Der Vater, ein Scharlatan
Geboren wurde John D. Rockefeller 1839 in der aufstrebenden Kleinstadt Richford, New York. Der Grossvater galt als gutmütiger Trinker, seine Grossmutter als zupackende Frau, die ihre Familie gut im Griff hatte und ein ausgeprägtes Interesse für Heilkräuter und selbstgemachte Arzneimittel hegte. Sein Vater, William, war ein vagabundierender Hausierer, der sich als taubstumm ausgab. Eliza, die Mutter Rockefellers, war von diesem romantischen Verkäufer von Träumen und Tand fasziniert und heiratete ihn gegen den Willen der Eltern. Die Ehe entwickelte sich zur Tragödie: William trennte sich nicht von seiner bisherigen Freundin, sondern machte sie zur Haushälterin. Abwechselnd zeugte er mit ihr und Eliza Kinder, verschwand immer wieder für Wochen und Monate. Mehr oder minder auf sich alleine gestellt, führte Eliza die Farm und kümmerte sich um die Kinder.
Jugend, Kirche, Schule
Nach einer Übersiedlung versuchte Johns Vater kurzfristig, ein gutbürgerliches Leben zu führen. Er gründete die Dorfschule, die sein Sohn schliesslich besuchte. Williams Beziehung zu Geld hatte auch einen starken Einfluss auf den jungen Rockefeller. Denn sein Vater hegte eine fast sinnliche Liebe zu Geld und liess oft dicke Bündel von Geldscheinen aus Spass durch seine Finger gleiten. Früh schickte er seinen noch jungen Sohn bereits Einkäufe erledigen und brachte ihm bei, dass man sein Gegenüber in geschäftlichen Angelegenheiten auch mit unfairen Mitteln übervorteilen dürfe. Zu jener Zeit lockte der Goldrausch bereits rund 90 000 Siedler nach Kalifornien - ein Vorgeschmack auf die spätere Erdöl-Hysterie.
Auf dem Weg zum Reichtum
Nach einem weiteren Umzug in die Nähe von Cleveland, Ohio, leitete William, den man wegen seiner verrückten Lebensweise auch "Devil Bill" nannte, die Trennung von seiner Familie ein. Er heiratete ein zweites Mal und entwickelte sich zum Bigamisten. John, der sich nunmehr um die Finanzen der Familie kümmern musste, konnte nicht wie geplant aufs College gehen und verliess die High-School zwei Monate vor dem Abschluss. Stattdessen besuchte er einen dreimonatigen Kurs auf einer Handelsschule. Anschliessend ging er in Cleveland auf Jobsuche: Sechs Tage pro Woche zog er über sechs Wochen lang korrekt gekleidet von Firma zu Firma, bis er schliesslich am 26. September 1855 eine Stelle als Buchführer bei einer Spedition erhielt. Zeit seines Lebens sollte er diesen Tag als "Job-Tag" feiern, begeisterter als seinen Geburtstag.
Der junge Wohltäter
Penibel führte John auch über seine persönlichen Finanzen Buch, im so genannten "Hauptbuch A". In diesem Dokument finden sich nicht zuletzt Beweise dafür, dass John schon im Alter von 16 Jahren wohltätig war. Bereits im ersten Berufsjahr spendete er demzufolge 6 % seines Gehalts für meist baptistische Wohltätigkeitsprojekte. Auch zeigt das Buch Rockefeller als Gegner der Sklaverei: Ein Farbiger erhielt Geld von John D., um seine Frau freikaufen zu können. Nach rund einem Jahr verliess der Berufsanfänger bereits die in finanziellen Schwierigkeiten steckende Spedition und gründete mit dem befreundeten Engländer Clark ein eigenes Handelshaus.
Der Baptist als Unternehmer
Diese erste Unternehmensbeteiligung entwickelte sich zum Erfolg. Rockefeller und Clark handelten mit Wagenladungen verschiedener Produkte. Schon nach einem Jahr hatte John sein Einkommen verdreifacht. Seine makellos christliche Lebensführung erhöhte zudem seine Kreditwürdigkeit bei Banken. Und der amerikanische Bürgerkrieg erwies sich für Rockefeller als Goldgrube. Er sah in dem nationalen Gemetzel eine Möglichkeit, weiteren Reichtum anzuhäufen. Da die Armeen rasch transportiert werden mussten, stellte die Regierung der Nordstaaten rund einem Dutzend Eisenbahngesellschaften die enorme Fläche von 158 Millionen Morgen zur Verfügung - ein weiterer Katalysator für Rockefellers Karriere: denn durch die Ausweitung des Bahnnetzes gelang es ihm, Preisnachlässe auszuhandeln, indem er die Eisenbahn-Gesellschaften gegeneinander ausspielte.
