Komplexitäts-Fitness

Buch Komplexitäts-Fitness

Wandel erfolgreich gestalten

A & O des Wissens,


Rezension

Unabhängig von der Grösse oder der Globalität eines Un­ternehmens ist Komplexität ein Dauerthema in den Chefetagen: Planung im herkömmlichen Sinne ist nicht mehr möglich und der moderne Manager ist gefordert, Risiken einzugehen, sich auf Unbekanntes einzulassen und das nicht Steuerbare zu steuern. Gle­ichzeitig hat das vom Wandel geforderte Führungsper­sonal ein Bedürfnis nach En­tkom­plizierung und einfachen Rezepten. Aber nur wer mit komplexen Systemen innovativ und gestaltend umgehen kann, entwickelt sich vom Manager zum Leader. Hans Rudolf Jost vermag solche Gedankengänge anschaulich zu vermitteln, wobei der Text durchaus seine eigene Komplexität hat. Dies aber kann an der Qualität des Inhaltes nichts ändern. BooksInShort empfiehlt das Buch allen zukunftsfähigen Leadern, die durch das Einlassen auf komplexe, lebendige Systeme und die Nutzung von Soft Factors Komplexität mit­gestal­ten wollen. Als Beson­der­heit ist noch zu erwähnen, dass das Buch zweis­prachig geschrieben ist: in Deutsch und in Englisch (englischer Titel: Com­pleX­el­lence – The Revolution of Change).

Take-aways

  • Komplex ist ein System, wenn es unüberschaubar, vernetzt, eigen­dy­namisch, un­durch­sichtig, wahrschein­lichkeitsabhängig und instabil ist.
  • Die Gestal­tungsebe­nen der Komplexität sind die Wahrnehmungs- und die Kom­mu­nika­tion­sebene.
  • Ordnung ist in einem lebendigen, in­tel­li­gen­ten System nicht Selbstzweck, sondern Gestal­tung­shilfe.
  • Ein paar neue Schuhe zu haben, heisst noch lange nicht, neue Wege zu gehen.
  • Komplexität weist neben der sachlichen auch eine emotionale Ebene auf.
  • Die Fähigkeit zur Kom­mu­nika­tion ist die Kernkom­pe­tenz von Komplexitäts-Fitness.
  • Spins wirken auf der Ver­trauensebene, Slots auf der Hand­lungsebene.
  • Komplexität kann nur durch Steigerung erfolgreich gestaltet werden.
  • Mythen sind Ur-Spins, denn sie handeln vom Wesentlichen der Welt und wirken in der Komplexität des Alltags verbindlich.
  • Aufgabe eines modernen Un­ternehmens ist es, als Vermittler von Kultur und Werten, als Identitäts- und Sinnstifter zu fungieren.
 

Zusammenfassung

Komplexität erfahren

Komplex ist ein System oder eine Situation, die unüberschaubar, vernetzt, eigen­dy­namisch, un­durch­sichtig, wahrschein­lichkeitsabhängig und instabil ist. Die Tatsache, dass Sie in der Busi­ness­welt der Komplexität nicht entgehen können, führt zu einem Zwang zur Auswahl, denn es ist nicht mehr möglich, „alles“ zu wissen, was Sie zur Problemlösung gerne wissen würden. Sie müssen sich entscheiden, welches Wissen für Sie relevant ist, und damit bestimmbare gegen unbestimmte Komplexität abgrenzen. Denn die Dimensionen von Komplexität im Business lassen sich deutlich zeigen. Beispiele sind die immer schnellere In­for­ma­tion­szu­nahme, die immer dif­feren­ziert­eren, sich ständig ändernden Inhalte oder auch die Mul­ti­kul­tur­alität, die im Unternehmen zu einem gordischen Knoten werden kann.

Von der In­for­ma­tions- zur Imag­i­na­tion­s­ge­sellschaft

Der Höhepunkt der In­for­ma­tion­s­ge­sellschaft ist bereits überschrit­ten. Zwar wird die In­for­ma­tion­stech­nolo­gie durch In­no­va­tio­nen immer weit­er­en­twick­elt und beschle­u­nigt, doch ist das Ziel, die Automation zu beschle­u­ni­gen und komplexe In­for­ma­tio­nen immer globaler verarbeiten zu können, längst erreicht. Bei all dieser Beschle­u­ni­gung wird ein grosser Mangel an Inhalten sichtbar. Es kommt daher zu einem Wandel von der In­for­ma­tions- zur Imag­i­na­tion­s­ge­sellschaft, denn deren Inhalte, Bilder und Emotionen sind ein Gegengewicht zu Angst, Entleerung und Überin­for­ma­tion. Der Gebrauch der Imagination ist Kernbe­standteil der Komplexitäts-Fitness, denn mit Imagination gestalten Sie Komplexität. Anstatt Inhalte immer länger zu managen und damit zu reduzieren, wirken Sie auf ein lebendiges System in kreativer Weise ein.

