Beowulf

Buch Beowulf

Die Geschichte von Beowulf und seinen Taten. Übertragen von Gisbert Haefs

England, um 700 n. Chr.
Diese Ausgabe: Insel,
Auch erhältlich auf: Englisch


Worum es geht

Ein Held aus grauer Vorzeit

Wenige Heldensagen sind so bekannt und beliebt wie Beowulf. Vermutlich Anfang des achten Jahrhun­derts entstanden, ist es das älteste erhaltene Werk der alt­ger­man­is­chen Dichtung. In mehr als 3000 Versen berichtet ein anonymer Verfasser von den Taten des Helden Beowulf. Ein Hilferuf des dänischen Königs führt ihn an dessen Hof, wo ein gewaltiges Monster namens Grendel die trink- und sanges­freudi­gen Dänen bedroht. Todesmutig tritt Beowulf dem Ungeheuer entgegen und verletzt es tödlich. Doch Grendels Mutter, nicht weniger gefährlich, nimmt Rache an den Dänen. So muss Beowulf abermals eingreifen und ein weiteres Ungetüm zur Strecke bringen. Am Ende stößt auch er an seine Grenzen: Im Kampf gegen einen Drachen muss er sein Leben lassen. Außer von Heldentaten berichtet der Erzähler auch von den Sitten und Feier­lichkeiten am dänischen Hof und streut nebenher einige historische Schlachtbeschrei­bun­gen ein. Die Prosaübersetzung des Versepos von Gisbert Haefs bringt die Handlung leicht lesbar auf den Punkt: auch für Mit­te­lal­ter-uner­probte Leser kein anstren­gen­der Kampf, sondern ein Vergnügen.

Take-aways

  • Beowulf ist das erste und größte Epos der al­tenglis­chen Literatur.
  • Es entstand vermutlich um das Jahr 700 im Königreich Mercien (Mit­te­leng­land) und umfasst 3182 Verse; der Autor ist unbekannt.
  • Das Epos erzählt vom Dänenkönig Hrothgar, dessen Hof vom riesen­haften Ungeheuer Grendel ter­ror­isiert wird.
  • Die Botschaft von Hrothgars Not dringt auch in das Land der Gauten, zu Beowulf. Dieser macht sich mit seinen Männern auf den Weg, Hrothgar zu helfen.
  • Am dänischen Hof wird Beowulfs Mut bejubelt – einzig der eifersüchtige Unferth bezweifelt, dass der Gaute wirklich ein Held ist.
  • Aber Beowulf beweist noch in derselben Nacht, wozu er fähig ist: Er reißt Grendel den Arm aus und jagt das Ungeheuer zurück in dessen Moorver­steck, wo es stirbt.
  • Grendels Mutter nimmt fürchterliche Rache an den Dänen.
  • Beowulf eilt erneut zu Hilfe, dringt in das Un­ter­wasserver­steck von Grendels Mutter ein und tötet sie.
  • Jahrzehnte später ist Beowulf selbst König und muss sein Volk gegen einen Feuer speienden Drachen verteidigen, der die Höfe und Äcker verheert.
  • In diesem dritten Kampf fällt der Held und wird anschließend feierlich beigesetzt.
  • Das englische Na­tionale­pos verbindet ar­chaisch-hei­d­nis­che mit christlichen Elementen.
  • Es hat unzählige Romane und Filme beeinflusst – nicht zuletzt Tolkiens Herr der Ringe.
 

