Wie muss die Wirtschaft umgebaut werden?

Buch Wie muss die Wirtschaft umgebaut werden?

Perspektiven einer nachhaltigeren Entwicklung

Fischer Tb,


Rezension

Naturschützer und Wirtschaft­sex­perten scheinen oft auf ver­schiede­nen Planeten zu leben. Die einen fordern radikalen Kon­sumverzicht und drastische Umweltau­fla­gen, während die anderen die wirtschaftliche Wet­tbe­werbsfähigkeit beschwören. Die große Leere dazwischen ist Ausdruck eines Dilemmas: Wie lassen sich die Bedürfnisse einer wachsenden, wohlhaben­deren Weltbevölkerung mit dem dringend notwendigen Klima- und Umweltschutz vereinbaren? Die Antwort, die Bernd Meyer gibt, lautet: Indem wir unseren Rohstof­fver­brauch drastisch reduzieren und ihn vom globalen Wirtschaftswach­s­tum abkoppeln. Anhand von Statistiken, Mod­ell­rech­nun­gen und konkreten Vorschlägen für politische Maßnahmen zeigt der Volk­swirtschaftler sehr plausibel und nachvol­lziehbar, wie nach­haltiges Wachstum gelingen kann. BooksInShort findet, dass das Buch eine wichtige Brücke zwischen Ex­trem­po­si­tio­nen auf beiden Seiten schlägt, und empfiehlt es wärmstens allen Entschei­dungsträgern in Wirtschaft und Politik sowie allen, die sich für eine ökologische Wirtschaft­spoli­tik in­ter­essieren.

Take-aways

  • Weltwirtschaft und -bevölkerung werden weiter wachsen – und damit auch der Rohstof­fver­brauch und die Umwelt­be­las­tung.
  • Wenn nichts geschieht, steuern wir ungebremst in eine gigantische Umweltkatas­tro­phe.
  • Spätestens ab 2050 darf weltweit nur noch so viel CO2 produziert werden, wie von den Pflanzen absorbiert werden kann.
  • Nach­haltiges Wachstum bedeutet nicht zwangsläufig Verzicht auf Wohlstand.
  • Wirtschaftswach­s­tum und Ressourcenver­brauch müssen entkoppelt werden.
  • Dies lässt sich mithilfe einer In­no­va­tion­sstrate­gie umsetzen: Technische In­no­va­tio­nen ermöglichen eine ef­fizien­tere Nutzung von Rohstoffen.
  • Ein geändertes Kon­sumver­hal­ten führt zur Produktion sparsamerer Güter.
  • Gelenkt wird diese Entwicklung durch Ökosteuern und Märkte für die Nutzung der Umwelt, z. B. den europäischen Handel mit CO2-Zer­ti­fikaten.
  • Gesetze, Sub­ven­tio­nen und Be­ratung­spro­gramme für mehr En­ergieef­fizienz in Unternehmen ergänzen diese Maßnahmen.
  • Sinnvoll ist nur ein globaler Ansatz. Die Schwellenländer müssen durch Tech­nolo­gi­etrans­fer stärker in den Umweltschutz einbezogen werden.
 

Zusammenfassung

Die Schat­ten­seiten des Wachstums

Bis 2030 wird das „weltweite Brut­toin­land­spro­dukt“ vo­raus­sichtlich um 130 % wachsen und der Ressourcenver­brauch um die Hälfte zunehmen. 20 Jahre später werden nach Einschätzung der Vereinten Nationen neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Die meisten Forscher sind sich einig, dass als Folge dieser Entwicklung ein durch­schnit­tlicher Tem­per­at­u­ranstieg von zwei Grad nicht mehr zu vermeiden ist. Ohne eine radikale Umkehr wird er in der zweiten Jahrhun­derthälfte jedoch drei bis fünf Grad betragen. Fünf Grad entsprechen gerade mal der Tem­per­aturspanne, die uns von der letzten Eiszeit entfernt. Um katas­trophale En­twick­lun­gen zu verhindern, dürfen die CO2-Emis­sio­nen ab 2050 nur noch höchstens 20 % des Niveaus von 1990 erreichen. Das entspricht jener Menge, die von Pflanzen absorbiert werden kann. Dieses ehrgeizige Ziel können wir nur erreichen, wenn wir die vorhandenen Rohstoffe viel effizienter nutzen. Je später wir damit beginnen, desto drastischer muss der jährliche Ausstoß an Klimagasen reduziert werden.

