Complicate your life

Buch Complicate your life

Sordon Verlag,


Rezension

„Simplify your life“ – dieses angebliche Er­fol­gsrezept ist ein Aus­lauf­mod­ell, meint Winfried W. Weber. Seine These: Die Welt der Zukunft ist kompliziert, und nur wer sich darauf einlässt, wird erfolgreich sein. Webers Mensch der Zukunft hat mehrere Jobs am Laufen, möglicher­weise auch gleich noch ein Ehrenamt und ein eigenes Start-up, und er wechselt seine Arbeitgeber auch mal einfach der Abwechslung halber. Das macht ihn derart flexibel und agil, dass weder Konkurs noch Kündigung seiner Karriere etwas anhaben können. Wer diesem Vorbild nacheifern will – und das müssen wir alle, sagt uns der Autor – erhält in 32 knappen Essays zahlreiche Anregungen. Von Platon bis Tom Peters, von Toyota bis Wikipedia: Kaum ein kluger Denker und kaum ein in­spiri­eren­des Beispiel, das in dem schmalen Büchlein nicht seinen Platz fände. Dessen größte Schwäche ist allerdings, dass es nicht viel wirklich Neues zu verkünden hat. So zutreffend Webers Vision sein mag und so fein er sie auch zergliedert: Jeden Teilaspekt kennt man bereits aus anderen Büchern. Wer sich die allerdings sparen will, meint BooksInShort, kann sich das Leben mit Complicate your life auf angenehme Art einfacher machen.

Take-aways

  • Sim­plify-Konzepte sind beliebt, helfen in unserer komplexen Arbeitswelt aber nicht weiter.
  • Machen Sie sich die Komplexität zunutze, statt gegen sie anzukämpfen.
  • Die lineare Karriere ist ein Aus­lauf­mod­ell.
  • Zukunft hat, wer ein Port­fo­lio-Leben führt: Er entwickelt ver­schiedene Fähigkeiten, die er flexibel zum richtigen Zeitpunkt dort anbietet, wo sie gebraucht werden.
  • Wer auf der Kar­ri­ereleiter Fuß fassen will, muss zunächst bereit sein, von Praktikum zu Praktikum zu hüpfen.
  • In dieser Aus­bil­dungszeit saugt man Wissen auf und knüpft ein Netzwerk, das sich später als nützlich erweist.
  • Wer auf dem flexiblen Ar­beits­markt bestehen will, muss sich selbst zur Marke machen.
  • Globale Nis­chen­strate­gien lohnen sich: Via Internet lässt sich beinahe alles verkaufen.
  • Manager müssen zu Un­ternehmern werden und mutige Ad-hoc-Entschei­dun­gen treffen.
  • Wer nur verwaltet, koordiniert und Risiken abwägt, verpasst die Zukunft.
 

Zusammenfassung

„Simplify your life“ war gestern

„Complicate your life“ ist die Devise von heute. Vere­in­fachun­gen, feste Regeln und Normen werden unserer sich wandelnden Gesellschaft und Arbeitswelt kaum mehr gerecht, so verlockend sie auch sein mögen. Die Schlüssel zum künftigen Erfolg sind vielmehr un­kon­ven­tionelles Denken und flexibles Handeln. Sim­plify-Konzepte wurden schon immer propagiert: in der Antike von Diogenes und im 19. Jahrhundert etwa vom amerikanis­chen Philosophen Henry David Thoreau. Immer ging es um den Versuch, Komplexität zu reduzieren und sich einen Weg durch den zunehmend dichter werdenden Dschungel des Lebens zu bahnen. Zwänge und Bedürfnisse sollten vermindert und vere­in­fachende Ver­hal­tensweisen – Entrümpeln! Or­gan­isieren! Planen! Reduzieren! – gefördert werden.

„Kreativität und Erneuerungsfähigkeit resultieren nicht aus Ord­nungsliebe, sondern aus tiefer Kenntnis mit einem gewissen Hang zur Un­or­dentlichkeit.“

In diesen strikten Anweisungen liegt der Schwach­punkt der Sim­plify-Konzepte: Sie lassen kaum Kreativität und Im­pro­vi­sa­tion zu und ignorieren die Energie, die aus Chaos und Zufällen entstehen kann. Wer zu sehr reduziert, kann die Möglichkeiten, die ihm unsere komplexe Welt bietet, nicht mehr voll ausschöpfen. Der Com­pli­cate-Ansatz ruft deshalb dazu auf, für Veränderungen und Un­vorherge­se­henes offen zu sein und so den eigenen Hand­lungsspiel­raum zu erweitern. In Zukunft wird es darum gehen, das richtige Verhältnis zwischen Or­gan­i­sa­tion und produktivem Chaos zu finden. Als totaler Chaot werden Sie ebenso wenig Erfolg haben wie als Erbsenzähler.

