Großes Marktpotenzial
Der osteuropäische Raum bietet ein enormes Marktpotenzial. Mit einem hohen Bruttosozialprodukt pro Kopf, stabilen Wachstumsraten und einer sinkenden Inflation sind gerade Polen, Tschechien und Ungarn beliebte Einstiegsmärkte für Osteuropa. Bereits 2007 hat beispielsweise Tschechien 80 % des durchschnittlichen Lebensstandards der EU erreicht. Während sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in den meisten CEE-Ländern (Central and Eastern Europe) stabilisiert, können einige besonders aufstrebende von ihnen, wie Russland, Rumänien, Bulgarien und die Ukraine, noch mit durchschnittlich 7 % aufwarten. Bezieht man Russland und die Ukraine mit ein, leben im erweiterten Osteuropa 385 Millionen Konsumenten. Das Wirtschaftswachstum ist nicht nur ausländischen Direktinvestitionen zu verdanken, sondern auch einer wachsenden Kaufkraft, bedingt durch das steigende Lohnniveau. Der enorme Konsumbedarf hat in relativ kurzer Zeit Einzelhandelsstrukturen entstehen lassen, für die der Westen seinerzeit Jahrzehnte gebraucht hat.
„Das Gleichsetzen der Region CEE mit homogenen Produktmärkten, Handelsstrukturen und Konsumentenerwartungen wäre fatal.“
Laut einer Studie der Wirtschaftsuniversität Wien betrachten österreichische Unternehmen den Wirtschaftsraum CEE als sehr attraktiv. Der Trend geht dabei von Mitteleuropa in Richtung Südosteuropa und Russland. Fast alle befragten Unternehmen setzen auf Wachstum durch erweiterte Leistungen und neue Zielgruppen. Statt neue Märkte zu erobern, soll das bestehende Geschäft weiter ausgebaut und eine direkte Präsenz vor Ort durch Tochtergesellschaften angestrebt werden. Risiken sieht man vor allem in einem verstärkten Wettbewerb und in einem Nachlassen des Wirtschaftswachstums.
Auf Mehrmarkenstrategie setzen
Westliche Marken- und Produktkonzepte können zwar relativ problemlos in osteuropäische Länder transferiert werden, allerdings sollte das nicht undifferenziert geschehen. Denn auch wenn glitzernde Einkaufswelten überall ähnlich aussehen, gibt es dennoch große Unterschiede nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch innerhalb dieser. So herrschen beispielsweise ein starkes West-Ost- und ein Stadt-Land-Gefälle. Die Unterschiede zeigen sich in der wirtschaftlichen Entwicklung, im Konsumentenverhalten, in der Medienlandschaft und im Recht – von kulturellen Unterschieden ganz zu schweigen. Eine Einmarkenstrategie ist darum wenig Erfolg versprechend. Kroaten finden es z. B. unhöflich, wenn man auf die Sprach-Mailbox spricht. SMS werden dagegen gerne gesehen. Es ist eine rein kulturelle Besonderheit, auf die man als Anbieter eingehen muss. Gerade in den Balkanstaaten, deren Menschen im Krieg in den 90er Jahren für ihre Identität gekämpft und schmerzliche Verluste erlitten haben, ist eine Strategie nach dem Motto „Ihr seid alle gleich“ ohnehin denkbar ungeeignet.
„Die größten Barrieren für das erfolgreiche Führen einer globalen Marke liegen in den kulturellen Differenzen.“
Auch die rechtlichen Unterschiede zwischen den Ländern erfordern regional angepasste Markenstrategien. Selbst wenn Sie eine internationale Marke anmelden, unterliegt diese am Ende doch der jeweiligen nationalen Rechtsordnung. Nutzen Sie am besten die Rechtsberatung eines internationalen Partners vor Ort. Der informiert Sie auch über die Möglichkeiten, gegen Piraterie im entsprechenden Land vorzugehen. Das kosovarische Markenrecht beispielsweise orientiert sich zwar am EU-Markenrecht, ist aber verhältnismäßig jung und noch nicht etabliert. Langwierige Verfahren schrecken dort viele Unternehmen ab, gegen Markenverletzungen vorzugehen.
„In der CEE-Region bestehen in allen Ländern eigene gesetzliche Vorschriften über nationale Markenrechte, die von Land zu Land variieren.“
Genauso beeinflusst das Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung die Markenstrategie. Als der Mobilfunkanbieter Vipnet Ende 1999 den kroatischen Markt betrat, verfügte ein Großteil der Bevölkerung noch nicht über Girokonten. Weil Rechnungen einfach nicht bezahlt wurden, setzte der Anbieter verstärkt auf das Geschäftsmodell Prepaid. Etwa 80 % der Kroaten telefonieren heute über ein Wertkarten-Handy, nur 20 % haben einen Vertrag.