Nach­haltigkeit dank Ressourcenpro­duk­tivität

Ziel einer nach­halti­gen Entwicklung ist es, die Bedürfnisse aller Menschen zu erfüllen – nicht nur der jetzigen, sondern auch der zukünftigen Gen­er­a­tio­nen. Nach­haltigkeit hat drei Dimensionen:

  1. Ökologie: Luft- und Wasserqualität, Arten­vielfalt, Quantität und Qualität von Rohstoffen.
  2. Ökonomie: In­fra­struk­tur, Maschinen und Gebäude (Sachvermögen) sowie men­schliches Wissen (Hu­mankap­i­tal).
  3. Gesellschaft: wirksame In­sti­tu­tio­nen, die einen sozialen Ausgleich gewährleisten (z. B. Steuer- und Sozialver­sicherungssys­teme).
„Die Per­spek­tiven für die künftige Entwicklung der men­schlichen Zivil­i­sa­tion sind widersprüchlich und im Ergebnis bedrückend.“

In einer idealen nach­halti­gen Welt gibt jede Generation genau so viel Sozial-, Natur- und Wirtschaft­skap­i­tal an die nächste weiter, wie sie selbst empfangen hat. In der Praxis ist das jedoch u. a. deshalb schwierig, weil es keine verlässlichen Methoden gibt, um den Wert des Naturkap­i­tals zu bestimmen. Die Weltbank hat zwar ein Verfahren entwickelt, das alle drei Kap­i­ta­larten in Zahlen ausdrückt. Ein Verlust an Naturkap­i­tal besteht demnach vorwiegend in der Entnahme von Rohstoffen und kann durch einen Gewinn an Wirtschaft­skap­i­tal ersetzt werden. Dieses Konzept der „schwachen Nach­haltigkeit“ eignet sich aber nicht dazu, der Forderung nach mehr Naturschutz Nachdruck zu verleihen. Das Konzept der „starken Nach­haltigkeit“ auf der anderen Seite verbietet jede Form von Sub­sti­tu­tion. Nicht erneuerbare Stoffe wie Metalle dürften danach überhaupt nicht verbraucht werden. Praktikabel ist letztlich nur eine abgemilderte Version, die gewisse Formen der Sub­sti­tu­tion zulässt: Grünflächen dürfen asphaltiert werden, wenn man dafür an anderer Stelle Naturschutzge­bi­ete schafft.

Die In­no­va­tion­sstrate­gie

In einem dynamischen Wettbewerb wächst die Wirtschaft zwangsläufig. Die Forderung nach einem Wach­s­tumsstopp aus Gründen der Nach­haltigkeit ist deshalb illusionär. Ebenso un­re­al­is­tisch ist aber auch die Vorstellung, nach­sor­gende Umweltmaßnahmen wie der Einbau von Fil­ter­sys­te­men und Kläranlagen würden ausreichen, um zukünftigen Gen­er­a­tio­nen eine heile Umwelt und Lebens­grund­lage zu erhalten. Der einzige Weg zu nach­haltigem Wachstum liegt in der Verbesserung der Ressourcenpro­duk­tivität: Der Energie- und Rohstof­fein­satz muss sinken, ohne dass es gle­ichzeitig mit der Wirtschaft bergab geht. Dazu braucht es In­no­va­tio­nen.

„Wenn wir uns für eine ökologisch soziale Mark­twirtschaft als Ord­nungsrah­men entscheiden, entfällt die Option, die Welt durch Absenkung des Kon­sum­niveaus insgesamt zu retten.“

Das menschliche Verhalten in Bezug auf die Umwelt lässt sich am einfachsten über den Preis regeln, der für deren Nutzung erhoben wird. Der Nachteil vieler so genannter Ökosteuern ist jedoch, dass sie ziemlich einseitig die Verbraucher belasten. Eine Alternative zur Besteuerung liegt in der Einrichtung von Umweltmärkten: Hier wird eine zuvor bestimmte Menge an Nutzungsrechten versteigert, deren Preis durch die Nachfrage geregelt wird. Der Staat kann die ein­genomme­nen Gelder z. B. dazu verwenden, Steuern und Abgaben zu senken. Außerdem gibt es das Modell, das beim europäischen Handel mit CO2-Emis­sion­sz­er­ti­fikaten praktiziert wird: Unternehmen erhalten einen bestimmten Anteil an Zer­ti­fikaten kostenlos zugeteilt und können dann nach Bedarf zu- und verkaufen. Im Idealfall ließe sich die Nutzung der Natur durch eine Verbindung von Abgaben und Umweltzer­ti­fikaten optimal steuern. Nur: Märkte funk­tion­ieren niemals perfekt. Die mangelnde Flexibilität der Mark­t­teil­nehmer führt beispiel­sweise dazu, dass zwar die Preise für CO2-in­ten­sive Güter steigen, diese deswegen aber trotzdem nicht durch umwelt­fre­undlichere ersetzt werden. Folgende Ergänzungen sind deshalb nötig:

