Eine Identität
Manager müssen täglich Entscheidungen treffen – und zwar möglichst die richtigen. Die wichtigste Rolle spielt dabei zweifellos das Gehirn. Die moderne Hirnforschung kann darum den Entscheidungsträgern einiges mit auf den Weg geben. Da ist zunächst das Konzept der Identität. Unser Bewusstsein für unsere Identität ist für Entscheidungen besonders bedeutsam, weil sie unsere Wahrnehmung und damit unsere Informationsaufnahme lenkt. Die Tatsache, dass jeder nur eine einzige wahre Identität besitzt, darf aber nicht zur Monokausalität verleiten: Nicht alles lässt sich auf eine alleinige Ursache zurückführen oder auf einen Nenner bringen. Den einen richtigen Weg finden Sie manchmal erst, wenn Sie einige alternative Wege geprüft haben.
Zwei Hirnhälften
Bekannt ist, dass wir eine linke und eine rechte Hirnhälfte besitzen. Die linke Hemisphäre ist vorwiegend für die Sprache verantwortlich, während in der rechten das räumliche und emotionale Vorstellen beheimatet ist. Links wird analysiert, rechts eher ganzheitlich gearbeitet. Beide Hälften sind dabei auf die jeweils andere angewiesen. Weniger bekannt, aber noch wichtiger ist die Einteilung des Gehirns in oben und unten. Ganz wie in einer Unternehmenshierarchie kümmert sich das Oben um die langfristigen, strategischen Dinge und das Unten um den operativen Betrieb. Auch hier braucht die eine Hälfte die andere und umgekehrt.
„In einem gegebenen Augenblick gibt es immer nur
einen Bewusstseinsinhalt.“
Diese Zweiteilung findet sich in guten Entscheidungen wieder. Schon der römische Geschichtsschreiber Tacitus vertrat die Meinung, dass eine Entscheidung nur dann gut sei, wenn man sie in zwei unterschiedlichen psychischen Situationen fälle. Geben Sie sich also nicht nur mit der nüchternen Analyse von Fakten zufrieden, sondern befragen Sie auch Ihren Bauch. Schließlich wollen Sie ja Menschen mit Ihrer Entscheidung überzeugen, vielleicht sogar begeistern. Das geht nur, wenn Sie Ihr Gegenüber auch emotional zu packen verstehen.
Drei Typen von Nervenzellen
An jeder Entscheidung sind drei Arten von Nervenzellen beteiligt. Die Rezeptoren sorgen für die Informationsaufnahme, was sehr wichtig ist, da Informationen die Grundlage jeder Entscheidung sind. Die motorischen Nervenzellen wirken nach außen, indem sie z. B. unsere Muskulatur steuern. Sie nehmen bei Entscheidungen eine tragende Rolle ein, weil sie uns über unsere Gesichtsmuskulatur dazu befähigen, Gefühle zu zeigen. Erst durch ihren emotionalen Rahmen gewinnt eine Entscheidung an Glaubwürdigkeit.
„Kreativität alleine nützt noch gar nichts; sie muss für den Entscheider in einen konkreten Handlungsrahmen eingebunden werden, in dem zielorientiert und konvergent gedacht wird.“
Als Entscheider demonstrieren Sie auf diese Weise, dass Sie sich mit Ihrem Entschluss identifizieren. Die dritten Zellen werden „großes intermediäres Netz“ genannt. Sie stehen zwischen In- und Output und verarbeiten die Informationen. Externe Reize werden in interne Impulse umgewandelt. Aus externen Informationen entsteht Wissen, ohne das keine Entscheidung gefällt werden kann.
Vier Regeln des richtigen Denkens
Der Staatsmann und Philosoph Francis Bacon verwies auf vier Aspekte, die unser Denken oft fehlerhaft machen: Wir überschätzen unsere analytischen Fähigkeiten, wir machen Fehler aufgrund unserer individuellen Prägung, wir sind durch unsere Sprache beschränkt, sodass ein Teil unseres Denkens immer unausgesprochen bleibt, und wir lassen unsere Gedanken zu leicht durch Vorurteile verfälschen.
„Wenn man in einer emotional geladenen Situation zum gleichen Ergebnis kommt wie bei einer nüchternen Betrachtung, dann hat man eine gute Grundlage für eine Entscheidung.“
Der Philosoph René Descartes entwickelte demgegenüber vier Regeln des richtigen Denkens. Nach der ersten Regel sollen Sie ein Problem in klare Worte fassen. Vorurteilsfrei können Sie sich dem Problem nur nähern, wenn Sie sich der Vorurteile bewusst sind. Nach der zweiten Regel zerlegen Sie das Problem in seine Bestandteile. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn wenn Sie dabei den Blick für das Ganze verlieren, entwickelt irgendwann jedes Teilproblem ein Eigenleben. Die dritte Regel verlangt eine Problemlösung vom Einfachen zum Komplizierten. Dabei sollten Sie auf Ihre Intuition hören, die Sie meistens auf den richtigen Weg führt. Gemäß der vierten Regel müssen Sie ein Problem grundsätzlich vollständig lösen und niemals etwas unter den Teppich kehren.
