Polit-Engineering
Unsere Gesellschaft besteht aus äußerst komplexen Systemen, die sich auch auf die Aufgaben von Führungskräften auswirken. Daher müssen diese jenseits der praktischen Führungserfahrung Kenntnisse über politische und soziale Systeme besitzen. Zum so genannten „Polit-Engineering“ gehören Wissensgebiete wie Gruppenprozesse, Umgang mit Macht, Konfliktbewältigung oder Normen und Gesetze. Als Führungskraft sind Sie aufgerufen, nicht mehr nur unternehmensinterne Systeme zu managen, sondern zunehmend auch Ihre Rolle im politischen Umfeld wahrzunehmen.
Von der Gruppe zum Team
Als Führungskraft müssen Sie häufig aus Gruppen Teams entwickeln. Eine Gruppe besteht aus einer Vielzahl von Individuen mit einem gemeinsamen Ziel. Ein Team hingegen besteht aus wenigen Individuen, ist im Idealfall gut eingespielt und bearbeitet gemeinsam bestimmte Aufgaben. In jeder Gruppe gibt es dynamische Entwicklungen und bestimmte Rollen. Erst die Verkörperung dieser festgelegten und in jeder Gruppe vorkommenden Rollen bewirkt, dass eine Gruppe arbeitsfähig ist. So gibt es den Führer bzw. das Alphatier oder den informellen Führer, der auch als Betatier bezeichnet wird. Weitere Rollen sind: der Beliebte, der Tüchtige und der Sündenbock. Aus einer Gruppe wird dann ein Team, wenn die Rollenzuordnungen erfolgt sind und sich die Gruppenmitglieder mehr um Sachaufgaben kümmern können als um ihre persönlichen Abgrenzungen oder Befindlichkeiten.
„Über Strategeme spricht man nicht. Man wendet sie an!“
Jede Gruppe durchläuft verschiedene inhaltliche Phasen: testen, kämpfen, organisieren, arbeiten. Ein Teamleiter, der das weiß, gibt einem neuen Team zu Anfang am besten eine „Dummy-Aufgabe“. Im Rahmen ihrer Bearbeitung wird sich die Hackordnung der Gruppe festlegen. Erst danach ist sie wirklich arbeitsfähig. Dann können echte Aufgaben erfolgreich bewältigt werden.
Ethik und Moral
Das Zusammenleben der Menschen wird durch ethische Vorstellungen, Moral und Tugenden bestimmt und diese werden kulturell überaus unterschiedlich ausgelegt. Ethik und Moral stabilisieren eine Gesellschaft. Wo sie bröckeln, ist Raum für Orientierungslosigkeit, unmoralisches Handeln und Sittenverfall. Gerade in der Politik können unliebsame Gegner leicht mit der Moralkeule zur Strecke gebracht werden. In den USA stolpern Politiker häufig über Sexskandale, ob diese nun wahr oder erfunden sind. In Europa hingegen straucheln sie eher über Korruptions- oder Finanzaffären. Die Medien spielen dabei meist eine ambivalente Rolle: Sie decken einerseits Skandale auf, werden aber andererseits auch häufig instrumentalisiert und machen sich zum Mittäter des „sozialen Todes“, den das Medienopfer stirbt.
Macht
Macht ist etwas sehr Zwiespältiges. Einerseits benötigen Sie Macht, um Ziele zu erreichen und Veränderungen durchzusetzen. Andererseits wird Macht häufig missbraucht und zu unlauteren Zwecken angestrebt und eingesetzt. Im deutschen Sprachraum ist Macht eher negativ besetzt. Power oder Pouvoir haben dagegen eine positive Bedeutung. Macht kann auf Repression, Belohnung oder Loyalität basieren. In jedem Fall benötigt sie Akzeptanz – auch durchaus stillschweigende –, um zu wirken. Macht kann verschiedene Quellen haben: Beziehungen, Wählerstimmen, Autorität, Persönlichkeit oder materieller Besitz. Gestörte Persönlichkeiten brauchen Macht, um ihre Komplexe wie z. B. geringe Körpergröße oder eine schlechte Kindheit zu kompensieren. Mit Macht vernünftig umgehen kann nur derjenige, der über ein stabiles Selbstbewusstsein verfügt und nicht von Minderwertigkeitsgefühlen getrieben ist.
