Nicht jeder taugt zum Manager
Tabus sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Erwachsene bläuen schon kleinen Kindern ein: Über gewisse Dinge spricht man nicht. Das geht Managern genauso. Viele Gedanken und Gefühle müssen sie für sich behalten, weil sie zu intim, heikel, schmerzhaft, politisch unkorrekt, kurz: tabu sind. Tabus an sich sind weder gut noch schlecht. Sie wirken so stark auf uns, weil sie nicht nur unseren Verstand, sondern auch unsere Gefühle und Instinkte ansprechen. Einige Denkverbote sind sinnvoll, andere dagegen nur hinderlich – beispielsweise die in vielen Führungsetagen verpönte Frage, was einen guten Vorgesetzten überhaupt ausmacht.
„Wenn die Leadership-Tabus einmal bekannt sind, werden einige unserer überflüssigen, unsinnigen und potenziell gefährlichen falschen Vorstellungen zurechtgerückt werden.“
Weder in der Wissenschaft noch in der öffentlichen Meinung ist klar definiert, was unter Führung genau zu verstehen ist. Das Wort beflügelt die Menschen zu unterschiedlichsten Vorstellungen. Viele glauben, jeder sei in der Lage zu führen, wenn er nur die Möglichkeit dazu bekäme. Dem ist aber nicht so. Manager müssen für ihre Arbeit viel aufgeben, von sich, von ihrem Privatleben und von ihrer Freizeit. Dazu ist keineswegs jeder bereit. Wer führt, braucht neben Fachwissen einen extrem starken Willen. Führungskräfte ticken anders. Das muss man ihnen zugestehen, nur dann kann man sie besser verstehen. Führung ist ein Prozess, mit dem ein Manager seine Vision verwirklichen will. Damit jeder sein Bestes gibt, beeinflusst er andere Menschen und ihre Arbeitssituation bewusst. Welcher Stil dabei der richtige ist, hängt von der Situation und den Mitarbeitern ab.
Mit Ausstrahlung leichter nach oben
Nehmen wir an, Sie befördern einen loyalen Mitarbeiter, der zudem über Expertenwissen verfügt, nicht, weil Sie bei ihm das gewisse Extra vermissen. Ihr Instinkt sagt Ihnen, dass ihm die nötige Ausstrahlung fehlt. Das ist vielen Menschen schwer zu vermitteln. Erfolgreiche Manager müssen neben anderen wichtigen Eigenschaften auch Charisma mitbringen. Aus der Geschichte wissen wir, dass Menschen mit Ausstrahlung auch gefährliche Verführer sein können. Dennoch kommt uns ein Mensch mit Ausstrahlung kompetenter vor als einer ohne. Menschen suchen sich selbst im Vorgesetzten. Sie wollen sich mit ihm identifizieren, aber auch zu ihm aufschauen. Das tun sie, wenn er geheimnisvoll und faszinierend ist. Man kann zwar eine bessere Ausstrahlung trainieren, aber sie wirkt unecht und lächerlich, wenn sie nicht einer inneren Quelle entspringt. Die wird von Lebenserfahrung oder von persönlichen Schlüsselerlebnissen gespeist.
Politische Spielchen gehören dazu
Wie überall, wo Menschen zusammenkommen, spielen sie auch in Unternehmen Spiele – politische Spielchen. Es sind zwar nicht genau die gleichen wie im Wahlkampf oder innerhalb einer Partei, aber sie haben trotzdem oft einen faden Beigeschmack. Wer mit taktischen Manövern seine Karriereziele zu erreichen sucht, macht sich schnell unbeliebt. „Unser Chef ist kein politischer Taktierer!“ – das wünschen sich viele Angestellte und geben sich auch gern dieser Illusion hin.
„Charisma spielt eine wichtige Rolle dabei, welchen Personen wir Führungsqualitäten zuschreiben.“
Wer nach oben will, muss sich darüber im Klaren sein: In der Chefetage gehört Politik zur Tagesordnung. Sie ist ein notwendiges Übel. Die meisten wichtigen Entscheidungen werden nicht in offiziellen Sitzungen, sondern informell, beim Mittagessen oder auf dem Flur, getroffen. Und das ist keineswegs per se schlecht: Politische Manöver als Instrument, um die eigenen Ziele und die des Unternehmens zu erreichen, sind moralisch vertretbar. Dienen sie aber einem anderen Zweck, schaden sie allen. Für Führungskräfte geht es immer darum, Macht auszuüben. Das kann mit Druck, Sachkenntnis, Vertrauen oder mit der Art und Weise, wie andere uns wahrnehmen, geschehen. Letzteres wirkt am effektivsten. Glauben Ihre Angestellten, dass Sie kompetent sind, haben Sie gewonnen.
