Die Nachwehen des Internet-Hypes
Als Google im Oktober 2006 für astronomische 1,65 Milliarden Dollar das erst eineinhalb Jahre alte Videoportal YouTube kaufte, war es wieder da: das Finanzblasengefühl aus der Zeit der New Economy. Hier wechselte ein Unternehmen den Besitzer, das bis dahin ein großes Geheimnis aus seinen Finanzen gemacht hatte. Dennoch: Googles Aktie machte einen 8,5-%-Sprung nach oben und ließ damit den Wert des Unternehmens so stark steigen, dass der Deal quasi gratis war. Wie in den 90ern, könnte man denken. Google entfacht aber selbst keine Investitionsblase. Das Unternehmen profitiert eher vom Internet-Hype, der Ende der 90er Jahre dazu geführt hat, dass eine große Anzahl amerikanischer Haushalte heute über das schnelle Glasfasernetz verfügt. Dadurch wird das Streamen von Videos über das Internet überhaupt erst möglich.
Was sind Finanzblasen?
Irgendwie scheint das keiner genau sagen zu können, und Lehrbücher sind ratlos, wenn es um die Definition dieses ganz realen Phänomens geht. Alles fängt mit einer neuen Idee, einer neuen Technologie oder einem Trend an. Es gibt zunächst nur wenig Enthusiasten, die glauben, dass sich daraus etwas zum Hit entwickeln und einigen Leuten richtig viel Geld in die Taschen spülen wird. Manchmal sind die Indizien sehr vage. Da werden beispielsweise kurzfristige Entwicklungen ewig in die Zukunft fortgeschrieben, oder es kommen selbst ernannte Experten zu Wort, die einen Megatrend voraussagen. Langsam bläht sich die Blase auf: Immer mehr Anhänger, Experten und Gläubige kommen dazu, die wirklich glauben, dass da etwas ganz Großes entsteht. Man bestätigt sich gegenseitig und schürt große Erwartungen. Wie ließe sich sonst erklären, dass 1998 ganz normale Kneipenbesucher, die sich sonst über Sport oder Filme unterhalten hätten, plötzlich über Sinn und Zweck von Aktienoptionen diskutierten und dabei im Hintergrund der Börsenticker im Fernseher lief?
„Blasen erzeugen Medienrummel, Projektionen und Träume in Hülle und Fülle.“
Die Blase wird zum Massenphänomen, und immer mehr wollen am Trend teilhaben. Es hält sich das Gerücht, dass nicht nur die Ersten, sondern auch die Fünften und Sechsten noch gewaltige Gewinne machen können. Plötzlich haben alle möglichen Unternehmer ähnliche Ideen und – obwohl die Nachfrage erst einmal beschränkt sein dürfte – starten dutzendweise ähnliche Investitionsprojekte, die von den inzwischen ebenfalls alarmierten Kapitalgebern finanziert werden. Handelt es sich beispielsweise um eine neue Technologie, steigt die Nachfrage in allen beteiligten Branchen spürbar an. Es gibt immer mehr neue Mitbewerber, die sich ab einer kritischen Masse einen ruinösen Preiskampf liefern. Das ist gut für die Kunden, aber schlecht für die Anbieter; diese müssen sich sogar mitunter auf Geschäfte mit negativer Gewinnspanne einlassen, um Marktanteile zu gewinnen. Irgendwann holt die Realität die von den Medien und der Öffentlichkeit angeheizten Erwartungen ein, und die Blase platzt. Die aufgeblähten Börsenwerte lösen sich binnen kurzer Zeit in nichts auf. Obwohl sehr viele Leute dabei ihr Geld verlieren, haben viele dieser Blasen auch etwas Gutes: Sie schaffen oft eine Infrastruktur, auf der man eine tragfähige Zukunft aufbauen kann.
Der Telegraf
Gehen wir zurück in die Geschichte und sehen uns einige historische Investitionsblasen an, beispielsweise die des Telegrafen, der ersten Kommunikationstechnologie der modernen Welt. Der Telegraf wurde 1998 vom Autor Tom Standage als „viktorianisches Internet“ bezeichnet. Mitte des 19. Jahrhunderts experimentierte Samuel Morse mit den Möglichkeiten, Tonsignale über weite Entfernungen zu transportieren. Der Elektromagnetismus kam ihm dabei zu Hilfe. Zunächst musste er beim Senat in Washington vorsprechen, damit man ihm den Bau einer 40 Meilen langen Teststrecke zwischen Baltimore und Washington finanzierte. Am 1. Mai 1843 feierten der Telegraf und das von Morse ersonnene Ton-Alphabet ihre Premiere. Als die Regierung den Geldhahn zudrehte, beschaffte sich die – von Morse gegründete – Magnetic Telegraph Company Geld von Geschäftsleuten, denen viel daran lag, bestimmte Nachrichten schnell zu erhalten. Insbesondere die Übermittlung von Börsendaten beflügelte das Unternehmen. Viele Klein- und Kleinstunternehmer wollten auf den Zug aufspringen und bastelten an Telegrafenverbindungen zwischen Orten, in denen überhaupt keine Nachfrage herrschte. Das Telegrafenfieber brach aus und forderte seine ersten Opfer. Zwischen 1846 und 1852 vervielfachten sich die Meilen, die mit Telegrafen abgedeckt waren von 2000 auf 23 000. Viele davon wurden wieder gekappt. Zahlreiche Unternehmen gingen Pleite. Die Überkapazitäten ließen nämlich die Preise ins Bodenlose stürzen.