Zusammenfassung

Die Vorfahren des Dänenkönigs Hrothgar

Wer hat nicht schon einmal von den ruhmreichen Taten der Speer-Dänen gehört? Einer ihrer Könige, Scyld, der Sohn des Scef, führte sein Volk zu großer Ehre. Seine Feldzüge waren so erfolgreich, dass man ihm sogar an der Küste jenseits des Meeres Tribut zollte. Scyld hatte einen starken Sohn namens Beow, der seinem Vater, nachdem dieser das Zeitliche gesegnet hatte, alle Ehre machte. Er heiratete eine Schwedin und nannte seinen Sohn deshalb Healfdene (Halbdäne). Healfdene war seinen Untertanen ein weiser König. Er hatte eine Tochter und drei Söhne: Heorogar, Hrothgar und Halga. Hrothgar wurde zum mächtigsten aller Dänenkönige, seine Kampfgefährten folgten ihm gerne. An Belus­ti­gun­gen ließ er es nicht fehlen: Hrothgar errichtete eine Met-Halle, die er von weit herg­ereis­ten Künstlern ausstatten ließ. Die Giebel wurden von Verzierun­gen gekrönt, die prunkvollen Geweihen ähnelten, weshalb Hrothgar die Halle Heorot, „Hirsch“, nannte.

Das Ungeheuer aus dem Sumpf

In dieser Trinkhalle hocken nun die Krieger an langen Tischen, wärmen sich am Feuer und bejubeln ihren Herrscher. Doch das aus­ge­lassene Feiern dauert nicht lang: In den be­nach­barten Sümpfen fristet ein furchtbares Ungeheuer sein Dasein: Grendel. Einsam und leidend in seiner Moorfestung, erbost es sich über die fröhlichen Feiern, schleicht sich in die goldene Halle und mordet 30 von Hrothgars Mannen. Und kaum haben sich die Dänen von diesem Angriff erholt, taucht Grendel wieder auf, um die Met-Halle zu plündern. Zwölf Winter lang leidet Hrothgars Volk unter den Attacken des Ungetüms.

„Hrothgar sollte der größte der alten Dänenkönige werden, gerecht und gütig im Frieden, gewaltig im Streit.“ (S. 17)

Die Kunde von der Not der Dänen und ihrer Schmach verbreitet sich bis in das Land der Gauten hoch im Norden. Beowulf, einer ihrer größten Kämpfer, macht sich mit 14 seiner Recken auf, um das Monster zu töten. Als sie mit ihrem Segelschiff die dänische Küste erreichen, werden sie von einem Wächter aufgehalten. Auf die Frage, warum sie auf dänischem Boden Kriegsgerät abladen würden, erklärt Beowulf, dass er Hrothgar von dem grausigen Ungeheuer befreien wolle. So lässt der Wächter seinen Speer sinken und führt die Männer bere­itwillig zur Halle des Königs. Ein Herold empfängt sie und überbringt Hrothgar die Botschaft der Fremden. Der König ist hocherfreut: Er kennt Beowulf und dessen Vater Ecgtheow und bittet die Recken in sein Quartier. Beowulf erklärt, dass er von den Untaten Grendels gehört habe und davon, dass das Feiern in der Met-Halle unmöglich geworden sei. Aber er habe schon so manchen Riesen erwürgt und wolle auch mit diesem nicht anders verfahren. Weder Schild noch Waffe wolle er tragen, schließlich habe Grendel ja auch keinerlei Waffen zu seinem Schutz. Ein Raunen geht durch den Saal, als Beowulf vorschlägt, mit seinen Männern die Nacht in der Met-Halle zu verbringen und damit das Monster anzulocken.