Frauen und Männer könnten voneinander lernen
Wer ist nun der bessere Boss, Frau oder Mann? Topmanager kommen in Teufels Küche, wenn sie diese Frage offen stellen. Sie ist und bleibt unbeantwortet. Wahrscheinlich ist sie auch nicht abschließend zu klären.
„Wir weigern uns, die Existenz politischen Kalküls anzuerkennen, weil wir lieber ein sauberes, keimfreies Bild unserer Manager zeichnen.“
Je nach Wirtschaftslage sind unterschiedliche Fähigkeiten gefragt. Mal solche, die man Frauen zuschreibt, mal solche, die man bei Männern vermutet. In den 90er Jahren erlebten die Männer erstmals, dass bis dahin geltende Managerqualitäten nicht mehr das Maß aller Dinge waren. Nicht technisches Wissen, sondern emotionale, weibliche Intelligenz war plötzlich „in“. Als die Wirtschaft lahmte und die Zeiten härter wurden, kapitulierten jedoch viele Frauen in den Vorstandsetagen. Sie waren nicht mehr bereit, sich für eine Firma abzurackern und dafür auf Familie und Privatleben zu verzichten. Im Alltag beweisen Männer oft einen stärkeren Führungswillen als Frauen. Sie müssen allerdings auf dem Weg nach oben andere Hürden überwinden als diese. Zweifellos könnten die Geschlechter voneinander lernen, wenn sie sich offen über ihre unterschiedlichen Sichtweisen austauschen würden.
Manager genießen einen Sonderstatus
Obwohl auf dem ganzen Firmengelände ein strenges Rauchverbot gilt, zündet sich der Vorstandsvorsitzende in einer Besprechung ungeniert eine Zigarre an. Willkommen in der Realität: Wichtige Personen genießen Privilegien. Sie verdienen viel mehr Geld als alle anderen und dürfen sich auch mehr erlauben. Für Angestellte und Manager gelten nicht dieselben Regeln. Das sorgt immer wieder für Unmut. Viele Menschen ärgern sich über diese Ungerechtigkeit, vor allem über die Millionengehälter. Da sie aber nie die ganze Wahrheit kennen, können sie nicht beurteilen, ob jemand sein Geld wert ist oder nicht. Angestellte sollten sich bewusst machen, was ein Chef alles für die Firma leistet. Außerdem entscheidet die Gesellschaft selbst darüber, wessen Arbeit mehr wert ist, die einer Krankenschwester oder die eines leitenden Angestellten.
„Es wird so wenig über Einsamkeit gesprochen, weil sie Verletzlichkeit impliziert, und diese ist Führungskräften verhasst.“
Wer Karriere machen will, sollte selbst einschätzen, ob er mit dieser Sonderrolle leben kann oder nicht. Und die Unternehmen müssen folgende Frage klären: Bringt es uns mehr, wenn wir alle gleich behandeln oder wenn wir einzelne Mitarbeiter mit außerordentlichen Gehältern zu außerordentlichen Leistungen antreiben?
Die Vetternwirtschaft lebt
Nur die Leistung zählt, nicht die Herkunft. Das verspricht zumindest die Theorie der Marktwirtschaft. Von Führungskräften wird erwartet, dass sie niemanden aus persönlichen Gründen bevorzugen oder befördern – eine unrealistische Forderung. Jeder braucht Personen um sich, denen er vertraut und auf die er sich verlassen kann. In den Vorstandsetagen sind Verbündete, die im entscheidenden Augenblick zu einem halten, überlebenswichtig. Daher ist es nur menschlich, wenn Vorgesetzte Freunde und Gleichgesinnte auf wichtige Posten setzten. Vetternwirtschaft birgt allerdings auch Risiken. Sagen Sie Ihrem Chef, dass er einen Fehler gemacht hat? Das tut keiner gern. Noch schwieriger wird es, wenn man mit ihm befreundet ist oder ihm gar seinen Posten verdankt. Interessanterweise akzeptieren Angestellte eine besondere Form der Günstlingswirtschaft. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn der Chef junge Nachwuchskräfte als Mentor fördert. Wenn sich aber ein Kollege als Schleimer profiliert, macht er sich schnell unbeliebt.
