Wer Neues will, muss Altes zerstören
Alle Kreativität ist Zerstörung. Dabei bleiben natürlich überkommene Formen, Technologien und auch Jobs auf der Strecke. Früher sorgte eine ganze Branche von Händlern dafür, dass die Menschen Eisblöcke in den Keller geliefert bekamen. Dann erfand Carl von Linde den Kühlschrank, und mit einem Schlag waren sie arbeitslos. Dennoch ist das Ergebnis wundervoll: Jeder kann sein eigenes Eis herstellen. Kreativität zerstört, aber baut auch wieder auf. Auf drei Arten:
- Zerstörung schafft Innovationen: Lassen Sie etwas weg und machen Sie damit eine Idee oder ein Produkt übersichtlicher, handlicher, einfacher. Der iPod von Apple setzt auf puristisches Design. Die vielen verwirrenden Knöpfe der MP3-Player-Konkurrenz wichen einem einfachen, schlichten Bedienkonzept.
- Zerstörung schafft Platz: Manchmal muss die Zerstörung radikal sein. Wie man so manches altes Haus lieber einreißt, statt sie immer wieder zu flicken. Fragen Sie sich: Welche Eigenschaften des alten Konstrukts brauchen Sie wirklich? Wenn Sie auf das Meiste verzichten können, reißen Sie besser alles nieder – und fangen ganz von vorne an.
- Zerstörung eröffnet neue Wege: Überdenken Sie Ihre Annahmen permanent. Fragen Sie sich: Was davon gilt noch, was ist überholt? Der Gründer von Intel war der Ansicht, dass Heimcomputer keine Zukunft hätten – und gab daher den Verkauf von PCs auf. Heute sieht man das im Hause Intel anders ...
Fehler müssen sein
Wie lernen Kinder laufen? Sie machen Fehler, fallen und stehen wieder auf. Fehler sind die Grundvoraussetzung, um Neues zu lernen. Wer keine Fehler macht, kommt auch nicht vorwärts. Menschen, die alles richtig machen, stoppen Innovationen, bevor sie beginnen. Auch Hemmungen sind Stolperfallen für die kreative Leistung. Eben noch hatten wir einen guten Gedanken, und plötzlich fühlen wir uns gebremst und gedrosselt. Besser ist es, ihn rauszulassen, selbst wenn er nicht politisch korrekt ist! Nehmen Sie sich Nietzsche zum Vorbild, der an allem zweifelte und sich selbst maßlos überschätzte – und der dennoch kein Blatt vor den Mund nahm.
„Kreativ sein heißt Zerstören.“
Langeweile soll kreativ machen: Das stand mal in der FAZ. Ein ausgemachter Blödsinn: Kreative Menschen haben nie Langeweile, denn es gibt immer etwas zu entdecken, auszuprobieren, Bücher zu lesen usw. Wer sich langweilt, interessiert sich für nichts und ist auch noch selbst schuld daran. Neugier ist die Grundvoraussetzung für Kreativität. Sie ist immer persönlich, denn nicht jeder interessiert sich für Fußball, Viertakt-Hubkolbenmotoren oder das Mittagessen von Dieter Bohlen. Aber nur was uns interessiert, kann auch unsere Neugier wecken. Neugierig wird man, wenn man Wissenslücken hat, die gerade so groß sind, dass man eine gute Chance hat, sie zu stopfen.
Balzac, Baudelaire und Bukowski
Was ist von Drogen zu halten? Kaffee ist das Stimulans der Schriftsteller. Berühmtestes Beispiel ist Honoré de Balzac, der sich mit 50 Tassen pro Tag nicht nur in kreative Laune brachte, sondern auch seine Gesundheit schädigte. Ausgesuchte Bohnen und ein Skizzenblock halfen ihm bei der Arbeit an seiner (unvollendeten) vierzigbändigen Menschlichen Komödie. Auch Alkohol ist eine Dichter-Droge; nicht nur Baudelaire, Bukowski und Hemingway sprachen ihm zu. Selbst in heutigen Werbeagenturen hat er seinen festen Platz. Schreiben und Trinken passen gut zusammen, aber die Kombination ist ein Tanz auf dem Vulkan: Es gibt schon zu viele besoffene und abgestumpfte Kreative. Alkohol frisst Hirnmasse: Daran ist nicht zu rütteln. Und Hirn wird nun mal gebraucht, wenn man schöpferisch tätig sein will. Im Augenblick zwischen Wachen und Schlafen ist das Hirn besonders kreativ. Man liegt im Bett, kann aber noch nicht einschlafen. Gedanken gehen auf Reise, man fliegt, man spricht mit weit entfernten Menschen oder Verstorbenen. Aufschreiben? Geht nicht: Der Traum ist zu nah, das Wachsein zu fern. Vielleicht wird irgendwann irgendwer eine Möglichkeit finden, das kreative Prickeln dieser wenigen Minuten zu sichern und nutzbar zu machen.