Der Einstieg ins Ölgeschäft
Mitte des 19. Jahrhunderts konnte mit Walfischtran die Nachfrage nach Lampenöl nicht mehr befriedigt werden. Durch die Freundschaft mit dem Chemiker Andrews, der in Cleveland als Erster Kerosin auf Erdölbasis produzierte, kam Rockefeller ins Ölgeschäft. Gemeinsam gründeten die beiden Partner eine Raffinerie. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes ermöglichte es Rockefeller darüber hinaus, das Öl auf dem Land- oder Wasserweg zu transportieren. Eine Machtposition, die ihn in die Lage versetzte, Vorzugstarife für seine Transporte auszuhandeln. Und dennoch blieb Rockefeller ein Mann mit Bodenhaftung: Aufgrund seiner Erziehung zur Sparsamkeit konnte man den aufstrebenden Wirtschaftsführer oft um halb sieben Uhr morgens selbst Fässer rollen sehen. Aus den Abfallprodukten seiner Raffinerie erzeugte er später Düngemittel, und als Fässer knapp und dadurch teurer wurden, beschloss er, Fässer auf eigene Faust herzustellen. Auch wenn ihm die Exploration von Ölvorkommen als zu riskant erschien - dass das Raffinieren von Erdölprodukten seinen Einfluss auf die Branche insgesamt stärken könne, war ihm durchaus bewusst.
Der Ölrausch
1865 wurde bei Pithole Creek ein gewaltiges Ölvorkommen entdeckt. Innerhalb weniger Monate wurde aus dem verschlafenen Pioniernest mit vier Blockhäusern eine Stadt mit 2000 Einwohnern. Da Partner Clark die Expansionspläne von Rockefeller nicht unterstützte, trennten sich John D. und Andrews von ihm. Bei einer Auktion erwarb Rockefeller die Anteile Clarks an der Raffinerie. Zum Ende des Bürgerkrieges war praktisch die gesamte Ölindustrie der Welt im westlichen Pennsylvania konzentriert, zwei Drittel des Öls aus Cleveland gingen nach Übersee. Durch die exorbitanten Rabatte, die Rockefeller als führender Raffinerie-Boss den Eisenbahngesellschaften abtrotzte, zog er sich den Ärger kleinerer Unternehmen zu. Nach Meinung vieler sollte das Eisenbahnsystem zu einer Art von öffentlichem Verkehrsmittel werden, das niemanden bevorzugt. Vergünstigungen, die die Bahngesellschaften Rockefeller einräumten, wurden erst 20 Jahre später gesetzlich verboten.
Die Verschwörung
Durch immer neue Ölfunde brachen die Rohölpreise innerhalb von nur zwei Jahren um vier Fünftel ein. Der Ölrausch der vergangenen Jahre hatte die Kapazität der Raffinerien dreimal höher geschraubt, als Rohöl gefördert werden konnte. Rockefeller entschied, sich in vielen anderen Raffinerien einzukaufen. Oft zahlte er für eine Raffinerie nur ein Viertel der Baukosten, nicht mehr als den Schrottwert. Ab 1870 ersetzte eine Aktiengesellschaft mit dem Namen Standard Oil die bisherige Teilhaberschaft, Rockefeller wurde ihr Präsident. In diese Zeit fiel auch eines der dunkelsten Kapitel seines Lebens: Die drei mächtigsten Eisenbahngesellschaften und wenige Raffinerien - und hier vor allem Standard Oil - gründeten ein Kartell. Seine Mitglieder erhielten bis zu 50 % Rabatt bei Öl-Transporten. Für Nichtmitglieder wurden die Transportpreise hingegen drastisch erhöht. Diese eingeleitete Verschwörung löste heftige Proteste aus: Arbeitsniederlegungen und Kundgebungen mit tausenden Teilnehmern waren die Folge. Unter diesem Druck musste schliesslich das Kartell wieder aufgelöst werden. Rockefeller selber hatte zu dieser Zeit der Panik in der Raffineriebranche aber bereits vorgesorgt - denn 22 seiner 26 Konkurrenten in Cleveland gehörten bereits zu seinem weiter wachsenden Wirtschaftsimperium.
