Überangebot an Informationen
In den Marketingabteilungen der Unternehmen wird heute ein enormer Aufwand betrieben, um die Entscheider in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu erreichen. Dass dieser Aufwand oft am Ziel vorbeischießt, hat seine Gründe: Zum einen ist die Zielgruppe selbst theoretisch kaum fassbar. Zum anderen wird das veränderte Kommunikationsverhalten der Entscheider zu wenig berücksichtigt. Die Ausbreitung des Internets hat dazu geführt, dass die Unternehmen weltweit ihre Monopolstellung im Vermarktungsprozess eingebüßt haben. So kommt es, dass Unternehmen immer mehr auf Partnerschaften angewiesen sind, um ihren Marketingaufgaben nachkommen zu können. Zudem ist die Kommunikation zu einem Teil des Produkts geworden und hat damit die zentrale Rolle im Marketing eines Unternehmens eingebüßt.
„Ob Vorstandsvorsitzende, Eigentümer von Unternehmen, Entscheidungsträger in der Verwaltung oder Politiker: Wer diese Entscheider für sich einnimmt, gewinnt Zugang zu ihren Informationen und ihrem Geschäft.“
Gerade durch das Internet ist die Masse der heutzutage vermittelten Informationen ins Uferlose gewachsen. Dies ist ein Grund mehr, bei der Ansprache der Spitzenkräfte noch selektiver und präziser vorzugehen. Im B2B-Bereich steigen derweil die Ausgaben für Werbung und Marketing sprunghaft an – ein weiterer Grund für das Überangebot an Informationen, mit denen man in diesem Bereich geradezu überschüttet wird. Und diese Informationsflut richtet sich zu allem Überfluss an eine Zielgruppe, die im Gegensatz zu früher immer sprunghafter ist. So lag die Bindung von Spitzenführungskräften an ihr Unternehmen 1985 noch bei durchschnittlich 20 Jahren, während sie heute bei nicht einmal fünf Jahren liegt.
Entscheider oder Nichtentscheider?
Nach Angaben der LAE (Leseranalyse Entscheidungsträger) gehören in Deutschland über 2,2 Millionen Menschen zur Gruppe der Entscheider. Eine sehr hoch gegriffene Zahl, die wohl vor allem dem Verkauf von Werbeträgern dienen soll, denn zu den Entscheidern im eigentlichen Sinn können nur die wenigsten gehören. Eine genauere Abgrenzung wird dadurch erschwert, dass die meisten Kommunikationsmodelle auf veralteten Prämissen beruhen und vor allem dass sie in einer Zeit entstanden sind, in der das Internet noch gar nicht existierte.
„Das Konzept des Relationship-Marketing fußt auf der Erkenntnis, dass die Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager die treibende Kraft der Wertschöpfung ist.“
Das moderne B2B-Marketing fußt auf der Erkenntnis dieser Schwachstellen und antwortet darauf mit dem Ansatz des Relationship-Marketing. Dieses ist vor allem darauf ausgerichtet, den Kunden durch die zentralen Phasen des Lebenszyklus einer Kundenbeziehung zu führen; es ist also deutlich mehr auf die Erhaltung einer Kundenbeziehung gerichtet als auf die Akquisition neuer Kontakte. In der Kommunikation mit bestimmten Zielgruppen – etwa den Entscheidern – ist es darum wichtig, einen Ansatz zu finden, der auf ihren speziellen Interessen basiert.
Typen von Entscheidern
Entscheider bzw. Eliten sind keinesfalls eine homogene Gruppe. Im Gegenteil, es gibt hier enorme Unterschiede, sowohl was ihren Persönlichkeitstypus als auch ihren typischen Einflussbereich bestimmt. Für jede gemeinschaftliche Leistung sind drei Gruppen von Personen notwendig, die man mit Begriffen aus der Musik bezeichnen kann:
- die Dirigenten, die die Ziele vorgeben,
- die Solisten, die den Ton angeben und denen vor allem die Realisierung obliegt,
- die Orchestermusiker, deren professionelle Fähigkeiten die praktische Umsetzung der Ziele ermöglicht.