Eigen­ver­ant­wor­tung und Eigenini­tia­tive

Ralph Waldo Emerson forderte Mitte des 19. Jahrhun­derts, man müsse zum stetigen Wandel bereit sein, um Neues zu kreieren. Auf Autoritäten wie Staat oder Unternehmen sei dabei kein Verlass, sie brächten einen in der eigenen Entwicklung nicht weiter. Was für Emerson zählte, war der persönliche Wille, der Glaube an die eigenen Fähigkeiten.

„Complicate your life heißt, offen zu werden für unerwartete En­twick­lun­gen.“

Heutige Man­age­ment­denker wie Tom Peters setzen diese Denkrich­tung fort. Auch Peters propagiert Un­ternehmergeist, gepaart mit Vertrauen in die eigenen Stärken, ein ständiges Umdenken und Neukreieren. Und er hat Recht, denn die Zeiten, in denen wir ein Leben lang einem einzigen Unternehmen angehörten, sind definitiv vorbei. Die Berufswelt hat sich bereits radikal geändert, auch wenn sich viele standhaft weigern, dies zu akzeptieren. Ar­beit­nehmer sind heute gezwungen, sich ständig weit­erzuen­twick­eln. Aber nicht nur das, sie müssen auch lernen, mehrgleisig zu fahren. Nur wer versteht, dass er seine Ar­beit­skraft in Zukunft frag­men­tiert verkaufen muss, ist gewappnet für das, was kommt.

Portfolio Lives

Der Wirtschaft­sphilosoph Charles Handy spricht von der Entwicklung so genannter „Portfolio Lives“. Ein Port­fo­lio-Leben führt, wer auf ein ganzes Bündel von Tätigkeiten und Fähigkeiten zurückgreifen kann, die sich auf dem Ar­beits­markt verkaufen lassen. Phasen von Angestell­tentätigkeit, neben­beru­flicher Selbstständigkeit, Vol­lzeit-Selb­stständigkeit und ehre­namtlicher Tätigkeit lösen sich ab. Die berühmte Autorin und Erfinderin von Harry Potter, Joanne K. Rowling, ist ein gutes Beispiel dafür. Sie arbeitete zunächst als Lehrerin, dann als Büroangestellte und Mi­tar­bei­t­erin bei Amnesty In­ter­na­tional, zog nach Portugal, wo sie wieder als Lehrerin arbeitete, wurde Mutter, kehrte zurück nach England, lebte von der Sozialhilfe – und schrieb dann ihren ersten Harry-Pot­ter-Ro­man. „Complicate your life“ bedeutet in diesem Sinne, ver­schiedene Qualitäten und Fähigkeiten zu entwickeln und diese in einer „virtuellen Künstlermappe“ parat zu haben, um sie poten­ziellen In­ter­essen­ten vorzuweisen. Es bedeutet aber auch, dass man auf sich selbst gestellt ist und immer wieder die Initiative ergreifen muss.

„Prak­tikan­ten zappeln mit Elan, sind motiviert und lernen, sich wie Chamäleons zu verändern, wenn sie mehrere Praktika durchlaufen.“

Eigenini­tia­tive ist in der „nächsten Gesellschaft“, wie der Man­age­ment­denker Peter Drucker sagte, überleben­snotwendig. Wenn sich mehr Menschen auf sich selber verlassen und selb­st­bes­timmt arbeiten – unabhängig davon, ob sie zur Stamm­belegschaft eines Un­ternehmens gehören, Freiberu­fler sind oder eine eigene Firma gründen –, dann wird diese nächste Gesellschaft leistungsfähiger sein als die heutige. Sie wird allerdings auch instabiler werden. Nur wer sich darauf einlässt und die Idee einer linearen Karriere aufgibt, wird Erfolg haben. Das gilt ganz besonders für die zukunftsträchtigen Bereiche Technologie und Wis­sensar­beit.

Zappelnde Prak­tikan­ten

Die Prak­tikan­ten der heutigen Generation haben bereits gelernt, mit der veränderten Situation umzugehen. Sie haben erfahren, dass ein Praktikum keineswegs mehr die Ein­trittskarte in das Wun­schunternehmen ist: Wer einen Fuß auf die Kar­ri­ereleiter setzen will, muss eine „floundering period“ durchhalten, eine Zeitspanne, in der man wie eine Flunder zappelt.

