Die Schattenseiten des Wachstums
Bis 2030 wird das „weltweite Bruttoinlandsprodukt“ voraussichtlich um 130 % wachsen und der Ressourcenverbrauch um die Hälfte zunehmen. 20 Jahre später werden nach Einschätzung der Vereinten Nationen neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Die meisten Forscher sind sich einig, dass als Folge dieser Entwicklung ein durchschnittlicher Temperaturanstieg von zwei Grad nicht mehr zu vermeiden ist. Ohne eine radikale Umkehr wird er in der zweiten Jahrhunderthälfte jedoch drei bis fünf Grad betragen. Fünf Grad entsprechen gerade mal der Temperaturspanne, die uns von der letzten Eiszeit entfernt. Um katastrophale Entwicklungen zu verhindern, dürfen die CO2-Emissionen ab 2050 nur noch höchstens 20 % des Niveaus von 1990 erreichen. Das entspricht jener Menge, die von Pflanzen absorbiert werden kann. Dieses ehrgeizige Ziel können wir nur erreichen, wenn wir die vorhandenen Rohstoffe viel effizienter nutzen. Je später wir damit beginnen, desto drastischer muss der jährliche Ausstoß an Klimagasen reduziert werden.
Nachhaltigkeit dank Ressourcenproduktivität
Ziel einer nachhaltigen Entwicklung ist es, die Bedürfnisse aller Menschen zu erfüllen – nicht nur der jetzigen, sondern auch der zukünftigen Generationen. Nachhaltigkeit hat drei Dimensionen:
- Ökologie: Luft- und Wasserqualität, Artenvielfalt, Quantität und Qualität von Rohstoffen.
- Ökonomie: Infrastruktur, Maschinen und Gebäude (Sachvermögen) sowie menschliches Wissen (Humankapital).
- Gesellschaft: wirksame Institutionen, die einen sozialen Ausgleich gewährleisten (z. B. Steuer- und Sozialversicherungssysteme).
„Die Perspektiven für die künftige Entwicklung der menschlichen Zivilisation sind widersprüchlich und im Ergebnis bedrückend.“
In einer idealen nachhaltigen Welt gibt jede Generation genau so viel Sozial-, Natur- und Wirtschaftskapital an die nächste weiter, wie sie selbst empfangen hat. In der Praxis ist das jedoch u. a. deshalb schwierig, weil es keine verlässlichen Methoden gibt, um den Wert des Naturkapitals zu bestimmen. Die Weltbank hat zwar ein Verfahren entwickelt, das alle drei Kapitalarten in Zahlen ausdrückt. Ein Verlust an Naturkapital besteht demnach vorwiegend in der Entnahme von Rohstoffen und kann durch einen Gewinn an Wirtschaftskapital ersetzt werden. Dieses Konzept der „schwachen Nachhaltigkeit“ eignet sich aber nicht dazu, der Forderung nach mehr Naturschutz Nachdruck zu verleihen. Das Konzept der „starken Nachhaltigkeit“ auf der anderen Seite verbietet jede Form von Substitution. Nicht erneuerbare Stoffe wie Metalle dürften danach überhaupt nicht verbraucht werden. Praktikabel ist letztlich nur eine abgemilderte Version, die gewisse Formen der Substitution zulässt: Grünflächen dürfen asphaltiert werden, wenn man dafür an anderer Stelle Naturschutzgebiete schafft.
Die Innovationsstrategie
In einem dynamischen Wettbewerb wächst die Wirtschaft zwangsläufig. Die Forderung nach einem Wachstumsstopp aus Gründen der Nachhaltigkeit ist deshalb illusionär. Ebenso unrealistisch ist aber auch die Vorstellung, nachsorgende Umweltmaßnahmen wie der Einbau von Filtersystemen und Kläranlagen würden ausreichen, um zukünftigen Generationen eine heile Umwelt und Lebensgrundlage zu erhalten. Der einzige Weg zu nachhaltigem Wachstum liegt in der Verbesserung der Ressourcenproduktivität: Der Energie- und Rohstoffeinsatz muss sinken, ohne dass es gleichzeitig mit der Wirtschaft bergab geht. Dazu braucht es Innovationen.
