Was bleibt

Buch Was bleibt

Wie die richtige Story Ihre Werbung unwiderstehlich macht

Hanser,


Rezension

„Was bleibt ... hängen“ lautet eigentlich der vollständige Titel dieses US-Best­sellers. Zumindest schlussfol­gert man das, wenn man das Cover einer eingehenden Analyse unterzieht: Da baumelt ein kleiner, goldener Elefant an einem Angelhaken. Ein Hinweis auf das sprichwörtliche Ele­fan­tengedächtnis? Ist ja auch egal, denn derart um die Ecke denken die Gebrüder Heath ansonsten nicht. Zum Glück, denn dafür ist ihre Botschaft – gute Werbung heißt, eine gute Geschichte zu erzählen – zu wichtig. Sicher ist diese Erkenntnis nicht ganz neu, aber selten wurde sie so anschaulich und überzeugend auf den Punkt gebracht wie hier. BooksInShort empfiehlt das Buch deshalb keinesfalls nur Mar­ket­ing­fach­leuten. Wenn Sie als Führungskraft Ihre Mitarbeiter motivieren, als Politikerin Ihre Wählerschaft überzeugen oder als Lehrer Ihre Schüler nicht langweilen wollen, dann können Sie sich von Chip und Dan Heath einiges abschauen. Und zwar auf so un­ter­halt­same Art, dass Sie es bestimmt nicht gleich wieder vergessen.

Take-aways

  • Abstrakte Aussagen sind nicht einprägsam. Nur Geschichten bleiben haften.
  • Eine Geschichte kann aus einem einzigen Satz bestehen.
  • Legen Sie zuerst Ihr Ziel fest und setzen Sie eine Priorität.
  • Ihre Botschaft ist nur dann erfolgreich, wenn sie für Ihre Zielgruppe relevant ist.
  • Er­fol­gre­iche Geschichten folgen der SUC­CESs-Formel: simple, unexpected, concrete, cre­den­tialed, emotional story.
  • Einfach heißt: Kompakt und all­ge­mein­verständlich wie ein Sprichwort. Vergessen Sie Ihr Vorwissen und stellen Sie sich jemanden vor, der keine Ahnung von Ihrem Produkt hat.
  • Unerwartet heißt: Mehr bieten, als erwartet wird. Wissenslücken schaffen und schließen, etwa in Form eines Cliffhang­ers.
  • Konkret heißt: Nicht abstrakt sein. Manchmal hilft ein Vergleich, um verstanden zu werden.
  • Glaubwürdig heißt: Erzählen, was man selber kennt. Dann ist es nachvol­lziehbar.
  • Emotional heißt: Vorstel­lun­gen wecken, welche die Menschen zum Handeln bringen.
 

Zusammenfassung

Die alte Kunst der guten Geschichte

Fabeln, Märchen, alte Legenden, Sprichwörter, aber auch manche moderne Sage – wie die von dem Mann, der betrunken gemacht wird und ohne Niere in einer eisgefüllten Badewanne wieder aufwacht – sind viel einprägsamer als das meiste, was wir sonst hören oder lesen. Sie enthalten Merkmale und Elemente, die man analysieren und als Maßstab für eine gelungene Wer­beaus­sage verwenden kann. Ihre Botschaft muss einfach, unerwartet, konkret, glaubwürdig und emotional sein; dann bildet sie eine gute Geschichte, die zu einem bestimmten Verhalten führt. In­for­ma­tio­nen in einer guten Geschichte zu verpacken, fördert nicht nur den Pro­duk­tverkauf, sondern erleichtert auch das Lernen oder motiviert Mitarbeiter. Die genannten Prinzipien lassen sich – auf Englisch – in der SUC­CESs-Formel zusam­men­fassen: Eine gute Geschichte ist eine „simple, unexpected, concrete, cre­den­tialed and emotional story“.

