Von der Randgruppe zum Mainstream
Debatten über eine umweltverträgliche Wirtschaft waren noch vor wenigen Jahren eine Spielwiese für Randgruppen. Ökologisch gesinnte Jugendliche bekundeten mehr oder weniger radikal ihre Abneigung gegen Atomkraft, Autos oder die Lebensmittelindustrie. Heute hat sich das Bild gewandelt: Ökologische Sensibilität gehört zum guten Ton, hat die Mitte der Gesellschaft durchdrungen und ist mehrheitsfähig. Hier bieten sich Chancen für Unternehmen. Wer sich rechtzeitig auf die „Greenomics“ – die ökologische Ökonomie der Zukunft – einstellt, wird auf den Märkten nicht ins Hintertreffen geraten.
„Viele Anzeichen sprechen dafür, dass wir gerade den Beginn einer neuen Ära erleben.“
Gemäß Schätzungen wird im Jahr 2010 das Marktpotenzial für grüne Produkte und Dienstleistungen in den USA bei rund 424 Milliarden Dollar liegen. Die größten Anteile belegen die Bereiche Gesundheit, Lebensmittel und Finanzdienstleistungen, gefolgt von Bausektor und Öko-Tourismus. Diese Märkte bieten gerade deutschen Firmen gute Perspektiven: Sie sind hier in einigen Bereichen – z. B. Umwelttechnik und Fotovoltaik – bereits Weltmarktführer.
Ein neuer Konsumstil: LOHAS
Der Bio-Trend hat eine neue Art von Konsumenten hervorgebracht: die so genannten LOHAS. Hinter der Abkürzung verbirgt sich das Streben nach einem „Lifestyle of Health and Sustainability“. Auch in Deutschland wächst diese Kundengruppe, wie am regen Betrieb in den immer zahlreicheren Bio-Supermärkten zu sehen ist. Diese Konsumenten verbinden, was sich früher vermeintlich ausschloss: Gesundheit und Genuss, Stil und Verantwortungsbewusstsein. Rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung sind potenzielle LOHAS. Die Allgegenwärtigkeit des Megatrends Ökologie in der Konsumentenforschung ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass er tatsächlich gesellschaftlich relevant geworden ist.
„Wer versteht, wie eine ursprünglich marginale Idee zum Leitsystem unserer Zivilisation wird, der hat auf den – selbstredend grünen – Zukunftsmärkten die besten Chancen.“
Für das Marketing ist es wichtig zu wissen, dass die neue Zielgruppe in allen Alters- und Einkommensklassen anzutreffen ist und allen möglichen Schichten angehört. LOHAS sind sowohl wertebewusst als auch fortschrittlich. Mit klassischem Marketing erreichen Sie diese kritischen Konsumenten kaum, überredende Methoden werden schnell durchschaut. LOHAS verlangen Respekt für ihre Wünsche und ihre Wertmaßstäbe. So nahm der Discounter Lidl nach Kundenprotesten von der Übernahme der Öko-Kette Basic Abstand. Was die neuen Konsumenten suchen, ist Qualität, Authentizität, Nachhaltigkeit und Spiritualität. Sie schauen weniger fern, nutzen dagegen stark das Internet, sind kulturinteressiert und nicht materialistisch orientiert. Übrigens: Im Chinesischen bedeutet das Wort „Lohas“ „glückliches Leben“.
Neo-Ökologie verändert die Städte
Der neue Lebensstil fängt an, sich auch im Stadtbild bemerkbar zu machen. Die Zahl der umweltfreundlichen Passivhäuser hat sich in Deutschland seit 2005 verdoppelt. Für Energiebewusste gibt es bereits 170 spezielle Siedlungen. Der Energiepass für Wohnhäuser ist zur Pflicht geworden. Viele junge Städter freunden sich sogar mit vermeintlichen Spießertätigkeiten an: Sie pachten Schrebergärten und bauen Gemüse an. Andere ziehen ganz aufs Land; dank moderner Kommunikationstechnologien ist das gut vereinbar mit einem Job auch außerhalb der Landwirtschaft.
„LOHAS sind moralische Hedonisten, vielleicht der erste Lebensstil, der mit Recht global zu nennen ist und in relativer Gleichzeitigkeit die meisten Menschen in den modernen und demokratischen Staaten erfasst hat.“
In der Stadtplanung stoßen Begriffe wie „Downshifting“, „Urban Farming“ oder „Slow City“ auf Widerhall. Der Anbau und Verkauf lokaler und regionaler Produkte gehört ebenso zu diesen Konzepten wie umweltfreundliche Abfallentsorgung und Verkehrsmittel. New York, London, Bradford: Immer mehr Städte in den USA und in Europa schmieden Pläne, Energie und Kohlendioxid einzusparen. In der chinesischen Vier-Millionen-Stadt Kunming prangt schon heute auf fast jedem Dach ein Sonnenkollektor, in Guangzhou entsteht gerade der erste Nullenergie-Wolkenkratzer der Welt.
