Die Immobilienblase
Übertreibungen liegen in der Natur des Menschen. Das ist letztlich der Grund für Finanzblasen wie die von 2007. Selbst mit der besten Regulierung lässt sich so etwas nicht verhindern. Was ist in jüngster Zeit passiert? Nach der Jahrtausendwende mit ihrem beispiellosen Aktienboom und anschließenden Crash sanken die Zinsen in den USA dermaßen stark, dass es sich für Amerikaner lohnte, Geld zu leihen und dieses in anderen Vermögensklassen anzulegen. Beispielsweise in Immobilien. Zwischen 2000 und 2006 kletterten die Immobilienpreise um 120 % (New York) oder gar 180 % (Miami). Die Vereinigten Staaten erlebten einen auf Pump gebauten Hausboom, der jede bis dato da gewesene Spekulationsblase in den Schatten stellte. In der Endphase des Booms erhielt jeder, der eine Hypothek haben wollte, tatsächlich eine – unabhängig von seiner Kreditwürdigkeit.
Run in den Ruin
Der positive Effekt auf die Weltwirtschaft blieb nicht aus: Immobilien und Aktien stiegen im Preis, speziell amerikanischen Hausbesitzern ging es jahrelang ausgezeichnet. Aber der Boom war fremdfinanziert, und ein Kredit ist ein Kredit – zumindest war das früher einmal so. Heutzutage sind Banken in der Lage, vergebene Kredite auf dem Finanzmarkt weiterzureichen und sie so aus der eigenen Bilanz zu nehmen; man nennt das „Verbriefung“. Dieses Vorgehen schafft Raum für weitere Kredite und hat sich binnen Kurzem zur gängigen Praxis entwickelt.
„Das Platzen der Kreditblase wirft für die Mathematiker ein großes Problem auf. Denn rein mathematisch hätte diese Blase nicht platzen dürfen.“
Der Ritterschlag kam von den Rating-Agenturen. Mithilfe mathematischer Modelle, die die Rückzahlungswahrscheinlichkeit von Krediten berechnen, bewerteten die großen Agenturen die durch Kredite gedeckten festverzinslichen Wertpapiere. Ein hohes Rating bedeutet hohe Sicherheit, sollte man meinen. Das Rating eines Wertpapiers bestimmt aber zugleich den Preis, der sich dafür erzielen lässt. In den Boomjahren war es kein Problem, die vor allem mit Immobilien-, aber auch mit Autofinanzierungskrediten unterlegten, verbrieften Wertpapiere an den Abnehmer zu bringen. 2007 war es fast auf einen Schlag aus damit.
Streik am Kreditmarkt
Im Februar des Jahres meldete New Century, der zweitgrößte Kreditgeber für nicht erstklassige („subprime“) Kredite in den USA, hohe Verluste im Stammgeschäft. Das war ein Warnruf. Plötzlich stiegen die Zinsmargen (Risikoaufschläge gegenüber erstklassigen Anleihen), auch für Kreditpapiere, die gar nicht mit dem Immobilienmarkt zusammenhingen. Nach diesem kurzen Einbruch setzte sich der Boom jedoch wieder unbeirrt fort. Und mit einem neuen Typus von Kredit kam eine zusätzliche scharf gemachte Bombe ins Spiel: Der Kredit für Unternehmen mit schlechter Kreditwürdigkeit – er war das Äquivalent zum Subprime-Kredit am Immobilienmarkt – sah nicht mehr die sonst üblichen Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen vor. Mit dieser neuen Runde fauler Kredite war der Anfang vom Ende eingeläutet. Mitte Juni 2007 standen zwei Hedgefonds der renommierten US-Investmentbank Bear Stearns vor dem Kollaps, nach New Century gerieten weitere Subprime-Kreditgeber in Schieflage, die Hauspreise in den USA entwickelten sich plötzlich landesweit rückläufig. Das Ergebnis: ein Käuferstreik bei Kreditpapieren und ein Verkäuferstreik am Interbankenmarkt, auf dem sich die Banken untereinander Tagesgeld ausleihen.
Knall auf Fall
Das war der große Knall. Die Beschwichtigungsversuche der betroffenen Zentralbanken dies- und jenseits des Atlantiks wirkten unglaubwürdig. Die Bank of England verhielt sich vollends unseriös, als sie einen Tag nach ihrer Warnung vor „moralischen Gefahren, wenn Zentralbanken das Finanzsystem mit allzu viel Liquidität unterstützen“, die Hypothekenbank Northern Rock vor der Pleite bewahrte und verstaatlichte. Die deutsche Bundesregierung tat nichts anderes, als sie angeschlagenen Landesbanken wie der Sachsen LB unter die Arme griff.
