Erst nehmen, dann fragen?
Mit der Natur lässt sich viel Geld verdienen. Ob Pharma-, Kosmetik- oder Konsumgüterindustrie – alle sind auf der Suche nach Pflanzen mit wertvollen Wirkstoffen und machen damit Milliardengeschäfte. Besonders die Entwicklungsländer sind reich an „grünem Gold“, das die eingeborenen Völker seit Langem zu nutzen wissen. Die Industrieländer profitieren von diesem Wissen, ohne die Urheber dafür zu entschädigen. Bestes Beispiel ist die Teufelskralle: Die Wurzeln dieser Pflanze aus der Kalahariwüste liefern einen Wirkstoff, der für Arthrose- und Rheumabehandlungen eingesetzt wird. Bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts als Naturmedizin vom Volk der San (Botswana) entdeckt, wurde die Pflanze erst mit dem Trend zu natürlichen Heilmitteln für die Industrie interessant. Heute werden davon jährlich bis zu 1000 Tonnen aus dem Süden Afrikas exportiert. Im Jahr 2003 boten 46 Unternehmen 57 verschiedene Präparate an. Gewinner sind die Zwischenhändler, Exporteure und Hersteller. Für das Volk der San bleibt allenfalls ein Taschengeld.
„Bis zur ‚Erfindung‘ eines Schweins oder einer Heilpflanze ist es nicht mehr weit. Dass dies mit der ursprünglichen Idee der Patentierung nichts mehr gemein hat, ist offensichtlich.“
Vor dem Inkrafttreten der Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) am 29. Dezember 1993 galt das Prinzip: Erst nehmen und dann, wenn überhaupt, erst fragen. Das hat sich mit der CBD geändert. Die Grundidee: Wer über traditionelles Wissen verfügt, mit dem andere Geld verdienen, muss ebenfalls davon profitieren. Die biologischen Ressourcen gehören laut CBD nicht mehr allen Menschen und Völkern, sondern dem Staat, in dem sie beheimatet sind. Fortan gilt: Erst fragen, dann nehmen. Bevor man also eine Pflanze aus dem Ausland für neue Medizin oder Kosmetik nutzen will, benötigt man die Zustimmung des jeweiligen Staates. Die Geberländer erhalten einen so genannten Vorteilsausgleich, sie werden also an den Gewinnen, die sich aus der Nutzung ergeben, beteiligt. Im Gegenzug ergreifen sie Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt in ihrem Land.
Indigene Völker ohne Rechte
Ein großes Problem der CBD besteht darin, dass die Konvention die souveränen Rechte dem jeweiligen Staat gewährt, nicht aber den eingeborenen Völkern. Zwar gibt es zusätzlich ein völkerrechtlich verbindliches Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, das den Eingeborenen das Recht auf ihr angestammtes Land samt darauf befindlichen Ressourcen zuerkennt, aber es ist bloß von 17 Staaten unterzeichnet worden. Daneben existiert ein UN-Abkommen zur Stärkung der Rechte einheimischer Völker, das zwar von allen Staaten getragen wird, aber nicht völkerrechtlich verbindlich ist. Die indigenen Völker befinden sich also in einer äußerst unbefriedigenden Lage, trotz CBD. Auch beim Vorteilsausgleich sind sie auf das Wohlwollen ihres jeweiligen Staates angewiesen. Dieser will meist selbst an der Nutzung der Ressourcen verdienen und gibt nur ungern etwas ab.
Zähe internationale Debatte
Die Idee eines Vorteilsausgleichs im Rahmen der CBD rührte ursprünglich daher, dass sich Ende der 80er Jahre die westliche Welt, vor allem Europa, um den Erhalt der Regenwälder und der biologischen Vielfalt auf dem Planeten sorgte. Die UN-Umweltorganisation erarbeitete die Vorlage für eine Biodiversitätskonvention. Weil natürlich gebliebene Ökosysteme überwiegend in Entwicklungsländern zu finden sind, waren es vor allem sie, die sich um die biologische Vielfalt kümmern sollten. Mit anderen Worten: Während die Europäer ihre natürlichen Ressourcen während 200 Jahren der Industrialisierung geopfert haben, sollten die Entwicklungsstaaten für das Wohl der gesamten Menschheit nun auf wirtschaftlichen Fortschritt verzichten.