Arbeits- und Wohnumgebungen für die neuen Stadtbewohner
Die berufliche Wechselbereitschaft hat zugenommen. Entsprechend flexibel werden die Wohnhäuser der Zukunft sein; Eigenheime passen sich der Lebenssituation an. In den USA werden Häuser gebaut, die in einfacher Modulbauweise ihren Bewohner an den jeweiligen Arbeitsort begleiten – beim Umzug kommt das Haus einfach mit. Büros auf vier Rädern sind ebenfalls im Angebot. Neben den höheren energetischen Standards werden Fertighäuser auch immer höhere architektonische Ansprüche erfüllen müssen, um Käufer zu finden.
„Der Urbanisierungstrend schafft in den kommenden Jahren einen neuen globalen Megamarkt für Umwelttechnik und nachhaltige Standortentwicklung.“
Natürliche Baustoffe – bis hin zum Rasen für die Wand – eignen sich ebenso für die Häuser der Zukunft wie mit Hightechfasern kombinierter Beton, aus dem sich lichtdurchlässige Wände konstruieren lassen. Rund um die individuelle Einrichtung der Wohnung, die als Mittelpunkt des Lebens immer wichtiger wird, bieten sich Chancen für Dienstleister, z. B. in der Typ- oder Stilberatung.
Der mobile Mensch fährt Fahrrad und Hybridauto
Nicht nur die Rad-, sondern auch die Autofahrer sind der Meinung, dass die Autokonzerne zu wenig für die Umwelt tun. Zumindest haben rund 60 % der Pkw-Fahrer diesen Eindruck. Jeder Achte von ihnen liebäugelt mit dem Kauf eines Autos mit alternativem Antrieb. Der Erfolg von Hybridautos wie dem Toyota Prius setzt deutsche Hersteller unter Zugzwang, ebenfalls die zukunftsträchtige Hybridtechnik einzuführen. Diese wird allerdings nur die Vorstufe zu anderen Alternativantrieben sein, z. B. auf Wasserstoffbasis.
Mit grünen Finanzanlagen wachsen
Banken und Finanzdienstleister haben die Popularität ökologisch und ethisch nachhaltiger Anlagen entdeckt. Deren Volumen hat sich in Europa innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Vor allem institutionelle Anleger investieren in Umweltfonds oder in innovative Energietechnik. Die Publikumsfonds für Privatanleger werden von den Fondsgesellschaften mit zwei Pluspunkten beworben: gute Rendite und gutes Gewissen.
„Design entscheidet darüber, welches Unternehmen Marktführer wird und welches nicht.“
Die grün gestimmten Fondsmanager nehmen inzwischen auch Einfluss auf ihre Anlageobjekte: So verlangte ein US-Pensionsfonds von US-Automobilkonzernen ein Klimaschutzkonzept. Ford reagierte sofort. Viele Unternehmen werden von sich aus aktiv und engagieren sich in Umweltprojekten. Unter dem Schlagwort „Corporate Social Responsibility“ verbinden immer mehr Firmen ihr Geschäft mit Klimaschutz – z. B. Fluggesellschaften, die bei ihren Kunden für Spenden zur Treibhausgasreduktion werben.
Trendsetter Bio-Lebensmittel
In der Lebensmittelbranche ist der Bio-Trend als Massenphänomen am deutlichsten sichtbar. Veränderungen in der Ernährungsweise spiegeln wider, dass sich eine Gesellschaft auch auf anderen Gebieten verändert. Nach diversen Lebensmittelskandalen ist das Bewusstsein für gesundes Essen gestiegen. Die Verbraucher suchen vertrauenswürdige Hersteller, wovon die verschiedensten Produzenten profitieren, bis hin zu den deutschen Klosterbetrieben. Das Geschäft mit Bio-Lebensmitteln boomt, auch dank der Discounter, mit zweistelligen jährlichen Zuwachsraten. In Deutschland – nach den USA der zweitgrößte Bio-Markt der Welt – wurden im Jahr 2006 bereits 4,5 Milliarden Euro umgesetzt.