Thronfolger heranziehen tut weh
Welche Führungskraft denkt schon gern an das Ende ihrer Karriere, an die Zeit, in der sie nicht mehr der große, bedeutende Mensch ist? Eine der wichtigsten und zugleich unangenehmsten Aufgaben eines Topmanagers ist es, seinen Nachfolger zu finden und zu erziehen. Dass seine Gefühle die Sache verkomplizieren, liegt auf der Hand. Führungskräfte sind sicher, dass keiner ihren Job so gut erledigt wie sie selbst. Sie müssen so stark von sich selbst überzeugt sein, damit sie ihrer Rolle gewachsen sind. Und dann sollen diese überaus selbstbewussten Menschen sich eingestehen, dass ein junger Bursche genauso geeignet ist wie sie, und gleichzeitig langsam den Chefsessel räumen? Das tut weh. Sich von Macht und Bedeutung zu lösen, ist schwer. Bislang ist es für scheidende Vorsitzende tabu, über diese Gefühle zu reden. Zu schnell werden sie als egoistisch abgestempelt. Die Ziehsöhne jedoch erfahren in der Regel die widerstrebenden Emotionen ihrer Mentoren am eigenen Leib.
Spitzenmanager wollen nur arbeiten
Über ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Privatleben zu grübeln, ist heutzutage „in“: Es geht um die berühmte Work-Life-Balance. Von Spitzenführungskräften wird vielfach erwartet, dass sie sich auch hier vorbildhaft verhalten und für einen gesunden Ausgleich sorgen. Die meisten wollen aber gar keine Freizeit, sondern nur eins: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Sie würden sogar ihre Karriere gefährden, wenn sie das Büro häufig zu früher Stunde verließen.
„Wenn Sie in Ihrer Arbeitsumgebung auf ein Tabu stoßen, überlegen Sie zuerst, welche positiven und negativen Seiten es hat.“
Die Grundregel für alle Arbeitswütigen lautet: „Kümmere dich selbst um dich, bevor es andere tun müssen.“ Mit anderen Worten, wer körperlich und seelisch gesund und völlig zufrieden mit seinen Aufgaben ist, muss nicht über Work-Life-Balance nachdenken. Allerdings muss jede Spitzenkraft dazu eine Meinung haben, die sie glaubhaft gegenüber Kritikern vertreten kann. Natürlich spielt auch die Unternehmenskultur eine Rolle. Lautet die Firmendevise, Mitarbeitern ein ausgeglichenes Leben zu ermöglichen, ist ein permanent arbeitender Chef kein gutes Vorbild. Wird von den Angestellten dagegen vor allem erwartet, dass sie viel arbeiten und leisten, ist ein Arbeitstier an der Spitze sicher von Vorteil.
Egoistisch zu sein, ist legitim
Heutzutage wird von Unternehmen und ihren Leitern gefordert, sie sollen nicht nur eigen-, sondern auch gemeinnützig handeln. Wohlhabende Menschen gründen aus unterschiedlichsten Motiven Stiftungen oder engagieren sich für Arme und Unterdrückte. Die Bewegung der Triple Bottom-Line misst den Wert einer Firma nicht nur am Gewinn, sondern auch daran, was sie Gutes für die Gesellschaft und die Umwelt tut. Dieser neue moralische Anspruch ändert aber nichts daran, dass Menschen, die führen, dies nach wie vor aus egoistischen Gründen tun. Und das ist gut so. Immerhin haben diese praktizierenden Kapitalisten viele von uns wohlhabend und reich gemacht, Fortschritt ermöglicht und Arbeitsplätze geschaffen. Verantwortung für die Umwelt und die Gesellschaft zu übernehmen, ist nicht nur eine moralische Einstellung, sondern zahlt sich auch finanziell aus und bringt Wettbewerbsvorteile: Firmen mit sauberer Weste verkaufen mehr Produkte als Umweltsünder.
An der Spitze ist und bleibt es einsam
Den wenigsten ist klar, wie einsam die Menschen an der Spitze sind. Sie dürfen ihre Gefühle nicht preisgeben, sind auf die Nähe zu Mitarbeitern angewiesen, müssen aber zugleich immer eine sichere Distanz wahren. Ihr Privatleben ist neben der Arbeit kaum der Rede wert. Alles, was sie sagen und tun, hat Auswirkungen, sei es auf den Aktienkurs oder auf die Stimmung im Büro. Konkurrenten und Angestellte beobachten sie mit Argusaugen, oft argwöhnisch oder auf einen Fehltritt hoffend. Es kostet viel Kraft, nach außen hin immer perfekt zu sein. Für alle Beteiligten wäre es hilfreich, sich diese Tatsachen bewusst zu machen. Angehende Manager könnten sich schon mal psychisch darauf einstellen. Und das Zugeständnis „Der Chef ist auch nur ein Mensch“ würde die Arbeitsatmosphäre sicher deutlich entspannen.