„Es wird heute immer wichtiger, den Wert der Arbeit genau zu beobachten und eigene Spielräume zu erweitern.“

Das hat Vor- und Nachteile: Die „Generation Praktikum“ muss sich durch zahlreiche unbezahlte, ar­beitsin­ten­sive Praktika kämpfen, lernt aber gle­ichzeitig, Vorteile für das spätere Ar­beit­sleben daraus zu ziehen. Sie saugt Wissen auf, knüpft wertvolle Netzwerke und lockere Verbindun­gen, so genannte „weak ties“, die sich später als überaus nützlich erweisen können. Der Ausbeutung ihrer Ar­beit­skraft auf der einen Seite steht auf der anderen die frühzeitige Übernahme von Ve­r­ant­wor­tung gegenüber. Viele Prak­tikan­ten haben eine Rolle als Er­satzmi­tar­beiter, Berater, Motivator, Experte oder Innovator inne und avancieren schnell zu uner­set­zlichen Arbeitskräften.

„Brand you“ – werden Sie eine Marke

Tom Peters rief bereits vor einem Jahrzehnt dazu auf, „der Boss seiner eigenen Show“ zu sein. Im zukünftigen Ar­beits­markt wird es noch wichtiger sein, sich von anderen zu un­ter­schei­den und selbst zur Marke zu werden. Es geht dabei nicht darum, um jeden Preis Eindruck zu schinden, sondern die eigenen Stärken zu kennen und sys­tem­a­tisch Hand­lung­sop­tio­nen zu erweitern.

„Das obere Management liest in der Tat kaum Managementbücher.“

Konkret kann das heißen, den nächsten Job bereits zu suchen, während man mit dem jetzigen noch ganz zufrieden ist, diesen neuen Job absichtlich in einer anderen Branche als der bisherigen zu wählen und aus freien Stücken mobil zu werden, nicht erst unter Druck. Gegen den Strom zu schwimmen, zahlt sich aus: Statt sich nur bei bekannten Unternehmen zu bewerben – möglicher­weise chronisch erfolglos –, lohnt sich ein Blick auf die gewaltigen Möglichkeiten, die der Mittelstand bietet. Schicken Sie 100 oder mehr Blind­be­wer­bun­gen ab: Wer sich auf wenige Unternehmen beschränkt und dort Absagen erhält, beschädigt nur sein Selb­stver­trauen und beschränkt unnötig seinen Aktionsraum.

Managen in der Zukunft

Henry Fayol, Begründer der französischen Man­age­mentlehre, definierte die Tätigkeit des Managens als Planen, Or­gan­isieren, Ko­or­dinieren und Kon­trol­lieren. Viele Manager verhalten sich noch heute so. Das wird den neuen An­forderun­gen jedoch nicht mehr gerecht.

„Klassische Man­age­ment­pro­gramme ziehen die falschen Leute an und le­git­imieren sie mit un­zure­ichen­den Methoden für die Man­age­men­ther­aus­forderun­gen des 21. Jahrhun­derts.“

Heutige Manager müssen wie Unternehmer denken und handeln und mit der gestiegenen Komplexität klarkommen. Dazu brauchen Sie ein ganzes Bündel an „pro­fes­sional skills“, zu denen vor allem weiche Faktoren wie Intuition, Vertrauen, Entschlusskraft, Mut, Schnel­ligkeit oder Erfahrung zählen. Es geht weniger darum, auf die Analyse von Ursachen und Wirkungen zu bauen und rationale Entschei­dun­gen zu treffen, als vielmehr um Offenheit im Denken und um das Zulassen von Ungewis­sheit. Je komplexer das Umfeld, desto schwieriger, ja sinnloser werden langfristige Pläne. Manager dürfen keine Verwalter und Risikoab­sicherer sein, sie müssen zu Un­ternehmern werden, Chancen erkennen, ad hoc entscheiden, Ideen und Menschen zusammenführen. Zum Topmanager kann nur werden, wer flexibel auf neue En­twick­lun­gen reagiert und Spaß daran hat. Mit der steigenden Komplexität von Produkten und Märkten spielerisch umgehen – auch das ist mit „Complicate your life“ gemeint.

Wozu Theorie und Bücher?

Un­ter­suchun­gen haben ergeben, dass Manager kaum Man­age­mentlit­er­atur lesen, sondern sie höchstens im Regal stehen haben. Rund 90 % ihrer Zeit verbringen sie mit kom­mu­nizieren, Interessen ausloten, Kontakte knüpfen oder beleben sowie Anweisungen geben. Meist entscheiden sie aus dem Bauch heraus und erklären dies erst später rational. Oder sie treten die ver­meintlich nötige Analyse an einen Berater ab, der vorgibt, der Komplexität Herr zu werden.

