Komplexität managen
In vielen Unternehmen ist es in den letzten Jahren zu einer Inflation der Managementmethoden gekommen: Balanced Scorecard, Management by Objectives, SWOT-Analyse usw. wurden je nach Mode eingeführt, ohne sie aufeinander abzustimmen. Das Ergebnis: Orientierungslosigkeit. Der ganzheitliche Ansatz des Netmapping hilft Ihnen beim Aufräumen. Zusammenhänge und Synergien zwischen den Methoden werden erkannt, komplexe Zusammenhänge visuell dargestellt und die Erkenntnisse in Handlungen umgesetzt.
„Die Methode Netmapping liefert keine Patentrezepte zur Lösung von Unternehmensproblemen. Solche Rezepte gibt es nur vermeintlich.“
Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen komplizierten und komplexen Aufgaben: Für komplizierte Fragen lassen sich optimale Lösungen finden, die immer funktionieren (z. B. beim Bau einer Maschine). In komplexen Systemen ändern sich hingegen im Lauf der Zeit die Beziehungen der Elemente zueinander. Das Ganze ist mit einem Segeltörn vergleichbar: Ob und wie schnell das Schiff sein Ziel erreicht, hängt von der Materialqualität, den Crewmitgliedern, ihrer Führung und natürlich vom Wetter ab. Manager begehen im Umgang mit komplexen Situationen oft schwere Denkfehler: Sie glauben, sie könnten ein Problem entweder eindeutig definieren oder ganz ignorieren. Oder: Sie wollen nicht reden, sondern handeln: ein Blankoscheck für ziellosen Aktionismus. Oder: Sie möchten ein Problem für immer abhaken, sobald eine Lösung gefunden ist. Auf diese Weise tappen viele Führungskräfte in die Komplexitätsfalle. Wenn eine unerwartete Situation eine Eigendynamik entwickelt, verstärken sich die Kausalketten. Beispiel Bankenkrise: Sobald das Vertrauen in das System sinkt, ziehen Anleger ihr Geld ab, was das Vertrauen weiter schwinden lässt usw. Die Zeit läuft davon und es gibt kaum noch Handlungsspielraum.
„Wer versucht, mit dem Schwamm einen Nagel einzuschlagen oder mit dem Hammer die Fenster reinigt, wird zu Recht als verrückt angesehen und erreicht mit seiner Wahl nicht oder nur höchst mühsam das Ziel.“
Effektives Komplexitätsmanagement hat viel mit der Jonglierkunst gemein: In beiden Fällen müssen Sie mit mehr Bällen oder Themen jonglieren, als Sie Hände oder Ressourcen haben. Anstatt sich auf die fallenden Bälle (Symptome) zu konzentrieren, sollte Ihr Fokus auf den geworfenen Bällen (Hebeln) liegen, also darauf, richtig und zielorientiert zu werfen. Das Auffangen gelingt dann ganz von allein.
Die Netmapping-Methode
Netmapping funktioniert folgendermaßen:
- Formulieren Sie Ihre komplexe Fragestellung.
- Legen Sie die Betrachtungsebene fest (z. B. Bereich, Unternehmen, Konzern).
- Identifizieren Sie die Anspruchsgruppen: Wer hat an diesem Problem ein Interesse, wer fördert oder hemmt seine Lösung, und welche unterschiedlichen Sichtweisen gibt es?
- Leiten Sie Erfolgsfaktoren für jede Gruppe her: Für Kunden wäre das z. B. der Preis, für Eigentümer die Dividende, für Mitarbeiter die Motivation usw. Sie vermeiden so, ein Problem nur aus einer Perspektive zu betrachten.
- Erstellen Sie ein Glossar mit Definitionen, denn verschiedene Stakeholder sehen ein Konzept wie „Produktqualität“ oft sehr unterschiedlich. Das Glossar garantiert, dass alle Beteiligten die gleiche Sprache sprechen.
- Stellen Sie die Beziehungen zwischen den Erfolgsfaktoren her: Sie können gleichläufig sein, z. B. wenn eine Zunahme der Aufträge den Umsatz steigen lässt, oder gegenläufig, z. B. wenn steigende Kosten den Gewinn senken. Komplexe Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass Kausalbeziehungen nicht linear, sondern kreisförmig verlaufen, sprich: dass sich die Wirkung im Lauf der Zeit verschärft. Ein berühmtes Beispiel hierzu stammt von Paul Watzlawick: Wenn ein Ehepartner nörgelt, zieht sich der andere zurück, worauf der erste noch mehr nörgelt usw. Gleichläufige Wirkungen werden mit einem Pfeil und gegenläufige mit einem durchgestrichenen Pfeil dargestellt.