Der kreative Prozess
Es war Henri Poincaré, der den kreativen Prozess in vier Phasen einteilte und sie mit recht verschrobenen Fremdwörtern versah: Präparation, Inkubation, Illumination und Verifikation. Ein wenig schwergängig, deshalb hier der Gegenentwurf mit dem einprägsamen Kürzel B-I-L-D:
- B – wie Beschreibung: Der erste Schritt ist die korrekte, passende, umfassende Beschreibung des Problems. Wer nicht weiß, was er sucht, wird auch nichts finden. Sofern Sie nur ein vages Gefühl haben, müssen Sie es zur Sprache bringen.
- I – wie Informationssammlung: In der zweiten Phase werden die Informationen und Fakten gesammelt. Alles, was wichtig ist, muss erfasst und geordnet werden. Kreativitätstechniken können Ihnen dabei helfen.
- L – wie Lösung: Hier kommt nun endlich der kreative Kick, und Sie finden die Lösung für das Problem. Das passiert nicht auf Kommando. Ideen entstehen oft abseits des Schreibtisches, darum sollten Sie auf eine gute Mischung von Arbeits- und Entspannungsphasen achten.
- D – wie Durchsetzung: Im letzten Schritt muss die neue Idee ihre Bewährungsprobe bestehen: Sie muss andere Menschen überzeugen. Die sind Neuem gegenüber meist wenig aufgeschlossen. Die Durch- oder Umsetzung bildet daher einen wichtigen Prüfstein auf dem Weg der Kreativität.
Aus der Not eine Idee machen
Niemand mag Probleme. Aber sie beflügeln uns. Menschen wie James Dyson finden sich nicht damit ab, dass etwas nicht geht. Sie machen Unmögliches möglich – in Dysons Fall den Staubsauger ohne Beutel. Wenn die Kreativität über die Regeln und die Kunst über die Begrenzung triumphieren, können wir Großes erschaffen. Es gibt allerdings auch das andere Extrem: zu kreativ sein, d. h. zwar unzählige Ideen haben, aber keine davon umsetzen. Die Umsetzung gehört nun mal zum kreativen Prozess. Ideen vom Fließband sind genauso schnell wieder verschwunden, wie sie entstanden sind.
Erlösung auf dem Ideenfriedhof
Ideen entstehen auf einem weißen Blatt Papier. Der Kampf gegen das Blütenweiß ist nicht aussichtslos: Einfach drauflos schreiben hilft. Sätze verdrehen, abhacken, neu zusammensetzen, neu gruppieren, weglöschen, einsetzen, schiefe Satzanfänge und krumme Satzenden zurechtzimmern. Irgendwann passt es. Natürlich entstehen so auch Ideen, die nicht lebensfähig sind. Aber geben Sie ihnen eine Chance. Ideen wollen spielen und Gassi gehen. Sie müssen herumschnüffeln und an der frischen Luft mit anderen Ideen herumtollen. Lassen Sie sie an der langen Leine ihr kreatives Umfeld erkunden. Manchmal kommt jede Hilfe zu spät. Die Freiheit bekommt der Idee nicht, sie verliert rasch an Biss und Kraft. Sie schrumpft, sie windet sich, sie stirbt. Dann landet sie vielleicht auf dem Ideenfriedhof von Getty Images im Internet, wo jeder seine Ideen zu Grabe tragen kann.
„Der Kreative denkt quick ’n’dirty. Hier ein Bild, da ein Wort, da eine Idee.“
Mit den folgenden Methoden können Sie Ihre Ideen vor diesem Schicksal bewahren:
- Ideenbuch führen: Haben Sie einen Geistesblitz, muss er aufs Papier. Darum: Immer etwas zum Schreiben dabei haben, z. B. einen Zettel auf dem Nachttisch. Und keine falsche Scham: Überfällt Sie die Idee unter der Dusche, laufen Sie eben nackt durch die Wohnung und schreiben Sie sie auf!
