Flexible Wechselkurse oder eine Währung
Im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt konnte ein Kaufmann auf seinem Weg von Rom über Köln nach London mit nur einer Währung bezahlen, dem Denar. Später bildete sich ein System der Münzvielfalt heraus, das Jahrhunderte Bestand hatte. Es dauerte also sehr lange, bis wieder eine einheitliche Währung eingeführt werden konnte. Kurze Zeit nachdem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahr 1958 an den Start gegangen war, sprach man ab und an von einer europäischen Währungsintegration, aber richtig ernst wurde es erst mit Inkrafttreten des Abkommens über das Europäische Währungssystem (EWS) im Jahr 1979.
„Mit der Entscheidung vom 2. Mai 1998, zum Start im Januar 1999, elf Länder in die Währungsunion aufzunehmen, schufen die Staats- und Regierungschefs, sozusagen mit einem Federstrich, das zweitgrößte Währungsgebiet der Welt.“
Mit festen Wechselkursen sollte das monetäre Zusammenspiel der nationalen Wirtschaften erzwungen werden. Es zeigte sich aber, dass ein funktionierendes System nur mit einer auf Stabilität bauenden Geldpolitik zu realisieren war. Das EWS stützte sich auf die stärkste Währung, die Deutsche Mark. In ihrem unerbittlichen Kampf gegen die Inflation zwang die Deutsche Bundesbank Länder, die nicht mithalten konnten, durch das System der festen Wechselkurse zur laufenden Abwertung ihrer Währungen. Nicht zuletzt sprachen politische Gründe gegen eine Weiterführung der Leitwährungsrolle der D-Mark. Gerade die größeren Länder wollten die deutsche Geldpolitik nicht länger eins zu eins übernehmen. Lösungsmöglichkeiten sah man in flexiblen Wechselkursen – oder eben in einer einheitlichen Währung.
In drei Stufen zur Währungsunion
Nach einer Idee des damaligen Präsidenten der EU-Kommission Jacques Delors sollte die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen verlaufen: In der ersten Stufe wurden zum 1. Juli 1990 alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt. Die zweite Stufe war die Gründung des Europäischen Währungsinstituts (EWI) am 1. Januar 1994. In der dritten Stufe wurden am 1. Januar 1999 die geldpolitischen Kompetenzen auf die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen und der Euro wurde eingeführt. Die Vereinbarungen dazu wurden auf dem Maastrichter Gipfeltreffen 1991 getroffen. Nach dem dort unterzeichneten Vertrag durften nur diejenigen Länder an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmen, die die so genannten Konvergenzkriterien erfüllten: niedrige Inflationsrate, öffentliche Schuldenquote von maximal 60 % des Bruttoinlandsprodukts, Teilnahme am Festkurssystem und Annäherung der langfristigen Nominalzinsen an das Niveau der drei Währungen mit den niedrigsten Preissteigerungsraten. Nicht allen Teilnehmerstaaten gelang es auf Anhieb, diese Kriterien zu erfüllen.
„An der Währungsunion sollen nur Länder teilnehmen dürfen, die hinreichend vorbereitet sind für das Regime einer einheitlichen Geldpolitik.“
Die für die Währungsunion notwendigen Beschlüsse wurden 1998 in Brüssel gefasst. Dabei ging es zum einen um die Aufnahme der von der EU-Kommission vorgeschlagenen elf Mitgliedstaaten: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. Zum anderen musste über die Mitglieder des ersten Direktoriums der EZB entschieden werden. Als Präsident befürwortete die Mehrheit Willem F. Duisenberg, der damals amtierender Präsident des Europäischen Währungsinstituts war.
Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank
Die Geldpolitik der EZB wurde im Vertrag über die Europäische Union festgelegt. Eine internationale Vereinbarung war notwendig, da es sich, im Unterschied zu nationalen Zentralbanken, um eine supranationale Institution handelt. Eingebettet ist die EZB in das so genannte Eurosystem, dem auch die Zentralbanken der Teilnehmerländer der Währungsunion angehören – anders als beim Europäischen System der Zentralbanken (ESZB), dem die Notenbanken aller EU-Mitgliedstaaten zugehörig sind, also auch derjenigen, die den Euro nicht eingeführt haben. Die EZB besitzt das alleinige Recht, Banknoten innerhalb des Euroraumes auszugeben. Ihr obliegt auch die Durchsetzung einer einheitlichen Geldpolitik im Euroraum, die auf drei Prinzipien beruht: Verbot monetärer Finanzierung (d. h. keine Kreditvergabe an die öffentliche Hand), Unabhängigkeit der Notenbank und Vorrang der Preisstabilität.