„Der direkte Kontakt zu bisherigen Nicht-Kun­den stellt die effektivste Methode dar, um die Sichtweise von Menschen mit anderem Hintergrund kennen zu lernen.“

Tatsache ist, dass gute Un­ternehmenslenker wenig lesen, aber viel mit Kollegen, Mi­tar­beit­ern, Kunden und Noch-nicht-Kun­den reden. Sie können damit leben, dass sie nicht alle Einzel­heiten in ihrem Unternehmen kennen oder gar kon­trol­lieren können. Die klassische Man­age­men­taus­bil­dung an der Uni oder zum MBA wird in Zukunft keinen Erfolg mehr garantieren. Die neue Devise ist „trial and error“. Gelernt wird, indem man frühzeitig Führungsauf­gaben übernimmt: in der Schule, während des Studiums, im Praktikum, bei einer soliden Ausbildung im Handwerk oder in einem Ehrenamt.

Komplexe Systeme

Ein belebter Strand ist ein gutes Beispiel für ein komplexes soziales System, das sich selbst steuert. Das Strandleben hat seine eigenen Regeln der Kom­mu­nika­tion und der Distanz. Sie sind nirgends niedergeschrieben, jeder neue Strandbe­sucher beobachtet und fügt sich ein. Aber das Strandleben entwickelt sich mit dem Verhalten seiner Besucher auch weiter: Neue kommen hinzu, verändern die Regeln von Kom­mu­nika­tion und Distanz, sorgen für eine andere Atmosphäre.

„Wer lernt, mit Feed­back-Schleifen zu innovieren, erzielt marktfähige In­no­va­tio­nen.“

Ähnlich funk­tion­ieren Kon­sumprozesse, neue Kom­mu­nika­tions­for­men wie Blogging oder selb­stor­gan­isiertes Lernen. Auch hier handelt es sich um selb­st­ges­teuerte soziale Systeme mit ungeschriebe­nen Regeln. Dabei zeigt sich, dass Einzelper­so­nen nicht in­tel­li­gen­ter sind als Gruppen, im Gegenteil. Das Stichwort dazu lautet „Schwarmintel­li­genz“, und neue Er­schei­n­un­gen wie Open-Source-Soft­ware, Wikipedia oder Musik­tauschbörsen belegen, wie sie funk­tion­iert. Das komplexe System Internet macht möglich, dass heute nahezu jedes Produkt – auch ein sonst schwer verkäufliches – seine Abnehmer findet. Das bedeutet eine schier unendliche Anzahl an Nischenmärkten und denkbaren Nis­chen­pro­duk­ten – ein offenes Feld für Unternehmer und Selbstständige.

Von Beginn an global

Wer sich in einer Nische selbstständig macht, sollte von Beginn an auf eine globale Marke abzielen. Beschränken Sie sich nicht auf Ihre Heima­tre­gion, sondern schauen Sie bewusst auf andere Länder und entdecken Sie dort mögliche Pro­duk­tvorteile im Hinblick auf Preis, Qualität oder Service. Diese Erken­nt­nisse lassen sich nutzen, um über den Heimmarkt hinaus zu agieren, sei es um im Ausland Produkte oder Di­en­stleis­tun­gen anzubieten oder indem Sie als „Inkubator“ ausländischen Un­ternehmern helfen, in Ihrer Heimat Fuß zu fassen. Tun Sie aber nicht einfach irgendwas. Die nötige Ausdauer bringen Sie nur auf, wenn Sie mit Begeis­terung bei der Sache sind.

Ständige Innovation

Laufendes Um- und Wei­t­er­denken ist das A und O der zukünftigen Un­ternehmensen­twick­lung. Weitre­ichende Planung kann Ihnen dabei nicht viel helfen. Entschei­den­der für innovative Ideen ist eine Un­ternehmen­skul­tur, die Fehler erlaubt und Unbekanntes akzeptiert. Nutzen Sie Feedbacks von Ihren Kunden, kom­mu­nizieren Sie nach allen Seiten, beziehen Sie Zufälle mit ein, beobachten Sie Trends, soziale En­twick­lun­gen und das Mark­t­geschehen aufmerksam. Einen unaus­gereiften Prototyp zu lancieren, die Reaktionen darauf abzuwarten und wiederum in die Weit­er­en­twick­lung einzubeziehen, kann zu einer revolutionären Neuheit führen. Wer hingegen versucht, das Produkt bis in alle Einzel­heiten vo­rauszu­pla­nen, wird eher einen Flop landen.

Über den Autor

Winfried W. Weber ist Professor an der Mannheim University of Applied Sciences. Seine Spezial­ge­bi­ete sind Management und moderne Pro­duk­tion­ssys­teme. Er war selbst als Manager und Man­age­ment­ber­ater tätig und promovierte beim Soziologen Dirk Baecker.