Die Biopiraten

Buch Die Biopiraten

Milliardengeschäfte der Pharmaindustrie mit dem Bauplan der Natur

Econ,


Rezension

Ein Buch, das eine spannende Enthüllungsstory zu sein verspricht: Lobbyisten im Auftrag prof­it­gieriger Konzerne auf der einen Seite, be­nachteiligte En­twick­lungsländer und eingeborene Völker auf der anderen. Um wirklich zu fesseln, müsste der Appell der Autoren Frein und Meyer allerdings besser struk­turi­ert sein. Es geht zuweilen so konfus zu, dass man nicht mehr weiß, mit welchem Abkommen und mit welcher Zeit sich der Text gerade befasst. Entsprechend schwer lässt sich erkennen, welche Bes­tim­mungen aktuell sind und welche möglicher­weise schon der Ver­gan­gen­heit angehören. Dennoch: Die Autoren können mit brisanten Fällen aufwarten, die erschüttern und einmal mehr zeigen, dass Glob­al­isierung und Gerechtigkeit nur zögerlich zusam­menge­hen. Außerdem nimmt einem das Buch die Naivität: Manche scheinbar wohlmeinen­den Bemühungen auf dem politischen Parkett müssen offenbar in einem neuen Licht betrachtet werden. Eine aufrüttelnde Lektüre – BooksInShort empfiehlt sie allen, die wissen möchten, was einer gerechten Welt im Wege steht.

Take-aways

  • Pflanzliche genetische Ressourcen spielen eine wichtige Rolle für die Pharma- und Lebens­mit­telin­dus­trie.
  • Konzerne nutzen das tra­di­tionelle Wissen ein­heimis­cher Völker und lassen uralte Substanzen oder Saatgut patentieren.
  • Die Begründer dieses Wissens gehen leer aus.
  • Mit dem so genannten Patent auf Leben wurde der Biopi­ra­terie Tür und Tor geöffnet.
  • Die indischen Kleinbauern hätten um ein Haar die Rechte auf den Anbau des von ihnen kul­tivierten Bas­mati-Reises verloren.
  • Die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) fordert, dass Unternehmen nur mit Zustimmung der En­twick­lungsländer deren tra­di­tionelles Wissen nutzen dürfen.
  • Weil die CBD aber nur Staaten souveräne Rechte gewährt, sind die ein­heimis­chen Völker nach wie vor be­nachteiligt.
  • Das in­ter­na­tionale Patent- und Urhe­ber­recht nimmt keine Rücksicht auf die Regeln der CBD.
  • Inzwischen müssen bei Patentanträgen immerhin die verwendeten CBD-rel­e­van­ten genetischen Ressourcen angegeben werden.
  • En­twick­lungsländer fordern eine Verknüpfung dieser Herkun­ft­sangabe mit verbindlichen Regelungen zum Vorteil­saus­gle­ich.
 

Zusammenfassung

Erst nehmen, dann fragen?

Mit der Natur lässt sich viel Geld verdienen. Ob Pharma-, Kosmetik- oder Konsumgüterindus­trie – alle sind auf der Suche nach Pflanzen mit wertvollen Wirkstoffen und machen damit Mil­liar­dengeschäfte. Besonders die En­twick­lungsländer sind reich an „grünem Gold“, das die einge­bore­nen Völker seit Langem zu nutzen wissen. Die Industrieländer profitieren von diesem Wissen, ohne die Urheber dafür zu entschädigen. Bestes Beispiel ist die Teufel­skralle: Die Wurzeln dieser Pflanze aus der Kalahariwüste liefern einen Wirkstoff, der für Arthrose- und Rheum­abehand­lun­gen eingesetzt wird. Bereits Anfang des vergangenen Jahrhun­derts als Naturmedi­zin vom Volk der San (Botswana) entdeckt, wurde die Pflanze erst mit dem Trend zu natürlichen Heilmitteln für die Industrie interessant. Heute werden davon jährlich bis zu 1000 Tonnen aus dem Süden Afrikas exportiert. Im Jahr 2003 boten 46 Unternehmen 57 ver­schiedene Präparate an. Gewinner sind die Zwischenhändler, Exporteure und Hersteller. Für das Volk der San bleibt allenfalls ein Taschengeld.