„Kommunikation – die zweckgerichtete Nutzung von Content und Contacts – ist ein zentraler Faktor nicht nur für die Erledigung der jeweiligen Führungsaufgaben, sondern vor allem auch für den Ausbau und die Verteidigung des eigenen Einflusses als Entscheide
Jeder dieser drei Entscheidertypen braucht eine spezifische Ansprache, da er einem gleichermaßen spezifischen Kommunikationsmuster unterliegt. So benötigen z. B. die Orchestermusiker vor allem Fachwissen, mit dessen Hilfe sie die Aufgaben in ihrem Verantwortungsbereich lösen können. Diese Gruppe verfügt in der Regel über eine hohe Internetaffinität und steht unter hohem Zeitdruck. Die Solisten hingegen sind vor allem an Informationen und Kontakten interessiert, die sie in ihrer Karriere weiterbringen. Die Dirigenten schließlich suchen, wenn es um Informationen geht, vor allem Verbindlichkeit und neue Impulse und Anregungen für ihr Geschäft.
Wie Entscheider kommunizieren
Um herauszufinden, wie und auf welchen Wegen Entscheider kommunizieren, wurde eine Untersuchung durchgeführt, in deren Verlauf zwischen Juli und September 2007 insgesamt 100 Spitzenmanager aus namhaften Unternehmen befragt wurden. Dabei konnten hauptsächlich sieben Erkenntnisse über Entscheider festgehalten werden:
- Information ist Chefsache. Entscheider geben sich ungern in die Hände einzelner Informationsversorger. Sie wollen an diesem Prozess der Suche und Auswahl von Informationen aktiv beteiligt sein.
- Die eigene Branche ist für die Befragten mit weitem Abstand die wichtigste, und das, obwohl das Interessenspektrum der Entscheider insgesamt überraschend groß ist.
- Entscheider nutzen besonders oft das Internet. In der Rangliste der am häufigsten benutzten Informationskanäle belegt es den zweiten Platz, nur knapp hinter den Printmedien.
- Die Lieblingsmedien der Entscheider sind Printmedien, Fernsehen und Internet.
- Die Glaubwürdigkeit des Kommunikationspartners spielt eine überragende Rolle. Dabei verlassen sich die Entscheider vor allem auf Kollegen und Mitarbeiter im eigenen Unternehmen.
- Meinungsbildung findet in der Regel auf gleicher Augenhöhe statt. Auch hier dominieren eindeutig Mitarbeiter im eigenen Unternehmen bzw. Kollegen, die sich auf einer vergleichbaren Hierarchiestufe befinden.
- Entscheider setzen auf Netzwerkkommunikation. Entscheider ohne Netzwerke gibt es kaum. Knapp 90 % aller Entscheider geben an, über ein bevorzugtes Netzwerk an Informanten zu verfügen.
„Das Zeitalter der Netzökonomie stellt die Marketingkommunikation vor neue Herausforderungen.“
Aus diesen Erkenntnissen lässt sich eine Reihe von Schlüssen bezüglich des Informationsverhaltens von Entscheidern ziehen. Die zweckgerichtete Nutzung von Content (Inhalt) und Contacts (Beziehungen) ist und bleibt entscheidend für die Erledigung von Führungsaufgaben. Die jeweiligen Rahmenbedingungen, Ziele und Interessen des Einzelnen – ob Dirigent, Solist oder Orchestermusiker – bestimmen die Anforderungen der Kommunikation und des Kommunikationsverhaltens. Aus all dem lässt sich ableiten, dass es keine einfache Lösung für Kommunikationsaufgaben gibt: Für jede der unterschiedlichen Gruppen von Entscheidern muss das Angebot an Kommunikationsmaßnahmen unterschiedlich ausfallen.
Wie man Entscheider tatsächlich erreicht
Nimmt man die Notwendigkeit von Content und Contacts zum Ausgangspunkt, stößt man quasi automatisch auf die neuen Informationsplattformen, in denen beides miteinander kombiniert werden kann. Einen entscheidenden Vorteil bietet allein das Internet als Informationskanal, denn anders als Printmedien oder TV ist es in der Lage, Sender und Empfänger auszutauschen, sie also tatsächlich miteinander kommunizieren zu lassen. Beispiele für die neuen Internet-Communities sind etwa die Online-Enzyklopädie Wikipedia oder das Karrierenetzwerk XING. Sie funktionieren nach ähnlichen Prinzipien wie die Unternehmensnetzwerke, z. B. Glaubwürdigkeit, Kommunikation auf Augenhöhe und Autonomie.
