Sich auf das konzentrieren, was ist
Ein Badeunfall in Mexiko verändert Boris Grundls Leben auf dramatische Weise. Bei einem Klippensprung prallt er so unglücklich aufs Wasser, dass er sofort spürt: Ich werde meine Beine nie wieder bewegen können. Grundl ist querschnittsgelähmt. Er bleibt kurze Zeit im Krankenhaus in Mexico und wird dann zur Untersuchung nach Hause geflogen. Dort kommt ein Teil der Beweglichkeit zurück – zumindest in den Händen. Er empfindet das als großes Glück – rückblickend wohl der erste Schritt, sich „auf das zu konzentrieren, was ist“. Grundl lernt schnell, dass Neid auf die Situation anderer in seiner Lage nichts bringen würde. Neid ist lediglich die Folge eines undisziplinierten Geistes, der sich mit dem beschäftigt, wozu andere in der Lage sind.
„In dem Moment, in dem ich versuchte, meine Beine zu bewegen, wusste ich es: Ich war gelähmt. Querschnitt.“
Ein wesentlicher Punkt, um sein Leben in einer schwierigen Situation in den Griff zu bekommen, ist, dass man dieses Leben selbst interpretiert und sich nicht von den Auslegungen anderer Menschen und von deren Rollenverständnis abhängig macht. Vom Zeitpunkt seines Unfalls an wird Grundl als „Behinderter“ abgestempelt und entsprechend behandelt. Keine anspruchsvolle Leistung wird ihm mehr zugetraut, und zwar nur aus einem einzigen Grund: Die Leute versuchen, sich in seine Lage zu versetzen, in eine Situation also, in der sie sich selbst nichts mehr zutrauen würden. Das ging schließlich so weit, dass er die Menschen, die gekommen waren, um ihm Trost zu spenden, selbst trösten musste – so schockiert waren sie von seinem Schicksal.
Zielbewusst zu Ergebnissen finden
Nach und nach bekommt Grundl sein Leben im Rollstuhl innerlich in den Griff. Die größere Herausforderung besteht jedoch darin, das Leben draußen zu meistern, z. B. über holprige Gehwege zu fahren, oder allein einzukaufen; alles Tätigkeiten, die im Rollstuhl ungleich schwerer zu bewältigen sind. Allein um für die Anforderungen dieser äußeren Welt gewappnet zu sein, braucht Grundl zwei Jahre. Der entscheidende Wendepunkt in dieser Phase ist, dass er die Fähigkeit entwickelt, Hilfe von anderen anzunehmen. Gerade in der ersten Zeit nach dem Unfall ist er wie versessen darauf, sein Leben wieder vollständig kontrollieren zu können. Das gelingt ihm zwar weitgehend, aber dennoch ist er immer wieder auf andere angewiesen.
„Erst einmal war ich trotzig und wollte alles alleine regeln. Immerhin hatte ich den Entschluss gefasst, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, und plötzlich waren da neue Wege, die ich gehen konnte und vorher gar nicht wahrgenommen hatte.“
Grundl gelangt zu der folgenden Überzeugung: Ein Mensch findet sich, während er auf dem Weg ist. Deshalb sollte man seine Zeit nicht ständig damit verschwenden, zu überlegen, was man mit seinem Leben anfangen soll. Besser, man tut etwas. Zeit, um seine Entscheidungen zu revidieren, hat man dann immer noch.
Von Vorbildern lernen
Ein bedeutender Meilenstein für Grundl ist der Kontakt zu anderen Behinderten, vor allem zu solchen, die sich schon besser auf das neue Leben eingestellt haben und es „ganz normal“ gestalten können. Einige von ihnen werden zu seinen Vorbildern. Wichtig ist an solchen Vorbildern, dass Sie deren Vorbildfunktion immer nur auf einen bestimmten Aspekt beschränken und sie nicht als Idol für Ihr gesamtes Leben betrachten. Sonst besteht die Gefahr, dass Sie sich zu sehr darauf konzentrieren, jemand anderen nachzuahmen, statt Ihren eigenen Weg zu finden. Suchen Sie keinesfalls nach einem Guru, den Sie erst auf ein Podest hieven und von dem Sie dann irgendwann feststellen, dass er Ihren hochgesteckten Erwartungen gar nicht entspricht.
Kennen oder Können?
