Die Stufen des Gelingens
Wenn in einem Hotel ein Brand ausbricht, haben diejenigen Gäste die Nase vorn, die sich zuvor den Fluchtplan angeschaut und ihn verinnerlicht haben. Unbekanntes Gelände ist ihnen dadurch ein Stück vertrauter. Noch bessere Karten haben diejenigen, die eine mögliche Flucht vor den Flammen als Probehandlung im Kopf durchgespielt haben. Und am sichersten sind jene, die ihre physische und psychische Verfassung auch unter Anspannung und Stress so weit im Griff haben, dass sie problemlos ihre inneren Landkarten abrufen und auf die Stimme ihres eingebauten Navigationsgeräts hören können. Menschen, die sich für den Fall der Fälle einen Fluchtplan zurechtlegen, machen nichts anderes als mentales Training.
Definieren Sie Ihr Ziel
Fast immer geht es beim mentalen Training darum, eine bestimme Fähigkeit oder das Erzeugen eines psychischen oder physischen Zustands entweder neu zu erlernen, zu stabilisieren oder zu verbessern. Stabilisieren bedeutet, eine Fähigkeit so weit zu trainieren, dass Sie sie auch unter widrigen Umständen nutzen können, etwa unter Stress und Zeitdruck. Verbessern bedeutet, dass Sie einen Zustand rascher und effektiver als bisher herstellen können.
„Mentales Training ist die Methode, um sich auf der Basis innerer, mentaler Landkarten seine persönlichen Navigationssysteme mit den jeweils angesagten Zielen zu programmieren, um erfolgreich zu sein, wenn’s drauf ankommt.“
Was Sie sich vornehmen, sollte zum aktuellen Stand Ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten passen. Stecken Sie sich nämlich zu hohe oder utopische Ziele, kommen Sie womöglich schon beim ersten Schritt ins Schleudern und packen Ihr Vorhaben vor lauter Frust wieder in die Kiste. Nicht wenige Sportler machen am Anfang ihrer Karriere diesen Fehler.
Drei Ziele des mentalen Trainings
Mentales Training zielt auf die Verbesserung dreier Bereiche ab, die sich im Idealfall wechselseitig unterstützen:
- optimales Handeln,
- der einfachste Weg dorthin und
- der dazu am besten geeignete Eigenzustand.
„Experten unterscheiden sich von Anfängern grundlegend darin, dass sie über eine große Sammlung mentaler Landkarten für alle möglichen und denkbaren Fälle verfügen.“
Letzterer wird in der psychologischen Diagnostik mit Hilfe von Befindlichkeitsskalen ermittelt. Diese umfassen Eigenschaften wie „energiegeladen“, „kontaktbereit“, „selbstsicher“, „fröhlich“, „ruhig“, „erholt“, „schläfrig“ sowie jeweils deren Gegenteil samt Zwischenstufen. Dank einer solchen Matrix können Sie sowohl Ihren momentanen als auch den gewünschten – bzw. den für Ihr Vorhaben erforderlichen – Eigenzustand bestimmen.
Entspannung
Ein wichtiges Element zur Beeinflussung des Eigenzustandes ist Entspannung. Sie kennen das: Oft sind Sie bei wichtigen Angelegenheiten zu nervös und aufgeregt, um konzentriert und klar denken zu können. Sie müssen sich entspannen, z. B. indem Sie Ihren Atem einschließlich der Atempausen beobachten. Effektiv ist auch die progressive Muskelentspannung: Spannen Sie diejenigen Körperpartien, die Sie lockern wollen, für einige Sekunden stark an, und lassen Sie sie dann beim Ausatmen wieder los. Achten Sie besonders auf die Entspannung von Gesäß, Schultern und Gesicht. Ziehen Sie zwecks Anspannung Ihre Schultern bis zu den Ohren und lassen Sie sie beim Ausatmen wieder fallen. Viele Kopfpartien entspannen Sie dadurch, dass Sie die Zunge fest gegen Gaumen pressen und dann wieder nach unten fallen lassen.