„Das Problem ist nicht Regulierung. Das Problem war eine Überzahl extrem risikofreudiger Investoren. Die beste Methode, dieses Problem zu lösen, ist nicht Regulierung, sondern ein Crash.“
Die Zentralbanken machten in dieser Situation einen Kardinalfehler, der jede Glaubwürdigkeit vermissen ließ: Sie halfen den nicht mehr zahlungsfähigen Finanzinstitutionen, sodass Spekulanten die Gewinner waren. Ging das Wagnis auf, behielten sie ihren Gewinn; tat es das nicht, sprangen ihnen Zentralbank oder Regierung helfend zur Seite – der Steuerzahler beglich die Rechnung. Nun stellt sich die Frage, ob die Hypothekenkrise des Jahres 2007 nur ein Vorbeben oder schon das Beben selbst war.
Fehlender Lerneffekt
Ist der zeitweilige Zusammenbruch des Kreditmarktes womöglich ein Anzeichen für das Scheitern des kapitalistischen Systems an sich? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich vergegenwärtigen, wieso es immer wieder zu Übertreibungen, zu Blasen an den Finanzmärkten kommt. Allen Spekulationsblasen gemeinsam sind zunächst eine mitreißende Jubelstimmung und der anschließende Versuch, hohe Preise durch Scheinargumente zu rechtfertigen. Das Kreditvolumen steigt an, die Investoren kaufen auf Pump. Ob nun die berühmte Tulpenzwiebelblase des 17. Jahrhunderts, die Übertreibungen der Jahre 1907 und 1929 oder die New-Economy-Blase der Jahrtausendwende – sie alle trugen diese klassischen Anzeichen.
„Was passiert, wenn eine Bank an die Kreditobergrenze stößt? Eine der Möglichkeiten ist, dass sich die Bank mit dieser Situation begnügt. Eine genügsame Bank ist allerdings ein Widerspruch in sich.“
Man sollte meinen, dass die Menschen erkennen, wenn sie sich in eine Spekulationsblase hineinmanövrieren. Alan Greenspan, US-Notenbankchef über beinahe zwei Jahrzehnte, resümierte nüchtern: „Menschen können die Blasen nicht vermeiden. Sie können nicht lernen.“
Wie der Kreditmarkt funktioniert
Im Gegensatz zum Aktienmarkt handeln auf dem Kreditmarkt nur professionelle Akteure. Die aus Krediten gebastelten Konstruktionen sind z. T. hochkomplex. Sogar viele Profis verstehen sie nicht vollständig – was sie aber nicht davon abhält, damit zu handeln. Stark vereinfacht ausgedrückt geschieht nichts anderes, als dass Kredite in Wertpapieren gebündelt werden, sodass die Bonität dieser Wertpapiere größer sein kann als die zugrunde liegenden Kredite. Das ist keine Zauberei, denn das Wertpapier lässt sich notfalls „überabsichern“. Sie nehmen eine bestimmte Anzahl von Immobilienhypotheken, beispielsweise 100, und bündeln Sie sie zu einem Wertpapier; dieses ist nun mit den Hypotheken unterlegt oder, im Fachjargon, verbrieft.
„Auch wenn man dem Konzept der Finanzmarktinnovationen eher skeptisch gegenübersteht, so muss man dennoch zugeben, dass die Verbriefung zu den großen Innovationen in diesem Sektor gehört.“
Wahrscheinlich erleiden einzelne Hypotheken einen Zahlungsausfall, was in gewissen Grenzen völlig normal ist. Also unterlegen Sie Ihr Wertpapierkonstrukt vorsichtshalber mit mehr als den erforderlichen 100 Hypotheken. Nun können Sie Ihr verbrieftes Wertpapier an Dritte verkaufen. Die Abnehmer erhoffen sich bestimmte regelmäßige Zinszahlungen, deren Höhe ebenfalls von der Bonität der verbrieften Hypotheken abhängt und die sich aus den Hypothekenzinszahlungen speisen. Die Hypothekennehmer erfahren nicht einmal davon, dass ihre Gläubiger mittlerweile gewechselt haben.
Swaps und Derivate
Während das noch einigermaßen einfach war, wird es nun eine Spur komplizierter. Zum wichtigsten Finanzinstrument der jüngsten Zeit avancierte der so genannte Swap, ein Austausch von Zahlungsströmen. Viele Marktteilnehmer können nur bestimmte Arten von Krediten erhalten und möchten lieber andere haben. Der eine hätte etwa gern einen variablen, bekommt aber nur den von der Bank angebotenen festen Zinssatz; ein anderer hätte lieber einen festen und damit berechenbaren Zins. Zunächst sieht es aus, als würden bei einem Swap beide Parteien gewinnen – aber am Ende wird sich eine der beiden Einschätzung als falsch herausstellen, da sich entweder der feste oder der variable Zins als vorteilhafter erweisen wird.