Komplexität verstehen

Herkömm­licher­weise reduzieren wir Probleme, bis sie in unser Entschei­dungsmuster passen. Erkennen wir, dass das nicht geht, delegieren wir das Problem zurück auf eine Ebene, die es für uns entscheiden soll. Diese selektive und damit destruktive Art der Betrachtung muss un­weiger­lich zu Fehlentschei­dun­gen führen, denn sie zerstört die Lebendigkeit komplexer Systeme. Anstatt Komplexität als Problem zu beschreiben, dessen Lösung in bestimmten Formen des Managements zu suchen ist, kann Komplexität als Lösung verstanden werden, deren Problem erst noch zu finden ist. Damit ist Komplexität nicht länger ein unerwünschter Nebeneffekt in einer sonst geordneten Welt, sondern stellt vielmehr die Form der Welt selbst dar. Durch die veränderte Wahrnehmung des Problems ändert sich das Problem. Hierfür muss ein Unternehmen stets in der Lage sein, kom­bi­na­tions- und lernfähig zu sein, z. B. durch die Überprüfung und Anpassung der eigenen Einschätzungspa­ra­me­ter und Wertesys­teme.

Dilemma-Prozesse

Im modernen Man­age­men­tall­tag werden Paradoxa und Dilemmata zu ständigen Weg­be­gleit­ern. Statt „En­tweder-Oder-Entschei­dun­gen“ müssen in einem lebendigen System voller komplexer Optionen zumeist „En­tweder-Und-Entschei­dun­gen“ getroffen werden. Durch die Gestaltung und das veränderte Verständnis für Komplexität verstehen Sie Paradoxa und Dilemmata und damit Instabilität und Stabilität nicht länger als zwei ent­ge­genge­set­zte Pole, sondern vielmehr als be­fruch­t­ende, zusammenhängende Aspekte. Sieben Schritte verdeut­lichen Ihnen, wie solche Fragen angegangen werden können:

  1. Was ist der Kernpunkt? Listen Sie alle relevanten Elemente auf.
  2. Wer ist betroffen? Dies können Individuen, Abteilungen, Medien etc. sein.
  3. Wer ist ve­r­ant­wortlich? Welche Personen, Gremien, Instanzen haben welche Entschei­dungs­befug­nis? Un­ter­schei­den Sie dabei die un­ternehmerische, hi­er­ar­chis­che, kollektive und in­di­vidu­elle Ve­r­ant­wor­tung.
  4. Welche In­for­ma­tio­nen sind notwendig? Benennen Sie sowohl faktische als auch ethische In­for­ma­tio­nen. Was sind zusätzliche In­for­ma­tion­squellen?
  5. Welche Argumente sind notwendig? Benennen Sie die Natur des Problems und mögliche positive oder negative Wirkungen Ihrer Argumente. Was sind mögliche Al­ter­na­tiven?
  6. Was ist das Ergebnis? Wie klar und überzeugend ist es? Welche (auch persönlichen) Kon­se­quen­zen sind notwendig?
  7. Wie fühle ich mich jetzt? Gibt es Gewinner und Verlierer? Können Sie das Ergebnis offen, ehrlich und öffentlich vertreten?
„Die Erkenntnis, dass wir ‚Human beings’ sind und nicht ‚Human doings’, ist die entschei­dende We­ichen­stel­lung zur Steigerung der Komplexitäts-Fitness.“

Der Erfolg dieses Prozesses hängt entschei­dend davon ab, wie offen Hand­lungsalter­na­tiven diskutiert werden bzw. diskutiert werden können und dürfen. Denn damit wird nicht nur das System durch­brochen, das zum Dilemma beigetragen hat, sondern es werden auch Al­ter­na­tiven gesucht, die letztlich den kreativen Weg aus dem Dilemma weisen. Dilemmaprozesse fordern die Konfliktfähigkeit und das Erkennen emotionaler Ebenen und Barrieren der Beteiligten.