Vier Wege des mentalen Trainings
Die drei Ziele „optimales Handeln“, „richtiger Weg“ und „geeigneter Eigenzustand“ können Sie auf vier Weisen erreichen, wobei eine Kombination aller vier Methoden am empfehlenswertesten ist:
- Beobachten: Studieren Sie die unterschiedlichen Kniffe, die Könner anwenden, um die diversen Herausforderungen auf ihrem Gebiet zu meistern.
- Mit sich sprechen: Ihre Eindrücke stabilisieren sich, wenn Sie Ihre Beobachtungen Schritt für Schritt verbal durchgehen, so wie Sie sich vor einer Urlaubsreise fragen, ob Sie alle wichtigen Vorkehrungen getroffen haben. Zusätzlich können Sie die wesentlichen Schritte aufschreiben oder zeichnen und so vertiefen.
- Visualisieren: Schauen Sie die zu bewältigenden Handlungen vor Ihrem geistigen Auge wie einen Film an. Dabei können Sie selbst oder eine andere Person der Handelnde sein.
- Ideomotorisches Trainieren: Richten Sie Ihr Augenmerk auf Ihre inneren Sinneserlebnisse und versuchen Sie, in den richtigen Gefühlszustand einzutauchen. Schwimmer tun das, indem sie sich als Delfin vorstellen. Ein Patient mit Hüftprothese machte Fortschritte, als er sich in seine Zeit als Tänzer zurückversetzte.
Fünf Schritte des mentalen Trainings
Die beschriebenen vier Wege können in ein systematisches Trainingskonzept eingearbeitet werden. Es besteht aus fünf Schritten:
- Instruktion: Ein Trainer erklärt Ihnen, was Sie tun müssen. Dabei holt er Sie im Idealfall da ab, wo Sie gerade stehen.
- Beschreiben: Verdoppeln Sie als Trainierender die Instruktionen in eigenen Worten, Gesten oder Handlungen.
- Internalisieren: Ist Ihre Doppelung einwandfrei, verinnerlichen Sie die erforderlichen Handlungsaufläufe, indem Sie sie wiederholt visualisieren oder sich vorsprechen.
- Knotenpunkte beschreiben: Arbeiten Sie die Knotenpunkte, die Schlüsselstellen eines Handlungsablaufs heraus. Diese Knotenpunkte gewähren in der Regel nur wenig Handlungsspielraum und müssen daher „sitzen“. Auf ihnen beruhen die jeweils nachfolgenden Handlungsschritte.
- Knotenpunkte rhythmisieren: Festigen Sie die wesentlichen Handlungsabschnitte indem Sie die Knotenpunkte rhythmisieren und sie in den Rhythmus der Gesamtbewegung eingliedern. Tennisanfänger unterstützen beispielsweise die Ausführung des Aufschlags durch das rhythmisierte Wort „Am-ster-dam“.
„Wer sein Ziel nicht kennt, dem ist kein Weg der richtige.“
Die Komplexität des gesamten Bewegungs- und Handlungsablaufs inklusive aller Schritte wird auf diese Weise genauestens erfasst und trainiert, bis sie sich im Unterbewusstsein als Automatismus festsetzt. Es reicht nicht, wie es manche Motivationsgurus lehren, nur das Ziel zu visualisieren, wonach sich alles andere wie von selbst ergebe. Vielmehr verhält es sich wie mit einem Strichzeichner: Nur ein Meister dieser Kunst, der sein Arbeitsfeld jahrelang trainiert und durchdrungen hat, schafft es, mit ein paar Strichen und Andeutungen die Schlüsselmerkmale eines Objekts herauszustellen. Für einen Laien wäre es aber der falsche Weg, gleich mit der Verkürzung anzufangen.
Beispiel: Argumentieren
Die Bausteine des mentalen Trainings lassen sich vielseitig anwenden. Sie können damit üben, erfolgreich zu argumentieren. Oft müssen Sie im Beruf Statements spontan abgeben, ohne dass Sie sich vorbereiten können. Dann hilft es, wenn Sie die folgenden drei Knotenpunkte verinnerlicht haben:
- Behauptung: Kommen Sie gleich zur Sache. Formulieren Sie Ihre Kernaussage oder Ihren Standpunkt positiv, weil Sie damit Ihre Zuhörer leichter überzeugen können. Erklären Sie also nicht, dass Sie mit der jetzigen Anzahl der Mitarbeiter Ihr Ziel nicht erreichen werden, sondern behaupten Sie geradeheraus, dass Sie noch zwei weitere Mitarbeiter brauchen.