„20 Jahre ist normalerweise die Zeit, die gebraucht wird, bis die Erinnerung an die finanzielle Katastrophe ausgelöscht wird und eine neue Variante der Demenz entsteht, die den Geist der Finanzmärkte erobert.“
Die nächste Stufe ist der Credit Default Swap (CDS). Grundlage eines CDS ist ein Kredit von einer Bank an ein Unternehmen, wobei sich die Bank gegen den Ausfall versichern möchte. Für diese Form der Versicherung zahlt die Bank eine Prämie an denjenigen, der das Risiko auf sich nimmt. Das ist in einem wirtschaftlichen Sinne gesehen eine Versicherungsleistung. Bei CDS handelt es sich um so genannte Derivate, also abgeleitete Wertpapiere. Da der Versicherer ja nur im Ausnahmefall zahlen muss, im optimalen Fall also keine Kosten anfallen, lädt diese Struktur bereits zur Spekulation ein.
„Der Kreditmarkt ist ein Markt, in dem fast nur Profis handeln – im Gegensatz zum Aktienmarkt.“
Zu den weiteren, fast ausschließlich für Insider verständlichen Kreditmarktinstrumenten ist es nur noch ein kleiner Schritt. Während bei MBS (Mortgage Backed Securities, durch Hypotheken besicherte Wertpapiere) noch Hypotheken als Sicherheit zugrunde liegen, besteht bei CDOs (Collateralized Debt Obligations, besicherte Schuldverschreibungen) eine noch größere Distanz zum ursprünglichen Kreditnehmer. Hier werden nicht mehr Hypotheken selbst gekauft, sondern man investiert in verbriefte Hypothekenkredite. CDOs existieren auch auf Kreditkarten- oder Autokrediten. Doch damit nicht genug, denn es geht auch virtuell: Eine Bank gründet eine „synthetische CDO“ und kauft den Versicherungsschutz, den die synthetische CDO verkauft. Irgendwann investieren CDOs in andere CDOs, was von manchen Experten als „wirkliche Innovation“ gefeiert wurde. Spätestens hier war der Punkt, an dem selbst die Profis nicht mehr erfassten, was durch welches Wertpapier besichert war – und anscheinend interessierte es auch niemanden.
So geht’s weiter nach dem Crash
Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 tauchte diese Frage wieder auf. Als die Antwort darauf jedoch für die meisten Beteiligten unbefriedigend ausfiel und sich die Marktteilnehmer fortan misstrauten, brach die Kreditblase in sich zusammen, der Markt für viele verbriefte Papiere trocknete aus. Für die Zukunft sind verschiedene Szenarien denkbar:
- Das Basisszenario sieht eine Krise mittelschweren Ausmaßes. Nach der ersten Phase des Crashs beruhigt sich die Lage wieder. Obwohl für einzelne Banken ein großer Schaden entstanden ist, bleibt er für die Volkswirtschaft insgesamt im erträglichen Rahmen. Die Realwirtschaft leidet zwar, kommt aber um eine Rezession herum. Die Reaktion der Politik ist streng: Obwohl die Krise nicht von den viel gescholtenen Hedgefonds ausging, ist mit einer Welle an Regulierungen zu rechnen. Dieses Szenario ist am wenigsten extrem, was aber nichts über seine Wahrscheinlichkeit aussagt.
- Das optimistische Szenario geht davon aus, dass durch den Crash ein Exzess bereinigt wurde und sich die Märkte anschließend nachhaltiger entwickeln können. Gerade gut aufgestellte Firmen profitieren von dieser Situation. Wenn die Zentralbanken die Leitzinsen noch weiter und drastischer zurücknehmen, kommt es zu einem Boom, der durchaus sogar stärker sein kann als der letzte. Wie ein Markt mit Überspekulation geordnet auf „Normalniveau“ zurückkehrt, bleibt jedoch unklar.
- Das pessimistische Szenario ist nicht der Super-GAU, aber eines, das völlig im Einklang steht mit der Marktlage. Die Krise köchelt vor sich hin, die Banken verzeichnen hohe Abschreibungsverluste und fahren daraufhin ihr Kreditgeschäft zurück. Da sich die US-Wirtschaft spürbar verlangsamt, reagiert die US-Notenbank mit deutlichen Zinssenkungen. Die Realzinsen, bei denen die Inflationserwartungen schon eingepreist werden, drehen ins Negative. Das führt bei Firmen und Konsumenten dazu, sich vermehrt zu verschulden, da Kredite nunmehr äußerst günstig scheinen. Die Politik des lockeren Geldes fördert einen neuen Boom an den Aktien- und Kreditmärkten, die bis 2009 so richtig Fahrt aufnehmen. Nun aber meldet sich die Inflation zurück, denn die Flutung mit Liquidität hinterlässt unweigerlich Spuren. Weil die Leitzinsen wieder erhöht werden, gerät die US-Wirtschaft erst ins Stocken und dann in den Leerlauf. Angeschlagen zwar, aber intakt durchsteht die internationale Finanzwelt den Schock. Dieses pessimistische Szenario lässt sich durch aufkeimenden Protektionismus, spektakuläre Pleiten oder neue Terrorangriffe variieren und verschärfen.