Der eifersüchtige Unferth

Unter Hrothgars Männern findet sich einer, der mit Beowulfs Plänen nicht ein­ver­standen ist: Unferth (Unfriede). Er kann es nicht ertragen, dass jemand kühner und mutiger sein soll als er selbst, und versucht, Beowulf vor den Augen der anderen bloßzustellen: Ihm sei zu Ohren gekommen, dass dieser sich einst mit Breca ein Schwim­m­du­ell auf hoher See geliefert und schmachvoll verloren habe. Genauso unsinnig und wahnwitzig wie dieses Duell sei es, sich Grendel ohne Waffen stellen zu wollen. Beowulf bleibt ungerührt: Offenbar habe Unferth nur einen Teil der Geschichte gehört, denn in Wahrheit habe ein Sturm die beiden Schwimmer au­seinan­derg­eris­sen. Zuvor seien sie fünf Nächte nebeneinan­der hergeschwom­men. Dann hätten See­unge­heuer sich den beiden Schwimmern genähert und Beowulf in einen erbitterten Kampf verwickelt. Sein Kettenhemd habe ihn geschützt, und mit dem mit­ge­brachten Schwert habe er den Meeres­bestien den Garaus gemacht. Neun der Höllenwesen habe er am nächsten Morgen getötet, ehe er an die Küste zurückgekehrt sei. Erneut geht ein Raunen durch den Saal. Nun holt Beowulf zum Gegenschlag aus: Von Unferth habe er nie solche Heldentaten vernommen. Allerdings – so gehe das Gerücht – sei Unferth einst zum Brudermörder geworden und habe damit eine gewaltige Schuld auf sich geladen, die er in der Hölle werde abbüßen müssen.

Der Kampf mit Grendel

König Hrothgar zeigt sich zu­ver­sichtlich, dass Beowulf das Ungeheuer besiegen kann. Zum ersten Mal seit langer Zeit wird in der Met-Halle wieder gescherzt und gesungen. Königin Wealhtheow selbst spendet den Gauten Met (vergorenes Honigwasser) und spricht Beowulf ihre Anerkennung für seinen Mut aus. Als die Nacht über Heorot here­in­bricht, begibt sich der König mit seiner Frau ins Schlafgemach. Nur Beowulf und seine Männer blieben in der Halle, wo sie sich ein Nachtlager schaffen und darauf warten, den gewaltig­sten Kampf aller Zeiten zu bestehen. Wie angekündigt, legt Beowulf Kampfpanzer, Schild und Schwert ab, um Grendel mit bloßen Händen zu besiegen. Durch Nacht und Nebel schleicht alsbald das Monster herbei, zerbricht die Türriegel und greift sich einen der schlafenden Krieger, um ihn mit Haut und Haar aufzufressen. Dann nähert sich Grendel dem scheinbar schlafenden Beowulf. Der jedoch packt das Ungetüm mit einem gewaltigen Händedruck. Grendel will die Flucht ergreifen, doch Beowulf lässt ihn nicht mehr los und bricht dem Monster krachend die Finger. Die Schw­erthiebe der übrigen Männer können dem Ungeheuer zwar nichts anhaben, aber Beowulf gelingt es, Grendel den Arm abzureißen. Triefend vor Blut und dem Tod geweiht flieht das heulende Biest in die Finsternis des Moors.

Die Siegesfeier

Als die Dänen von Beowulfs siegreichem Kampf erfahren, verbreitet sich der Ruhm des Helden in Windeseile. Der König ist so glücklich, dass er Beowulf fortan als seinen Sohn betrachten will, wie er in seiner Lobrede verkündet. Nur der Held selbst ist ein wenig betrübt, weil Grendel ihm entschlüpft ist. Immerhin kann das Ungeheuer mit abge­tren­ntem Arm und klaffender Wunde unmöglich überlebt haben, und so schweigt auch Unferth und findet keinen Mut, den Ruhm Beowulfs in irgendeiner Weise zu schmälern. Die Met-Halle wird nach dem wilden Kampf wieder herg­erichtet und geschmückt. Als Lohn für seine Heldentat schenkt der König Beowulf ein goldenes Banner, Helm und Panzerhemd sowie acht edle Pferde mit goldenem Zaumzeug und überreich verzierten Sätteln. Natürlich gehen auch Beowulfs Männer nicht leer aus: Jeder erhält seinen Teil aus dem königlichen Schatz. Sänger erfreuen die Männer mit Helden­liedern. Königin Wealhtheow schenkt Beowulf einen kostbaren Halsreif und stimmt in den Lobgesang auf den kühnen Helden ein. Nach einem prächtigen Gelage begibt sich der König zu Bett und die Zecher sinken müde auf ihr Lager.