„Die Frage ist, wie der internationale Rechtsrahmen so gestaltet werden kann, dass die Schwachen, etwa indigene Völker wie die San, im Kampf um ihre Rechte gegen die Mächtigen aus Wirtschaft und Regierung in Industrieländern gestärkt werden.“
Dazu erklärten sie sich nur unter der Bedingung bereit, dass die Industrieländer die für diese Bemühungen entstehenden Kosten ersetzen würden. Die Lösung hieß: gerechter Vorteilsausgleich. Dass die USA die Konvention nicht unterschrieben haben, ist nicht einmal das größte Problem. Zähflüssige internationale Debatten, Papierkriege sowie Arbeits- und Expertengruppendiskussionen bewirken, dass die Umsetzung nur im Schneckentempo vorangeht. So gibt es noch heute, nach mehreren Vertragsstaatenkonferenzen, keine verbindlichen Regelungen zum Vorteilsausgleich. Jeder Staat kämpft vorrangig um seine eigenen Interessen, und die werden von den Lobbygruppen bestimmt.
Biopiraterie dank TRIPS
Geistiges Eigentum wird durch das Patent- und das Urheberrecht geschützt. International kümmert sich die Welthandelsorganisation (WTO) um den Schutz und die Durchsetzung von Patenten. Bauchschmerzen bereitet den Entwicklungsländern in diesem Rahmen das TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights), das u. a. den Patent- und Urheberrechtsschutz regelt. Ursprünglich wurden nur technische Erfindungen vor dem unerlaubten Gebrauch durch Dritte geschützt. Im Rahmen von TRIPS kann jedoch heute auch traditionelles Wissen seinen Trägern entrissen, leicht abgewandelt und dann von anderen patentiert werden. Lizenzen für Patente sind teuer und für die Entwicklungsländer kaum zu bezahlen. Die Dritte Welt befürchtet deshalb, immer weiter von der technologischen Entwicklung der Industrieländer abgeschnitten zu werden. Das ist umso bedenklicher, als dadurch ihre Abhängigkeit vom Norden wächst.
„Zurzeit ist die Situation für die indigenen Völker recht unbefriedigend. Legt man den Konventionstext konsequent aus, so spielen sie praktisch keine Rolle, wenn es um genetische Ressourcen geht.“
Vor allem aber öffnet TRIPS nach Meinung der Entwicklungsländer der Biopiraterie Tür und Tor. Denn die Regeln der CBD gelten in diesem Abkommen nicht. Die zahlreichen Fälle von Biopiraterie werden von Nichtregierungsorganisationen unermüdlich immer wieder an die Öffentlichkeit gebracht. Die EU-Kommission plante unter diesem Druck eine verpflichtende Vorschrift, nach der schon beim Beantragen eines Patents die verwendeten CBD-relevanten genetischen Ressourcen sowie deren Herkunft angegeben werden müssen. Das Problem dabei: Es war nicht einmal die Rede davon, Verstöße zu ahnden. Außerdem liegt die Beweislast bei den Entwicklungsländern – angesichts der Vielzahl der angemeldeten Patente in den Industrieländern eine nicht zu bewältigende Aufgabe.
Herkunftszertifikat gefordert
Den Entwicklungsländern genügt der EU-Vorstoß nicht. Sie fordern eine Verknüpfung der Herkunftsangabe mit einem verbindlichen Abkommen zum Vorteilsausgleich. Inzwischen wurde immerhin erreicht, dass die nationalen Behörden der Entwicklungsländer von den Patentämtern benachrichtigt werden. Außerdem sollen fehlende Angaben über die Herkunft genetischer Ressourcen bestraft werden, indem der Patentantrag nicht weiter bearbeitet wird. Was passiert, wenn jemand falsche Angaben macht, wurde allerdings nicht erörtert. Mit einem so genannten Herkunftszertifikat erhoffen sich die Entwicklungsländer eine Verbesserung ihrer Situation. Dieser „Reisepass“ für genetische Ressourcen kann aber nur dann etwas gegen Biopiraterie ausrichten, wenn er für alle Staaten verpflichtend ist, wenn Verstöße gegen das Patentrecht wirklich verfolgt werden und der Schutzbereich des Patents den im Herkunftszertifikat vereinbarten Nutzen nicht übersteigen darf.
Der Basmati-Fall
Basmati-Reis ist hierzulande in jedem Supermarkt zu finden. Die indische Behörde für den Export landwirtschaftlicher Güter und verarbeiteter Lebensmittel (APEDA) beobachtet sehr aufmerksam, ob irgendwo in der Welt ein Reis, der nicht aus dem indischen Pandschab stammt, als „Basmati“ oder unter einem ähnlich klingenden Namen vermarktet wird. Als die APEDA Einspruch gegen die von der texanischen Firma RiceTec angemeldeten Markennamen „Texmati“, „Kasmati“ und „Jasmati“ erhob, entdeckte sie einen Hinweis auf ein bestimmtes US-Patent, das RiceTec 1997 für die Ergebnisse seiner Züchtung erteilt wurde und das 20 Ansprüche enthielt, mit denen sich das Unternehmen ein Monopol auf den Anbau von Basmati-Sorten in Amerika sicherte. In einigen dieser Patentansprüche ging es um chemisch-physikalische Eigenschaften, die auch rund 90 % aller indischen Basmati-Sorten aufweisen.