- Begründung: Begründen Sie Ihre Behauptung durch maximal drei Argumente. Wählen Sie die stärksten aus. Mit mehr als drei Argumenten „erschlagen“ Sie Ihren Gesprächspartner. Weitere Argumente können Sie sich aber für eventuelle Diskussionen aufheben.
- Bekräftigung: Formulieren Sie die Kernaussage noch einmal, am besten in neuen Worten. Verbinden Sie Ihren Standpunkt gleich mit einer Handlungsaufforderung: „Ich möchte Sie daher bitten, der Einstellung von zwei weiteren Mitarbeitern zuzustimmen.“ Vermeiden Sie es, weitere Zusätze oder Begründungen anzubringen, da diese eher ablenken.
Grundsätze des mentalen Trainings
Damit Ihr mentales Training tatsächlich zum Erfolg führt, müssen Sie folgende Grundsätze beachten:
- Gehen Sie das mentale Training mit einer positiven Einstellung an.
- Setzen Sie sich ein realistisches Ziel. Es darf weder zu schwer noch zu leicht sein. Halten Sie es schriftlich fest, damit die Verbindlichkeit erhöht und der Fortschritt sichtbar wird.
- Entspannen Sie sich.
- Sie sollten auf dem Gebiet, auf dem Sie trainieren wollen, bereits ein Quäntchen Eigenerfahrung mitbringen. Notfalls reicht es, wenn Sie auf einem ähnlichen Gebiet Erfahrungen gesammelt haben.
- Gehen Sie das Training aus Ihrer eigenen Perspektive an. Übernehmen Sie nicht die Sicht einer anderen Person.
- Sie brauchen eine lebhafte Vorstellungskraft, die über das bloße Visualisieren hinausgeht. Vergegenwärtigen Sie sich die Situation mit all Ihren Sinnen.
- Spalten Sie Ihr Training niemals von der Realität ab, sondern überprüfen Sie Ihr Fortkommen in realen Situationen.
Kritik am mentalen Training
Kritiker werfen dem mentalen Training vor, dass das Üben im Kopf oder selbst am Simulator tatsächlich eintretenden unerwarteten Ereignissen nicht gerecht werden könne. Selbst wenn in diesem Einwand ein wahrer Kern liegt: Das Zugreifen auf eine innere Landkarte und die Verinnerlichung wichtiger Knotenpunkte bewirkt zumindest, dass mentale und intellektuelle Kapazitäten frei bleiben. Dadurch haben Sie Ressourcen übrig, um schwierige Situationen nüchtern einzuschätzen und vernünftig und besonnen darauf zu reagieren.
Wünschen Sie noch oder wollen Sie schon?
Eines ist ganz wichtig: Sie müssen den festen Willen haben, Ihr Ziel zu erreichen. Der Wunsch allein reicht nicht aus. Der Unterschied zwischen Wunsch und Wille liegt in der Eigenleistung. Der Wünschende träumt von glücklichen Umständen und äußeren Fügungen, der Willensstarke hingegen geht Schritt für Schritt auf sein Ziel zu. Zerlegen Sie daher Ihre Ziele in ihre einzelnen Bestandteile. Definieren Sie nicht nur: „Ich will angstfrei vor einer Gruppe sprechen“, sondern fassen Sie auch konkrete Details ins Auge, z. B. dass Sie locker auf beiden Beinen stehen, sich den Zuschauern zuwenden, ruhig atmen, von Ihrer Botschaft überzeugt sind usw.
„Wer seine Trainingsergebnisse nicht regelmäßig an der materiellen Realität überprüft, läuft Gefahr, sich zum Stammtischexperten oder Besserwisser zu entwickeln.“
Übernehmen Sie Eigenverantwortung; nur dann können Sie an Ihrem Zustand etwas ändern und Ihre Fähigkeiten verbessern. Dem Vorgesetzten, dem Ehepartner oder dem Wetter die Schuld zu geben, bringt Sie nicht weiter.