Zwischen Kennen und Können besteht ein wesentlicher Unterschied. Wer das eine mit dem anderen verwechselt, wird auf seinem Weg zu sich selbst nicht vorankommen. Etwas zu kennen, von etwas zu wissen, bedeutet noch lange nicht, es auch zu beherrschen. Auch als Coach sollte man sich diesen Unterschied stets vor Augen halten. Es geht nicht so sehr darum, anderen Kenntnisse zu vermitteln, sondern sie dabei zu unterstützen, etwas zu können, d. h., sie von der Stufe „unbewusster Inkompetenz“ über die „bewusste“ zur „unbewussten Kompetenz“ zu führen. Kurz: Es geht darum, andere so weit zu bringen, dass sie etwas sozusagen im Schlaf beherrschen. Der Sport bietet Grundl eine hervorragende Plattform, um als Rollstuhlfahrer an der Entwicklung neuer Fähigkeiten zu arbeiten. Er entdeckt das Rollstuhl-Rugby für sich und beschließt bereits nach dem ersten Spiel, in dieser Sportart Nationalspieler zu werden. Dieses neue Ziel und die damit verbundenen Herausforderungen bringen ihn auch persönlich ein großes Stück weiter.
„Schenken Sie Ihren Mitarbeitern so viel Verantwortung, dass Sie sich selbst überflüssig machen können!“
Dadurch, dass er seine Umwelt fast naiv mit diesen Zielen konfrontiert, macht er sich keineswegs nur Freunde. Ausgeprägter Ehrgeiz gehört nicht unbedingt zu den Eigenschaften, die von allen Menschen geschätzt werden, vor allem dann nicht, wenn dies auch noch offen gezeigt wird. Daher muss Grundl lernen, mit seinem Ehrgeiz hauszuhalten. Die entscheidende Frage lautet: Möchte man Durchschnitt sein oder nicht? Die Antwort auf diese Frage bleibt jedem selbst überlassen. Sicher ist: Es braucht beides auf der Welt, Durchschnitt und Herausragendes. Sie müssen sich nur bewusst für das eine oder andere entscheiden.
Zwischen Disziplin und Freiheit
Nach seinem Studium arbeitet Grundl als Vertreter für Rollstühle. Das ist insofern schon anstrengend, als er allein für die Vorbereitung auf die Arbeit (Ankleiden, Anfahrt) mehr als zwei Stunden braucht. Aber die Disziplin, die er dafür aufbringen muss, hilft ihm, seinen Geist weiterzuentwickeln und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Disziplin ist nicht das Gegenteil, sondern die Voraussetzung für persönliche Freiheit. Selbst der vielgepriesene „Flow“ oder die so genannten „Visionen“ sind in der Regel das Produkt harter Arbeit. Echte Visionen hat man, wenn überhaupt, vielleicht eine oder zwei im Leben. Als Vertreter lernt Grundl viel: sich zu öffnen, seine Produkte und vor allem sich selbst zu verkaufen. Dennoch ist ihm nach einiger Zeit klar, dass er sich verändern muss, dass dieser Job auf seinem Lebensweg lediglich eine Zwischenstation ist.
Lust an der Entwicklung
Es gibt einen klaren Unterschied zwischen Siegern und Gewinnern: Gewinner machen ihren Weg zum Ziel, Sieger ihren Sieg über andere. Sieger brauchen stets eine „extrinsische Motivation“ (Sportler z. B. eine Medaille). Das Problem an Siegen dieser Art ist, dass man sich über den Erfolg kaum richtig freuen kann. Nachdem Grundl mit seinem Rugby-Team an den Olympischen Spielen in Sydney teilgenommen hat, wird ihm klar, dass es ihm keinen Spaß macht, andere zu besiegen. Besser ist die „intrinsische Motivation“, ein Anreiz, der von innen kommt. Auch das kann Neider auf den Plan rufen: Menschen, die sich aus ihren alten Gewohnheiten herausgerissen oder sogar bedroht fühlen. Dennoch sollte man sich in seiner Motivation nicht einschränken lassen. Sie ist unser Antrieb schlechthin. Es gibt immer Menschen im eigenen Umfeld, die es offensichtlich darauf angelegt haben, andere zu demotivieren – das gilt ebenso für die Arbeit wie für das Privatleben. Um ihrer Einflussnahme zu entgehen, muss man sich auf die eigenen Stärken und Werte besinnen.