Zum Kern vorstoßen

Um zum Kern einer Geschichte vorzu­drin­gen, müssen Sie alles Überflüssige, alle „technischen“ Details weglassen, auch wenn sie Ihnen bedeutsam vorkommen. Räumen Sie Ihr Vorwissen beiseite und versetzen Sie sich in die Lage von jemandem, der keine Ahnung hat, wovon Sie sprechen. Es kommt auf die eine klare Botschaft an, die in einem Satz Platz findet. Auch wenn es viele wirklich gute Argumente für Ihr Produkt oder Ihre Di­en­stleis­tung gibt: Wenn Sie wollen, dass Ihre Aussage ankommt und dass man sie sich merkt, dann kann es nur eine sein. Ersparen Sie dem Leser oder dem Zuhörer die Qual der Wahl. Jour­nal­is­ten lernen, die wichtigste Aussage ihres Artikels an den Anfang zu stellen. Einfach heißt nicht „simpel“, sondern „wesentlich“. Der Chef einer amerikanis­chen Bil­ligfluglinie brachte sein oberstes Firmenziel auf die Formel „Wir sind DIE Bil­ligfluglinie“. Damit wissen alle Mitarbeiter in jeder Situation, was sie zu tun haben, auch ohne de­tail­lierte Hand­lungsan­weisun­gen. Sie können sich jeden Spaß – natürlich unter Beachtung der Sicher­heitsvorschriften – und jeden Service erlauben, solange er keine Mehrkosten verursacht. Ähnlich lautete der Auftrag des Sony-Gründers, als man noch nicht so recht wusste, was man mit den gerade erfundenen Tran­si­s­toren anfangen sollte und Radios noch Möbelstücke waren. „Baut ein Taschen­ra­dio“, sagte er einfach. Um diese Einfachheit zu erreichen, müssen Sie:

  1. Das Ziel festlegen.
  2. Prioritäten setzen.

Einfach sein

Haben Sie eine Kernidee gefunden? Dann achten Sie auf:

  • Konkrete For­mulierung: „Ein Radio, das in die Tasche passt.“ Versuchen Sie, so deutlich zu sein wie jener Chefredak­tor einer Lokalzeitung, deren Leser sich vor allem für das in­ter­essieren, was die Leute in ihrer Umgebung machen: „Bringt Namen, Namen und nochmals Namen“, sagte er. Das wurde verstanden.
  • Relevanz für die Zielgruppe: Was in der Nach­barstadt passiert, in­ter­essiert den Lokalblat­tleser nur, wenn es Auswirkun­gen in seinem eigenen Ort hat.
  • Kompaktheit: Das Sprichwort „Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach“ verdichtet einen kom­plizierten Sachverhalt zu einem einfachen Bild.
  • Sinnvolle Wirkung: Das Sprichwort vom Spatz stimmt nicht nur, sondern enthält auch eine nützliche Ver­hal­tensregel.
„Um bei jeder Idee den Kern freizulegen, muss man ein Meister des Ausschließens sein. Wir müssen gnadenlos Prioritäten setzen.“

Wenn Sachver­halte kompliziert sind, lassen sie sich oft durch einen Vergleich vere­in­fachen, beispiel­sweise: Eine Pomelo ist eine Art Grapefruit mit dicker, weicher Schale. Oder: Der Film Alien ist wie Der weiße Hai in einem Raumschiff. Solche Vergleiche funk­tion­ieren, weil Sie an Vorwissen anknüpfen können. Das erspart Ihnen lange Erklärungen.

Aufmerk­samkeit gewinnen

Damit die Leute einer guten Geschichte zuhören, muss man ihre Aufmerk­samkeit gewinnen und behalten. Dazu müssen Sie gewohnte Kom­mu­nika­tion­s­muster durch­brechen. Wenn sich an der Sicher­heit­sansage im Flugzeug etwas ändern würde, wären die Passagiere sofort aufmerksam. Sobald sich etwas an Gewohn­heiten oder gewohnten Erwartungen ändert, auch in einem Fernsehspot oder einen Film, hat man die Aufmerk­samkeit des Publikums. Setzen Sie auf das Prinzip Überraschung. Als ehrgeiziger Hotelier können Sie einen Service bieten, den der Gast nicht erwartet: „Wir bügeln Ihre Hemden“. Auch das ist eine „Story“. Die Überraschung wirkt aber nur gut und dauerhaft, wenn sie einen Bezug zu Ihrem Produkt oder zu Ihrer Botschaft hat. Bloße Ef­fek­thascherei kommt nicht an.