„Das standardisierte Produkt verliert seine zentrale Rolle bei der Vermarktung von Leistungen des Unternehmens. Es wird zunehmend zu einem Instrument für die Etablierung von Geschäftsbeziehungen.“
Die Mehrzahl der im Internet gegründeten Netzwerke ist kurzlebig. Diejenigen, denen es gelingt, längere Zeit zu überdauern, schaffen einen besonderen Nutzen für ihre Mitglieder, der diesen so nirgendwo anders geliefert wird. Die Attraktivität von Web-Communities beruht vor allem auf fünf Faktoren:
- Gewinnung von relevanten, für den Empfänger nützlichen Informationen,
- Verbreitung von eigenen Inhalten (u. a. Selbstdarstellung),
- Qualität des Zugangs (exklusiv/allgemein zugänglich),
- Qualität des Austauschs zwischen den einzelnen Mitgliedern der Community sowie
- das Erlebnis, das die Plattform als solche für den Nutzer bietet.
Wer interessiert sich wofür?
Die unterschiedlichen Gruppen von Entscheidern erfordern unterschiedliche Ansprachen:
- Orchestermusiker sind vor allem an Fachlichem interessiert. Sie suchen in erster Linie Informationen, daneben aber auch gedankliche Anregungen. Der Schwerpunkt des von ihnen gewünschten Austauschs liegt also in der Gewinnung und im Austausch von Fachinformationen.
- Um die Solisten zu erreichen, müssen Ihre Kommunikationsangebote anders strukturiert sein. Neben der Ebene der Fachinformationen treten hier Beziehungsaspekte in den Vordergrund, die dazu geeignet sind, mit der Gruppe der Dirigenten Kontakt aufzunehmen, um die nächsthöhere Karrierestufe zu erklimmen.
- Die Gruppe der Dirigenten, also der Top-Entscheider, ist nur schwer durch B2B-Kommunikationsangebote zu beeindrucken. Sie interessiert sich aber für strategisch relevantes Wissen sowie für den Austausch mit Angehörigen der gleichen Hierarchiestufe.
„In modernen Wertschöpfungsnetzwerken wird Kommunikation zunehmend ein integraler Bestandteil des Wertschöpfungsprozesses.“
Beispiele für Eliten-Marketing
- Vogel Business Media hat seine Fachzeitschrift PROCESS nicht nur um ein Internetportal erweitert, sondern auch durch eine ganze Reihe von Zusatzangeboten wie die Organisation von Fachveranstaltungen oder den Versand von Newslettern erweitert. Dadurch konnten sämtliche drei Zielgruppen auf unterschiedlichen Ebenen angesprochen werden.
- Lufthansa hat gleich drei Kundenmagazine mit einer Gesamtauflage von 600 000 Exemplaren aufgelegt und dadurch ein hervorragendes Medium geschaffen, um Entscheider zu erreichen.
- Das Verlagshaus Gruner + Jahr hat im Jahr 2000 zusammen mit der britischen Pearsons-Gruppe die Financial Times Deutschland auf den Markt gebracht, eine Wirtschaftstageszeitung, die sich konsequent auf die Zielgruppe der Entscheider fokussiert. Innerhalb der Typologie der Entscheidergruppen hat die FTD vor allem die Solisten im Auge.
- Das schweizerische Davos ist der Versammlungsort für die alljährliche Tagung des Weltwirtschaftsforums. Hier wird von den Spitzen aus Unternehmen und Politik eine ganze Palette von Themen erörtert, von der Armutsbekämpfung bis hin zu Umweltfragen. Im Sog dieser Veranstaltung wurde 2004 die Stiftung „The Forum of Young Global Leaders“ gegründet; auch hier wird versucht, Lösungsansätze für die weltweiten Probleme des 21. Jahrhunderts zu erarbeiten.
- Mit think:act haben Roland Berger Strategy Consultants in Zusammenarbeit mit Burda Yukom das erste weltweite Entscheidermagazin eines Unternehmens publiziert. Dabei wurde eine Zeitschrift geschaffen, die ganz bewusst auf jede Art von Werbung oder PR verzichtet und sich auf ihre spezifisch journalistischen Qualitäten verlässt.