Jede Entscheidung zählt
Jeden Tag treffen wir bis zu 10 000 Entscheidungen. Darunter sehr viele kleine, wie die Wahl der Frühstücksmarmelade, und hin und wieder einige große, wie die Frage: die Familie verlassen oder bleiben? Jede einzelne dieser Entscheidungen ist wichtig, denn alle zusammen formen Ihr Leben, und es ist Ihre ganz persönliche Freiheit, sich so oder eben anders zu entscheiden. Nicht alle mögen diese Freiheit. Viele Menschen scheuen sich, Entscheidungen zu treffen, sei es aus Angst vor Fehlern, sei es aus Mangel an Selbstbewusstsein oder an Informationen. Die Fähigkeit zur schnellen Entscheidung ist kein natürliches Talent, sondern trainierbar. Je häufiger man es tut, desto leichter fällt es. Und: Entscheiden macht Spaß! Es ist einfach ein tolles Gefühl, zu sagen: So ist es und nicht anders! Um schneller und leichter richtig entscheiden zu können und die Angst davor zu verlieren, hilft es, sich die fünf wichtigsten Elemente einer Entscheidung zu verdeutlichen: das Gefühl, den Verstand, die Erfahrung, den Mut und das Ich.
Das Gefühl
Das Bauchgefühl, auch Intuition genannt, ist ein wesentlicher Aspekt der meisten Entscheidungen. Die Intuition ist viel schneller als der Verstand, und die intuitive Einschätzung einer Situation erfasst viele Komponenten, die man rational kaum aufdröseln könnte. So ist beispielsweise das Erkennen eines Gesichts kaum vernünftig nachzuvollziehen, doch in der Praxis kann jeder in Sekundenbruchteilen einen Menschen erkennen – eben intuitiv, ohne stundenlanges Abwägen und Messen, ob die Proportionen stimmen. Übrigens hat auch die Wissenschaft inzwischen bewiesen, dass der Bauch eine Art zweites Gehirn ist und ständig Informationen an den Kopf weiterleitet. Die Erscheinungsformen kennt jeder: z. B. Schmetterlinge im Bauch, wenn man frisch verliebt ist, oder Übelkeit, die bei Stress oder Nervosität auftritt.
„Das Gefühl spielt bei unseren Entscheidungen eine Riesenrolle, ohne dass wir uns dessen bewusst werden.“
In unserer auf Logik und Begründung gepolten Welt braucht man allerdings Mut, um seiner Intuition zu vertrauen. Tun Sie es trotzdem – auch wenn schlechte Laune und Ihre Tagesform die Klarheit Ihres Bauchgefühls trüben können. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie sich vor wichtigen Entscheidungen in eine positive Stimmung versetzen. Für den Schiedsrichter gehört dazu, vor dem Spiel zu allen Beteiligten einen emotionalen Kontakt herzustellen und jedem etwas Positives zu vermitteln. Zur Intuition zählt auch das Wissen, ob man anderen in kritischen Situationen vertrauen kann. Ob man als Schiedsrichter beispielsweise nur auf das Signal des Assistenten die Gelbe Karte zeigt, obwohl man selbst nichts gesehen hat. Übrigens sind Frauen keineswegs per se intuitiver, oft aber ganzheitlicher in ihrem Denken. Männer dagegen neigen eher zum sachorientierten Tunnelblick, der alle Nebenaspekte ausblendet.
„Gefühl und Intuition sind wesentlich für die schnelle Einschätzung von Situationen.“
Die Intuition hat ihre Grenzen: Bei manchen strikt sachorientierten Entscheidungen, wie etwa bei Bewerbungsgesprächen, oder bei moralischen Entscheidungen und bei Selbstkritik verführt die Intuition häufig zum Selbstbetrug. Ganz falsch ist es, das eigene Gefühl nach dem Motto „Ich konnte nun mal nicht anders“ als Vorwand und Entschuldigung vorzubringen, um keine Verantwortung für die eigenen Entscheidungen übernehmen zu müssen.