„Das bewährte militärische Schema ,KKK‘ (Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren) bewährt sich auch in zivilen Bereichen immer wieder.“
Im unternehmerischen Umfeld kann man Macht demonstrieren, indem man z. B.:
- den Gegner unterbricht bzw. nicht ausreden lässt,
- die Ideen des Gegners sachlich angreift,
- Präsenz markiert und in Besprechungen viel Redezeit in Anspruch nimmt,
- viele Prestigeaufgaben übernimmt,
- deutlich demonstriert, dass man eine Aufgabe besser macht als der Gegner
- Aufgaben delegiert,
- Fragen stellt,
- Ideen des Gegners heruntermacht.
„Beziehungen sind nicht nur wichtig zur Durchsetzung der eigenen Entscheide, sondern auch zur Absicherung der eigenen Position.“
Solche Angriffe lassen sich parieren, indem man:
- Nein sagt,
- sich auf die Metaebene begibt und auf das, was da gerade auf der Kommunikationsebene abläuft, hinweist,
- den Gegner ins Leere laufen lässt,
- ihn ignoriert,
- den Gegner vor vollendete Tatsachen stellt,
- die Zusammenarbeit beendet.
„In der Firma, in der Sie Karriere machen wollen, hat Ihre Frau nichts zu suchen.“
Wer einmal Macht erlangt hat, wird sich immer bemühen, diese abzusichern. Dabei helfen verschiedene Methoden, beispielsweise die Bildung von Seilschaften, die Neubesetzung wichtiger Posten, das Erlassen neuer Regeln, die es für Rivalen schwieriger machen, ebenfalls aufzusteigen, oder schließlich der Einsatz eines „Fall-Man“, eines ausgewählten Bauernopfers, das den Kopf hinhalten muss, wenn es brenzlig wird.
„Konflikte sind manchmal produktiv nutzbar.“
Oft zeigt sich Macht von ihrer negativen Seite. Falsch ausgeübte Macht kann unterlaufen werden, indem man Widerstand gegen Positions- und Rangmissbrauch leistet, oder indem man vorhandene Oppositionen unterstützt. Wer als Führungskraft zu Macht gelangt ist, sollte diese als nur geliehen ansehen und versuchen, sie im positiven Sinne einzusetzen.
Konflikte bearbeiten
Konflikte sind nicht per se negativ. Sie können in zwei unterschiedlichen Dimensionen betrachtet werden: vor dem psychologischem Hintergrund und unter Gesichtspunkten der Spieltheorie.
„Gemeinsame Feinde und gemeinsame Geschäfte verbinden. Deshalb sind Gruppen interessiert, sich zur Erreichung gemeinsamer Ziele zusammenzuschließen.“
Konflikte lassen sich dann am besten lösen, wenn sie nahe am tatsächlichen Konfliktobjekt ausgetragen und nicht über eine „hidden agenda“ verkompliziert werden. Nur wirklich Beteiligte sollten an einer Konfliktlösung arbeiten. Zu viele marginal Betroffene erschweren die Lösungsfindung. Konflikte lassen sich am besten beilegen, wenn es allen Beteiligten gelingt, sachlich über die Ursachen des Konflikts zu sprechen und die Emotionen nicht überhand nehmen zu lassen. Wer sich mit Aggressionen – ob physisch oder verbal – zurückhalten kann, hat gute Chancen auf die Beilegung eines Konflikts. Eine Alternative ist es, einen Mediator hinzuzuziehen, der für eine sachlichere Auseinandersetzung sorgen kann.
„Die Hauptfunktion des Chefs besteht in der Koordination seiner Mitarbeiter, damit sie gemeinsam mit anderen beteiligten Gruppen die Ziele der Organisation erreichen.“
In der Spieltheorie gibt es andere Ansätze der Konfliktlösung. Das bekannte Beispiel „Tit for tat“ (Wie du mir, so ich dir) gilt als dauerhaft beste Strategie. Dieses besagt, dass Sie zunächst kooperieren, in weiteren Spielen/Aktionen/Geschäften aber jeweils genauso reagieren, wie Ihr Partner.