Die Mutter des Ungeheuers nimmt Rache

Grendel ist tot, doch jemand aus seiner schändlichen Sippe lebt noch: Grendels Mutter, ein schreck­liches, im kalten Wasser hausendes Weib, das nur darauf sinnt, den Tod des Sohnes zu rächen. Noch in der Nacht der Siegesfeier schleicht sie sich nach Heorot, dringt in die Halle ein, ermordet einen Krieger und verschleppt einen andern, den tapferen Æschere. Mit ihm und mit dem abge­tren­nten Arm ihres Sohnes zieht sie sich in ihre Un­ter­wasser­welt zurück. Sofort wird Beowulf, der anderswo übernachtet hat, her­beigerufen. Der König klagt ihm sein Leid und erklärt, dass Grendels Mutter in einem Moorsee hause, aus dem in der Nacht Feuer aufstiegen. Kein Tier und schon gar kein Mensch habe es jemals gewagt, einen Fuß in diesen See zu setzen. Beowulf jedoch schwört dem König, auf der Stelle aufzubrechen, um den Spuren des furchtbaren Weibs zu folgen. Auch Hrothgar reitet mit seinen Männern den Spuren nach und erkundet das Gebiet. In der Nähe des brodelnden Gewässers, das von steilen Felswänden umsäumt daliegt, finden sie einen abge­tren­nten Kopf – es ist der von Æschere. Grausige Ungeheuer huschen im See umher. Eines von ihnen wird von Beowulfs Pfeil getroffen und findet so den Tod.

Der Kampf mit Grendels Mutter

Mit seinem goldenen Brusthar­nisch angetan, gleitet Beowulf in die Tiefe. Zuvor hat ihm Unferth sein Schwert Hrunting gegeben – als Tribut an den mutigen Helden – und König Hrothgar musste ihm versprechen, sich um Beowulfs Männer zu kümmern, sollte dieser von seiner Mission nicht zurückkehren. Beowulf gelangt auf den Grund des Sees – und schon greift Grendels Mutter mit ihren grausigen Krallen nach ihm. Dank seiner Rüstung kann sie ihn aber nicht verletzen; stattdessen schleppt sie ihn fest umklammert in ihre Höhle, wo das Wasser nicht eindringt und ein Feuer lodert. Erst hier kann Beowulf das Schwert Hrunting aus der Scheide ziehen und das Ungeheuer angreifen. Zu seiner Überraschung prallt es am Kopf des Monsters ab. Also beginnt er, das Weib mit seinen Fäusten zu traktieren. Grendels Mutter sinkt zu Boden, greift ihn dann aber erneut an: Nur sein formidabler Panzer rettet Beowulf das Leben. Dann erblickt er zu seinem Glück ein riesen­haftes Schwert, das wohl von Giganten geschmiedet wurde und kaum hochzuheben ist. Er rafft alle Kraft zusammen, schwingt das Riesen­schw­ert und schlägt dem Weib den Kopf vom Hals. Schließlich findet er den toten Grendel auf einem Lager und trennt auch ihm den Kopf ab. Die Höhle wird von strahlendem Licht erfüllt, und das riesenhafte Schwert hat sich beim Kontakt mit dem Blut von Grendels Mutter in Luft aufgelöst – lediglich der Griff liegt noch in Beowulfs Hand.

„Von fern übers Meer sind Männer der Gauten gekommen. Den Vornehmsten nennen die Gefährten Beowulf.“ (der Herold zu Hrothgar, S. 29)

Mit Grendels Kopf schwimmt der Held wieder an die Oberfläche. Bis auf seine eigenen Männer haben bereits alle den Ort verlassen – als sie das blutige Wasser gesehen hatten, re­sig­nierten sie und gaben den todesmuti­gen Gauten auf. Jetzt kehrt er mit seinen Leuten in einem Triumphzug zu Hrothgar zurück und überreicht diesem den Kopf der Bestie, zusammen mit dem Schw­ert­griff. Der König verspricht Beowulf ewige Fre­und­schaft und ermahnt ihn gle­ichzeitig, niemals überheblich zu werden, denn diese Eigenschaft zieme sich nicht für einen edlen Recken. Nach einem ausgiebigen Mahl entschlum­mern die Männer friedlich in der goldenen Halle.

