Das Wesen der Liebe
Die Liebe ist ein allgegenwärtiger Bestandteil des Lebens. Sie überwindet Hindernisse und führt zu echter Gemeinschaft. Liebe ist eine innere Haltung und darf kein Tauschgeschäft sein, bei dem keiner zu kurz kommen darf. Besitz- und Unterhaltungsansprüche sind natürliche Gegner der Liebe. Der Gedanke daran droht stets, uns abzulenken und unsere Gefühle zu beschränken. Für den, der liebt, ist moralisches Handeln selbstverständlich. Aus der elterlichen Liebe wächst die Kraft, die Sorge um das Kind nicht ausschließlich belastend zu empfinden. Der Nichtliebende hingegen braucht die Moral als Richtschnur seines Handelns. Moral ist aber immer nur die zweitbeste Lösung. Sie ist allerdings nicht wertlos, da sie in bestimmten Situationen die Liebe ergänzen kann.
„Erziehung bedeutet, liebevoll Verantwortung für die Entfaltung und das Glück der Kinder zu übernehmen, und zwar auf der Basis natürlicher Autorität.“
Man unterscheidet verschiedene Arten der Liebe. Eros ist die begehrliche, leidenschaftliche Liebe, die sich häufig hinter dem Anschein selbstloser Zuneigung verbirgt. Sie beruht im Grunde auf Entbehrung und ist insofern auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Philia, griechisch für Freundschaft, steht für die Freude an der Liebe bzw. an der Gegenwart des geliebten Menschen. In der Eltern-Kind-Liebe besteht Philia darin, dass man sich an der Existenz des Kindes, an seinem Wesen und an seinem Verhalten erfreut. In der Realität vermischen sich Eros und Philia. Entscheidend ist, welche von beiden Arten der Liebe letztlich dominiert. Als weiterer Bestandteil dieser Liebe kommt die Liebe zu uns selbst dazu. Wir werden erst fähig, das Kind zu lieben, wenn wir uns selbst lieben. Die dritte Form der Liebe ist Agape. Sie ist die vollkommen vom Ich losgelöste Nächstenliebe, die den anderen so nimmt, wie er ist. Agape ist reine, göttliche Liebe und als solche ein unerreichbares Ideal.
Wirkungen der Liebe
Für Kinder ist Körperkontakt sehr wichtig. Auch wenn die Kinder unterschiedlich darauf reagieren, ist der Körperkontakt unerlässlich für eine funktionierende Eltern-Kind-Beziehung. Ähnliches gilt für Lob und Anerkennung, die Sie dem Kind aussprechen. Ein Kind, das stets aufs Neue hören muss, dass es den elterlichen Ansprüchen nicht genügt, wird auf Dauer immer mehr an sich und seinen Fähigkeiten zweifeln. Geschenke sind dagegen Symbole unserer Liebe; ihr materieller Wert spielt in dieser Hinsicht kaum eine Rolle. Als Ersatz für mangelnde Liebe können Geschenke allerdings nicht dienen; ihre Wirksamkeit wird zudem eingeschränkt, wenn sie an bestimmte Bedingungen gebunden sind.
„Kinder müssen ganz tief davon überzeugt sein, dass ihre Eltern das Gute für sie wollen und Gutes in ihnen sehen.“
Hilfe und Unterstützung sollten Sie Ihrem Kind vor allem dann gewähren, wenn Sie es dadurch weiterbringen, und nicht einfach, um ihm (und sich selbst) das Leben zu erleichtern. Von der Eltern-Kind-Liebe profitieren alle. Sie dient den Eltern, indem sie ihnen die Gelegenheit gibt, an den verschiedenen neuen Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert werden, zu reifen. Und sie dient dem Kind, indem sie sicherstellt, dass es körperlich, mental und emotional genährt wird.
„Indem der Erwachsene sein Glück vom Verhalten des Kindes abhängig macht, vertauscht er die Rollen. Er wird auf diese Weise selbst zum Bedürftigen und verlangt vom Kind, genährt zu werden.“
Lieben ist die wichtigste Aufgabe im Zusammenleben mit Kindern. Es ist insofern eine Aufgabe, als es die Eltern ständig zum Handeln zwingt. Wer liebt muss Entscheidungen treffen und sich selbst Disziplin aufzuerlegen. Sie müssen sich z. B. gegen starke Stimmungsschwankungen wappnen, denn die Liebe zu Ihrem Kind darf ein bestimmtes Niveau nicht unterschreiten. Keiner findet immer die optimale Lösung im Umgang mit den eigenen Kindern. Wichtig ist, dass Sie sich den Erziehungsaufgaben stellen und versuchen, neue, kreative Lösungen zu finden.