Der Verstand
Manchmal ist es aber sinnvoll, aufgrund der Faktenlage gegen das Gefühl zu entscheiden. Gerade als heiß umworbener Konsument muss man sich regelrecht gegen die emotionalen Verführungen der Marketingstrategen durchsetzen, um wirklich das Produkt mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis und nicht das mit der besten Werbung zu kaufen. Wichtiger als die Diskussion einzelner Argumente ist etwas anderes: die eigenen Ziele. Nicht der Weg ist das Ziel, wie manche asiatische Religionen meinen, sondern umgekehrt: Das Ziel bestimmt den Weg. Wenn Sie Ihre ganz persönlichen Ziele kennen, ist das Entscheiden viel leichter, denn daraus leiten sich die vielen Einzelhandlungen ab, und Sie verzetteln sich nicht. Doch was ist ein gutes Ziel? Es darf nicht zu leicht zu erreichen sein, damit man es mit Ehrgeiz verfolgen kann, muss aber trotzdem realisierbar sein. „Ich will in 20 Jahren die WM pfeifen“ – über dieses Ziel des damals 18-jährigen Urs Meier haben alle gelacht, doch am Ende ist es genau so gekommen. Auch ist es keineswegs immer falsch, Ziele zu übernehmen, die von anderen Menschen vorgegeben werden, denn sie können einen zu Leistungen motivieren, die man sich selbst niemals zugetraut hätte. Dafür ist die Schule das beste Beispiel. Schwierige Ziele zu erreichen, macht Spaß und sollte auch gebührend gefeiert werden. Wer einfach nur zur Tagesordnung übergeht, tötet seine eigene Motivation.
„Der Verstand eröffnet uns die Möglichkeit, etwas anderes zu erreichen, als unser Gefühl vorgibt.“
Was gehört zur rationalen Entscheidungsfindung? Hier drei besonders nützliche Methoden:
- Fakten sammeln und bewerten: Benutzen Sie Pro-und-Contra-Listen, ggf. kombiniert mit einer Bewertung der einzelnen Punkte.
- Schluss mit Perfektionismus, der nur Energie frisst und wenig Zusatznutzen bringt. Das Ziel sollte eine angemessene Lösung, keine zigfach optimierte 150 %-Lösung sein.
- Konzentration auf das Wichtige – damit Sie im Meer der Informationen nicht ertrinken.
„Das Geheimnis guter Entscheidungen liegt darin, das Ziel zu kennen.“
Und das geht so: Reduzieren Sie die Anzahl der Entscheidungen, die Sie tatsächlich selbst treffen müssen. Weniger wichtige delegieren Sie besser an Mitarbeiter. Konzentrieren Sie sich bei der Anzahl der zu betrachtenden Faktoren auf die wirklich wichtigen; meist kristallisiert sich dann schnell die richtige Alternative heraus. Wechseln Sie den Standpunkt. Formulieren Sie die eigentliche Frage um, machen Sie einen Rollentausch oder denken Sie paradox, d. h. betrachten Sie das Gegenteil der angestrebten Lösung. Dadurch finden Sie auf jeden Fall schon mal die ungeeigneten Lösungen heraus.
„Das Gefühl, Bescheid zu wissen, schwächt die Differenzierungsfähigkeit.“
Außerdem hilfreich: Bewegung oder Sport, um den Kopf wieder frei zu bekommen, und Kommunikation mit anderen, um ihnen und sich selbst die eigenen Entscheidungen verständlich zu machen.
Die Erfahrung
Je mehr Erfahrung man mit einer bestimmten Sache hat, desto besser werden die Entscheidungen. Das liegt daran, dass Erfahrungen die Intuition füttern. Wichtig ist, dass Sie sich dem wirklichen Leben aussetzen. Erfahrungen „aus der Dose“, aus Film, Fernsehen oder Büchern sind nicht gleich viel wert. Kinder dürfen nicht vor allem und jedem beschützt werden, sondern müssen selbst Erfahrungen machen dürfen. Dumm nur, dass dazu auch das Ausprobieren gehört, das hierzulande nicht gut angesehen ist – schnell gilt man als jemand, der nicht weiß, was er will. Die so genannten Umwege sind aber wesentlich, um herauszufinden, was man wirklich will. Dazu gehören Fehler. Stehen Sie zu diesen, sie gehören nun einmal zum Leben. Unverarbeitete Fehler führen schnell zur Blockade, weil man sich schämt und die Sache einem peinlich ist. Deshalb: Kommunizieren Sie Fehler offen, und versuchen Sie, daraus zu lernen. Dazu gehört, sich ggf. zu entschuldigen. Dabei geht es nicht um das Abspulen von Floskeln, sondern um ernst gemeinte Entschuldigungen, die von Herzen kommen. Und wenn Ihnen jemand eine Entschuldigung anbietet, gilt: Großzügigkeit zahlt sich mehr aus als engstirnige Rechthaberei. So gut Erfahrungen sind, sie sollten nicht zur neunmalklugen Besserwisserei führen. Jede neue Situation ist anders und kann sich anders entwickeln als erwartet. Seien Sie also offen und nutzen Sie bewusst neue Erfahrungen, um innerlich zu reifen.