  • Kennze­ich­nung der En­ergieef­fizienz von Produkten: Bei Kühlschränken und Waschmaschi­nen funk­tion­iert dieses System bereits her­vor­ra­gend.
  • Beratung für Unternehmen: Qual­i­fizierte Ingenieure aus externen Be­ratungsagen­turen können vor allem kleinen und mittleren Firmen bei der Ef­fizien­zsteigerung helfen.
  • Förderung der Kooperation zwischen Unternehmen: Technische Innovation entsteht durch in­ter­diszi­plinären Austausch. Ein Hersteller von Konsumgütern sollte z. B. eng mit dem Unternehmen zusam­me­nar­beiten, das die Maschinen für seine Produktion baut.
  • Ord­nungspoli­tis­che Maßnahmen: In Ausnahmefällen kann der Staat sich nicht auf mark­twirtschaftliche Instrumente verlassen. Allerdings sind verbindliche Gesetze meist sehr kosten­in­ten­siv und wenig effizient.

Branchen mit Potenzial

Wir müssen nicht weniger, aber anders konsumieren. Am ef­fek­tivsten lässt sich im En­ergiesek­tor sparen. Kleine Einsparun­gen bei der Mobilität bewirken ebenfalls einen großen Rückgang des Ressourcenver­brauchs. Beim Kauf von Bekleidung dagegen macht sich der Verzicht am wenigsten bemerkbar. Ähnliche Berech­nun­gen lassen sich für die Industrie anstellen: Welche Wirkung hat eine ein­prozentige Ef­fizien­zsteigerung in einer bestimmten Branche auf den gesamtwirtschaftlichen Rohstof­fver­brauch? Wieder liegt die En­ergieerzeu­gung vorn, gefolgt von der Bau-, Metall- und Nahrungsmit­telin­dus­trie. In 59 Branchen lassen sich 70 % des Rohstof­fver­brauchs allein durch Einsparun­gen von jeweils 1 % in den ersten zehn Industrien erzielen, die allesamt den Grundstoff- und In­vesti­tionsgüterindus­trien zuzurechnen sind. Auf diese zehn müssen sich die Einsparungs­bemühungen konzen­tri­eren. Großes Potenzial für mehr Nach­haltigkeit liegt auch in den folgenden Schlüssel­tech­nolo­gien:

  1. Die Nan­otech­nolo­gie ermöglicht die Entwicklung neuer Materialien und Werkstoffe, etwa leichterer Metalle oder leistungsfähigerer Dämmstoffe.
  2. Die Bionik, ein Forschungszweig der Biotechnik, nimmt sich die Natur als Vorbild für technische Lösungen, z. B. für die Le­icht­baukon­struk­tion.
  3. In­for­ma­tions- und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien steigern die Effizienz von wirtschaftlichen Prozessen. In Zukunft wird man die Telematik verstärkt zur Steuerung des Straßenverkehrs einsetzen.
  4. Re­gen­er­a­tive En­ergi­etech­nolo­gien, darunter Sonne, Wind, Wasser, Geothermik und die Verbrennung von Biomasse, könnten den gesamten Strombedarf Deutsch­lands decken, sobald sie in der Wet­tbe­werbsfähigkeit gegenüber herkömmlichen Energien aufholen.

Staatliche Maßnahmen

Naturschutz ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche und soziale Dimension kann kon­trapro­duk­tiv sein. Ein Beispiel ist der EU-weite Handel mit Klima­gasz­er­ti­fikaten: Angenommen, die Zertifikate würden nicht frei verteilt, sondern vom Staat versteigert und die Einnahmen in die Sozialver­sicherung gesteckt, könnten die betroffenen Unternehmen nicht mehr mit außereuropäischen Wet­tbe­wer­bern konkur­ri­eren und würden ihre Produktion in Länder verlagern, in denen geringere Auflagen gelten. Für das Weltklima wäre dadurch nichts gewonnen. Darum sollte der Staat das ein­genommene Geld in Abhängigkeit zur Pro­duk­tion­s­menge oder zum Gesam­tum­satz an die Unternehmen zurückerstatten. Die Wirtschaft als Ganzes würde nicht belastet, Unternehmen mit geringeren Emissionen aber würden belohnt und solche mit höheren bestraft. Der Emis­sion­shan­del lässt sich auch auf Pri­vat­per­so­nen ausdehnen: Jeder Verbraucher erhält kostenlos eine Karte, auf der seine Emis­sions­berech­ti­gun­gen gespeichert sind. Beim Kauf von Sprit, Strom, Heizöl oder bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmit­tel werden diese abgebucht. Wenn er mehr benötigt, kann er sie sparsameren Zeitgenossen abkaufen oder im umgekehrten Fall verkaufen. Das System motiviert unmittelbar zum En­ergies­paren und ist sozial gerechter als eine Besteuerung der Haushalte, die Menschen mit niedrigeren Einkommen immer am stärksten trifft.

