Wirtschaftsboom am Zuckerhut

Buch Wirtschaftsboom am Zuckerhut

Strategien für langfristigen Erfolg in Brasilien

Redline,


Rezension

Sonne, Samba und Karneval – aber auch Favelas, Armut und Gewalt: Brasilien entzückt und erschreckt zugleich. Wenige denken jedoch an die Rolle des Landes als auf­strebende Wirtschafts­macht. Zu Unrecht, meint Karlheinz Kurt Naumann und unterlegt sein Urteil mit der Abwandlung eines bekannten Spruchs: „1200 deutsche Firmen können nicht irren.“ Viele dieser Unternehmen suchten und fanden bereits vor Jahrzehnten ihr Glück im Land der un­be­gren­zten Lebens­freude. Und das zu Zeiten, als die drei anderen BRIC-Staaten noch weiße Flecken auf den Landkarten ausländischer Investoren waren. Immer wieder scheint der Autor den Leser aber vom genauen Gegenteil dieser Er­fol­gs­geschichten überzeugen zu wollen. Zwar bringt er über das ganze Buch verstreut Beispiele von Einzelnen und Firmen, die es bis ganz nach oben geschafft haben. Doch zugleich sieht er die brasil­ian­is­che Politik, das Steuer- und Bil­dungssys­tem und die korrupte Bürokratie durch eine derart pes­simistisch gefärbte Brille, dass einem die Lust am Investieren vergehen könnte. BooksInShort empfiehlt das Buch trotzdem allen, die konkrete Tipps zum Mark­tein­tritt in Brasilien suchen.

Take-aways

  • Brasilien bietet Investoren ein großes wirtschaftliches Potenzial.
  • Viele Menschen leben in Armut, doch die Kaufkraft steigt seit Jahren stark an.
  • Mittelständische Unternehmen, die beispiel­sweise technische Spezialgeräte herstellen, treffen auf einen hungrigen Markt.
  • Besonders aus­sicht­sre­ich sind das Agro-Busi­ness, der Energie- und Di­en­stleis­tungssek­tor.
  • Brasilianer kom­mu­nizieren beziehung­sori­en­tiert: Üben Sie sich in Geduld und halten Sie sich mit Kritik zurück.
  • Brasilianer vertrösten ihre Geschäftspartner lieber mit endlosen Ausreden, als einmal Nein zu sagen.
  • Checken Sie Ihre Pläne vor dem Mark­tein­tritt auf Durchführbarkeit, mit Markt- und Stan­dort­stu­dien, Risiko­analy­sen etc.
  • Rechnen Sie mit Schikanen in Form von Korruption, einer starren Bürokratie und einem absurden Steuer­sys­tem.
  • Gute ein­heimis­che Mitarbeiter zu finden ist schwierig. Stützen Sie sich immer auf Empfehlun­gen.
  • Reisen Sie selbst ins Land. In Brasilien werden richtige Geschäfte von Mensch zu Mensch gemacht.
 

Zusammenfassung

Land und Leute

Brasilien wird oft als „Kontinent für sich“ beschrieben: Das fünftgrößte Land der Welt macht fast die Hälfte Südamerikas aus. Sein Binnenmarkt ist gewaltig und wächst dank der steigenden Kaufkraft von Jahr zu Jahr. Ein Viertel seiner 190 Millionen Einwohner gilt offiziell als arm. Laut Definition ist arm, wer Anspruch auf Sozialhilfe hat, wer also mit einem monatlichen Pro-Kopf-Einkom­men von umgerechnet unter 45 € eine Familie ernähren muss. Ein Großteil der Armen lebt im kaum in­dus­tri­al­isierten Norden und Nordosten. Der heiße Mit­tel­westen ist das Zentrum der Land­wirtschaft und mit Brasília Sitz der Regierung, während der Südosten mit den Städten Rio de Janeiro und São Paulo das wirtschaftliche Kraftzen­trum des Landes ist. Im land­wirtschaftlich geprägten Süden lebt die Mehrheit der 2,5 Millionen deutschstämmigen Brasilianer, von denen viele noch ihre Mut­ter­sprache beherrschen und Traditionen hochhalten. Die Sklaverei, obwohl offiziell längst abgeschafft, besteht in ihrer modernen Form weiter: Ungebildete Arbeiter werden mit falschen Ver­sprechun­gen auf entlegene Plantagen gelockt und dann z. B. durch mangelnde oder aus­bleibende Bezahlung an der Abreise gehindert.