„Keine andere Genussbranche muss sich derart für ihre Öko-Bilanz rechtfertigen wie die Reisebranche.“
Zwar ist der Marktanteil klein: Noch stammen 97 % aller deutschen Lebensmittel aus konventioneller Herstellung. Aber die Grenzen verschwimmen. Es gibt strenge und weniger strenge Bio-Siegel. Und LOHAS gönnen sich auch mal Fastfood und Tiefkühlkost, solange sie ethisch korrekt hergestellt wurden. Selbst bei McDonald’s gibt es inzwischen nicht nur Öko-Milch, sondern auch Bionade. Die regionale Herkunft der Lebensmittel ist den Kunden wichtiger geworden. Damit werden Geschäftsideen wie regionale Bio-Siegel möglich.
Gesund und sportlich
Die Menschen nehmen heute das Thema Wohlbefinden und Gesundheit immer ernster. Das demonstriert nicht erst das Rauchverbot, das in mehr und mehr Ländern weltweit in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten eingeführt wird. Gesundheitsfaktoren spielen bei Konsumgütern eine entscheidende Rolle: Bei 80 Prozent aller Kaufentscheide führen Verbraucher gesundheitliche Motive an. Der Gesundheitsbereich wandelt sich vom Krankenkassenmarkt zum Kundenmarkt. Rezeptfreie Medikamente sind nicht nur für Internetapotheken zum Umsatzbringer geworden. Auch Krankenhäuser und Arztpraxen locken Selbstzahler mit speziellen Angeboten und dem Versprechen hoher Qualität. Außerdem haben Gesundheitsprobleme die Nachfrage nach sogenanntem Functional Food massiv gesteigert. Und viele besuchen heute auf eigene Kosten Wellness-Farmen und schminken sich mit Naturkosmetik.
„Immer mehr Metropolen setzen auf den Neo-Ökologie-Trend und versuchen, ein ökologisch korrektes Stadtleben umzusetzen.“
Fitness ist den LOHAS wichtig: Nicht nur Fun-Sportarten erfreuen sich steigender Beliebtheit, sondern auch vermeintlich altmodische Beschäftigungen wie Wandern, Gärtnern und Heimwerken. In den entsprechenden Märkten tummelt sich eine Reihe von neuen – ökologisch korrekten und hochpreisigen – Spezialanbietern. Einige haben sich schon zur Branchengröße entwickelt, z. B. der Outdoor-Ausrüster Jack Wolfskin. Vom Trend zum neuen Alten profitiert angeblich sogar die großmütterliche Handarbeit: Stars wie Madonna oder Russell Crowe haben sich als begeisterte Stricker und Häkler geoutet.
Design wird individuell und Mode ökologisch
Die neue Zielgruppe besteht nicht aus Genussverweigerern und Kostverächtern. Dementsprechend sollten Sie diese Kunden auch ästhetisch ansprechen. Setzen Sie auf Design. Apple hat es mit dem iPod vorgemacht. Und es klappt sogar mit Putzmitteln, zumindest in den USA. Dort haben ein Chemiker und ein Designer mit Erfolg eine Firma für ökologisch korrekte Reiniger in ästhetisch anspruchsvoller Verpackung gegründet.
„Das Zuhause als selbstgestalteter Mittelpunkt des eigenen Lebens gewinnt in Zukunft weiter an Gewicht.“
Die aktiven Konsumenten der Zielgruppe – Prosumenten genannt – schreiten gern selbst zur Tat und produzieren Taschen, Kleidung und andere Designartikel nach ihren Vorstellungen, um sie in Szenegeschäften zu verkaufen. Ein Paradebeispiel für ein solches Start-up sind die international erfolgreichen Schweizer Brüder Daniel und Martin Freitag, die Umhängetaschen aus Lkw-Planen herstellen. Das Trendlabel American Apparel verkauft seine T-Shirts mit Ethik (in der Produktion) und Sex (in der Werbung). Die großen Textilhändler ziehen mit Bio-Baumwollmode nach. Wem es gelingt, hohe Qualitätsansprüche mit ethischen Standards zu verbinden, etwa dem Verzicht auf die Produktion in Niedriglohnländern, hat gute Aussichten auf Erfolg.
Öko-Tourismus auf dem Vormarsch
Das ökologische Bewusstsein der LOHAS hat bislang noch nicht dazu geführt, dass weniger Flugreisen gebucht werden. Aber das Interesse an ökologisch vertretbaren Reiseangeboten und Kompensationsgeschäften wächst – z. B. durch Abgaben an Klimaschutzprojekte. Touristenorte werben damit, dass ihre Schneeraupen mit Bio-Diesel fahren oder Strom vor Ort aus Windenergie gewonnen wird. Eine Chance für neue Reiseanbieter sind individuelle Spezialreisen, seien es Angebote mit Hotel-Kindergarten, Wellness-Extras oder Design-Umgebung. Den individuellen Geschmack der Kunden zu treffen, wird zum Muss für Reisebüros, die auch in Zukunft erfolgreich sein wollen.