„In jeder Generation tauchen Leute auf, die erklären, dass eine neue Technik, neue ökonomische Annahmen oder Finanzinstrumente unermesslichen Reichtum versprächen.“
Auftritt Western Union: Das Unternehmen dominierte ab 1866 den Markt der Telegrafie und war damit der große Gewinner der geplatzten Blase. Mit der zunehmenden Verbreitung dieser Technik entwickelten sich Unternehmen wie Associated Press, und die Unternehmer bekamen schließlich die Möglichkeit, schnell wichtige Informationen – nach der Verlegung des Überseekabels sogar international – zu erhalten.
Die Eisenbahn
Die Entwicklung des Telegrafen und der Eisenbahn verlief zunächst parallel. Als die Finanzblase des Telegrafen platzte, ging es mit der Eisenbahn jedoch immer noch steil bergauf. War der Telegraf ein Quantensprung für die Beförderung von Informationen, so spielte die Eisenbahn die gleiche Rolle für materielle Güter. Das weiträumige Amerika war auf schnelle und verlässliche Transportmöglichkeiten angewiesen: In den 1840er Jahren dauerte ein Warentransport von Chicago nach Philadelphia mit der Pferdekutsche und mit Kähnen rund drei Wochen. Bis zum Bürgerkrieg entwickelte sich darum ein buntes Nebeneinander von verschiedenen Eisenbahnsystemen und Spurweiten. Der kapitalintensive Prozess der Schienenverlegung wurde von der Regierung mit Landschenkungen entlang der Strecken angeschoben. Aber da es – anders als im alten Europa – keine staatliche Leitung gab, waren die verschiedenen Eisenbahnsysteme nicht kompatibel und es kam nicht selten vor, dass eine Stadt an dreierlei unterschiedliche Schienennetze angeschlossen wurde.
„Der Telegraf hat den Geschäftskreislauf nicht besser im Griff gehabt als das Internet.“
Mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg entwickelte sich die Notwendigkeit, eine konsistente Infrastruktur aufzubauen. Die rechtliche Grundlage schufen die Pacific Railroad Bill von 1862 und der Pacific Railroad Act von 1864. Das Ergebnis waren zwei interkontinentale Strecken vom Atlantik zum Pazifik. Viele Unternehmer witterten im Eisenbahnbau eine Goldader, denn mit den Strecken stieg der Verkehr, insbesondere der von Gütern. Die regelrechte Bauhysterie in den frühen 1880ern wich der Ernüchterung, da viele der Strecken nicht unterhalten werden konnten. Die Blase platzte: 1893 lag ein Viertel der Eisenbahngesellschaften (immerhin 192 Unternehmen) in den letzten Zuckungen des Konkurses. Wieder griffen Konsolidierer wie J. P. Morgan zu, restrukturierten, verkauften und verdienten. Im Schlepptau des Eisenbahnbooms kamen die ersten Versandhandelsunternehmen. Montgomery Ward und R. W. Sears belieferten Farmer in ganz Amerika mit allem, was sie brauchten. Der erste Katalog aus dem Jahr 1872 umfasste eine Seite, zur Jahrhundertwende waren es schon 1200.
Der Börsenkrach und der finanzielle New Deal
Gab es überhaupt etwas, das vom großen Krach 1929 und der anschließenden Depression übrig blieb und das der nachfolgenden Generation nützlich war? Zum Zusammenbruch hatten vor allem faule Kredite geführt, die die Aktienkurse ins Bodenlose sinken ließen. Noch 1928 erschien es geradezu grotesk, an einen Abschwung zu denken oder gar etwas für diesen Fall vorzubereiten. Hedging, also die Absicherung von Krediten, war etwas für Angsthasen.