„Sicher gibt es für jede komplexe Problemstellung eine einfache Lösung ... und diese ist meistens falsch.“
Netmapping eignet sich besonders, wenn etwas Neues ansteht: Die Unternehmensvision oder -strategie wird überarbeitet, ein neues Team zusammengestellt oder eine neue Managementmethode eingeführt. Besonders hilfreich ist Netmapping bei der Frage, welche Zusammenhänge und Spannungsfelder den Ausschlag für langfristigen Erfolg geben. Das gilt gleichermaßen für Wirtschaftsunternehmen, Nonprofit-Organisationen oder Ökosysteme mit ihren hochkomplexen Wirkungszusammenhängen.
„Jeder Verantwortliche im Unternehmen ist geneigt, ,seinen‘ Hebel für den wichtigsten zu halten.“
Im Unternehmen leitet in der Regel ein externer Moderator den Netmapping-Workshop, da den Betroffenen oft der nötige Abstand fehlt. Wenn Vision, Mission und Werte des Unternehmens noch nicht formuliert wurden oder erneuert werden sollen, muss dies zu Beginn des Workshops unbedingt geschehen. Sie stärken den Gemeinschaftssinn, erleichtern die Kommunikation und dienen als Entscheidungsgrundlage fürs Netmapping.
Ändern, was sich ändern lässt
Als Nächstes geht es darum, die Erfolgsfaktoren genauer zu unterscheiden. Da sind zunächst die Erfolgsindikatoren, die hart (z. B. Umsatz) oder weich (z. B. Image) sein können. Grundsätzlich sind sie eher abstrakt und müssen in konkrete, messbare Ziele umformuliert werden. Demgegenüber sind Hebel lenk- oder zumindest beeinflussbare Größen und bezeichnen die Stellen, an denen Sie direkt etwas verändern können, etwa im Marketing oder in der Personalentwicklung. Da ein komplexes System niemals isoliert existiert, fügen Sie als Drittes noch die externen Einflüsse hinzu, z. B. Konjunktur, Demografie oder Nachfrage.
„Letztlich geht es immer darum, mit geeigneten Aktionen die gesteckten Ziele zu erreichen.“
Anschließend bestimmen Sie die Dauer (sofort, kurz-, mittel- oder langfristig) und die Intensität (stark, mittel, schwach) der geplanten Maßnahmen. Bei Ökosystemen kann es z. B. sehr lange dauern, bis eine Aktion sich auswirkt. Einige Faktoren haben eine starke Wirkung oder sind ihrerseits stark beeinflussbar, während andere kaum etwas bewirken oder nur schwer zu beeinflussen sind. Diese Unterscheidung ist wichtig, um gezielt in ein System einzugreifen und eine Übersteuerung zu vermeiden. Ein Beispiel hierfür wäre eine allzu schlagkräftige Werbekampagne, die die Nachfrage rasch über die Produktionskapazitäten hinaus steigen ließe.
Szenarien und Frühindikatoren
Um die nicht beeinflussbaren Faktoren besser einzuschätzen, erstellen Sie Szenarien. Entwickeln Sie ein optimistisches, ein pessimistisches und ein realistisches Zukunftsbild für einen bestimmten Zeitraum. Sie können sich dabei auf Prognoseinstitute und andere externe Berater stützen, doch den wesentlichen Teil sollte das Team beitragen, das direkt von der komplexen Herausforderung betroffen ist. Auch hier sollten Sie in einem Glossar die Begriffe genau definieren. Dann entwickeln Sie für jedes Szenario die Chancen und Gefahren, indem Sie die Auswirkungen externer Einflüsse auf die Erfolgsfaktoren abschätzen. Es ist wie beim Segeln: Anhand der Wetterverhältnisse und -vorhersagen kann man ungefähr die Fahrtzeit berechnen und z. B. bei starkem Wind kleinere Segel setzen. Da aber das Wetter nie genau vorhersagbar ist, sollte man immer von verschiedenen Szenarien ausgehen. Darum ist ein Früherkennungssystem als Ergänzung sehr nützlich: Bestimmen Sie die Erfolgsfaktoren, bei denen Sie frühzeitig gewarnt werden möchten, wenn etwas in die falsche Richtung geht. Für die Kundenzufriedenheit etwa sind die fachlichen und sozialen Qualifikationen Ihrer Mitarbeiter wichtige Frühindikatoren.
Erfolg vom Cockpit aus steuern
Nun ist der quantitativ messbare Teil an der Reihe. Legen Sie für jeden Erfolgsindikator ein Ziel, d. h. den Soll-Zustand fest. Dann ermitteln Sie den Ist-Zustand anhand konkreter Daten. Sie müssen genau festlegen, wer, wie, wann und wie oft misst und wer für die Auswertung verantwortlich ist. Ist Ihnen das zu aufwändig, können Sie sich für einige Indikatoren auch auf eine Selbsteinschätzung beschränken. Schließlich geben Sie mithilfe von Signalfarben an, wie weit Sie vom Ziel entfernt sind: Grün steht für „Auf Kurs“, gelb für eine geringe Abweichung vom Ziel und rot für einen großen Zielabstand und dringenden Handlungsbedarf. Fertig ist Ihr Management-Cockpit: Anhand der Signalfarben können Sie jederzeit den Handlungsbedarf erkennen. Außerdem haben Sie die Hebel zur Hand, um Zielabweichungen zu korrigieren.