„Es liegt auf der Hand, dass es wenig erfolgversprechend wäre, Länder in einer Währungsunion zu vereinen, die dauerhaft große Unterschiede in ihren Inflationsraten aufweisen. Insoweit erfüllten die Konvergenzkriterien eine wichtige Funktion.“
Am 13. Oktober 1998 verabschiedete der EZB-Rat die geldpolitische Strategie. Oberste Priorität wurde der Preisstabilität eingeräumt. Der harmonisierte Verbraucherpreisindex darf deshalb im Euro-Währungsgebiet nicht mehr als 2 % pro Jahr steigen. Diese Strategie steht auf zwei Säulen, der monetären und der wirtschaftlichen. Die monetäre Säule trägt der Tatsache Rechnung, dass die Veränderung der Geldmenge auf lange Sicht immer auch das Preisniveau mit beeinflusst. Darum wurde ein Referenzwert für die Entwicklung der Geldmenge M3 festgelegt. Während die monetäre Säule für die langfristige Perspektive wichtig ist, spricht die wirtschaftliche Säule die kurz- bis mittelfristige Perspektive an. Wirtschaftliche Faktoren wie der Ölpreis oder die Lohnstückkosten wirken sich unmittelbar auf das Preisniveau aus. Um diesen Bereich zu überwachen und Auswirkungen auf die Preise abschätzen zu können, wurde die regelmäßige Durchführung gesamtwirtschaftlicher Prognosen beschlossen.
Geldpolitische Instrumentarien
Die Geldpolitik wird zwar zentral im EZB-Rat entschieden, aber dezentral von den nationalen Notenbanken durchgeführt. Mit den Instrumenten Offenmarktgeschäfte, ständige Fazilitäten (Kreditmöglichkeiten) und Mindestreservepolitik wird der Geldmarktzins so gesteuert, dass die Preise stabil bleiben. Das geht im Einzelnen so:
- Durch Offenmarktgeschäfte erhalten die Geschäftsbanken Geld für Kredite gegen die Verpfändung von Sicherheiten, beispielsweise Wertpapieren. Das wichtigste Offenmarktgeschäft ist das wöchentliche Hauptfinanzierungsgeschäft, bei dem Gebote zu einem Mindestzinssatz abgegeben werden.
- Durch ständige Fazilitäten ermöglicht die EZB den Geschäftsbanken, kurzfristig Kredite bei ihr aufzunehmen bzw. Guthaben anzulegen. Die Zinssätze dieser Fazilitäten bilden die Ober- und Untergrenze des Tagesgeldsatzes EONIA.
- Das dritte Instrument verpflichtet die Geschäftsbanken, eine Mindestreserve von 2 % ihrer Kundeneinlagen zu schaffen.
„Ungeachtet gewisser Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern kann man von einer relativ homogenen Struktur des Finanzsystems im Eurogebiet sprechen.“
Im Vorfeld der Währungsunion wurde der Abstand zwischen den Zinssätzen für die beiden ständigen Fazilitäten verhältnismäßig eng auf 50 Basispunkte (3,25 % und 2,75 %) begrenzt, um die Geldmarktzinsen so stabil wie möglich zu halten. Das erste Hauptfinanzierungsgeschäft am 4. Januar 1999, also zur Einführung des Euro, sollte zu einem Zinssatz von 3 % abgewickelt werden. Zuvor lag der Satz höher, doch ein Rückgang der Inflation rechtfertigte diesen Schritt. Im Januar 1999 wurde der Euro, zahlreichen skeptischen Stimmen zum Trotz, erfolgreich eingeführt. Dass dieser Prozess so reibungslos vonstattenging, ist nicht zuletzt den etwa 50 000 Experten zu verdanken, die mit der Einführungsvorbereitung beschäftigt waren. Das Hauptziel, nämlich Preisstabilität, hat die EZB erreicht: Die durchschnittlichen harmonisierten Verbraucherpreise sind seit der Einführung des Euro bis 2007 um durchschnittlich 2,06 % gestiegen.
Der Euro als internationale Währung
Der bereits vor der Einführung des Euro hörbare Verdacht, die neue Währung würde dem Dollar Konkurrenz machen, wurde bestätigt. Der Euro konnte sich zu einer internationalen Währung entwickeln, weil er stabil ist und Vertrauen genießt. Auch die Entstehung eines großen Finanzmarktes, der auf einer starken und international verflochtenen Wirtschaft beruht, rechtfertigt diese Bezeichnung. Investoren aus der ganzen Welt legen ihr Geld in Euro an oder nehmen Kredite in dieser Währung auf. Der Anteil des Euro an den internationalen Devisenreserven steigt stetig und lag Ende 2006 bei 25,8 %. Nach dem Dollar auf Platz eins belegt der Euro Rang zwei auf der Liste der weltweit wichtigsten Reservewährungen. Notenbanken weltweit legen ihre Währungsreserven in Euro an.