Die Heimkehr der Gauten

Am nächsten Tag drängen die Gauten zur Heimkehr. Artig bedankt sich Beowulf für Hrothgars Gast­fre­und­schaft und versichert, ihm in jedem Kampf beizustehen, sofern er Botschaft davon erhalte. Der König beteuert die Fre­und­schaft zwischen Dänen und Gauten und gibt den Helden prächtige Geschenke mit auf den Weg. Schnell erreichen sie die heimische Küste und werden von König Hygelac empfangen. Dieser zeigt sich erleichtert darüber, dass Beowulf den Kampf mit Grendel überlebt hat. In allen Einzel­heiten berichtet der Recke von seinem Aufenthalt bei den Dänen und von den Kämpfen mit Grendel und dessen Mutter. Die Gaben des Dänenkönigs überlässt er Hygelac. Dieser beschenkt Beowulf im Gegenzug mit einem kostbaren Schwert, 7000 Hufen Land und einem Haus, zudem macht er ihn zum Fürsten.

Beowulfs letzter Kampf

Viele Jahrzehnte später ist Beowulf selbst König. Er hat sein Volk mit­tler­weile über 50 Jahre sicher und gerecht geführt. Da geschieht es, dass ein furchtbarer Drache zu einer Bedrohung für sein Reich wird. Die Bestie hat bislang in einer Felshöhle gehaust und dort einen Schatz bewacht. Ein entflohener gautischer Sklave fand den Drachen schlafend und entwendete ihm listig einen kostbaren Kelch. Seither wütet das Feuer speiende Ungetüm in Beowulfs Reich und brennt des Nachts, auf der Suche nach dem Dieb und dem Diebesgut, die Höfe und Häuser der Menschen nieder. Beowulf, der beherzte Greis, begibt sich mit 13 Männern zum Eingang des Drachen­hortes, ve­r­ab­schiedet sich mit einer Kampfrede und betritt das Gewölbe allein. Giftiger Atem weht ihm entgegen. Her­aus­fordernd ruft er ins Dunkel – und prompt kommt sein grausiger Gegner schnaubend hervor. Ein erbitterter Zweikampf entspinnt sich, den Beowulf unmöglich gewinnen kann: Zu heiß ist der Drachenatem, zu gering seine Rüstung.

„Grendel hieß dieser grimmige Geist, der in den Marschen hauste, die Moore beherrschte, das Fenn und seine Festung im Sumpf.“ (S. 19)

Die Männer vor der Höhle fliehen in den Wald. Nur einer, mit Namen Wiglaf, steht seinem Herrn bei. Den beiden gelingt es, den Drachen tödlich zu verwunden. Allerdings zahlt auch Beowulf mit seinem Leben: Der Drache hat ihn in den Hals gebissen, Blut rauscht aus der offenen Wunde. Wiglaf kann ihm noch einen Teil der Kost­barkeiten im Drachenhort zeigen, Beowulf macht Anordnungen zu seinem Begräbnis – dann stirbt er. Wiglaf verlässt die Höhle und hält den feigen Gefährten eine Mahnpredigt. Auf der Burg prophezeit er, dass dem Volk nun Kriege bevorstünden: Wenn bekannt werde, dass Beowulf tot sei, werde das Königreich schon bald von den Franken, Friesen und Schweden überfallen. Auf einem Scheit­er­haufen, der mit Helmen und Panz­er­hem­den behangen ist, wird Beowulf verbrannt. Ihm zu Ehren errichtet man einen Grabhügel, in dessen Innerem seine Überreste zusammen mit dem Drachen­schatz vergraben werden.