Im Spinnennetz der Pipelines
Die Entwicklung zum Bau immer längerer Öl-Pipelines bedrohte in Rockefellers Augen sein bis dato gut funktionierendes System zwischen Raffinerien und Eisenbahngesellschaften. Folgerichtig beschloss er, Pipelines in eigener Regie errichten zu lassen. Durch die bald konkurrenzlose Position auf dem Transportsektor verschaffte sich Rockefeller eine enorme Machtfülle. Denn hatte jemand Ölvorkommen entdeckt, waren diese allein wertlos, solange er sich nicht einem Pipeline-System anschliessen konnte. Weniger hart und gnadenlos als gegenüber Konkurrenten trat Rockefeller im eigenen Unternehmen auf. Personalfragen hatten für ihn hohen Stellenwert und er sah es gerne, wenn Mitarbeiter Aktien von Standard Oil erwarben. Rockefeller stellte dafür sogar viel Kapital zur Verfügung. Krankengeld und Altersversorgung wurden bei dem Wirtschaftsmagnaten zur festen Einrichtung.
Im Konflikt mit dem Gesetz
1879 kontrollierte Rockefeller 90 % des in den Vereinigten Staaten raffinierten Erdöls, dem Konzern gehörte fast das gesamte Pipelinenetz. Einige hundert unbedeutende Raffinerien duldete Rockefeller - auch um eine Konkurrenz vorzutäuschen, die es bereits nicht mehr gab. Als jedoch neue Ölfunde entdeckt wurden und die Produzenten ihre Fördermengen dennoch nicht kürzten, kam Rockefeller mit dem Gesetz in Konflikt: Als alle Tanks voll waren, kündigte Standard Oil an, Öl nur mehr zur sofortigen Lieferung an die Raffinerien abzunehmen. Der gebotene Preis dafür lag 20 % unter dem aktuellen Preisniveau. Die Ölförderer reagierten wütend - gegen Rockefeller und andere Manager wurde Anklage wegen des Verdachts der Verschwörung zur Monopolisierung erhoben. Rockefeller musste sich mit den Ölproduzenten einigen.
Die Trusts
Noch handelte es sich bei Standard Oil um einen Flickenteppich rechtlich unabhängiger Unternehmen, die in Wahrheit jedoch zentral gelenkt waren. Als in Ohio ansässige Firma konnte Standard Oil keine Unternehmen in anderen Bundesstaaten besitzen. Daher wurden drei mittlere Manager als Treuhänder der Anteile an Tochterunternehmen eingesetzt. Später gründete Standard Oil in jedem Bundesstaat eigene Firmen, die in einer Art Holding zusammengefasst waren. Da die grenzenlose Macht dieses Trusts aber viele Bürger misstrauisch werden liess, geriet Rockefeller immer wieder ins Blickfeld staatlicher Untersuchungsausschüsse. Ende der 80er Jahre wurde eine Flut von Anti-Trust-Gesetzen beschlossen, die die Zusammenarbeit von Unternehmen in Gestalt von Wirtschaftsmonopolen untersagten. Standard Oil verfolgte indessen weiter seine bisherige Geschäftspolitik.
Der Rückzug
Um das Jahr 1895 zog sich Rockefeller aus der Konzernzentrale am Broadway 26 zurück und übergab die Führung an seinen loyalen Kampfgefährten John D. Archbold. Im Ruhestand entwickelte der früher so ernste Rockefeller erstaunlich viel Enthusiasmus für Spass und Spiel. Bald schon entdeckte er sein Talent für Golf. Kaum am Fairway eingetroffen, begann Rockefeller herumzualbern, zu singen und Anekdoten zu erzählen. Kurz: John D. entwickelte sich durch den Rasensport zu einem geselligen Menschen. 1901 hatte Rockefeller alle Haare verloren und entwickelte mit der Zeit eine Vorliebe für Perücken. Er trug Modelle mit verschiedenen Haarlängen, um auf diese Weise Friseurbesuche vorzutäuschen.
Die Zerschlagung
Unter Präsident Roosevelt wurden die Anti-Trust-Massnahmen verschärft. Um die politischen Angriffe und das Misstrauen gegen seine Person abzuwehren, steckte Rockefeller mehr finanzielle Mittel in öffentliche Einrichtungen. So spendete er 61 Millionen Dollar für den Aufbau des Rockefeller Institute of Medical Research. Der Erfolg blieb allerdings aus - 1911, nach einem fünfjährigen Prozess, wurde Standard Oil zerschlagen. Paradoxerweise wurde Rockefeller trotz dieser Zerschlagung noch reicher, er wurde der erste Beinahe-Milliardär der Geschichte. Darüber hinaus waren viele der neuen Teilunternehmen weiter erfolgreich, darunter Standard Oil of New Jersey (Exxon) oder Standard Oil of New York (Mobil). Rockefellers erklärtes Ziel, hundert Jahre alt zu werden, verfehlte er nur knapp: Er starb 1937, sechs Wochen vor seinem 98. Geburtstag.