„Wenn wir uns für eine ökologisch soziale Marktwirtschaft als Ordnungsrahmen entscheiden, entfällt die Option, die Welt durch Absenkung des Konsumniveaus insgesamt zu retten.“
Das menschliche Verhalten in Bezug auf die Umwelt lässt sich am einfachsten über den Preis regeln, der für deren Nutzung erhoben wird. Der Nachteil vieler so genannter Ökosteuern ist jedoch, dass sie ziemlich einseitig die Verbraucher belasten. Eine Alternative zur Besteuerung liegt in der Einrichtung von Umweltmärkten: Hier wird eine zuvor bestimmte Menge an Nutzungsrechten versteigert, deren Preis durch die Nachfrage geregelt wird. Der Staat kann die eingenommenen Gelder z. B. dazu verwenden, Steuern und Abgaben zu senken. Außerdem gibt es das Modell, das beim europäischen Handel mit CO2-Emissionszertifikaten praktiziert wird: Unternehmen erhalten einen bestimmten Anteil an Zertifikaten kostenlos zugeteilt und können dann nach Bedarf zu- und verkaufen. Im Idealfall ließe sich die Nutzung der Natur durch eine Verbindung von Abgaben und Umweltzertifikaten optimal steuern. Nur: Märkte funktionieren niemals perfekt. Die mangelnde Flexibilität der Marktteilnehmer führt beispielsweise dazu, dass zwar die Preise für CO2-intensive Güter steigen, diese deswegen aber trotzdem nicht durch umweltfreundlichere ersetzt werden. Folgende Ergänzungen sind deshalb nötig:
- Kennzeichnung der Energieeffizienz von Produkten: Bei Kühlschränken und Waschmaschinen funktioniert dieses System bereits hervorragend.
- Beratung für Unternehmen: Qualifizierte Ingenieure aus externen Beratungsagenturen können vor allem kleinen und mittleren Firmen bei der Effizienzsteigerung helfen.
- Förderung der Kooperation zwischen Unternehmen: Technische Innovation entsteht durch interdisziplinären Austausch. Ein Hersteller von Konsumgütern sollte z. B. eng mit dem Unternehmen zusammenarbeiten, das die Maschinen für seine Produktion baut.
- Ordnungspolitische Maßnahmen: In Ausnahmefällen kann der Staat sich nicht auf marktwirtschaftliche Instrumente verlassen. Allerdings sind verbindliche Gesetze meist sehr kostenintensiv und wenig effizient.
Branchen mit Potenzial
Wir müssen nicht weniger, aber anders konsumieren. Am effektivsten lässt sich im Energiesektor sparen. Kleine Einsparungen bei der Mobilität bewirken ebenfalls einen großen Rückgang des Ressourcenverbrauchs. Beim Kauf von Bekleidung dagegen macht sich der Verzicht am wenigsten bemerkbar. Ähnliche Berechnungen lassen sich für die Industrie anstellen: Welche Wirkung hat eine einprozentige Effizienzsteigerung in einer bestimmten Branche auf den gesamtwirtschaftlichen Rohstoffverbrauch? Wieder liegt die Energieerzeugung vorn, gefolgt von der Bau-, Metall- und Nahrungsmittelindustrie. In 59 Branchen lassen sich 70 % des Rohstoffverbrauchs allein durch Einsparungen von jeweils 1 % in den ersten zehn Industrien erzielen, die allesamt den Grundstoff- und Investitionsgüterindustrien zuzurechnen sind. Auf diese zehn müssen sich die Einsparungsbemühungen konzentrieren. Großes Potenzial für mehr Nachhaltigkeit liegt auch in den folgenden Schlüsseltechnologien:
- Die Nanotechnologie ermöglicht die Entwicklung neuer Materialien und Werkstoffe, etwa leichterer Metalle oder leistungsfähigerer Dämmstoffe.
- Die Bionik, ein Forschungszweig der Biotechnik, nimmt sich die Natur als Vorbild für technische Lösungen, z. B. für die Leichtbaukonstruktion.
- Informations- und Kommunikationstechnologien steigern die Effizienz von wirtschaftlichen Prozessen. In Zukunft wird man die Telematik verstärkt zur Steuerung des Straßenverkehrs einsetzen.
- Regenerative Energietechnologien, darunter Sonne, Wind, Wasser, Geothermik und die Verbrennung von Biomasse, könnten den gesamten Strombedarf Deutschlands decken, sobald sie in der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber herkömmlichen Energien aufholen.