Zum Text

Aufbau und Stil

In Epen wie Beowulf geht es fast immer um die Fahrten und Erlebnisse eines großen Helden. Die drei Kämpfe (gegen Grendel, dessen Mutter und den Drachen) geben der Erzählung ihre äußere Struktur. Während die ersten beiden unmittelbar aufeinan­der­fol­gen, liegt vor dem Kampf mit dem Drachen ein Zeitsprung von rund 50 Jahren. Der Erzählfluss variiert in Tempo und Richtung: In mehreren Vor-, Rück- und Seitwärts­be­we­gun­gen fügt der unbekannte Dichter Details hinzu, etwa lange Genealogien und Schilderun­gen his­torischer Schlachten oder Persönlichkeiten.

Der Orig­inal­text erzählt Beowulfs Abenteuer in Versen, die für den mündlichen Vortrag erdacht wurden: Es sind insgesamt 3182 Stabreime (Al­lit­er­a­tio­nen; die betonten Wörter eines Verses beginnen mit dem gleichen Anfangslaut). Das älteste Manuskript ist in Westsächsisch (West Saxon) abgefasst, vermischt mit anderen Dialekten des Angelsächsischen. Die deutsche Prosaübersetzung von Gisbert Haefs dampft die oft redundante Wortfülle des Originals auf einen schlankeren Stil ein, ohne den heroischen Tonfall aufzugeben. So wird zwar aus „Nun sprach der edle Herrscher der Dänen, Healfdenes ruhmreicher Sohn, der gewaltige Ringgeber und Schatzspender“ an einer Stelle einfach „Hrothgar sagte“ – gle­ichzeitig aber werden typische Metaphern (z. B. „Walstraße“ als Um­schrei­bung für den Ozean) beibehalten.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • In Beowulf tauchen christliche Werte neben heidnischen Elementen auf. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass ein of­fen­sichtlich christlicher Autor eine Geschichte von archaischen Heiden erzählt. So ist z. B. mehrmals vom Schicksal „Wyrd“ die Rede – ein Begriff aus der angelsächsischen, vorchristlichen Mythologie. Auch auf die Bibel wird Bezug genommen: Die Monster erscheinen nicht als Trolle oder Titanen, die der nordischen Mythologie entstammen könnten, sondern werden als Nachfahren des biblischen Brudermörders Kain bezeichnet.
  • Viele der im Epos beschriebe­nen Rituale decken sich mit his­torischen Tatsachen. So scheint z. B. zu der Zeit, als das Epos entstand, die Bestattung eines Helden in einem Hügelgrab üblich gewesen zu sein. 1939 wurde in Suffolk ein angelsächsisches Königsgrab aus dem 7. Jahrhundert gefunden (Sutton Hoo), das die gleiche Beschaf­fen­heit wie das Grab Beowulfs aufweist.
  • Mut, Tapferkeit und Ehre: Die in Beowulf beschwore­nen Werte sind die Stützpfeiler einer archaischen Gesellschaft, wo es der waghalsige Kämpfer weit bringen kann. Allerdings – auch das stellt der Autor klar – ist es nicht der Ruhm allein, der Beowulf und seine Mannen antreibt, sondern auch die Belohnung mit kostbarem Gold.
  • Wie in vielen Epen tragen die Figuren in Beowulf sprechende Namen. So bedeutet der Name des Helden „Bienenwolf“, was wiederum eine Um­schrei­bung für „Bär“ ist und auf die Kraft seines Trägers verweist. Solche mehrgliedri­gen Um­schrei­bun­gen einfacher Begriffe in der alt­ger­man­is­chen Dichtung nennt man Kennings. Typische Kennings sind etwa „Wundenwolf“ für Axt oder „Schwerttau“ für Blut.