„Das operative Ziel für die Durchführung der Geldpolitik der EZB ist der Geldmarktzins.“
Darüber hinaus dient der Euro mehr als 50, wenn auch größtenteils sehr kleinen Ländern als Ankerwährung. Sie nutzen den Euro als Orientierungsmarke für ihre eigene Währung. Weil viele Devisentransaktionen auch in Euro durchgeführt werden, fungiert er zudem als Transaktionswährung. Auch hier nimmt der Euro weltweit den zweiten Platz ein. Schließlich ist er auch eine Fakturierungswährung: Außenhandelsgeschäfte werden häufig nicht in nationaler, sondern in einer internationalen Währung fakturiert, meistens in Dollar, aber zunehmend auch in Euro.
„Für den Erfolg der im Lauf der Zeit immer größer werdenden Währungsunion kommt es entscheidend darauf an, dass der Beitritt eines Landes nicht zu früh und nur auf Basis hinreichender Vorbereitung erfolgt.“
Inzwischen ist die Europäische Union um weitere zwölf Staaten gewachsen. Mit 27 Mitgliedstaaten und mehr als 490 Millionen Menschen wird die EU zum weltweit größten Wirtschaftsraum mit einer ungeheuren Dynamik, die vor allem den neuen Mitgliedern zu verdanken ist. Sämtliche Neuzugänge haben sich auch zu einem späteren Beitritt zum Euroraum bereit erklärt. Als erstes der neuen Mitglieder führte Kroatien den Euro am 1. Januar 2007 ein. Malta und Zypern zogen Anfang 2008 nach. Polen, Tschechien und Ungarn verharren noch in einer Warteposition. Immerhin hängt der Erfolg der stetig wachsenden Währungsunion maßgeblich davon ab, wie gut vorbereitet die Beitrittskandidaten sind, vor allem in Sachen solide Haushaltspolitik – die Währungsunions-Mitglied Italien bis heute nicht in den Griff bekommen hat.
Die Kommunikationspolitik der EZB
Jede Notenbank muss ihre Politik vor Staat und Öffentlichkeit erklären, so auch die EZB. Im Mittelpunkt der Kommunikation steht die monatlich stattfindende Pressekonferenz, der grundsätzlich die unverzügliche Mitteilung einer neuen Entscheidung vorausgeht. Was andere Notenbanken „Protokoll“ oder „Minutes“ nennen, heißt bei der EZB „einleitende Bemerkungen zur Pressekonferenz“. Darin erläutert der Präsident die aktuelle Lage, die Risiken für die Preisstabilität und die aktuellen geldpolitischen Entscheidungen. Besondere Transparenz erreicht die EZB durch ihre zeitnahen Informationen. Indem Entscheidungen quasi in Echtzeit veröffentlicht werden, können sie unmittelbar auf die Märkte wirken. Dass das möglich ist, zeugt von einem hohen Konsens im Rat. Gäbe es Differenzen in den Grundfragen der Geldpolitik, wäre eine so schnelle Veröffentlichung nicht möglich. Eine Woche nach den Erläuterungen zur Pressekonferenz erscheint der Monatsbericht mit umfangreichen Analysen.
Wohin Europa?
Heute, etliche Jahre nach der Währungsunion, steht Europa am Scheideweg. Während die wirtschaftliche Integration weitgehend erfolgreich abgeschlossen ist, richten sich die Blicke nun verstärkt in Richtung politische Integration. Wünschenswert wäre es, wenn die Staaten sich noch ambitionierter an die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts halten würden. Eine Gefahr droht vonseiten der Bestrebungen nach einer Sozialunion. Im Gespräch ist ein europäischer Staat mit einem harmonisierten Sozialgefüge, bei dem u. a. der Arbeitsmarkt stärker reguliert werden müsste. Dies liefe jedoch einer einheitlichen Geldpolitik zuwider. Europaweit einklagbare Schutzrechte würden Transferzahlungen erforderlich machen. Es gäbe die, die zahlen, und die, die bekommen. Spannungen stünden auf der Tagesordnung. Das gemeinsame Geld könnte zur Last werden.
„Die Idee einer europäischen Sozialunion mit umfangreichen Schutzrechten, die die Rigiditäten der Arbeitsmärkte verfestigen statt abbauen, ist mit den Prinzipien einer Währungsunion stabilen Geldes nicht vereinbar.“
Viel sinnvoller wäre es, die Märkte, besonders den Arbeitsmarkt, noch flexibler zu halten, sodass sie sich an ökonomische Schocks besser anpassen können. Auf diese Weise können soziale Probleme automatisch klein gehalten werden. Man erhält sich das Wirtschaftswachstum, verbunden mit Vertrauen in die einheitliche, stabile Währung.
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Otmar Issing ist als Vater der geldpolitischen Strategie der Europäischen Zentralbank maßgeblich für den Erfolg des Euro verantwortlich. Von 1998 bis 2006 arbeitete er als Chefvolkswirt und war Mitglied des Direktoriums der EZB. Zuvor bekleidete er die gleichen Ämter bei der Deutschen Bundesbank.