Autorität und autoritäres Verhalten
Ginge es heute noch nach den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts, dann würde Autorität nichts anderes als Unterwerfung bedeuten, mit dem Ziel, dem Kind den Gehorsam einzuimpfen, der in einer streng hierarchisch gegliederten Gesellschaft gefordert wird. Heute wird Autorität zwar anders verstanden, ist aber nach wie vor ein wesentlicher Bestandteil der Erziehung. Voraussetzung, um Autorität ausüben zu können, ist der Respekt Ihres Kindes Ihnen gegenüber. Wenn Sie natürliche Autorität ausstrahlen wollen, müssen Sie autoritäres Erziehungsverhalten vermeiden. Es ist meistens nicht nur kontraproduktiv, sondern schadet in der Regel schadet den Kindern. Sie reagieren mit Kampf, Flucht oder Unterwerfung, wobei keine dieser Reaktionen dem Eltern-Kind-Verhältnis zuträglich ist.
„Disziplin ist immer eine Art Investition, die wir vornehmen, um etwas Besseres zu erreichen. Man muss investieren, um schließlich profitieren zu können. Das gilt auch für die Erziehung.“
Natürliche Autorität besteht aus drei Faktoren: dem Bemühen um kluge Entscheidungen, der maßgeblichen Einflussnahme und dem Respekt des Kindes gegenüber den Eltern. Natürliche Autorität ist das Ergebnis der Multiplikation von Sachkompetenz, Beziehungskompetenz und innerer Stärke. Tendiert einer der Faktoren gegen null, so geht das Ergebnis der gesamten Multiplikation gegen null. Wichtig in diesem Zusammenhang ist ein proaktives Verhalten dem Kind gegenüber. Sehen Sie beispielsweise, wie Ihr Kind in eine frustrierende Situation gerät, so haben Sie als Elternteil die Möglichkeit, dem Kind Handlungsalternativen aufzuzeigen, die ihm die Möglichkeit bieten, mit Freude an eine neue Sache heranzugehen.
Beziehungskompetenz
In der Kindererziehung müssen Eltern immer wieder über den eigenen Schatten springen können. Dies darf jedoch nicht so weit gehen, dass Sie sich selbst überfordern, denn dies nutzt in aller Regel weder Ihnen noch Ihrem Kind. Daher sollten Sie ab und zu die Rolle, die Sie dem Kind gegenüber annehmen, auf ihren Sinn überprüfen, denn Rollen werden häufig aus den eigenen Bedürfnissen abgeleitet und nicht aus den Bedürfnissen des Kindes. Auch sollten Sie Ihr Rollenverhalten Ihren Fähigkeiten anpassen. Wenn Sie es z. B. nicht mögen, Kindern vorzulesen, dann sollten Sie sich auch nicht dazu zwingen, sondern sich auf Ihre Stärken besinnen, also auf das, womit Sie sich gerne gemeinsam mit Ihrem Kind beschäftigen.
„Das Gespräch ist für die Kinder ein Mittel, sich den Erwachsenen zu öffnen und verständlich zu machen. Wir sollten ihnen viele solcher Möglichkeiten anbieten.“
Zur Beziehungskompetenz gehört es, Verständnis zu zeigen. Für die Entwicklung des Kindes ist es wichtig, dass Sie es ernst nehmen. Verständnis ist Ausdruck von Liebe, es unterstützt die Selbstwahrnehmung und -erkenntnis. Verständnis ermöglicht es, Bedürfnisse angemessen zu befriedigen. Wenn Sie Ihr Kind verstehen, wissen Sie auch, was es braucht.
Innere Stärke
Wie sollten Sie sich verhalten, wenn Sie Ihre Kinder bestmöglich erziehen wollen? In jedem Fall sollten Sie sich an den folgenden sechs Faktoren orientieren:
- Wer als Elternteil Verantwortung für sein eigenes Leben übernimmt, ist auch in der Lage, die volle Verantwortung für die Erziehung seiner Kinder zu übernehmen.
- Selbstkenntnis ist notwendige Voraussetzung, um zu wissen, was man sich und dem Kind zumuten kann.
- Das eigene Selbstwertgefühl ist für den Umgang mit Kindern fundamental. Ist es stark angeschlagen, so hat dies negative Folgen für die Erziehungsarbeit.
- Optimismus ist wertvoll, weil er die Chance erhöht, dass auch das Kind eine grundsätzlich bejahende Weltsicht entwickelt.
