Vom Pitch zum Award

Buch Vom Pitch zum Award

Wie Werbung gemacht wird. Insights in eine ungewöhnliche Branche

Frankfurter Allgemeine Buch,


Rezension

Die Wer­be­branche – eine Glamourwelt, in der alle per du sind, jede Menge Spaß haben und dafür auch noch mit Geld und Awards überschüttet werden? Die Wirk­lichkeit sieht anders aus: Überstunden en masse, schlechte Bezahlung und ein irrer Druck machen den ver­meintlichen Luftikussen zu schaffen. Was auf den ersten Blick ein kreatives Chaos scheint, hat in Wirk­lichkeit einge­spielte Strukturen, die sowohl Werber in spe als auch Kunden, die aus ihrem Werbeetat das Maximum herausholen möchten, kennen sollten. Die Autoren, selbst Branchenin­sider, plaudern nicht nur aus dem Nähkästchen, sondern lassen auch viele andere bekannte und unbekannte Experten aus der Werbung zu Wort kommen. Das Ergebnis ist ein gut struk­turi­ertes, leicht lesbares, manchmal sogar un­ter­halt­sames Porträt einer schillern­den Branche, das Neulingen geballtes Er­fahrungswis­sen und wertvolle In­sid­er­in­fos präsentiert. BooksInShort empfiehlt es allen, die mit Agenturen zu tun haben oder in die Werbung wollen.

Take-aways

  • Es gibt drei ver­schiedene Typen von Wer­beagen­turen.
  • Net­work-Agen­turen bieten alles aus einer Hand und sind in­ter­na­tional vernetzt.
  • Kreati­vagen­turen schaffen verblüffende, aber auch risiko­r­e­iche Kampagnen.
  • Inhabergeführte Agenturen arbeiten meist für lokale KMU.
  • Ein Heer von Zulieferern übernimmt Spezialauf­gaben wie PR, Film­pro­duk­tion, Mark­t­forschung oder Me­di­a­pla­nung.
  • Innerhalb der Agenturen gibt es nicht nur Kreative, sondern auch viele andere Aufgaben, von der strate­gis­chen Planung bis hin zu or­gan­isatorischen oder technischen Jobs.
  • Auss­chrei­bun­gen, so genannte Pitches, gewinnen zunehmend an Bedeutung.
  • Das Briefing, in dem der Kunde seine An­forderun­gen darlegt, ist die Grundlage der Wer­bekam­pagne.
  • Kreativität allein genügt nicht. Regelmäßige Er­fol­gskon­trolle ist inzwischen auch in der Werbung üblich.
  • Glamourös ist in der Werbung vor allem das Image, nicht der Alltag: Bewerber brauchen eine gute Ausbildung und die Bere­itschaft, unter Druck für wenig Geld viel zu arbeiten.
 

Zusammenfassung

Agentur ist nicht gleich Agentur

Es gibt drei ver­schiedene Typen von Wer­beagen­turen (wobei in der Praxis auch Mischformen üblich sind):

  1. Net­work-Agen­turen sind die viel­seit­ig­sten, denn sie bieten ihren Kunden neben der Werbung alles oder zumindest vieles rund um das Thema Kom­mu­nika­tion (z. B. Di­alog­mar­ket­ing, Promotion) aus einer Hand. In der Regel sind sie in­ter­na­tional aufgestellt und deshalb die ersten Ansprech­part­ner für globale Kampagnen. Für die deutschsprachi­gen Ableger bedeutet das: Oft ist wenig Kreativität im Spiel, da in erster Linie bestehende Kampagnen an die hiesigen Beson­der­heiten angepasst werden.
  2. Kreati­vagen­turen versprechen kreative Höchstleis­tun­gen. Hier sprudeln die Ideen, hier werden die Awards gewonnen, die das wichtigste Aushängeschild jeder Agentur sind. Für kreative Bewerber ein Traum, für Kunden dagegen nicht immer einfach – extreme Ideen sind risiko­r­e­icher als Bewährtes.
  3. Inhabergeführte Agenturen sind vorwiegend im regionalen Bereich tätig und bedienen meist mittelständische Kunden. Sie bieten solide und zuverlässige Arbeit, haben aber oft Schwierigkeiten mit der zunehmenden In­ter­na­tion­al­isierung des Mit­tel­stands.