„Das wirtschaftliche Wachstum in den En­twick­lungsländern muss uns hochwillkom­men sein, weil nur so eine Chance besteht, die erdrückende Armut dort zu beseitigen, die die entschei­dende Ursache des anhaltenden Bevölkerungswach­s­tums in der Dritten Welt ist.“

Staatliche Sub­ven­tio­nen verhelfen innovativen Tech­nolo­gien zum Durchbruch. Die Förderung von En­ergies­parhäusern etwa ist sinnvoll, da Pri­vathaushalte allein durch Dämmung, Dreifachver­glasung und ef­fizien­tere Heizungsan­la­gen ihren En­ergie­ver­brauch mehr als halbieren können. Wenn mark­twirtschaftliche Instrumente nicht greifen, muss der Staat den Unternehmen gesetzlich vorschreiben, dass alle Einspar­poten­ziale genutzt werden. Denkbar ist der in Japan bewährte Ansatz: Das ef­fizien­teste Produkt am Markt wird zum Standard erklärt, an dem sich alle Wet­tbe­wer­ber zu orientieren haben. Japan hat mit diesem System die En­ergieef­fizienz von Kli­maan­la­gen um 63 % und die von Computern um 83 % erhöht.

„Europa und ins­beson­dere Deutschland sind für die In­no­va­tion­sstrate­gie aufgrund der bestehenden wirtschaftlichen Strukturen gut aufgestellt.“

Schließlich müssen die Bil­dungsaus­gaben drastisch erhöht werden. Zwar wird der de­mografis­che Wandel dazu führen, dass die Ar­beit­slosigkeit unter den gering und mittelmäßig Qual­i­fizierten zurückgeht. Die Nachfrage nach hoch qual­i­fizierten Kräften aber wird das Angebot schon bald übertreffen, vor allem wenn die Maßnahmen zur Steigerung der Ressourcenpro­duk­tivität umgesetzt werden.

Globale Per­spek­tiven

Ver­schiedene Mod­ell­rech­nun­gen für Europa kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: Die In­no­va­tion­sstrate­gie bringt Vorteile für Wirtschaft und Umwelt. Was wir brauchen, ist jedoch ein globaler Ansatz. Zwar wirken sich Pro­duk­tin­no­va­tio­nen und ein geringerer Ressourcenver­brauch in Europa auch weltweit aus. Gele­gentliche Überschwapp­ef­fekte genügen aber nicht, um die globale Katastrophe zu verhindern. Im Gegenteil: Ein­heimis­che Produzenten, denen starke Ver­mei­dungskosten auferlegt werden, könnten ins Ausland abwandern und dort die Umwelt noch stärker ver­schmutzen als zuvor. In­ter­na­tionale Rah­men­vere­in­barun­gen haben deshalb absolute Priorität. Das viel geschmähte Ky­oto-Pro­tokoll gibt einen Weg vor, der sich ausbauen ließe. Deshalb müssen die Un­terze­ich­n­er­staaten – EU-Länder, Russland, Japan und Neuseeland – die USA, Schwellen- und En­twick­lungsländer mit einbeziehen. Schon 2020 werden allein China und Indien genauso viele Klimagase produzieren wie Europa und Nordamerika. Noch beharren diese Länder auf ihrer Position, dass sie einen berechtigten Nach­holbe­darf in Sachen Ressourcenver­brauch haben. Die westlichen Industrieländer sollten deshalb finanzielle Anreize und ernsthafte, an klimapoli­tis­che Ziele geknüpfte Vorschläge für einen Tech­nolo­gi­etrans­fer anbieten.

Über den Autor

Bernd Meyer ist Professor für Volk­swirtschaft an der Universität Osnabrück und wis­senschaftlicher Leiter der Gesellschaft für Wirtschaftliche Struk­tur­forschung (GWS). Der Experte für Umweltökonomie ist in ver­schiede­nen Gremien und Beiräten aktiv.