Komplexität gestalten

Komplexitäts-Fitness ist die Fähigkeit, Komplexität nicht länger zu verwalten, sondern sie aktiv und kreativ zu gestalten und damit Teil davon zu sein. Verwalten ist auf Anpassung, auf Überleben aus­gerichtet, Gestaltung hingegen auf Eingriff, auf Lebendigkeit und auch auf Emotionalität. Die möglichen Gestal­tungsebe­nen komplexer Systeme sind daher nicht lin­ear-kausal, sondern weisen autonome und selb­st­s­teuernde Strukturen auf. Er­fol­gre­iche Steuerungs- und Gestal­tungs­mass­nah­men müssen sich deshalb auf subtilen und sowohl bewussten als auch unbewussten Ebenen bewegen. Komplexitäts­gestal­tung braucht deshalb v. a. emotionale Intelligenz, ihre Durch­set­zung ist eine Frage des Emotional Selling. Als Gestal­tungsebe­nen dienen die Kom­mu­nika­tions- und die Wahrnehmungsebene.

Kom­mu­nika­tion

Die Kom­mu­nika­tion ist der Motor der Komplexitäts-Gestal­tung. Kom­mu­nika­tion dient nicht allein der reinen In­for­ma­tionsver­mit­tlung, sondern steuert Wahrnehmung und unser Bild von der Wirk­lichkeit. Damit wird kom­mu­nika­tive Kompetenz zur personalen und sozialen Kernkom­pe­tenz der Komplexitäts-Fitness:

  • Berücksichtigen Sie Un­ter­schiede zwischen informeller und formeller Kom­mu­nika­tion, dif­feren­zieren Sie nach der jeweiligen Empfängergruppe.
  • Kom­mu­nizieren Sie, um Imagination und Werte zu stimulieren, weniger zur Wis­sensver­mit­tlung.
  • Kom­mu­nizieren Sie mit dem Ziel des Aufbaus, der Pflege und der Entwicklung von Beziehungen.
  • Emo­tion­al­isieren Sie Inhalte und erschaffen Sie Bilder, die verständlich sind und nachhaltig kom­mu­niziert werden können.

Wahrnehmung

Die Wahrnehmung eines Un­ternehmens in der Öffentlichkeit schliesst neben den Fi­nanz­in­for­ma­tio­nen auch das Resultat von Imagination mit ein. Mit einem Wahrnehmungs-Man­age­ment gelingt es, Inhalte zu emo­tion­al­isieren, Ein­stel­lun­gen zu ändern und Handlungen auszulösen. Als Werkzeuge der Imagination dienen Spins und Slots. Diese wirken als subtile Transmitter, um Denk-, Lern-, Fühl- und Hand­lungsin­struk­tio­nen weit­erzugeben und komplexe Prozesse zu bee­in­flussen. Ein Spin ist ein Dreh, ein Antrieb, der längerfristig hält. Er wirkt auf der Ver­trauensebene, d. h. er stimuliert die Phantasie und schafft Identität. Ein Spin hilft, eine gemeinsame Geschichte zu erfinden, die dem Mitarbeiter und Kunden Sicherheit gibt und Ori­en­tierung und Gebor­gen­heit innerhalb des Un­ternehmens vermittelt. Der Spin sorgt für Werte-Syn­chronität oder für emotionale Synchronität in einer komplexen Welt.

„Reduktion heisst Selektion und damit meist Willkür, Be­quem­lichkeit und vor allem die Zerstörung der Lebendigkeit komplexer Systeme.“

Ein Slot ist eine Kerbe, mit der Sie direkt und unmittelbar einwirken. Er arbeitet auf der Gestal­tungsebene, denn er fördert direkt Verhalten, Beziehungen und Handlungen. Die Wirkungen von Slots in Unternehmen sind v. a. als Neg­a­tiv-Slots im Sinne von Mobbing, Feind­bildern oder Gerüchten bekannt.

„Viele Vorgänge – in der Natur wie im Management – brauchen ein neues Steuerungsverständnis, denn sie sind nicht lin­ear-kausal, sondern lebendig, im Fluss, selb­st­s­teuernd und autonom.“

Spins und Slots geben einen gestal­tenden Stoss auf drei Wirkungsebe­nen:

  1. In der Or­gan­i­sa­tion: Komplexitäts­gestal­tung erfordert neben klaren, direkten Eingriffen in der Führungsetage auch subtile Gestal­tungs-Ein­griffe auf allen Ebenen eines Un­ternehmens. Hier dienen Spins und Slots zur Sin­nori­en­tierung und damit zur Motivation der Mitarbeiter. Legenden, Traditionen und Mythen schaffen Bindung.
  2. Im Mark­t­man­age­ment: Emotionale Spins im Marketing- und Kom­mu­nika­tions­bere­ich helfen dem Kunden, das Image einer Marke oder eines Un­ternehmens mit einer Geschichte zu verbinden. Slot-Tech­niken entsprechen Loy­alty-Mar­ket­ing, d. h. es gelingt, den Kunden sowohl emotional als auch funktional an einen Markennamen zu binden und damit seine Hand­lungsmuster zu steuern.
  3. Im Imag­i­na­tion­skrieg: In der Imag­i­na­tion­s­ge­sellschaft eröffnen sich neue Möglichkeiten für Spins und Slots durch die gezielte Steuerung von Aufmerk­samkeit. Moderne, er­fol­gre­iche Unternehmen sind darin stark, Geschichten zu erfinden und ihren Kunden Sinnerfüllung und Gemein­samkeit zu bieten. Durch gezielte Ma­nip­u­la­tio­nen der Information wird Imagination gesteuert, neue Realitäten werden erfunden, uminter­pretiert und vermittelt.