- Ordnung halten: Ideen verschwinden schnell unter den Zettelbergen des Alltags. Sortieren Sie Ihre Ideen und trennen Sie sie sauber von anderem Schreibkram ab!
- Kontakte suchen: Kennen Sie Querköpfe und Kreative? Suchen Sie nach Möglichkeiten, sie in Ihr Team zu integrieren. Sind Sie selbst so einer, dann passen Sie auf: Nicht mit jeder tollen Idee hausieren gehen, sondern lieber etwas „Handfestes“ abliefern. Sonst sind Sie bald der Spinner vom Dienst.
- Argumentieren: Irgendwer wird immer versuchen, Ihre Ideen klein zu reden. Da sind die Neider, die Besitzständler, die Konservativen und die Skeptiker. Überlegen Sie sich im Vorfeld, was sie gegen Ihre Idee ins Feld führen werden. Sie kennen ja Ihre Pappenheimer ...
- Umsetzen: Machen Sie etwas aus Ihren Ideen. Dann können Sie es sich sparen, sie ständig schützen zu müssen. Suchen Sie Leute, die Ihnen bei der Realisation helfen.
Kreativitätstechniken
Oft sagt man, dass Kinder besonders kreativ seien. Soll das heißen, dass wir alle auf dem Fußboden herumkrabbeln müssen? Sicher nicht, denn das Spiel der Kinder ist frei. Frei von Zielen, Bewertungen und von der ständigen Selbstbeobachtung. Das ist gut, aber Achtung: Wer kreativ sein will und eine Lösung für ein Problem finden muss, kommt mit der Selbstfindung-mit-Fingerfarbe-im-Gesicht-Methode nicht sehr weit. Setzen Sie sich konkrete Ziele. Was wir Kindern abschauen können, ist, wie sie Verbindungen herstellen und Assoziationen frei kombinieren: Schreibwerkzeuge werden zu Raumschiffen, Schuhe zu Kähnen und Decken zu gruseligen Kavernen. Diese ungehemmte Spiellust sollten Kreative vor allem dann an den Tag legen, wenn das Problem einer Fragestellung erkannt ist und es auf die schöpferische Auseinandersetzung damit ankommt. Wenn es mit dem freien Spiel nicht klappt, helfen Ihnen vielleicht ein paar bewährte Kreativitätstechniken:
- Synektik bezeichnet die Analogiebildung, d. h. die Übertragung von Eigenschaften aus einem Gebiet in ein anderes. Beispielsweise erfand John Boyd Dunlop den Luftreifen beim Anblick eines mit Wasser gefüllten Gartenschlauchs. Ein Sonderfeld der Synektik ist die Bionik, welche Entdeckungen der Natur in Technologie umwandelt, z. B. die Webart und Reißfestigkeit von Spinnennetzen auf Stoffe.
- Freies Assoziieren funktioniert nur, wenn Sie Ideensammlung und Ideenbewertung klar trennen. In der Sammlungsphase können Sie auch abstruse und nie realisierbare Ideen zusammenspinnen, die womöglich Ihre Phantasie anregen. Erst im Bewertungsprozess werden die „unmöglichen“ Ideen aussortiert.
- Morphologischer Kasten wird folgende Technik genannt: Kombinieren Sie, indem Sie verschiedene Attribute eines Produktes oder eines Gegenstandes getrennt aufführen und Kombinationsvarianten erfinden. Speiseeis kann z. B. unterschiedliche Farben, Formen, Konsistenzen, Geschmacksrichtungen, Preise usw. haben. Wenn Sie für jede dieser Kategorien mehrere Begriffe suchen, können Sie schließlich verschiedene Eigenschaften mischen. Heraus kommt dann z. B. ein edles, cremiges, blaues, würfelförmiges Eis mit Blaubeergeschmack und Schokostückchen. Lecker!
„Lies jedes Buch, das dir unter die Finger kommt.“
Ein guter Tipp noch zum Schluss: Lesen Sie! Lesen Sie wirklich alles, was Sie in die Finger bekommen: Fachliteratur und Klassiker, alte und neue Bücher, Kinderbücher, Zeitschriften – auch aus Bereichen, die Ihnen fremd sind. Lesen Sie alle Artikel zu Ihrem Spezialgebiet, die Packung Ihrer Frühstückszerealien, das Impressum Ihrer Morgenzeitung. Irgendwann werden Sie das alles einmal brauchen und verknüpfen können.