Der innere Kompass
„Müssen“ ist immer schlecht. Viel besser ist es, etwas machen zu dürfen. So lange Sie sich gezwungen fühlen, bewegen Sie sich nicht frei und können daher auch nicht Ihr Optimum leisten. Erst das Dürfen setzt jene Kräfte frei, die erforderlich sind, um außergewöhnliche Ziele zu erreichen. Kinder sind das beste Beispiel: Wenn sie aus sich selbst heraus handeln, geschieht dies immer aus einem Können oder Dürfen heraus, nicht aus einem Müssen. Sie folgen einem inneren Kompass. Auch in anderen Zusammenhängen hat Grundl vieles von Kindern gelernt. Aufgrund seiner Querschnittslähmung ist er nicht in der Lage, Dinge zu tun, die für andere Eltern selbstverständlich sind. Aber eben diese Einschränkung hat ihn gelehrt, sich mit anderen zu freuen, z. B., wenn er beobachtet, wie die Eltern anderer Kinder mit seiner Tochter spielen.
Leiden können bringt Erfolg
Unternehmen verhalten sich in Krisensituationen nicht anders als Individuen. Sie versuchen, der Realität zu entfliehen, sie zu verdrängen, auf dem zu beharren, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, statt sich den Erfordernissen der Zukunft zu stellen. Gerade, wenn man sich über Jahre hinweg an den Erfolg gewöhnt und sich darin behaglich eingerichtet hat, droht die Gefahr der Überheblichkeit – und damit auch des Stillstands. Es ist ein Zustand der Verweichlichung, in den man sich allmählich hineinmanövriert hat.
„Wir Menschen brauchen einander, um die nächste Einsicht zu erlangen. Um aneinander zu wachsen. Alles, was ich Ihnen mit meiner Geschichte sagen wollte, ist: Es lohnt sich. Und: Die Welt meint es gut mit dir.“
Diese Art von Verweichlichung greift immer mehr um sich, auch in der Erziehung. Kindern wird heute viel zu viel erlaubt. Es mangelt an der Bereitschaft, konsequent zu sein. Nur wer seine Kinder zur Konsequenz erzieht, schafft es, sie auf die Erfordernisse des späteren Erwachsenenlebens vorzubereiten. Für Kinder ist es ungeheuer wichtig, Erfolgserlebnisse zu haben, die auf ihrer eigenen Leistung beruhen. Ihnen alles abzunehmen, ist ein schwerwiegender Fehler. Hier zeigt sich der Zusammenhang zwischen Leiden und innerem Wachstum: Wer erfolgreich sein will, muss in der Lage sein, Rückschläge einzustecken. Natürlich ist es immer dort am einfachsten, Erfolg zu haben, wo die eigenen Talente liegen. Seine Begabungen zu erkennen, ist wichtig – und im Grunde nicht besonders schwierig. Sie liegen in den Bereichen, in denen man Neues schnell lernt und einem die praktische Umsetzung des Erlernten besonders leicht fällt.
Sich eigene Stärken bewusst machen
Grundl selbst ist in keiner Disziplin ein Genie. Was ihn dagegen auszeichnet, ist seine enorme Willensstärke und die Fähigkeit, andere zu motivieren – etwas, was Genies in der Regel nicht können. Gerade seine Willensstärke ist nach dem Unfall von großer Bedeutung; sie hat ihn rasch wieder dazu gebracht, sich auf seinen weiteren privaten wie beruflichen Weg zu konzentrieren, statt sich einfach seinem Schicksal zu ergeben. Als Coach versucht Grundl, diese Willensstärke bei anderen in die richtigen Bahnen zu lenken. Macht, Ehrgeiz, das Buhlen um Anerkennung – daran ist im Prinzip nichts Verkehrtes. Problematisch wird es erst, wenn die eigenen Bestrebungen für die falschen Ziele eingesetzt werden, nämlich dafür, das eigene Ego aufzuplustern. Mit einem solchen Verhalten werden Führungspersönlichkeiten sicherlich nicht das Bestmögliche für ihr Unternehmen erreichen. Als Manager ist man dann gut, wenn man sich selbst überflüssig gemacht hat, also die Prozesse so gut organisiert und die Mitarbeiter so gut instruiert hat, dass sie ohne einen auskommen.
Gedanken von Gestern – Realitäten von Morgen
Alle kraft- und wertvollen Gedanken haben die Tendenz, irgendwann Wirklichkeit zu werden. Insofern bestimmt unser Denken tatsächlich unser Schicksal. Wer nur Schlechtes von seinem Schicksal erwartet, der kann sicher sein, dass diese schlechten Gedanken auf ihn zurückfallen. Zu den eigenen Zielen kann durchaus zählen, gutes Geld zu verdienen. Daran ist nichts Anrüchiges. Wie Grundl an sich selbst feststellen konnte, spielt Geld eine wichtige Rolle in der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Nur wer über genügend finanzielle Mittel verfügt, hat die Freiheit und die Möglichkeit, sich Höherem zu widmen. Um dahin zu gelangen, zahlt sich realistisches, aber positives Denken aus.