Spin-Doc­tors

Als Manager der Zukunft agieren Sie als Spin-Doctor, als Syn­chro­nisator: Sie suchen, gewichten und verarbeiten In­for­ma­tio­nen, Gerüchte und Geschichten und steuern damit die Aufmerk­samkeit und beschle­u­ni­gen Veränderung­sprozesse. Sie stehen für Verlässlichkeit gegenüber Kunden und Mi­tar­beit­ern, denn im Span­nungs­feld von Realität, Wahrheit und Desin­for­ma­tion sorgen Sie für die Themenführerschaft.

„Ein Unternehmen, das nicht nur seine Stärken und Schwächen im Markt kennt, sondern auch die Qualitäten seiner Un­ternehmen­skul­tur, ist besser am Markt und stärkt nachhaltig Komplexitäts-Fitness.“

Sie müssen bereit sein, aus der nicht­lin­earen Dynamik zu lernen und sich auf die kon­tinuier­liche Steigerung der Komplexität immer wieder einzulassen. Damit wird Ihr Tun zu einem kreativen Akt, mit dem Sie Komplexität in Ihrem Sinne und auf Ihre Art bee­in­flussen.

Komplexität nutzen

Erfolgreich Komplexität nutzen können Sie nur durch die Fähigkeit, Wandel imag­i­na­tiver zu gestalten als andere: Hierbei ist Change­Abil­ity die Schlüsselkom­pe­tenz für Komplexitäts-Fitness, denn nur wer den Wandel aktiv gestaltet und Komplexität in sich verändernden Prozessen zu bee­in­flussen vermag, hat die Fähigkeit, durch Veränderung neue Er­fol­gspo­si­tio­nen zu schaffen. Change­Abil­ity können Sie in drei Bereichen entwickeln und stärken:

  1. Durch mentale und geistige Mobilität: Fördern Sie ein Klima der Innovation und lassen Sie Trial-and-Er­ror als Prinzip zu. Konsequente Kun­de­nori­en­tierung und Ausrichtung auf den Markt, so genannte Mar­ket-Fit­ness, lässt Sie nicht nur am Markt erfolgreich agieren, sondern wirkt auch als Stimulans für mentale und geistige Mobilität innerhalb Ihres Un­ternehmens.
  2. Durch Werte- und Sin­nori­en­tierung: Doku­men­tieren Sie Ihre Corporate Fitness durch die regelmässige Erfassung und Doku­men­ta­tion des kulturellen und in­tellek­tuellen Kapitals Ihres Un­ternehmens. Dies schafft Verlässlichkeit und Vertrauen für Mitarbeiter und Kunden.
  3. Durch Vitalität: Wissen als Wert entscheidet über Ihre Wet­tbe­werb­spo­si­tion. Dabei ist Wissen nicht nur Information und Erkenntnis, sondern vielmehr das Verständnis eines Un­ternehmens als lebendiges System von Menschen, die zu besseren Leistungen fähig sind, wenn sie ihre Vitalität einbringen und leben können. Fördern Sie Vitalität durch eine Kultur der Kreativität, Risikobere­itschaft, Neugier und Mut.

Messbarkeit von Komplexitäts-Fitness

Die Darstellung der materiellen und im­ma­teriellen Wertepro­duk­tion eines Un­ternehmens schliesst neben Er­fol­gsrech­nun­gen und Bilanzen auch eine Analyse des in­tellek­tuellen Kapitals eines Un­ternehmens mit ein.

„Wenn ich die Wahrnehmung über ein Problem verändere, verändere ich das Problem.“

Die Kenntnisse der weichen Faktoren sind die er­fol­gsentschei­den­den Kriterien für ein Unternehmen im Veränderung­sprozess.

Über den Autor

Hans Rudolf Jost arbeitet als Un­ternehmens­ber­ater und ist Inhaber der Change Factory in Zürich. Er berät Un­ternehmungen mit dem Schwerpunkt Change-Nav­i­ga­tion und Komplexität und ist u. a. Autor von Der Change Navigator – Im Wandel wachsen und Co-Autor von Visionen für Fusionen – Ein Prozess­be­gleiter.