Speziala­gen­turen

Daneben gibt es zahlreiche Spezialan­bi­eter. Obwohl in der Werbung nor­maler­weise Konkur­ren­zauss­chluss gilt, haben sich einige Agenturen auf bestimmte Kunden (z. B. B2B-Bereich, Pharmabranche, politische In­sti­tu­tio­nen), andere auf bestimmte Zielgruppen (z. B. Senioren, Jugendliche) aus­gerichtet. Außerdem gibt es zahlreiche Anbieter, die auf bestimmte Di­en­stleis­tun­gen spezial­isiert sind. Die wichtigsten:

  • PR-Agen­turen sind auf die Öffentlichkeit­sar­beit von Unternehmen und In­sti­tu­tio­nen spezial­isiert.
  • Agenturen für Live-Kom­mu­nika­tion punkten mit Aktionen auf Messen, Verkaufspräsentationen, Events, Sport- und Kul­turver­anstal­tun­gen usw.
  • Di­alo­ga­gen­turen sind Spezialan­bi­eter für Mailings und Ähnliches.
  • Agenturen für Han­dels­mar­ket­ing und Verkaufsförderung kümmern sich in erster Linie um die optimale Platzierung von Produkten am Point of Sale.
  • Agenturen für Sponsoring sind vor allem bei Sportver­anstal­tun­gen sowie im kulturellen und im sozialen Bereich tätig.
  • Agenturen für Corporate Identity kümmern sich um das Er­schei­n­ungs­bild von Unternehmen.
  • On­line-Agen­turen sind auf die Werbemöglichkeiten im Internet spezial­isiert.
  • Me­di­aa­gen­turen sorgen dafür, dass das Kun­den­bud­get optimal auf die un­ter­schiedlichen Werbeträger verteilt wird und das Timing der Kampagne stimmt.
„Die Kreati­vagen­tur stellt das dar, was sich der Zuschauer des Vor­abend­pro­gramms unter einer Wer­beagen­tur vorstellt.“

Außerdem gibt es noch ein breites Feld von Zulieferern, etwa Mark­t­forschungsin­sti­tute, Wer­be­film­pro­duk­tio­nen, Druckereien sowie natürlich freie Mitarbeiter (Freelancer), die bei Auf­tragsspitzen eingesetzt werden.

Das Who is Who in Agenturen

Berufs­beze­ich­nun­gen in der Werbung sind für Außenstehende meist unverständlich. Je größer die Agentur, desto schärfer wird zwischen den einzelnen Positionen un­ter­schieden. In kleinen Agenturen besetzen die einzelnen Mitarbeiter oft mehrere Jobs in Per­son­alu­nion.

  • Der Planner: Was der Marken­stratege im Unternehmen, ist der Planner in der Agentur. Das Ergebnis seiner Analysen ist der so genannte Creative Brief, der den Kreativen der Agentur sagt, wofür die Marke und das Produkt stehen und wohin folglich die Werbereise gehen soll.
  • Der Kontakter: Er ist die Schnittstelle zwischen Kunde und Agentur, der erste Ansprech­part­ner für den Kunden und die zentrale An­lauf­stelle der Agen­tur­mi­tar­beiter bei allen Fragen rund um das Projekt. In kleineren Agenturen hat er oft noch weitere Aufgaben, in den größeren widmet er sich ausschließlich den Kunden.
  • Der Kreative: Der Creative Director ist der Chef des Kreativteams: Er moderiert den kreativen Prozess des für die grafische Seite zuständigen Art-Di­rec­tors und des Texters, die – meistens als Zweierteam – Ideen produzieren und umsetzen. Zunehmend übernehmen Kreative auch Be­rater­funk­tio­nen: Sie „verkaufen“ ihre Ideen gleich selbst.
„Keine andere Branche ist so ,award-fix­iert‘ wie die Wer­be­branche.“

Hinter den Kulissen gibt es noch andere, oft wenig bekannte Jobs: Reinze­ich­ner prüfen, ob Farben, Schrift­typen und viele andere Details des fertigen Layouts perfekt sind. Für die technische Umsetzung von Print­pro­duk­ten sind Pro­duk­tioner zuständig. Sie wissen, welche Ideen der Kreativen technisch machbar sind und welche nicht. Trafficer haben nichts mit Verkehr zu tun, sondern fungieren als Or­gan­i­sa­tion­szen­trale für ein Projekt: Sie achten auf die strikte Einhaltung von Kosten und Terminen. Art-Buyer kaufen kreative Leistungen ein, z. B. von Fotografen oder Grafikern. Als FFF-Pro­ducer sind sie auf die Auswahl von Regisseuren & Co. für Film, Funk und Fernsehen spezial­isiert.