„Bis zur ‚Erfindung‘ eines Schweins oder einer Heilpflanze ist es nicht mehr weit. Dass dies mit der ursprünglichen Idee der Paten­tierung nichts mehr gemein hat, ist of­fen­sichtlich.“

Vor dem Inkraft­treten der Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) am 29. Dezember 1993 galt das Prinzip: Erst nehmen und dann, wenn überhaupt, erst fragen. Das hat sich mit der CBD geändert. Die Grundidee: Wer über tra­di­tionelles Wissen verfügt, mit dem andere Geld verdienen, muss ebenfalls davon profitieren. Die bi­ol­o­gis­chen Ressourcen gehören laut CBD nicht mehr allen Menschen und Völkern, sondern dem Staat, in dem sie beheimatet sind. Fortan gilt: Erst fragen, dann nehmen. Bevor man also eine Pflanze aus dem Ausland für neue Medizin oder Kosmetik nutzen will, benötigt man die Zustimmung des jeweiligen Staates. Die Geberländer erhalten einen so genannten Vorteil­saus­gle­ich, sie werden also an den Gewinnen, die sich aus der Nutzung ergeben, beteiligt. Im Gegenzug ergreifen sie Maßnahmen zum Erhalt der bi­ol­o­gis­chen Vielfalt in ihrem Land.

Indigene Völker ohne Rechte

Ein großes Problem der CBD besteht darin, dass die Konvention die souveränen Rechte dem jeweiligen Staat gewährt, nicht aber den einge­bore­nen Völkern. Zwar gibt es zusätzlich ein völk­er­rechtlich verbindliches Übereinkom­men der In­ter­na­tionalen Ar­beit­sor­gan­i­sa­tion, das den Einge­bore­nen das Recht auf ihr anges­tammtes Land samt darauf befind­lichen Ressourcen zuerkennt, aber es ist bloß von 17 Staaten un­terze­ich­net worden. Daneben existiert ein UN-Abkommen zur Stärkung der Rechte ein­heimis­cher Völker, das zwar von allen Staaten getragen wird, aber nicht völk­er­rechtlich verbindlich ist. Die indigenen Völker befinden sich also in einer äußerst un­be­friedi­gen­den Lage, trotz CBD. Auch beim Vorteil­saus­gle­ich sind sie auf das Wohlwollen ihres jeweiligen Staates angewiesen. Dieser will meist selbst an der Nutzung der Ressourcen verdienen und gibt nur ungern etwas ab.

Zähe in­ter­na­tionale Debatte

Die Idee eines Vorteil­saus­gle­ichs im Rahmen der CBD rührte ursprünglich daher, dass sich Ende der 80er Jahre die westliche Welt, vor allem Europa, um den Erhalt der Regenwälder und der bi­ol­o­gis­chen Vielfalt auf dem Planeten sorgte. Die UN-Umwel­tor­gan­i­sa­tion erarbeitete die Vorlage für eine Biodiversitätskon­ven­tion. Weil natürlich gebliebene Ökosysteme überwiegend in En­twick­lungsländern zu finden sind, waren es vor allem sie, die sich um die biologische Vielfalt kümmern sollten. Mit anderen Worten: Während die Europäer ihre natürlichen Ressourcen während 200 Jahren der In­dus­tri­al­isierung geopfert haben, sollten die En­twick­lungsstaaten für das Wohl der gesamten Menschheit nun auf wirtschaftlichen Fortschritt verzichten.

„Die Frage ist, wie der in­ter­na­tionale Recht­srah­men so gestaltet werden kann, dass die Schwachen, etwa indigene Völker wie die San, im Kampf um ihre Rechte gegen die Mächtigen aus Wirtschaft und Regierung in Industrieländern gestärkt werden.“

Dazu erklärten sie sich nur unter der Bedingung bereit, dass die Industrieländer die für diese Bemühungen entste­hen­den Kosten ersetzen würden. Die Lösung hieß: gerechter Vorteil­saus­gle­ich. Dass die USA die Konvention nicht un­ter­schrieben haben, ist nicht einmal das größte Problem. Zähflüssige in­ter­na­tionale Debatten, Pa­pierkriege sowie Arbeits- und Ex­perten­grup­pendiskus­sio­nen bewirken, dass die Umsetzung nur im Sch­neck­en­tempo vorangeht. So gibt es noch heute, nach mehreren Ver­tragsstaatenkon­feren­zen, keine verbindlichen Regelungen zum Vorteil­saus­gle­ich. Jeder Staat kämpft vorrangig um seine eigenen Interessen, und die werden von den Lob­by­grup­pen bestimmt.