Der Mut
Angst ist der natürliche Partner der Entscheidungsschwäche: Angst vor Gerede, Strafe oder Fehlern. Deshalb neigen viele zum Aussitzen, Abwarten oder Nichtstun. Doch auch das Nichtentscheiden ist eine Entscheidung, die Konsequenzen haben kann. Spätestens dann, wenn andere entscheiden, wenn beispielsweise der Chef Sie rauswirft, nachdem Sie selbst schon lange innerlich gekündigt haben. Es gibt drei Typen von Entscheidungsvermeidern, wobei die Übergänge oft fließend sind:
- Der erste Typ hat schlicht und ergreifend Angst, falsch zu entscheiden. Er verstrickt sich in endlose Debatten, bringt immer neue Optionen ins Spiel und kommt nie zu einem Ergebnis.
- Der zweite Typ will keine Verantwortung tragen und entscheidet deshalb nur unter äußerstem Druck. Ergebnis: Es wird nichts entschieden, solange noch viel Handlungsspielraum besteht, sondern erst, wenn es im Grunde kaum noch was zu entscheiden gibt.
- Der dritte Typ wartet so lange, bis andere entschieden haben, um sich dann lautstark über das Ergebnis zu beschweren.
„Angst verhindert jede Form von Freiheit.“
Sie sollten in keine dieser Kategorien fallen – entscheiden Sie selbst! Machen Sie sich klar, dass Sie letztlich keine Angst vor dem Fehler als solchem haben, sondern nur vor der Blamage, vor dem Gefühl der Peinlichkeit. Doch diese Angst ist beherrschbar; sie im Griff zu haben, ist ein Zeichen von Führungsstärke. Die Dinge, vor denen Sie Angst haben, sind nur befürchtete, imaginäre Konsequenzen. In Wirklichkeit sind sie noch gar nicht eingetreten. Was Sie brauchen, ist Mut: Überwinden Sie Ihre Angst, wagen Sie den Schritt! Mut sorgt für Berechenbarkeit und bessere Ergebnisse, beflügelt und führt zu mehr Selbstbewusstsein. Trotzdem: Es gibt natürlich auch sehr berechtigte Ängste, bei denen Sie gut beraten sind, sie nicht beiseite zu wischen. Solche angemessenen Ängste wie beispielsweise die Angst des Schiedsrichters vor aggressiven Hooligans, müssen Sie ernst nehmen. Trotzdem sollten Sie sich diesen Ängsten mutig stellen und sich niemals so einschüchtern lassen, dass Sie den Hinterausgang nehmen.
„Man kann sich durch Nicht-Entscheiden nicht vor Konsequenzen schützen.“
Entscheiden kann immer nur einer; einer allein trägt die Verantwortung, auch wenn viele betroffen sind. Deshalb müssen die Zuständigkeiten rechtzeitig geklärt werden. Und dann gilt: Vertrauen Sie als Entscheider denen, die untergeordnet sind, und ordnen Sie sich selbst unter, wenn andere in der Entscheiderposition sind. Niemand ist überall gleich gut. Überlassen Sie anderen die Entscheidung, wenn diese eindeutig besser sind als Sie – auch wenn es schwer fällt.
Das Ich
Auch das Ego spielt eine große Rolle bei der Entscheidungsfindung, vor allem das gekränkte. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, neigt im Eifer der Gefühle schnell dazu, wutschnaubend alles hinzuwerfen. Das ist zwar verständlich, aber so verliert man seine eigenen Ziele und damit die Richtschnur für die eigentlich richtigen Entscheidungen aus dem Blick. In einem solchen Fall sind ein Schritt zurück und ein wenig Selbstkritik oft ebenso nützlich wie inhaltlich angebracht.
„Niemand kann für Sie entscheiden, denn niemand ist genau so wie Sie.“
Selbst wenn das Ich, die Persönlichkeit im Großen und Ganzen stabil ist, an den individuellen Ausprägungen und den einzelnen Verhaltensweisen kann man sehr wohl etwas ändern. Dadurch wird aus einem Angsthasen kein Draufgänger, aber nur so nutzt man sein Potenzial voll und ganz aus. Es lohnt sich, mehr Erfahrungen zu sammeln, mehr Mut zu zeigen, der Intuition stärker zu vertrauen oder öfter rational zu entscheiden. Das Ergebnis ist eine gelassene Souveränität, in der Ihre Persönlichkeit sich frei entfaltet und bei der nicht jedes kleine Problem zum Drama wird. Dazu braucht es eine positive Grundeinstellung und die innere Gewissheit, dass am Ende alles gut ausgehen wird. Vertrauen Sie sich selbst: Niemand ist so wie Sie, und nur Sie können die Entscheidungen treffen, die für Sie persönlich richtig sind.