- Die Fähigkeit zu zweifeln kann helfen, mit vertrauten Gewohnheiten zu brechen. So sind gemeinsame Mahlzeiten grundsätzlich eine wünschenswerte Institution. Fühlt sich aber keiner wohl dabei, sollte man den Sinn dieser Gewohnheit ruhig in Frage stellen.
- Sinn und Erfüllung sucht jeder in seinem Leben. Wenn Sie sie für sich selber gefunden haben, fallen Ihnen die Erziehungsaufgaben leichter.
Die AKTIV-Formel
Wenn Sie die Erziehung aktiv gestalten wollen, sollten Sie eine Reihe von Vorgaben beachten, die sich in der AKTIV-Formel zusammenfassen lassen: Die Abkürzung steht für Aufmerksam sein, Klarheit herstellen, Taten folgen lassen, Im Gespräch bleiben, Vertrauen schaffen.
- Aufmerksam sein: Wenn Sie Ihren Kindern gegenüber aufmerksam sind, gelingt es Ihnen, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Antworten zu finden. Ebenso wichtig ist Einfühlungsvermögen, denn dadurch lernen Sie zu verstehen, wie Ihr Kind mit bestimmten Situationen umgeht. Voraussetzung für gelungenes Einfühlen ist das Verständnis der eigenen Gefühle. Wenn es Ihnen einmal nicht gut geht und Sie auch dem Kind gegenüber nicht in der Lage sind, Höchstleistungen zu erbringen, sollten Sie das akzeptieren. Überforderte Eltern sind in der Regel keine guten Eltern. Ein weiteres Kriterium im Bereich Aufmerksamkeit ist die Fähigkeit, die „Hubschrauberperspektive“ einzunehmen. Das gilt besonders für Situationen, in denen Ihnen die Kontrolle über Ihre Emotionen abhanden zu kommen droht.
- Klarheit herstellen: Um Konfliktsituationen dauerhaft zu meistern, müssen zunächst einmal die eigenen Ziele und die der Kinder abgesteckt werden. Erst wenn Sie die Ziele kennen, können Sie die Wege finden, die Sie dorthin bringen. Wer die notwendige Klarheit für sich und seine Kinder geschaffen hat, ist fähig, Grenzen zu ziehen und gewisse Regeln für das gemeinschaftliche Zusammenleben aufzustellen. Nur wer seine Regeln dem Kind erklären kann, schafft es, Verständnis dafür zu wecken. Dazu gehört es, dem Kind mögliche Handlungsalternativen aufzuzeigen, mit denen es gleichzeitig ein Problem lösen und die entsprechende Regel befolgen kann. Sonst wird die Regel zur Sackgasse, in die Ihr Kind immer wieder gerät.
- Taten folgen lassen: Wer erzieht, muss sich auch über die eigene Vorbildfunktion im Klaren sein. Für das Kind ist es entscheidend zu erkennen, dass die Eltern sich an ihre eigenen Vorgaben halten. Wer z. B. haufenweise Süßigkeiten isst, sie dem Kind aber mit dem Argument verweigert, Süßes sei ungesund, wirkt unglaubwürdig. Auf Strafen im klassischen Sinne sollte bei der Erziehung generell verzichtet werden. Sinnvoller ist es, die Kinder mit den Folgen ihrer Handlungen zu konfrontieren. So können sie selbst aus ihren Fehlern lernen. Wenn Sie Ihr Kind einmal ungerecht oder unangemessen behandeln, sollten Sie es um Verzeihung zu bitten.
- Im Gespräch bleiben: Immer wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, ist ein wichtiger Bestandteil der Erziehung. Dies gilt gerade für Eltern, die vom Arbeitsleben sehr stark in Anspruch genommen sind. Wichtig ist die Qualität der Kommunikation, nicht die Häufigkeit. Es nützt nichts, viel miteinander zu reden, wenn der eine dem anderen nicht zuhört. Gute Kommunikation entsteht, wenn einer den anderen an seinem Leben teilhaben lässt. Was für Kinder eine Selbstverständlichkeit ist, müssen Erwachsene oft erst lernen. Kinder haben z. B. ein starkes Interesse, etwas über das Berufsleben ihrer Eltern zu erfahren.
- Vertrauen schaffen: Liebe und Vertrauen ergänzen sich und sind naturgemäß eng miteinander verbunden. Wenn Sie Ihr Kind lieben und vertrauensvoll behandeln, stärken Sie Ihre natürliche Autorität. Diese können Sie dann in entscheidenden Phasen der Erziehung zum Wohl der Kinder geltend machen.