His­torischer Hintergrund

Gauten und Dänen

Beowulf ist zwar kein Werk der Geschichtss­chrei­bung, es lehnt sich aber an historische Tatsachen an, die der sagenhaften Handlung re­al­is­tis­che Züge verleihen. Auch wenn nicht vollständig geklärt ist, wo genau die Handlung spielt, lassen sich die Orte doch geografisch eingrenzen. Die Gauten lebten vermutlich im südwestlichen Schweden, wo sich heute Göteborg befindet. Zur Römerzeit siedelten in diesem Teil Skan­di­naviens zwei germanische Stämme: die besagten Gauten (die übrigens nicht identisch mit den Goten waren) und die Svear. Im sechsten Jahrhundert wurden die Gauten von den Svear unterworfen, die daraufhin die beiden Reiche vereinten. Die Chris­tian­isierung durch fränkische Missionare begann in der ersten Hälfte des neunten Jahrhun­derts, wobei sich der neue Glaube jedoch nur sehr langsam etablieren konnte. Ab etwa 800 n. Chr. tauchten die skan­di­navis­chen Wikinger in Europa auf, unternahmen Raubzüge, gründeten Kolonien und errichteten Handelswege.

Der im Epos genannte König Hrothgar könnte sowohl in Dänemark als auch im südschwedis­chen Schonen regiert haben. Die Dänen lebten ursprünglich in Skan­di­navien, also im heutigen Schweden und Norwegen; im fünften und sechsten Jahrhundert eroberten sie Jütland sowie die be­nach­barten Ost­seein­seln. Personen wie der Gaut­en­herrscher Hygelac und ver­schiedene Ereignisse und Schlachten sind auch durch andere Quellen verbürgt.

Entstehung

Die Meinungen über die Entstehung von Beowulf gehen auseinander. Verbreitet ist die Auffassung, dass das Epos um das Jahr 700 entstanden sein muss, vermutlich im Königreich Mercien (Mit­te­leng­land), wo vielleicht ein Fürst mit skan­di­navis­chen Wurzeln den Auftrag gegeben hat. Die älteste erhaltene schriftliche Fassung des Textes lässt sich mithilfe paläografischer Methoden, d. h. der zeitlichen Zuordnung aufgrund alter Schrift- und Buch­staben­for­men, ungefähr auf das Jahr 1000 datieren. Beowulf ist einer von mehreren al­tenglis­chen Texten, die sich in einer Sam­mel­hand­schrift, dem „Nowell Codex“ finden. Zwei Schreiber sind für die Urfassung ve­r­ant­wortlich: Der eine verfasste den Text bis zur Zeile 1939, danach übernahm sein Kollege. Das Manuskript, das sich heute in der British Library befindet, darf aber nicht als „Original“ betrachtet werden: Beowulf entstammt einer mündlichen Tradition, das Werk entwickelte sich vermutlich aus ver­schiede­nen Einflüssen, Traditionen und Volkssagen und wurde von Hofdichtern und fahrenden Sängern vorgetragen und musikalisch untermalt. Die Sänger verwendeten feste Formeln und Sprach­muster, die sich über viele Jahre eingebürgert hatten. So konnten sie ohne große Schwierigkeiten auch längere Werke frei vortragen und ggf. abändern. Viele For­mulierun­gen aus Beowulf finden sich auch in anderen Texten. Eine Minderheit von Lit­er­atur­forsch­ern geht davon aus, dass es keine oder kaum zeitliche Un­ter­schiede zwischen Entstehung und Nieder­schrift gibt, mit anderen Worten: dass es sich beim Verfasser und beim Schreiber um die gleiche Person handelt.

