen besonders sys­tem­a­tis­chen Verstand besitzt. Trotzdem wird sie von ihren männlichen Mit­stre­it­ern wiederholt aus­geschlossen. Stoker zeigt die fatalen Folgen dieser Ausgrenzung, bleibt aber zugleich im Rahmen des tra­di­tionellen Rol­len­mod­ells.
  • Zweideutig wird auch die sexuelle Komponente des Vampirismus behandelt. Stoker schildert sehr suggestiv die verführerische Kraft der weiblichen Vampire. Nicht nur der junge Jonathan Harker, auch der alte Van Helsing drohen der Versuchung zu erliegen. Letztlich aber fliehen oder töten sie, was sie erregt. So lässt sich der Vampirismus auch als Symbol für die unterdrückte Lust innerhalb der vik­to­ri­an­is­chen Gesellschaft deuten.
  • Das vampirische Muster, demzufolge eine böse Kraft dem Menschen mit dem Blut auch die Seele raubt, hat politische, ras­sis­tis­che und psy­chol­o­gis­che In­ter­pre­ta­tio­nen nach sich gezogen. Dracula kann sowohl das Fremde im Allgemeinen als auch das kap­i­tal­is­tis­che Prinzip oder anderes mehr verkörpern. Die Vielzahl der In­ter­pre­ta­tio­nen verdeut­licht den uni­versellen Charakter der von Stoker mustergültig lit­er­arisierten Figur.

His­torischer Hintergrund

Die Spätzeit des Vik­to­ri­an­is­mus

Die so genannte Vik­to­ri­an­is­che Zeit prägte das 19. Jahrhundert in Großbritannien. Königin Viktoria hatte den Thron von 1837 bis zu ihrem Tod 1901 inne. Gegen Ende ihrer Re­gentschaft war das Königreich zu einem modernen In­dus­tri­es­taat geworden. Zugleich blieb es ein Imperium, das nach wie vor am Klassen­sys­tem und am Kolo­nial­is­mus festhielt. Die sozialen Spannungen innerhalb der Gesellschaft – wachsende Armut und eine erstarkende Ar­beit­er­be­we­gung auf der einen, Standesdünkel und immenser un­ternehmerischer Reichtum auf der anderen Seite – wurden überwölbt von einer tra­di­tionellen, religiös in­spiri­erten Moral, deren Sym­bol­fig­uren die Königin selbst und ihr Gatte Prinz Albert waren. Während ethische Ideale und gesellschaftliche Etikette unverrückbar schienen, machten Wis­senschaft und Philosophie große Sprünge. 1859 veröffentlichte Charles Darwin sein epochemachen­des Werk Über die Entstehung der Arten, das zahlreiche Grun­dan­nah­men infrage stellte, nicht zuletzt religiöse. Die wis­senschaftliche Methode etablierte sich als fortschrit­tliche Alternative zu vielerlei Formen unüberprüfbaren Glaubens. Bil­dungsre­for­men sicherten zunehmend auch dem Proletariat eine Beteiligung am Schulsystem. Die wachsende Al­pha­betisierung und die Entstehung der Massen­presse förderten die Wis­sens­ge­sellschaft und schufen nebenbei einen neuen Markt für populäre Literatur.

Entstehung

Dracula ist nicht nur Bram Stokers berühmtestes Werk, sondern auch das einzige, das der Autor über Jahre hinweg akribisch vorbereitet hat. Die erste Skizze stammt bereits von 1890. Damals sollte der Roman noch „Der Untote“ heißen. Wenig später stieß Stoker in einem his­torischen Werk auf den mit­te­lal­ter­lichen Fürsten Vlad Tepes (Vlad der Pfähler, 1431–1476), der den Beinamen Drăculea (Sohn des Drachen) trug und für seine Grausamkeit berüchtigt war. Stoker borgte sich den überliefer­ten Namen für das Ro­man­pro­jekt aus, ohne Näheres über den his­torischen Vlad zu wissen. In anderen Aspekten seiner Recherche ging er skrupulöser vor. Die ge­ografis­chen Details von Jonathan Harkers Reise nach Transsil­vanien stimmen genau mit den realen Gegeben­heiten überein, obwohl Stoker nie nach Osteuropa gereist ist. Auch medi­zinis­che, technische und sogar lin­guis­tis­che Details prüfte der Autor ausführlich. Was die Vam­pirgestalt betrifft, zog Stoker mehrere Studien über den entsprechen­den Aberglauben zurate. Viele Elemente seiner Ro­mangestalt entnahm er tra­di­tionellen Zuschrei­bun­gen, andere entstammten seiner Fantasie, etwa Draculas Not, im Sarg auf Heimaterde zu ruhen.