„Im Planungsraum wird die Arbeit an der Unternehmensstrategie zu einer ,Dauerbaustelle‘ – die Managementdokumente sind leicht veränderbar und lebendig.“
Eine große Hürde sind Zielkonflikte. Ein klassisches Spannungsfeld besteht zwischen Kosten, Lieferzeit und Qualität: Wird schnell geliefert, mangelt es u. U. an der Qualität; umgekehrt treibt ein hohes Qualitätsbewusstsein oft Lieferzeiten und Kosten in die Höhe. Was tun? Fest steht: Alles auf einmal zu erreichen, ist unmöglich. Setzen Sie deshalb einen Schwerpunkt, z. B. schnell liefern, qualitativ hochwertige Ware, aber halt zu höheren Preisen als der Wettbewerb. Versuchen Sie niemals, Zielkonflikte einfach zu verdecken. Irgendwie und irgendwann kommen sie immer zum Ausbruch. Beachten Sie beim Ausbalancieren Ihre Unternehmenswerte: Liegt deren Priorität auf Zuverlässigkeit oder Preisbewusstsein?
Wandel durch Handeln
Ausgehend von den identifizierten Hebeln legen Sie nun die konkreten Maßnahmen fest. Zunächst erstellen Sie für die Hebel ein Glossar. Dann führen Sie mit Blick auf Ihre Ziele eine Stärken-Schwächen-Analyse für jeden Hebel durch. Wenn es z. B. um „Servicequalität“ geht, fragen Sie sich, was in der Aus- und Weiterbildung gut läuft und was besser werden muss. Im nächsten Schritt beschließen Sie spezielle Maßnahmen sowie generelle, immer gültige Handlungsanweisungen, um Stärken zu fördern und Schwächen abzubauen.
„Es nützt nichts, nur einmal eine Erfolgslogik und ein Cockpit zu entwickeln, denn der Sinn besteht ja darin, täglich und langfristig damit zu arbeiten.“
Damit die Maßnahmen ihren Weg aus dem Workshop in den Arbeitsalltag finden, sollten Sie einen Planungsraum einrichten. Dieser funktioniert wie die Navigationsecke beim Segeln: Sie lösen operative Fragen des Tagesgeschäfts, diskutieren im Team und nehmen neue Standortbestimmungen vor – und das buchstäblich vor dem Hintergrund der erarbeiteten Leitbilder, Szenarien, Ziele und Maßnahmen. Alles wird auf Stellwänden, Tafeln und Flipcharts dargestellt und mithilfe von farbigen Karten, Nadeln, Klebestiften etc. laufend verändert.
Ganzheitlich managen
Nun heißt es nur noch dranbleiben! Viele Managementinstrumente erweisen sich als nutzlos oder sogar schädlich, weil sie nicht kontinuierlich gepflegt, aktualisiert und kommuniziert werden. Überlegen Sie sich deshalb noch während des Netmapping-Workshops, wie Sie Netmapping ins Tagesgeschäft integrieren, wer intern dafür verantwortlich ist und in welchem Rhythmus Überprüfungen stattfinden. Ziel der Signalfarben ist es ja gerade, frühzeitig gegenzusteuern und damit Energie, Zeit und Personal zu sparen. Führen Sie deshalb zweimal im Jahr einen Review-Workshop durch und bestimmen Sie einmal im Monat Ihren Standort neu. Während eines Reviews überprüfen Sie die Erfolgsindikatoren, die Hebel und die externen Einflüsse, passen die Szenarien an und aktualisieren die Signalfarben. Falls nötig, beschließen Sie neue Ziele und Maßnahmen.
„Management heißt, das Schiff von der Brücke aus zu steuern, um sein(e) Ziel(e) zu erreichen.“
Bereits etablierte Managementinstrumente haben sich mit dem Netmapping übrigens nicht erledigt. Im Gegenteil: Wie die Methode Management by Objectives, bei der die Ziele aus dem Netmapping auf Teams und Mitarbeiter übertragen werden, lassen sich alle gängigen Instrumente problemlos integrieren. Ja, durch Netmapping können sie sich erst richtig entfalten, da es die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen ihnen verdeutlicht und eine übergeordnete Plattform bietet. Diese hilft, typische Fehler wie etwa die Verwechslung von Zielen und Maßnahmen zu vermeiden: Nicht der Besuch eines Seminars sollte das Ziel sein, sondern was ein Mitarbeiter dabei lernt.