Wissenslücken nutzen

Damit die Aufmerk­samkeit nicht nachlässt, müssen Sie Interesse wecken. Gute Lehrer und Krim­i­au­toren wissen, dass man mit einem Geheimnis oder einem Rätsel die Schüler bzw. die Leser fesseln kann. Überhaupt sind Wissenslücken in allen möglichen Formen ein her­vor­ra­gen­der Ansatz, um dauerhaft interessant zu bleiben. Wir bleiben dann dran, wenn wir noch mehr wissen möchten:

  • Bei Sportver­anstal­tun­gen: Wer gewinnt?
  • Im Krimi: Wer war der Mörder?
  • In der Nachricht­ensendung: Was gibt es Neues?
  • Im Kinofilm: Was passiert als Nächstes?
„Wenn Sie drei ver­schiedene Dinge sagen, sagen Sie gar nichts.“

Pro­fes­sionelle Drehbuchau­toren platzieren solche „cliffhang­ers“ sehr geschickt, damit die Zuschauer nicht wegzappen. Wenn Sie es erst einmal geschafft haben, Neugierde zu wecken, wird die Bere­itschaft, In­for­ma­tio­nen aufzunehmen, groß sein. Natürlich kann es sein, dass sich die Leute zunächst gar nicht für Ihr Thema in­ter­essieren oder dass die Wissenslücken zu groß sind. Dann müssen Sie sie zuerst mit In­for­ma­tio­nen anfüttern, bis die Lücke die passende Größe hat. Trailer populärer „Doku­men­ta­tion­ssendun­gen“ fangen so an: „In Ihrem Haushalt gibt es eine unsichtbare Chemikalie – die Sie jetzt sofort töten könnte!“

Dinge konkret benennen

Um das Interesse und das Engagement für ein land­schaftlich wenig reizvolles, aber ökologisch wichtiges Umwelt­pro­jekt zu gewinnen, kam eine Naturschutz­gruppe auf die Idee, der Gegend einfach einen Namen zu geben: „Mount Hamilton Wilderness“. Schon wurde sie greifbar und weckte Emotionen. Ähnlich funk­tion­iert das Lernen, wenn man den Schülern beim Bruchrech­nen statt abstrakter Zahlen konkrete Tortenstücke zeigt, die sie auf soundso viele Kinder aufteilen sollen. Noch ein Beispiel: Bei der Kon­struk­tion der 727 lautet die Vorgabe von Boeing nicht „das beste Pas­sagier­flugzeug der Welt“ zu bauen, sondern eine „Maschine mit Platz für 131 Passagiere, die nonstop von Miami nach New York fliegen und auf La Guardia landen kann“ (wo die Landebahn kürzer als eine Meile ist). Konkret zu werden, kann auch bedeuten, dass ein Lebens­mit­tel­her­steller die 30 Geschmack­srich­tun­gen einer Pro­duk­tlinie auf sechs verschlankt. Eine be­merkenswert konkrete politische Vorgabe war die Ansprache von Präsident Kennedy, „bis zum Ende dieses Jahrzehnts einen Mann auf den Mond zu schicken und ihn sicher wieder nach Hause zu bringen“. Sie bewegte Tausende von Menschen und Aber­mil­lio­nen von Dollars.

Glaubwürdige Botschaften

Manchmal kann man einer Botschaft durch einen anerkannten Experten Glaubwürdigkeit verleihen. Allerdings gibt es wohl nicht viel, wofür Stephen Hawking werben könnte. Bei einigen Sportlern oder En­ter­tain­ern sieht es anders aus. In den USA löst die Talk­mas­terin Oprah Winfrey beachtliche werbliche Effekte aus – weil sie hinter dem steht, was sie sagt. Umgekehrt können aber auch Antiautoritäten sehr glaubwürdig sein. So gibt es in USA einen ehemals 425 Pfund schweren Studenten, der mit den Sandwichs einer bestimmten Fast-Food-Kette auf 330 Pfund abmagerte. Au­then­tis­ches, Selb­ster­lebtes wirkt glaubwürdig. Dazu zählt auch, wenn ein Härtetest („Sina­tra-Test“) bestanden wurde: „If I can make it there, I make it anywhere.“ Dies gelang etwa einer Lo­gis­tik-Firma, die nachweisen konnte, dass sie sämtliche Bände des neuen Harry Potter pünktlich aus­geliefert hatte – ein schöner Beweis ihrer Zuverlässigkeit. Glaubwürdig sind ferner persönliche Empfehlun­gen, konkrete Details, Zahlen und Statistiken – letztere allerdings nur, wenn man sie mittels Vergleichen lebendig machen kann. Absolute Zahlen sind tot; als Laie schafft man es kaum, sie in ein Verhältnis zu setzen. Was immer wirkt, sind konkrete, überprüfbare Nachweise. So fragte Ronald Reagan im Wahlkampf gegen Jimmy Carter die Fernse­hzuschauer: „Geht es Ihnen besser als vor vier Jahren?“