Fünf Entscheidungsebenen
Ein Entscheidungsprozess verläuft auf fünf Ebenen. Auf der untersten nehmen wir die zum Sachverhalt gehörenden Ereignisse auf, sammeln sozusagen Material. Die nächste Ebene ordnet dieses in Kategorien und schafft Verknüpfungen. Weiter geht es mit der Werkzeug- und Handlungsebene, auf der die handwerkliche Basis gelegt wird, z. B. in Form von Lesen und Schreiben. Darüber folgt die taktische und zuoberst die strategische Ebene, auf der die Ziele vorgegeben werden. Erst diese Ziele bestimmen, was auf den unteren Stufen ablaufen muss.
„Wenn wir etwas zu entscheiden haben, dann ist es unmöglich, sich nur auf eine rationale Basis von Informationen zu stützen, auch wenn man der Meinung ist, dass dies der Fall sei.“
Die oberste Ebene muss sich aber auch nach den Gegebenheiten der unteren richten, um eine Entscheidung über eine Handlung treffen zu können. Die unteren Ebenen mobilisieren nur jene Fähigkeiten, die für die von oben vorgegebene Zielerreichung nötig sind. Insofern braucht jeder Entscheidungsprozess ein Ziel. Wer ein Brainstorming veranlasst und kein Ziel vorgibt, riskiert, dass nichts als unnötiger kreativer Müll produziert wird.
Sechs Grundemotionen
Wie viele Gefühle es genau gibt, ist umstritten, aber eins ist klar: Über alle Kulturen hinweg äußern die Menschen allein über ihre Mimik sechs Grundemotionen, und zwar Angst, Trauer, Ärger, Ekel, Freude und Überraschung. Entscheidungen, die auf der Grundlage von Gefühlen getroffen werden und zugleich einer analytischen Betrachtung standhalten, gelten als die besten. Warum ist das so? Um das zu beantworten, muss man nach dem Sinn von Gefühlen fragen. Gefühle haben, verglichen mit anderen Bewusstseinssystemen wie Wahrnehmung oder Erinnerung, einen langfristigen Charakter. Sie halten unsere Interessen über längere Zeit konstant und sorgen für Kontinuität in den neuronalen Prozessen im Gehirn. Erst diese Tatsache versetzt uns in die Lage, eine Entscheidung lange zu verfolgen und zum Ziel zu führen. Emotional getragene Entscheidungen motivieren nicht nur Sie selbst, sondern auch andere Menschen. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang die Sehnsucht. Sie ist eine treibende Kraft, die alle operativen Möglichkeiten mobilisiert, um ein Ziel auch über eine lange Zeit hinweg nicht aus den Augen zu verlieren. Wecken Sie also mit jeder Entscheidung eine Sehnsucht!
Sieben Sprachkompetenzen
Richtig eingesetzt, kann Sprache bei Entscheidungen Wunder wirken. Es werden sieben Sprachkompetenzen unterschieden. Lexikalische Kompetenz heißt, über den richtigen Wortschatz zu verfügen. Mithilfe der syntaktischen Kompetenz können wir Wörter zu grammatisch korrekten Sätzen verknüpfen. Die semantische Kompetenz versetzt uns in die Lage, Aussagen zu machen, die eine Bedeutung haben. Die Sprachlaut-Kompetenz sorgt dafür, dass wir überhaupt imstande sind, sprachliche Laute von uns zu geben. Durch die prosodische Kompetenz können wir Wörter und Satzteile richtig betonen. Soll die Sprache an die Situation angepasst werden, hilft uns die pragmatische Kompetenz. Sie sprechen beispielsweise bei einer Konferenz anders als beim familiären Abendessen. Auch nicht zu unterschätzen ist die soziale Kompetenz: Jedes Gespräch findet in einem bestimmten sozialen Rahmen statt. In gewissen Situationen sollten Sie z. B. einen Mindestabstand einhalten und Ihrem Gegenüber in die Augen blicken.