Akquisition und Pitches

Am Anfang steht der Kunde bzw. dessen Auftrag. Und den zu bekommen, hat es in sich. Entweder versucht man, bei bestehenden Kunden das Geschäft auszubauen, oder man ist bestrebt, neue Kunden zu gewinnen. Letzteres ist eine permanente Aufgabe in jeder Agentur, denn selbst langjährige Be­stand­skun­den brechen oft unerwartet schnell weg – sei es, dass der Ansprech­part­ner im Kun­de­nun­ternehmen gewechselt hat, sei es, dass das Kun­de­nun­ternehmen fusioniert, sei es, dass der eigene, betreuende Mitarbeiter die Agentur wechselt und dabei den Kunden mitnimmt. In der Regel führen Ausdauer und das Gefühl für das richtige Timing zum Erfolg. Nor­maler­weise hat der Kunde in spe nämlich bereits eine Agentur, und man muss genau dann aktiv werden, wenn ein Wechsel im Raum steht.

„Der Creative Brief enthält quasi die Essenz einer Marke.“

Werbeetats werden üblicher­weise nicht einfach vergeben – auch deshalb nicht, weil auf Kundenseite vielfach Richtlinien für das Ver­gabev­er­fahren bestehen. Es kommt häufig zu einer Auss­chrei­bung, in der Branche „Pitch“ genannt. Dabei präsentiert jede Agentur ihr in­di­vidu­elles Konzept, und der Beste gewinnt – theoretisch. Praktisch ist es nicht selten so, dass die Auss­chrei­bung eigentlich ganz anderen Zwecken dient, etwa, dass das Unternehmen kreativen Input sucht und sowieso keinen Auftrag vergeben will oder dass die Auss­chrei­bung nur eine bereits fest­ste­hende Entschei­dung le­git­imieren soll. Ganz übel ist es, wenn die kreativen Einfälle der Wet­tbe­werb­steil­nehmer hinterher von der Hausagentur umgesetzt werden. Auch bei der Honorierung der für die Agentur häufig sehr kost­spieli­gen Pitches zeigen sich viele Unternehmen zunehmend knauserig oder erwarten sogar Gratis-Präsentationen. Agenturen überlegen also sehr genau, ob sich der Aufwand wirklich lohnt.

Das liebe Geld

Zunehmend ist auch ein gewonnener Pitch kein Garant für den Auftrag: Oft stehen danach noch Preisver­hand­lun­gen mit der Einkauf­s­abteilung des Kunden an. Die in­ter­essiert sich meist nur wenig für die erbrachte Leistung, sondern arbeitet ausschließlich pre­is­fix­iert und fühlt sich dabei dem Motto verpflichtet „10 % sind immer drin“. Um den notwendigen Etat zu bestimmen, wird von der Agentur ein Ressourcenplan erstellt: Welche Kosten werden für welche Leistungen kalkuliert? Diese Aufstellung wird von vielen Kunden erwartet und ist auch für die Agentur selbst wichtig. Schlam­pereien bei dieser Kalkulation können richtig teuer werden, denn Mehrkosten können nor­maler­weise nicht dem Kunden in Rechnung gestellt werden. Zu teuer werden darf die Agentur aber auch nicht; der Preisdruck in der Branche ist enorm. Es gibt ver­schiedene Vergütungsmod­elle: Entweder wird der tatsächliche Aufwand abgerechnet oder eine Pauschale vereinbart. Häufig sind auch beide Elemente kombiniert.

Kreation, Umsetzung und Kontrolle

Ist der Auftrag endlich da, erhält die Agentur vom Kunden ein so genanntes Briefing. Briefings sind extrem un­ter­schiedlich aus­gestal­tet. Viele sind so floskelhaft und stan­dar­d­isiert, dass sie der Agentur zu wenig relevante In­for­ma­tio­nen über die kreative Marschroute liefern. Dann kommt der Planner ins Spiel: Er erarbeitet – in Abstimmung mit dem Unternehmen – den Creative Brief: eine Marken­strate­gie, eine Kern­botschaft und eine Vision für die Marke. Außerdem müssen natürlich die Zielgruppen genau bestimmt und beschrieben werden; die in Briefings üblichen Beschrei­bun­gen wie „Al­ters­gruppe von 16 bis 49“ reichen für eine passgenaue und er­fol­gre­iche Kampagne heutzutage nicht mehr aus. Erst jetzt kommen die Kreativen zum Zug: Sie entwickeln Ideen, die dafür sorgen, dass die Wer­be­botschaft an die Zielgruppe vermittelt wird und die Kom­mu­nika­tion­sziele (Aufmerk­samkeit generieren, Emotionen wecken usw.) erreicht werden. Zum Schluss werden die Ideen umgesetzt. Nach zahlreichen Ab­stim­mungsrun­den zwischen Kunde und Agentur werden Werbespots produziert, Motive fo­tografiert und Anzeigen gestaltet; die Kampagne ist fertig und wird der Öffentlichkeit präsentiert.