Die Wirkung der Emotionen

An­a­lytis­ches Denken und Wissen führen selten zum Handeln. Reaktionen folgen auf Gefühlsimpulse. Nachdem eine Idee einfach und konkret formuliert und Interesse dafür geweckt wurde, gilt es, den Zuhörer oder den Leser betroffen zu machen. Nicht immer bedarf es dazu starker Gefühle wie Wut oder Mitleid, Angst oder Gier. Meist reicht es, das Eigen­in­ter­esse des Rezipienten anzus­prechen: den Preisvorteil, die sorgenfreie Zeit im Urlaub, das Gefühl, Haus­be­sitzer zu sein. Auch eine Vorstellung zu wecken, in die sich das Publikum hineinfühlen kann – etwa das behagliche eigene Heim –, kann für starke Emotionen sorgen.

„Eine Geschichte ist effektiv, wenn sie den Kontext liefert, der in einem abstrakten Text fehlt.“

Unter Umständen lohnt es sich, nicht nur Eigen­in­ter­essen, sondern solche von Gruppen anzus­prechen. Gruppen wirken identitätsstiftend, und auf diesem Weg kann man Menschen zu al­tru­is­tis­chem Verhalten anregen. In Amerika brachte die sehr er­fol­gre­iche Kampagne „Don’t mess with Texas“ („Leg dich nicht mit Texas an“) selbst schwer erziehbare junge Tex­an­er­ma­chos dazu, ihren Müll nicht einfach aus ihren Pick-ups zu werfen, sondern umwelt­gerecht zu entsorgen. Das funk­tion­ierte nur deshalb, weil man sie bei ihrer Texanerehre packte.

Eine Geschichte erzählen

Ein einprägsamer Slogan, ein treffendes Beispiel, ein guter Vergleich: das alles kann eine Geschichte sein. Geschichten sind wie Flugsim­u­la­toren, weil sie einen größeren Kontext lebendig abbilden und körperliche oder zumindest emotionale Reaktionen auslösen. Man un­ter­schei­det drei Arten von Geschichten:

  • Die her­aus­fordernde Geschichte, z. B. die von David und Goliath oder jene vom Tellerwäscher, der Millionär wurde. Aus einer ent­muti­gen­den Situation heraus werden enorme Hindernisse überwunden.
  • Die verbindende Geschichte: Sie führt Menschen zusammen, in der Geschichte des barmherzi­gen Samariters ebenso wie in einem Cola-Spot, wo gemeinsam getrunken wird.
  • Die kreative Geschichte, bei der sich etwas verändert: Newton entdeckt die Schwerkraft, als ihm ein Apfel auf den Kopf fällt, Sony entwickelt das Taschen­ra­dio.
„Sie müssen wissen, wonach Sie suchen. Sie müssen nichts erfinden, müssen nicht übertreiben oder sich auf melo­drama­tis­che Wendungen versteifen. Sie müssen nur erkennen, wann Ihnen das Leben ein Geschenk macht.“

Geschichten sind mentale Sim­u­la­tio­nen. Sie funk­tion­ieren ähnlich, wie wenn ein Musiker sein Stück unmittelbar vor der Ausführung in seinem Innern zum Klingen bringt oder der Eiskunstläufer seine Sprungfigur vorwegnimmt. So kann man sich die Situation oder eben die Aussage – die Moral von der Geschichte – besser einprägen. Sie bleibt haften.

Über die Autoren

Chip Heath ist Professor für Or­ga­ni­za­tional Behavior an der Stan­ford-Uni­ver­sität in Kalifornien. Dan Heath ist Un­ternehmens­ber­ater. Er war an der Harvard Business School wis­senschaftlich tätig und ist Mitbegründer von Thinkwell, einem Anbieter mul­ti­me­di­aler Lehrmittel.