Biopi­ra­terie dank TRIPS

Geistiges Eigentum wird durch das Patent- und das Urhe­ber­recht geschützt. In­ter­na­tional kümmert sich die Welthandel­sor­gan­i­sa­tion (WTO) um den Schutz und die Durch­set­zung von Patenten. Bauch­schmerzen bereitet den En­twick­lungsländern in diesem Rahmen das TRIPS-Abkom­men (Agreement on Trade Related Aspects of In­tel­lec­tual Property Rights), das u. a. den Patent- und Urhe­ber­rechtss­chutz regelt. Ursprünglich wurden nur technische Erfindungen vor dem unerlaubten Gebrauch durch Dritte geschützt. Im Rahmen von TRIPS kann jedoch heute auch tra­di­tionelles Wissen seinen Trägern entrissen, leicht abgewandelt und dann von anderen patentiert werden. Lizenzen für Patente sind teuer und für die En­twick­lungsländer kaum zu bezahlen. Die Dritte Welt befürchtet deshalb, immer weiter von der tech­nol­o­gis­chen Entwicklung der Industrieländer abgeschnit­ten zu werden. Das ist umso be­den­klicher, als dadurch ihre Abhängigkeit vom Norden wächst.

„Zurzeit ist die Situation für die indigenen Völker recht un­be­friedi­gend. Legt man den Kon­ven­tion­s­text konsequent aus, so spielen sie praktisch keine Rolle, wenn es um genetische Ressourcen geht.“

Vor allem aber öffnet TRIPS nach Meinung der En­twick­lungsländer der Biopi­ra­terie Tür und Tor. Denn die Regeln der CBD gelten in diesem Abkommen nicht. Die zahlreichen Fälle von Biopi­ra­terie werden von Nichtregierung­sor­gan­i­sa­tio­nen unermüdlich immer wieder an die Öffentlichkeit gebracht. Die EU-Kom­mis­sion plante unter diesem Druck eine verpflich­t­ende Vorschrift, nach der schon beim Beantragen eines Patents die verwendeten CBD-rel­e­van­ten genetischen Ressourcen sowie deren Herkunft angegeben werden müssen. Das Problem dabei: Es war nicht einmal die Rede davon, Verstöße zu ahnden. Außerdem liegt die Beweislast bei den En­twick­lungsländern – angesichts der Vielzahl der angemelde­ten Patente in den Industrieländern eine nicht zu bewältigende Aufgabe.

Herkun­ft­sz­er­ti­fikat gefordert

Den En­twick­lungsländern genügt der EU-Vorstoß nicht. Sie fordern eine Verknüpfung der Herkun­ft­sangabe mit einem verbindlichen Abkommen zum Vorteil­saus­gle­ich. Inzwischen wurde immerhin erreicht, dass die nationalen Behörden der En­twick­lungsländer von den Patentämtern be­nachrichtigt werden. Außerdem sollen fehlende Angaben über die Herkunft genetischer Ressourcen bestraft werden, indem der Paten­tantrag nicht weiter bearbeitet wird. Was passiert, wenn jemand falsche Angaben macht, wurde allerdings nicht erörtert. Mit einem so genannten Herkun­ft­sz­er­ti­fikat erhoffen sich die En­twick­lungsländer eine Verbesserung ihrer Situation. Dieser „Reisepass“ für genetische Ressourcen kann aber nur dann etwas gegen Biopi­ra­terie ausrichten, wenn er für alle Staaten verpflich­t­end ist, wenn Verstöße gegen das Patentrecht wirklich verfolgt werden und der Schutzbere­ich des Patents den im Herkun­ft­sz­er­ti­fikat vere­in­barten Nutzen nicht übersteigen darf.

Der Bas­mati-Fall

Bas­mati-Reis ist hierzulande in jedem Supermarkt zu finden. Die indische Behörde für den Export land­wirtschaftlicher Güter und ve­r­ar­beit­eter Lebens­mit­tel (APEDA) beobachtet sehr aufmerksam, ob irgendwo in der Welt ein Reis, der nicht aus dem indischen Pandschab stammt, als „Basmati“ oder unter einem ähnlich klingenden Namen vermarktet wird. Als die APEDA Einspruch gegen die von der texanischen Firma RiceTec angemelde­ten Markennamen „Texmati“, „Kasmati“ und „Jasmati“ erhob, entdeckte sie einen Hinweis auf ein bestimmtes US-Patent, das RiceTec 1997 für die Ergebnisse seiner Züchtung erteilt wurde und das 20 Ansprüche enthielt, mit denen sich das Unternehmen ein Monopol auf den Anbau von Bas­mati-Sorten in Amerika sicherte. In einigen dieser Patentansprüche ging es um chemisch-physikalis­che Eigen­schaften, die auch rund 90 % aller indischen Bas­mati-Sorten aufweisen.