„CBD-relevante genetische Ressourcen spielen für die umsatzstarken Medikamente insgesamt eine vergleichbare Rolle wie die moderne synthetische Chemie.“
RiceTec zog seine Ansprüche unter dem Druck der indischen Regierung, des US-Patentamts, von NGOs und kritischer Wissenschaftler zurück. Der indischen Regierung wurde vorgeworfen, sich zu sehr um die Belange der heimischen Landwirtschaftsindustrie gekümmert und die Interessen der Kleinbauern, auf deren traditionellem Wissen die Züchtung des Basmati-Reises beruht, vernachlässigt zu haben. Die indischen Reisbauern konnten von Glück im Unglück sprechen: RiceTec verfügte als Mittelständler nicht über die gewaltigen finanziellen Möglichkeiten eines Konzerns, um sein Monopol durchzusetzen.
Patentrecht ohne CBD
Am 12. Mai 1998 verabschiedete die EU ihre Biopatentrichtlinie. Zahlreiche Jahre harter Lobbyarbeit wurden zu einem guten Ende geführt – für die Industrie. Lebewesen und Bestandteile ihres Organismus sind seither patentierbar. Anders als vom EU-Parlament gewünscht, wurden Maßnahmen gegen Biopiraterie nicht in die Richtlinie aufgenommen, als da wären: Nennung des Herkunftslandes der verwendeten Pflanzen in der Patentanmeldung sowie Zustimmung der ursprünglichen Besitzer. Damit wurde der Einzug der CBD in das europäische Recht effektiv verhindert. Weltweite Proteste führten immerhin dazu, dass man in der Patentrichtlinie nun darauf hinweist, dass eine CBD-Orientierung der Patente wünschenswert wäre.
„Erfolge bei der Errichtung des CBD-Gebäudes dürften wirkungslos verpuffen, wenn es nicht gleichzeitig auch gelingt, den TRIPS-Grundriss erfolgreich umzugestalten.“
Die Pharmaindustrie argumentiert, dass die CBD für sie ohnehin nicht mehr von Bedeutung sei, da heute vorwiegend menschliche, nicht pflanzliche genetische Ressourcen genutzt würden. In der Lebensmittelindustrie sieht es laut einer Schweizer Studie zur Relevanz genetischer Ressourcen in der heimischen Forschung und Industrie ähnlich aus. Man arbeitet vorwiegend mit Gendatenbanken und fühlt sich deswegen auch nicht von der CBD tangiert, heißt es.
„Patentschutz muss wieder auf technische Erfindungen im eigentlichen Sinne reduziert sowie an regionale und soziale Bedingungen angepasst werden.“
Andere, nicht von Regierung und Industrie in Auftrag gegebene Analysen zeigen aber, dass CBD-relevante genetische Ressourcen durchaus eine Rolle spielen, beispielsweise bei der Medikamentenentwicklung. Der Umsatz der Top-50-Medikamente mit CBD-Relevanz betrug 37,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2005. Für die einheimischen Völker, deren geistiges Eigentum dabei genutzt wird, würde sich daraus ein guter Vorteilsausgleich ergeben. Dies ist aber nicht der Fall. Hinzu kommt, dass die Gendatenbanken mitunter auch illegal von so genannten Zwischenhändlern gefüllt werden. Auch dabei wird die CBD umgangen.
Kein Patent auf Leben
So wie der Patentschutz heute funktioniert, nützt er im Grunde nur den Industrieländern und den Konzernen. Gefordert wird deshalb nicht nur die Abschaffung der für Entwicklungsländer viel zu hohen Lizenzgebühren, sondern auch des Patents auf Leben. Gerade damit wurde der Biopiraterie ein fruchtbarer Boden bereitet. Nicht nur genetische Ressourcen, auch konventionelle Züchtungsmethoden rechtfertigen heutzutage bereits ein Patent. Der Patentschutz muss wieder auf seinen Kern, nämlich die technischen Erfindungen, beschränkt werden. Traditionelles Wissen darf nicht patentiert werden – auch nicht, wenn es ein bisschen weiterentwickelt wurde.