Wirkungs­geschichte

1805 wurden ausgewählte Verse des Beowulf in modernes Englisch übertragen, 1815 erfolgte die erste vollständige Tran­skrip­tion durch den isländischen Wis­senschaftler Grímur Jónsson Thorkelin. Mit­tler­weile existieren mehrere Nacherzählungen und Ju­gend­buchadap­tio­nen, Bildergeschichten und Comics. Die wis­senschaftliche Literatur zum Werk ist ins Unüberschaubare angewachsen. Außer den Texten William Shake­speares gibt es kein en­glis­chsprachiges Werk, zu dem in diesem Umfang Sekundärliteratur existiert. Eines der wichtigsten Dokumente der Beowulf-Forschung ist ein Essay mit dem Titel The Monsters and the Critics von J. R. R. Tolkien. Der Sprach­wis­senschaftler sorgte dafür, dass man den Text nicht nur als Quelle his­torischer Tatsachen, sondern auch als bewusst kom­poniertes Kunstwerk betrachtete. Er betonte ins­beson­dere die fan­tastis­chen Elemente und die Rolle der von Beowulf besiegten Monster. Motive aus Beowulf finden sich in unzähligen Romanen, Filmen und Musikstücken. Tolkien selbst verwendete einige davon für sein lit­er­arisches Werk: So wurde z. B. das Volk der Reiter von Rohan aus Der Herr der Ringe vom Hof des dänischen Königs Hrothgar inspiriert.

Zeitgenössische Romane von John Gardner (Grendel, 1971) oder Michael Crichton (Eaters of the Death, 1976) adaptieren den Mythos oder kehren – so bei Gardner, der aus der Sicht des Monsters schreibt – die Per­spek­tiven um. Eine Oper des amerikanis­chen Komponisten Elliot Goldenthal basiert auf dem Gard­ner-Ro­man und wurde 2006 in Los Angeles uraufgeführt. Das Epos wurde mehrmals verfilmt, u. a. 2005 von Sturla Gunnarsson (Beowulf & Grendel) und 2007 in Form eines Com­put­eran­i­ma­tions­films unter der Regie von Robert Zemeckis (Die Legende von Beowulf). Die meisten Ver­fil­mungen gehen recht frei mit der Vorlage um: Bei Zemeckis wird beispiel­sweise eine verhängnisvolle Liaison zwischen Beowulf und Grendels Mutter konstruiert, um der Geschichte einen Clou zu geben, den sie ursprünglich nicht hatte. Als ältestes erhaltenes Versepos in einer ger­man­is­chen Volkssprache ist Beowulf einer der größten Schätze der Weltlit­er­atur.//

Über den Autor

Über den anonymen Autor von Beowulf ist wenig bis gar nichts bekannt. Es spricht aber vieles dafür, dass er ein vornehmer, hu­man­is­tisch gebildeter Mann gewesen sein muss, möglicher­weise ein Geistlicher, der in einem Kloster in England lebte. Auch gibt es Hinweise darauf, dass er in Mercien, einem der ursprünglich sieben angelsächsischen Königreiche, gelebt hat. Auf jeden Fall war er mit skan­di­navis­chen Traditionen und Sitten vertraut, er kannte das germanische Sagengut und wurde of­fen­sichtlich auch von der Aeneis des Vergil beeinflusst, dem im England des achten Jahrhun­derts meist­ge­le­se­nen weltlichen Buch in lateinis­cher Sprache. Beowulf entstand vermutlich um das Jahr 700, das einzig überlieferte Manuskript wird jedoch ungefähr aufs Jahr 1000 datiert. Man nimmt an, dass der Text durch die Hände von mehreren Schreibern gegangen ist. Gle­ichzeitig herrscht heute die Meinung vor, dass das Manuskript auf einer eigenständigen In­ter­pre­ta­tion der ursprünglich mündlich überliefer­ten Geschichte basiert, dass Beowulf also letztlich doch nur einen Autor hat. Auffallend ist die Verknüpfung von ar­chaisch-hei­d­nis­chen Elementen mit Bemerkungen, die sich aufs Christentum beziehen. Of­fen­sichtlich versuchte der Autor – evtl. aber auch ein späterer Bearbeiter –, die heidnische Mythologie mit der antiken christlichen Tradition zu verbinden. Die Handlung der mündlich überliefer­ten Geschichte war dagegen sicherlich ein rein heidnisches Epos, das erst im Nachhinein einen christlichen Wertekodex übergestülpt bekam.