„Macht, die nicht ausgeübt wird, geht mit der Zeit verloren.“
Das Harvard-Konzept ist eine Verhandlungs- und Konfliktlösungsmethode, bei der der zu verteilende Kuchen zunächst vergrößert und erst dann aufgeteilt wird. Hierbei geht es darum, die tatsächlichen Interessen der streitenden oder verhandelnden Parteien herauszufinden, um danach eine gemeinsam getragene Lösung zu entwickeln.
„Wer Erfolg haben will, muss Leistungen erbringen, die die Gesellschaft honoriert.“
Konflikten, die mit Mobbing einhergehen, sollte man am besten mit einem Coach begegnen, damit die eigene Psyche keinen Schaden nimmt. Als Führungskraft sollten Sie in Mobbingfällen mit harter Hand durchgreifen.
Strategeme einsetzen
Die Chinesen setzten bereits 500 Jahre v. Chr. listig und trickreich so genannte Strategeme ein, um in Krieg, Handel und Wirtschaft erfolgreich zu sein. Sie dienen dazu, das eigene Ziel zu erreichen und, wo nötig, dem Gegner zu schaden. 36 dieser Handlungsmuster sind bekannt und auch heute noch im Einsatz, z. B.: „Den Tragbalken stehlen und die Stützpfosten austauschen.“ Man findet dieses Strategem heutzutage umgesetzt, wenn Unternehmen übernommen, ausgehöhlt und zerstückelt verkauft werden. Zurück bleibt eine Firmenhülle, die wertlos ist.
„Wer wirtschaftet, ist mit Politik konfrontiert. Wer weitreichende wirtschaftliche Entscheide trifft, handelt politisch.“
Bei uns wird die Strategie der List zwar häufig als moralisch zweifelhaft bewertet; in China wird sie viel positiver gesehen. In Führungspositionen und in der Politik tut man gut daran, die Strategeme zu kennen und zu beherrschen.
Die eigentliche Führungsarbeit
Mitarbeiter wollen geführt werden. Sie brauchen Anleitung, Feedback, Lob und angebrachte Kritik, um sich entwickeln zu können. Als Führungskraft ist es Ihre Aufgabe, Ihren Mitarbeitern den Sinn der Arbeit in ihrer Abteilung zu vermitteln. Sie sind gefordert zu kommunizieren, eine klare Vision zu vermitteln, Vertrauen zu erwerben und Position zu beziehen. Dabei lassen sich Ihr Menschenbild und Ihre Einstellungen an Ihrem Führungsverhalten ablesen. Mit Kommandieren allein ist es nicht getan. Sie sollten Fragen stellen, um zu führen und zu verstehen. Und Sie sollten für Klarheit in der Sache und in der Sprache sorgen. Unklare Aufträge führen zu unklaren Ergebnissen.
„Probleme sind Chancen. Wo es große Probleme gibt, gibt es auch große Bedürfnisse und damit große Chancen und große Geschäftspotenziale. Man muss sie nur wahrnehmen.“
Darüber hinaus gilt es, über die Identifikation der Mitarbeiter mit Ihnen und der Firma Macht aufzubauen, diese durch Netzwerke abzusichern und mit klarer Zielsetzung Leistung einzufordern. Lernen Sie, Mobbing zu erkennen und hart durchzugreifen, lernen Sie, sich von unbrauchbaren Mitarbeitern zu trennen, und hüten Sie sich vor verwandtschaftlichen oder zwischengeschlechtlichen Beziehungen in der Firma.
Politische Verantwortung übernehmen
Als Führungskraft treffen Sie Entscheidungen, mitunter solche, die weit über Ihr Unternehmen hinaus Auswirkungen in Wirtschaft und Gesellschaft haben. Sie handeln dann, ohne es vielleicht zu beabsichtigen, politisch. Auch alle Führungskräfte kleinerer Unternehmen sind dazu aufgerufen, sich politisch zu engagieren. Sei es durch die Wahrnehmung des Stimm- und Wahlrechts, durch Zivilcourage, durch zivilen Ungehorsam oder auch durch „Whistle-Blowing“ (Verpfeifen), wenn ein Vorgesetzter kriminell handelt. Eine eigene Meinung zu vertreten, erfordert Selbstbewusstsein und Standhaftigkeit. Sie sollten die Politik nicht allein den Berufspolitikern überlassen, sondern, da Sie als Führungskraft dazu prädestiniert sind, selber politisch aktiv werden.