Lokal und global agieren
Während wegen der länderspezifischen Besonderheiten lokales Handeln in bestimmten Bereichen wie Service, Marketing und Vertrieb absolut notwendig ist, können Technik, Infrastruktur, Finanzen, Accounting und Reporting durchaus global geführt werden. Selbst bei der Kommunikation muss nicht alles lokal ablaufen. Bewährt hat sich die lokale Anpassung eines globalen Konzeptes. So hat z. B. Beiersdorf für die Marke Nivea regionale Teams aufgefordert, aufbauend auf der strategischen Grundpositionierung der Marke strategische Konzepte für den osteuropäischen Raum zu erarbeiten. Das letztlich ausgewählte und abgesegnete Konzept wurde dann an die Anforderungen in den einzelnen Zielländern angepasst.
„Der markenrechtliche Weg nach CEE ist noch nicht in allen Facetten so geebnet, wie dies im Großteil der EU-Länder der Fall ist.“
Seit 1997 ist die österreichische Erste Bank Group in Mittel- und Osteuropa aktiv. Mit ihrem kundenorientierten Konzept konnte sich das Unternehmen zu einem der führenden Finanzdienstleister im osteuropäischen Raum entwickeln. Der Erfolg des Wachstumskurses schlägt sich auch im Wert des Unternehmens nieder, der sich seit dem Börsengang 1997 vervielfacht hat. Erscheinung und Logo der Marke sind in allen mittel- und osteuropäischen Ländern einheitlich, die Werbung wird jedoch lokal angepasst. Während beispielsweise der österreichische Vorzeigeberater „Peter Presenter“ bei den österreichischen Kunden sehr gut ankam, fanden ihn die Rumänen laut einer Befragung geradezu unsympathisch, schlecht aussehend und abgehoben. Die Werbelinie wurde hier also verändert. Wo es möglich ist, werden jedoch Werbekonzepte eines Landes auch in anderen Ländern realisiert, wie z. B. die slowakische „Familie Vesely“, die auch in Ungarn beliebt ist.
Bessere Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel
Das Unternehmen Beiersdorf machte sich ebenfalls 1997 nach Südosteuropa auf, anfangs nur mit Exporten, später dann mit eigenen Tochtergesellschaften, die unter dem Dach der in Österreich ansässigen Beiersdorf CEE Holding GmbH geführt wurden. Wachstum wurde dabei nicht unbedingt mit den Produkten erzielt, die in Westeuropa beliebt waren. Wegen der mangelnden Kaufkraft griffen die südosteuropäischen Konsumenten beispielsweise eher zu Allzweckcremes als zu speziellen Gesichtspflegeprodukten. Mit wachsender Kaufkraft verwischen sich allerdings die Unterschiede. Das gilt auch für die Mediennutzung. Schauen die Menschen in weniger entwickelten Märkten noch lieber fern, so nimmt die Auflagenzahl von Magazinen mit wachsendem Einkommen zu. Gerade Kosmetikhersteller wie Beiersdorf treffen so auf ihre Zielgruppe. Der Vertrieb erfolgt zunehmend über Super- und Hypermärkte sowie über den Direktvertrieb und immer weniger über klassische Kaufhäuser oder offene Märkte, wie es früher der Fall war.
„Die Erste Group hat in den letzten Jahren alle neu gewonnenen Märkte intensiv erforscht, um eine Basis für die länderspezifische, zielgruppenorientierte Marketing- und Werbearbeit zu schaffen.“
Mit der Stabilisierung der osteuropäischen Volkswirtschaften steigen Löhne und Gehälter. Importgüter werden immer erschwinglicher. Die internationalen Handelsketten bekommen von lokalen Unternehmen Konkurrenz. Im tschechischen und ungarischen Handel wird bereits von Verdrängungswettbewerb gesprochen, der Gewinne schmälert und Kosten hochtreibt. Damit beide Seiten – Handel und Industrie – zukunftsfähig bleiben, sollte die Zusammenarbeit intensiviert werden. Die Unternehmensberatung Cap Gemini empfiehlt eine gemeinsame Geschäftsplanung und mehr Transparenz, damit durch einen besseren Datenaustausch die Komplexität besser in den Griff zu bekommen ist.
Immer dicht am Markt sein
Bereits seit zwei Jahrzehnten ist Henkel in Mittel- und Osteuropa aktiv. Insgesamt hat das Unternehmen 32 Produktionsstätten in ebenso vielen Ländern errichtet und muss sehr heterogene Märkte bedienen, in denen vom traditionellen Basar bis zum Hypermarkt alles vorhanden ist. Nicht anders ist es mit den Kunden. Während in Ungarn oder Tschechien ca. 15 % der Wäsche mit der Hand gewaschen wird, beläuft sich der Anteil in Russland oder der Ukraine auf 40 %. Henkel hat auf diese Heterogenität mit dem Ansatz „Close to the Market“ reagiert und setzt auf lokale Kompetenzen. Am Anfang wurden dafür Joint Ventures gegründet und nationale Marken übernommen. Die Produktkonzepte und die Kommunikation orientierten sich an den Gewohnheiten und Wünschen der Verbraucher. Der Grundnutzen eines Produkts interessiert die Verbraucher in Osteuropa mehr als Emotionen. So wurden von Henkel jede Woche TV-Spots über Wasch- und Reinigungsmittel gesendet. Gleichzeitig wurde das Sortiment so weit es ging standardisiert. Die Gebrauchsanweisung steht auf jedem Etikett in 17 Sprachen.