„CBD-rel­e­vante genetische Ressourcen spielen für die um­satzs­tarken Medikamente insgesamt eine ver­gle­ich­bare Rolle wie die moderne syn­thetis­che Chemie.“

RiceTec zog seine Ansprüche unter dem Druck der indischen Regierung, des US-Paten­tamts, von NGOs und kritischer Wis­senschaftler zurück. Der indischen Regierung wurde vorgeworfen, sich zu sehr um die Belange der heimischen Land­wirtschaftsin­dus­trie gekümmert und die Interessen der Kleinbauern, auf deren tra­di­tionellem Wissen die Züchtung des Bas­mati-Reises beruht, vernachlässigt zu haben. Die indischen Reisbauern konnten von Glück im Unglück sprechen: RiceTec verfügte als Mittelständler nicht über die gewaltigen fi­nanziellen Möglichkeiten eines Konzerns, um sein Monopol durchzuset­zen.

Patentrecht ohne CBD

Am 12. Mai 1998 ve­r­ab­schiedete die EU ihre Biopaten­trichtlinie. Zahlreiche Jahre harter Lobbyarbeit wurden zu einem guten Ende geführt – für die Industrie. Lebewesen und Be­standteile ihres Organismus sind seither paten­tier­bar. Anders als vom EU-Par­la­ment gewünscht, wurden Maßnahmen gegen Biopi­ra­terie nicht in die Richtlinie aufgenommen, als da wären: Nennung des Herkun­ft­s­lan­des der verwendeten Pflanzen in der Paten­tan­mel­dung sowie Zustimmung der ursprünglichen Besitzer. Damit wurde der Einzug der CBD in das europäische Recht effektiv verhindert. Weltweite Proteste führten immerhin dazu, dass man in der Paten­trichtlinie nun darauf hinweist, dass eine CBD-Ori­en­tierung der Patente wünschenswert wäre.

„Erfolge bei der Errichtung des CBD-Gebäudes dürften wirkungslos verpuffen, wenn es nicht gle­ichzeitig auch gelingt, den TRIPS-Grun­driss erfolgreich umzugestal­ten.“

Die Phar­main­dus­trie ar­gu­men­tiert, dass die CBD für sie ohnehin nicht mehr von Bedeutung sei, da heute vorwiegend menschliche, nicht pflanzliche genetische Ressourcen genutzt würden. In der Lebens­mit­telin­dus­trie sieht es laut einer Schweizer Studie zur Relevanz genetischer Ressourcen in der heimischen Forschung und Industrie ähnlich aus. Man arbeitet vorwiegend mit Gen­daten­banken und fühlt sich deswegen auch nicht von der CBD tangiert, heißt es.

„Patentschutz muss wieder auf technische Erfindungen im eigentlichen Sinne reduziert sowie an regionale und soziale Bedingungen angepasst werden.“

Andere, nicht von Regierung und Industrie in Auftrag gegebene Analysen zeigen aber, dass CBD-rel­e­vante genetische Ressourcen durchaus eine Rolle spielen, beispiel­sweise bei der Medika­mente­nen­twick­lung. Der Umsatz der Top-50-Medika­mente mit CBD-Rel­e­vanz betrug 37,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2005. Für die ein­heimis­chen Völker, deren geistiges Eigentum dabei genutzt wird, würde sich daraus ein guter Vorteil­saus­gle­ich ergeben. Dies ist aber nicht der Fall. Hinzu kommt, dass die Gen­daten­banken mitunter auch illegal von so genannten Zwischenhändlern gefüllt werden. Auch dabei wird die CBD umgangen.

Kein Patent auf Leben

So wie der Patentschutz heute funk­tion­iert, nützt er im Grunde nur den Industrieländern und den Konzernen. Gefordert wird deshalb nicht nur die Abschaffung der für En­twick­lungsländer viel zu hohen Lizenzgebühren, sondern auch des Patents auf Leben. Gerade damit wurde der Biopi­ra­terie ein fruchtbarer Boden bereitet. Nicht nur genetische Ressourcen, auch kon­ven­tionelle Züchtungsmeth­o­den recht­fer­ti­gen heutzutage bereits ein Patent. Der Patentschutz muss wieder auf seinen Kern, nämlich die technischen Erfindungen, beschränkt werden. Tra­di­tionelles Wissen darf nicht patentiert werden – auch nicht, wenn es ein bisschen weit­er­en­twick­elt wurde.

Über die Autoren

Michael Frein ist Poli­tik­wis­senschaftler und Experte für globale biopoli­tis­che und ökonomische Themen. Beim Evan­ge­lis­chen En­twick­lungs­di­enst kümmert er sich um die Sachgebiete Welthandel und in­ter­na­tionale Umwelt­poli­tik. Hartmut Meyer hat in Biologie promoviert und arbeitet als Experte für biologische Vielfalt, genetische Ressourcen, biologische Sicherheit und Gen­tech­nolo­gie in in­ter­na­tionalen In­sti­tu­tio­nen der Umwelt- und En­twick­lungspoli­tik.