Stoker wurde indes nicht nur von folk­loris­tis­chen Überliefer­un­gen inspiriert, sondern auch von lit­er­arischen Vorläufern. Im Lauf des 19. Jahrhun­derts waren in Großbritannien bereits mehrere er­fol­gre­iche Vam­pirgeschichten erschienen, darunter John Polidoris Der Vampyr (1819) und Sheridan Le Fanus Carmilla (1871). Auch die Theater hatten in den 1820er Jahren schon einmal eine Mode von Vam­pir­dra­men erlebt. Stoker liebäugelte selbst mit einer Bühnenfassung seines Werks. Dracula erschien sieben Jahre nach der Er­stkonzep­tion im Juni 1897 in einer Auflage von 3000 Exemplaren.

Wirkungs­geschichte

Die Reaktionen auf Stokers Buch waren gemischt. Als lit­er­arische Sensation wurde es nirgendwo aufgenommen, und bis zu seinem Tod 1912 bescherte es dem Autor keine be­merkenswerten Einnahmen. Erst mit der Zeit entwickelte es sich zu jenem Klassiker, dessen Titel heute als Synonym für den Vampir gilt. Die Pop­u­lar­isierung besorgte vor allem das Kino, obwohl die Ro­man­hand­lung dort meist sehr frei adaptiert wurde. Als erste Filmfassung gilt Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu, eine Symphonie des Grauens von 1921, obwohl die Produzenten zunächst keine Verbindung zum Buch anerkennen wollten. In der frühesten Hol­ly­wood-Ver­fil­mung von 1930 spielte Bela Lugosi den Grafen und schuf damit ein erstes eindrückliches Bild von Dracula. Zu ihm gesellte sich später Christopher Lee, der den Vampir erstmals 1958 verkörperte und die Rolle noch in sieben weiteren Filmen übernahm. Der Vampirfilm, mal mit, mal ohne Bezug auf Stokers Roman, entwickelte sich zu einem breiten Subgenre des Horrorfilms, das bald auch für Parodien sorgte wie Roman Polanskis Tanz der Vampire (1966).

Das lit­er­atur­wis­senschaftliche Interesse an Stokers Buch blühte erstmals in den 70er Jahren auf. Mit besonderem Augenmerk wird seitdem der sexuelle Subtext des Romans analysiert. Nach Dutzenden Filmver­sio­nen hat sich Dracula mit­tler­weile in eine Ikone der populären Kultur verwandelt, wenngleich die meisten zeitgenössischen Vampire nicht länger nach dem Bild des Grafen modelliert sind. Weil die Orig­i­nalgeschichte im Zuge zahlreicher Adaptionen mehr und mehr in Vergessen­heit geriet, trat Francis Ford Coppolas Film Bram Stoker's Dracula 1992 ausdrücklich mit dem Anspruch auf, sich eng an das Buch zu halten. In der Literatur gilt Anne Rices Romanzyklus Chronik der Vampire (seit 1976) als in­ter­es­san­teste Fortführung des Genres.

Über den Autor

Bram Stoker wird am 8. November 1847 in Clontarf bei Dublin als drittes von sieben Kindern einer bürgerlichen Beamten­fam­i­lie geboren. Die ersten sieben Jahre seines Lebens wird er von zahlreichen Krankheiten heimgesucht, kann kaum allein gehen und bleibt häufig ans Bett gefesselt. Seine Mutter erzählt ihm währenddessen fan­tastis­che Geschichten. Die ausgiebige Bettruhe macht ihn schon früh zu einem nach­den­klichen Jungen mit großer Ein­bil­dungskraft. Mit acht Jahren gilt er als genesen. Er kann zur Schule gehen und gewinnt später als Student des Dubliner Trinity College sogar Ausze­ich­nun­gen als Athlet. 1870 tritt er als Beamter in die Dubliner Jus­tizver­wal­tung ein. Parallel dazu schreibt er unbezahlt The­aterkri­tiken für die Dublin Evening Mail und veröffentlicht erste Kurzgeschichten. 1876 lernt er – nach dem Abdruck einer positiven Kritik – den bekannten britischen Schaus­pieler Henry Irving kennen. Zwei Jahre später, kurz nach Stokers Heirat mit der stadt­bekan­nten Schönheit Florence Balcombe, bittet ihn Irving, Manager des von ihm erworbenen Lyceum Theatre in London zu werden. Stoker sagt zu, zieht mit seiner Frau nach London und wird den Man­ager­posten an Irvings Theater bis zum Tod des Schaus­piel­ers 1905 innehaben. Silvester 1879 kommt Stokers einziges Kind zur Welt, der Sohn Noel Irving. Im Jahr 1881 erscheint Stokers erster Erzählband Under the Sunset, 1890 der erste Roman The Snake's Pass (beide nicht übersetzt). Zur selben Zeit beginnt er mit den Vorarbeiten zu Dracula. Doch selbst dieses, sein bekan­ntestes Buch erlaubt es ihm nicht, allein von der Schrift­stellerei zu leben. Nach Irvings Tod veröffentlicht Stoker 1906 einen Band mit Erin­nerun­gen an den Schaus­pieler, 1911 folgt sein letzter Roman The Lair of the White Worm (Das Schloss der Schlange). Er stirbt am 20. April 1912 in beschei­de­nen Verhältnissen in London.