Erfolgsfaktoren in Mittel- und Osteuropa
Weil die Grundbedürfnisse in Osteuropa inzwischen befriedigt sind, liegen die Chancen für westeuropäische Unternehmen eher darin, sich zu spezialisieren und beste Qualität sowie herausragenden Service zu bieten. Ein möglichst frühzeitiger Einstieg in weiter entfernte osteuropäische Märkte ist ebenfalls empfehlenswert, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass frühes Engagement mit einer besseren Wettbewerbsposition belohnt wird. Handelsunternehmen profitieren von den neuen Märkten, wenn sie sich entsprechend ihrer Zielgruppe von ihren Wettbewerbern differenzieren, beispielsweise durch innovative Shop-Konzepte.
„Die Werbemärkte in Mittel- und Osteuropa sind mehrheitlich vom TV dominiert. Anteile von bis zu 60 % und darüber sind keine Seltenheit.“
Wie in jedem Markt sind auch in Osteuropa personelle und finanzielle Ressourcen sowie eine gewisse Risikobereitschaft für ein erfolgreiches Geschäft notwendig. Wo Sie sich niederlassen, sollte weniger von regionaler Nähe oder historischer Verbundenheit, sondern allein von der Marktgröße abhängen. Je weiter östlich Sie gehen, desto schneller lässt sich der Markt noch durchdringen. Gleichzeitig werden aber auch die Steuerungs-, die Betreuungs- und die Koordinationsprozesse komplexer.
„Noch weiter in den ‚Wilden Osten‘ wagen sich bisher nur wenige westliche Unternehmen, obwohl man davon ausgehen kann, dass die großen Märkte wie Russland oder die Ukraine jetzt schon höhere Wachstumsraten bieten als die mitteleuropäischen Länder.“
Beginnen Sie darum frühzeitig mit dem Aufbau eines guten Managementteams. Vor allem bedarf es im Vorfeld einer gründlichen Beobachtung und Analyse des Marktes. Nutzen Sie dafür volkswirtschaftliche Basisdaten, Marktdaten sowie soziodemografische Konsumenteninformationen. Erkundigen Sie sich danach bei Banken oder Handelskammern. Außerdem gibt es in fast allen Ländern nationale und internationale Marktforschungsinstitute, deren Dienste Sie nutzen können. Obwohl vielfach schon Englisch gesprochen wird, sind die Sprachbarrieren dennoch nicht vollständig zu beseitigen und machen ein lokales Managementteam oder einen Dolmetscher unverzichtbar.
„Erfolgshungrige, gut ausgebildete Jungmanager mit westlichen Gehaltsvorstellungen und immensem Arbeitseinsatz stehen ‚Relikten‘ aus der Vergangenheit gegenüber.“
Weil Zwischenmenschliches in Osteuropa eine große Rolle spielt, sollten Sie das Beziehungsmanagement zur Chefsache machen. An der starren Bürokratie kommen Sie nur mit persönlichen Kontakten und guten Netzwerken vorbei. Allein deshalb lässt sich der osteuropäische Markt niemals von der Zentrale aus bearbeiten. Ganz wichtig: Weil sich viele Menschen in den neuen Mitgliedsstaaten der EU als Mittel- und Zentraleuropäer fühlen, kann eine Bezeichnung als Osteuropäer schnell Unmut hervorrufen. Auch Titel wie „Vertriebsleiter Osteuropa“ sollte in diesem Zusammenhang überdacht oder zumindest nicht auf die Visitenkarte gedruckt werden.
„Aufgrund eines ausgeprägten Nationalstolzes und des Geschichtsbewusstseins fühlen sich viele Bewohner der neuen EU-Mitgliedesländer zu Recht als Teil Mittel- und Zentraleuropas.“
Immer sind es Menschen, die Unternehmen zu dem machen, was sie sind. Insofern ist gutes Personal der vielleicht wichtigste Erfolgsfaktor. Es gibt im Osten gut ausgebildete Jungmanager, die westliche Gehälter verlangen, und es gibt Angestellte aus Zeiten der Planwirtschaft, denen es häufig am Leistungsbewusstsein und an der Fähigkeit, eigene Ideen einzubringen, fehlt. Haben Sie einmal geeignetes Personal gefunden, müssen Sie sich anstrengen, es zu behalten, denn die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber ist nur schwach ausgeprägt: Sobald ein anderes Unternehmen mehr Geld bietet, wird gewechselt.
Dr. Manfred F. Berger ist Geschäftsführer der Draftfcb Kobza Retail Consulting & Werbeges. mbH in Wien. Dr. Arnold Schuh ist Direktor des Competence Center for Central and Eastern Europe der Wirtschaftsuniversität Wien.