„Immer wieder treffen sich in der Um­set­zungsphase Kunde und Agentur zu Ab­stim­mungsrun­den.“

Natürlich macht die Er­fol­gskon­trolle auch vor der Werbung nicht halt: Viele Kampagnen werden schon im Vorfeld getestet (Pre-Tests), andere während der Kam­pag­nen­laufzeit (Tracking) oder danach (Post-Tests). In­ter­es­san­ter­weise ist ein er­fol­gre­icher Pre-Test noch lange kein Garant für eine wirksame Kampagne – rund 20 % der vorab negativ bewerteten Kampagnen sind am Markt hinterher trotzdem erfolgreich. Die Erklärung: Besonders Kreatives und damit Ungewohntes wird von den Test­per­so­nen zunächst abgelehnt, setzt sich aber langfristig trotzdem durch.

So kommen Sie rein

Der herkömmliche Wer­bekauf­mann hat ausgedient, die Ausbildung heißt inzwischen: Kaufmann/-frau für Mar­ket­ingkom­mu­nika­tion. Doch für die meisten Positionen in den Agenturen reicht diese Ausbildung nicht mehr aus, fast immer ist ein Studium nötig. Der klassische Quere­in­steiger (abge­broch­enes Studium, Weltreise, Taxifahrer, Agen­turkar­riere) ist heutzutage kaum noch anzutreffen; von den Bewerbern wird eine qual­i­fizierte Ausbildung erwartet. Der Beruf­se­in­stieg nach der Ausbildung ist außeror­dentlich anstrengend: Viele Absolventen drehen erst einmal zahlreiche Schleifen als schlecht oder gar nicht bezahlte Prak­tikan­ten, deren Aufgaben häufig wesentlich lang­weiliger und unspektakulärer sind als gehofft. Es gibt durchaus namhafte Agenturen, die den größten Teil ihrer Arbeit von ständig wechselnden Hal­b­jahre­sprak­tikan­ten erledigen lassen und nicht einsehen, für etwas zu bezahlen, das sie auch zum Nulltarif haben können. Es ist schwer, eine Fes­tanstel­lung zu ergattern, und für die, die es geschafft haben, sind ein enormer Leis­tungs­druck sowie 70-Stun­den-Wochen für kaum mehr als 1800 € nicht unüblich. Danach sind die Karrieremöglichkeiten oft begrenzt, weil viele Agenturen den Mittelbau ersatzlos gestrichen haben.

„Ruhm ist die Währung, in der berühmte Agenturen wie Jung von Matt hauptsächlich bezahlen.“

Trotz dieser wenig glamourösen Ar­beits­be­din­gun­gen können sich namhafte Agenturen vor Bewerbern kaum retten – es locken Ruhm und Ehre sowie ein großer Name, der als Kar­ri­ere­turbo dienen soll. Allerdings orientieren sich inzwischen gerade die guten Leute um und arbeiten lieber für Un­ternehmens­ber­atun­gen oder in den Mar­ketingabteilun­gen der Unternehmen. Die Branche muss also umdenken, und einige Agenturen haben damit bereits begonnen.

Über die Autoren

Heiko Burrack ist Dipl.-Kaufmann und hat früher als Kun­den­ber­ater für namhafte Wer­beagen­turen gearbeitet, bevor er die Seiten wechselte und heute sowohl Agenturen als auch Unternehmen in strate­gis­chen und operativen Fragen berät. Dr. Ralf Nöcker ist seit 2007 in der Un­ternehmen­skom­mu­nika­tion der Man­age­ment­ber­atung Kienbaum tätig, nachdem er vorher als Wirtschaft­sredak­teur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung u. a. über die Wer­be­branche berichtete.