Achtsamkeit
Buddha predigte einst, dass der Mensch achtsam sein soll. Er soll seine Worte mit Bedacht wählen, an Zielen langfristig festhalten und nicht in Hektik verfallen. Zur Achtsamkeit gehört, dass wir eine schwerwiegende Entscheidung nicht leichtfertig fällen, sondern uns bemühen, mittels Konzentration und Nachdenken zu einem guten Entschluss zu kommen. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich zu wissen, dass unser Gehirn Informationen immer in einem Takt von etwa drei Sekunden verarbeitet. Wiederholt sich ein bestimmter Reiz nach diesen drei Sekunden, kann es sein, dass wir ihn plötzlich anders wahrnehmen. Ein Ton kann lauter erscheinen oder ein Licht heller. Für Entscheidungen kann das eine große Rolle spielen. Wenn Sie beispielsweise etwas präsentieren und dabei zwei Alternativen anbieten, dann wird die Wahrnehmung Ihres Gegenübers verzerrt, wenn der zweite Aspekt erst nach dem Drei-Sekunden-Intervall präsentiert wird. Grundsätzlich wird die zuletzt erhaltene Information überschätzt. Reduzieren Sie darum die Komplexität der zu vergleichenden Sachverhalte, sodass Gleichzeitigkeit gewährleistet ist.
Neun Stolpersteine
Unter den zahlreichen Stolpersteinen auf dem Weg zu einer Entscheidung gibt es neun, die besonders häufig auftreten. Da ist erstens der Hang zur Monokausalität. Wir wollen am liebsten immer nur eine Begründung für alles haben und verschließen uns vor Alternativen. Zweitens sind zu plastische Bilder und zu einfache Abstraktionen einer guten Entscheidung meistens nicht dienlich. Dritter Stolperstein: Oft haben wir Probleme, unsere Gedanken in Worte zu fassen. In einer solchen Situation ist es gut, auch mal nur auf den Bauch zu hören. Lassen Sie sich viertens nicht zu sehr von der Meinung anderer leiten. Der fünfte Stolperstein ist die Zufallsblindheit: Wer das strategische Ziel nicht aus den Augen verliert, darf und sollte sich sogar auch von Zufällen leiten lassen, denn gerade sie sind es, die häufig zu großen Entdeckungen führen. Sechster Punkt: Nicht zu kurzfristig denken, sonst bleibt die langfristige Strategie auf der Strecke. Gewisse Dinge brauchen einfach Zeit, Nachdenken beispielsweise. Deshalb ist – siebtens – der Schnellste nicht automatisch der Kompetenteste; Sachverständnis kann sich auch langsam äußern. Versäumen Sie es darüber hinaus nicht – achter Stolperstein – Ihren „statistischen Sinn“ zu trainieren; Statistiken bilden oft wichtige Entscheidungsgrundlagen, indem sie helfen, herauszufiltern, was relevant ist. Schließlich: Wir alle sind Menschen mit Schwächen. Machen Sie sich das bewusst.
Zehn Elemente der Entscheidungspyramide
Die Rahmenbedingungen einer guten Entscheidung lassen sich in einer Entscheidungspyramide mit zehn Elementen festhalten. Dabei gibt es vier Ebenen. Die unterste bildet die Basis mit vier Elementen: evolutionärer Rahmen, ethische Prinzipien, ökologische Verantwortung und ökonomisches Verständnis. Wir folgen z. B. rein evolutionstechnisch bedingt den Prinzipien der Einfachheit und der Klarheit, zweier Aspekte, die eine gute Entscheidung ausmachen, da sie helfen, diese im Gedächtnis zu verankern.
„Wenn wir zwei Dinge miteinander vergleichen, dann müssen diese ‚gleichzeitig‘ in unserem Bewusstsein repräsentiert sein, damit kein systematischer Fehler gemacht wird.“
Die zweite Ebene enthält drei operative Elemente: leichter Zugang zu Informationen, mühelose Informationsverarbeitung und effizientes Handeln. Mühelos verarbeiten wir Informationen beispielsweise dann, wenn sie in einen emotionalen Rahmen eingebettet sind. Ein gutes, oder besser schlechtes Beispiel sind die vielen Firmenzusammenschlüsse, bei denen schlecht informiert, über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg entschieden und den Emotionen keine Beachtung geschenkt wird.
„Wenn man über sich Bescheid weiß, hat man schon gewonnen.“
Auf der dritten Ebene befinden sich die individuellen und sozialen Ziele bzw. die Elemente Kreativität sowie Einbettung in ein soziales Gefüge. Andere Menschen sind Teil unserer Identität. Wenn wir in einen sozialen Kontext eingebettet sind, fühlen wir uns sicher. Darum ist es auch wichtig, sich in Entscheidungssituationen bei anderen Menschen rückzuversichern.
„Schwankungen an der Börse, Wirtschaftszyklen sind eher ein Ausdruck einer langfristigen Stabilität als ein Ausdruck von Instabilität, auch wenn das in kurzen Zeitfenstern so aussehen mag.“
Die vierte Ebene bildet die Spitze der Pyramide. Hier geht es um das strategische Ziel. Alles auf der Welt strebt stets ein dynamisches Gleichgewicht an. Genauso verhält es sich mit Entscheidungen. Auch sie sollten immer Stabilität durch ein dynamisches Gleichgewicht anstreben. Orientieren Sie sich an der Evolution. Behalten Sie das strategische, langfristige Ziel im Blick, statt nur nach schnellen Erfolgen zu jagen.