„Chaotisch und ungestüm erzeugte der Eisenbahnboom Überkapazitäten, Über-Nacht-Reichtum, brutale Preiskriege, finanzielle Betrügereien und sinkende Preise.“
Die positiven Seiten dieser Blase findet man nicht in ihr selbst, sondern in der Reaktion des amerikanischen Präsidenten Roosevelt und seiner Regierung. Neben der Einführung der Sozialversicherung und der Agrarreformen wurde vor allem eine staatliche Börsenaufsicht etabliert. Es sollte sich schließlich wieder lohnen zu investieren. Darum mussten die Unternehmen, die an der Börse gehandelt wurden, fortan bestimmte Auflagen erfüllen und Einblick in ihre finanzielle Situation gewähren. Die entsprechende staatliche Behörde war die Securities and Exchange Commission. Im liberalen New York schrien die Wall-Street-Broker Zeter und Mordio, fühlten sich staatlich gegängelt, beschimpften Roosevelt als verkappten Kommunisten und schreckten selbst vor einem Boykott der Aktienausgabe nicht zurück. Im Endeffekt war alles nur heiße Luft, denn schon nach wenigen Wochen verpufften diese Aktionen, und die Börse war wieder im Geschäft. Im Januar 1934 trat überdies unter dem Kommando der Federal Deposit Insurance Corporation eine Einlagensicherung in Kraft. Diese war ein voller Erfolg, denn nun konnte der Bankrott einer Bank nicht mehr die halbe Branche lähmen.
Das Internet und die Dotcom-Blase
Ähnlich wie der Telegraf und die Eisenbahn schuf das Internet eine völlig neue Infrastruktur, die die blitzschnelle Verteilung von Informationen ermöglichte. Doch auch in diesem Fall füllte sich zunächst eine gewaltige Blase mit viel heißer Luft. Die technische Voraussetzung für den prognostizierten Internetverkehr war ein Hochgeschwindigkeitsnetz. Als klar war, dass das Internet die Welt verändern würde, setzte darum ein gewaltiger Glasfaser-Bauboom ein. Es wurden Leitungen gelegt, die zum damaligen Zeitpunkt niemand wirklich brauchen konnte. Die Geschäftsmodelle vieler Internetunternehmen waren mehr als fragwürdig. Wie bei der Eisenbahn wurden zu viele Strecken in zu kurzer Zeit gebaut. Und genauso versponnen sich die Netzwerkbetreiber in haarsträubende Betrügereien. So gelang es Global Crossing und MCI WorldCom, mehrere Milliarden Dollar an Profiten einfach zu erfinden. Der vorgegaukelte Marktanteil der Betrüger führte dazu, dass kleine Unternehmen ihre Preise senken mussten. Damit setzte die Abwärtsspirale von Konkursen und Konsolidierungen erneut ein.
„Der abgerutschte NASDAQ mag die Serie der Erstemissionen halbiert haben, und die Pleiten brachten Risikokapitalgeber dazu, ihren Enthusiasmus zu zügeln. Aber die Menschen hörten nicht auf, E-Mails zu schicken, Breitbandanschlüsse installieren zu lassen oder online einzukaufen.“
Im Schlepptau der Infrastrukturanbieter kamen die Inhaltsanbieter, die alles daran setzten, ihre Kunden davon zu überzeugen, Lebensmittel, Bücher, Traumreisen, Hundefutter und Gebrauchtwagen fortan im Web zu kaufen. Das Fieber stieg an, das Risikokapital floss. Doch dann knallte es, und die Überkapazitäten wurden unübersehbar. Firmenlenker, die die Titelblätter der Wirtschaftsmagazine geziert hatten, entpuppten sich als gewöhnliche Betrüger.
„Mithilfe des Vorsitzenden der Federal Reserve Bank, Alan Greenspan, segelte die amerikanische Wirtschaft fast direkt von der Dotcom-Manie in eine Immobilien- und Wohnungskredit-Blase.“
Dennoch hat der Glasfaser-Hype der 90er Jahre einen nachhaltigen Nutzen. Damals wurden unglaublich viele Meilen Kabel verlegt, die niemand brauchte. Heute hingegen, wo es auch die entsprechenden schnellen Internetanwendungen gibt, profitieren Millionen Menschen vom rasanten Internet.
Blasen von heute und morgen
Auch wenn das Zerplatzen der Dotcom-Blase das markanteste Ereignis der letzten Jahre darstellt, gab es danach noch manche Finanzblase. Dazu gehörte die Immobilienhysterie in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends. Derzeit erleben wir einen Boom im Bereich der alternativen Energien. Auch dieser erfüllt alle Voraussetzungen, zu einer Finanzblase zu werden, denn wieder wird überschwänglich von einem „ewigen Trend“ gesprochen.
„Vermeiden Sie während des Aufschwungs die Fusionsunternehmen.“
Seien Sie vorsichtig, und versuchen Sie, sich vor Blasen aller Art zu schützen. Lassen Sie die Finger von Fusionsunternehmen, wenn sich die Blase aufbaut. Setzen Sie dagegen auf Fusionskandidaten im Abschwung. Warum? Im Boom verschulden sich solche Unternehmen meist bis über beide Ohren. Wer jedoch nach dem Niedergang noch die Kraft für Fusionen hat, der wird im konsolidierten Markt eine große Nummer.