Staatliche Maßnahmen
Naturschutz ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche und soziale Dimension kann kontraproduktiv sein. Ein Beispiel ist der EU-weite Handel mit Klimagaszertifikaten: Angenommen, die Zertifikate würden nicht frei verteilt, sondern vom Staat versteigert und die Einnahmen in die Sozialversicherung gesteckt, könnten die betroffenen Unternehmen nicht mehr mit außereuropäischen Wettbewerbern konkurrieren und würden ihre Produktion in Länder verlagern, in denen geringere Auflagen gelten. Für das Weltklima wäre dadurch nichts gewonnen. Darum sollte der Staat das eingenommene Geld in Abhängigkeit zur Produktionsmenge oder zum Gesamtumsatz an die Unternehmen zurückerstatten. Die Wirtschaft als Ganzes würde nicht belastet, Unternehmen mit geringeren Emissionen aber würden belohnt und solche mit höheren bestraft. Der Emissionshandel lässt sich auch auf Privatpersonen ausdehnen: Jeder Verbraucher erhält kostenlos eine Karte, auf der seine Emissionsberechtigungen gespeichert sind. Beim Kauf von Sprit, Strom, Heizöl oder bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel werden diese abgebucht. Wenn er mehr benötigt, kann er sie sparsameren Zeitgenossen abkaufen oder im umgekehrten Fall verkaufen. Das System motiviert unmittelbar zum Energiesparen und ist sozial gerechter als eine Besteuerung der Haushalte, die Menschen mit niedrigeren Einkommen immer am stärksten trifft.
„Das wirtschaftliche Wachstum in den Entwicklungsländern muss uns hochwillkommen sein, weil nur so eine Chance besteht, die erdrückende Armut dort zu beseitigen, die die entscheidende Ursache des anhaltenden Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt ist.“
Staatliche Subventionen verhelfen innovativen Technologien zum Durchbruch. Die Förderung von Energiesparhäusern etwa ist sinnvoll, da Privathaushalte allein durch Dämmung, Dreifachverglasung und effizientere Heizungsanlagen ihren Energieverbrauch mehr als halbieren können. Wenn marktwirtschaftliche Instrumente nicht greifen, muss der Staat den Unternehmen gesetzlich vorschreiben, dass alle Einsparpotenziale genutzt werden. Denkbar ist der in Japan bewährte Ansatz: Das effizienteste Produkt am Markt wird zum Standard erklärt, an dem sich alle Wettbewerber zu orientieren haben. Japan hat mit diesem System die Energieeffizienz von Klimaanlagen um 63 % und die von Computern um 83 % erhöht.
„Europa und insbesondere Deutschland sind für die Innovationsstrategie aufgrund der bestehenden wirtschaftlichen Strukturen gut aufgestellt.“
Schließlich müssen die Bildungsausgaben drastisch erhöht werden. Zwar wird der demografische Wandel dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit unter den gering und mittelmäßig Qualifizierten zurückgeht. Die Nachfrage nach hoch qualifizierten Kräften aber wird das Angebot schon bald übertreffen, vor allem wenn die Maßnahmen zur Steigerung der Ressourcenproduktivität umgesetzt werden.
Globale Perspektiven
Verschiedene Modellrechnungen für Europa kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Innovationsstrategie bringt Vorteile für Wirtschaft und Umwelt. Was wir brauchen, ist jedoch ein globaler Ansatz. Zwar wirken sich Produktinnovationen und ein geringerer Ressourcenverbrauch in Europa auch weltweit aus. Gelegentliche Überschwappeffekte genügen aber nicht, um die globale Katastrophe zu verhindern. Im Gegenteil: Einheimische Produzenten, denen starke Vermeidungskosten auferlegt werden, könnten ins Ausland abwandern und dort die Umwelt noch stärker verschmutzen als zuvor. Internationale Rahmenvereinbarungen haben deshalb absolute Priorität. Das viel geschmähte Kyoto-Protokoll gibt einen Weg vor, der sich ausbauen ließe. Deshalb müssen die Unterzeichnerstaaten – EU-Länder, Russland, Japan und Neuseeland – die USA, Schwellen- und Entwicklungsländer mit einbeziehen. Schon 2020 werden allein China und Indien genauso viele Klimagase produzieren wie Europa und Nordamerika. Noch beharren diese Länder auf ihrer Position, dass sie einen berechtigten Nachholbedarf in Sachen Ressourcenverbrauch haben. Die westlichen Industrieländer sollten deshalb finanzielle Anreize und ernsthafte, an klimapolitische Ziele geknüpfte Vorschläge für einen Technologietransfer anbieten.