Brasilien-Knigge für Anfänger

Die meisten Brasilianer sprühen vor Lebens­freude, sind offen und gast­fre­undlich. Lassen Sie dem ersten Eindruck aber immer einen zweiten folgen: Auch der liebenswürdigste Mensch wird u. U. gegen Sie arbeiten, wenn das seinem Vorteil dient. Wundern Sie sich z. B. nicht, wenn selbst Bekannte für einen kleinen Gefallen wie den Kauf eines Ge­braucht­wa­gens eine Provision verlangen. Kritik ist in den meisten Fällen tabu. Selbst wenn Ihr Gesprächspartner wütend auf sein Land schimpft, dürfen Sie das noch lange nicht. Verteidigen Sie es lieber, denn jeder Brasilianer ist im Grunde seines Herzens ein großer Patriot. Ähnlich verhält es sich mit der Pünktlichkeit: Viele Brasilianer nehmen es damit nicht so genau. Aber Deutsche gelten nun einmal als pünktlich, also müssen Sie sich so verhalten. Beachten Sie die Un­ter­schiede zwischen dem sa­chori­en­tierten Kom­mu­nika­tion­sstil der Deutschen und dem beziehung­sori­en­tierten der Brasilianer. Letztere verbringen viel Zeit mit dem Ken­nen­ler­nen, kommen selten direkt zur Sache und deuten Wichtiges nur zwischen den Zeilen an. Ein Nein kommt ihnen kaum über die Lippen. Lieber lavieren sie endlos herum, ohne sich festzulegen. Viele deutsche Geschäftsleute geben in solchen Situationen frustriert auf. Tatsächlich ist in Brasilien aber nichts wichtiger als kulturelles Fin­ger­spitzengefühl und viel Geduld.

Chancen und Risiken

Die Di­rek­t­in­vesti­tio­nen aus Deutschland in Brasilien sind seit Mitte der 1990er Jahre zurückgegangen. Das liegt zum einen am wachsenden Interesse der Deutschen an Osteuropa und China. Zum anderen hatten Länder wie Spanien oder Portugal einen großen Nach­holbe­darf, da die deutsche Industrie bereits seit Jahrzehnten sehr stark in Brasilien vertreten ist. Freilich sind einige wirtschaftliche Eckdaten ernüchternd: Zwischen 1980 und 2005 sank die Produktivität der brasil­ian­is­chen Industrie von 7100 $ auf 5600 $ pro Kopf und Jahr, während sie in den meisten anderen Schwellenländern stark zunahm. Ausländische Unternehmen können das als Wet­tbe­werb­svorteil nutzen, wenn es ihnen gelingt, die Produktivität zu steigern. In absoluten Zahlen steht das Land sehr gut da: 13 der 25 größten lateinamerikanis­chen Ak­tienge­sellschaften sind brasil­ian­isch, und die Zahl der Um­satzmil­liardäre erhöhte sich zwischen 1997 und 2006 von 94 auf 160. Als Zulieferer der großen Unternehmen können auch Mittelständler gute Geschäfte machen. Einen ersten Überblick über den Markt verschaffen Fachzeitschriften oder In­ter­ne­trecherchen. Beteiligen Sie sich an einer Messe und nehmen Sie an Del­e­ga­tions- und Un­ternehmer­reisen teil. Wenn Sie sich zum Mark­tein­tritt entschieden haben, gibt es folgende Möglichkeiten:

  • Indirekter Export: Sie verkaufen an eine In­lands­firma, tragen selbst ein geringes Risiko, können aber auch die Mark­tchan­cen nur bedingt ausnutzen.
  • Direkter Export: Der Aufbau einer eigenen Ver­trieb­sorgan­i­sa­tion vor Ort erfordert Geld und Arbeit, bietet aber auch mehr Möglichkeiten, gute Geschäfte zu machen.
  • Produktion vor Ort: Oft ist dies der einzige Weg, um wet­tbe­werbsfähig zu bleiben und den hungrigen brasil­ian­is­chen Markt direkt mit er­schwinglichen Produkten zu bedienen.

Brasiliens Branchen

Die folgende Liste bietet eine kleine Auswahl der aus­sicht­sre­ich­sten Branchen:

  • Agro-Busi­ness: Schon heute produziert das Land weltweit am meisten Geflügel- und Rindfleisch, Orangensaft, Sojabohnen und Zucker. Brasilien ist führend in der Produktion von Biodiesel und Ethanol. Auch ohne Abholzung des Regenwaldes sind die poten­ziellen Wach­s­tum­sraten gewaltig. Der Bedarf an technischem Gerät für die Ernte und Ve­r­ar­beitung von land­wirtschaftlichen Produkten ist groß.
  • Bergbau: In diesem stark wachsenden Feld sind Lieferanten für Erzförder- und Ve­r­ar­beitungsan­la­gen, aber auch Experten für die Entsorgung gefragt.
  • Di­en­stleis­tun­gen: Dieser Sektor erzeugt ein höheres Brut­tosozial­pro­dukt als Land­wirtschaft und Industrie zusammen. Großes Wach­s­tumspoten­zial gibt es für private Sicher­heits­fir­men.
  • Computer/Software/Internet: Die Com­put­er­preise sind in den vergangenen Jahren stark gesunken, und brasil­ian­is­che Soft­ware­hersteller können sich bereits mit den indischen messen. Anbieter spezial­isierter Fir­men­soft­ware können hier punkten.
  • Energie: Der En­ergiehunger Brasiliens ist groß. Das Land will schon 2011 die USA als weltweit führender Produzent von Biokraft­stoff ablösen. Außerdem sollen bis 2030 bis zu sieben neue Atom­kraftwerke sowie zahlreiche Wind­kraftan­la­gen gebaut werden.
  • Au­to­mo­bilin­dus­trie: 18 % des in­dus­triellen Brut­toin­land­spro­dukts werden in dieser Branche erarbeitet. Sie ist der Stolz und das Rückgrat der brasil­ian­is­chen Industrie. Die meisten Hersteller und Zulieferer arbeiten mit­tler­weile im Dreis­chicht­en­be­trieb. Chancen haben Neuankömmlinge hier vor allem mit innovativen Zusatzpro­duk­ten wie etwa Luftverbesser­ern für das Wageninnere.
  • Phar­main­dus­trie: Die Arten­vielfalt im Ama­zonas­ge­biet ist eine Schatztruhe für die Suche nach neuen Phar­marohstof­fen. Auch in der Biotech­nolo­gie wird erfolgreich geforscht. Für Europäer bieten sich Part­ner­schaften mit brasil­ian­is­chen Firmen an, die nicht die Mittel haben, ihre Forschungsergeb­nisse in Produkte umzusetzen.
„Tellerwäscher werden zwar der Legende nach vor allem in den USA reich, aber hier finden Sie Beispiele, die zeigen, dass man es auch in Brasilien ohne viel Startkap­i­tal zu etwas bringen kann.“

Vor dem Mark­tein­tritt müssen Sie folgende Fragen beantworten: Werden Sie und Ihre Produkte in Brasilien überhaupt gebraucht? Sollten Sie Ihre Produkte dem Markt anpassen? Wer sind Ihre Wet­tbe­wer­ber und was wird der Geschäftsaufbau kosten? Definieren Sie Ihr Ziel und überprüfen Sie sys­tem­a­tisch seine Durchführbarkeit. Dazu gehören Markt- und Stan­dort­stu­dien, Risiko­analy­sen und Prüfungen der Rechtslage. Diese Phase sollten Sie sich mindestens 5000–10 000 € kosten lassen. Setzen Sie sich Meilen­steine und überprüfen Sie zwis­chen­zeitlich, ob diese erreicht werden. So vermeiden Sie, viel Geld zu investieren, bevor Sie am Point of no Return angelangt sind. Während der Planungs- und Re­al­isierungsphase gründen oder übernehmen Sie Firmen, setzen Han­delsvertreter vor Ort ein oder bauen Pro­duk­tion­ska­pazitäten auf. In der Anlaufphase räumen Sie die letzten unerwartet auftre­tenden Hindernisse aus dem Weg und überprüfen schließlich in der Kon­troll­phase, ob die zuvor fest­gelegten Ziele erreicht wurden. Wenn nicht, korrigieren Sie Ihren Kurs.

Der Firmenpool als Ein­stiegshilfe

Unterstützung bietet z. B. der Firmenpool Brasilien/Mercosur der Industrie- und Han­del­skam­mer Essen. Die Mitarbeiter erstellen Marktübersichten und bahnen Kontakte an, or­gan­isieren Messeauftritte und kümmern sich bei Ihrer Abwesenheit auch um den Abschluss von Verträgen, die Übersetzung von Dokumenten usw. Nach der er­fol­gre­ichen Geschäft­san­bah­nung können Sie die Dienste des Nach­be­treu­ungspools in Anspruch nehmen. Wie wichtig pro­fes­sionelle Hilfe sein kann, zeigen die poten­ziellen Fallstricke, die Sie z. B. beim Erwerb eines brasil­ian­is­chen Un­ternehmens erwarten: Viele Firmen hin­terziehen massiv Steuern, indem sie ohne Rechnung kaufen und verkaufen. Natürlich ist das illegal. Wenn Sie diese Praxis aber nach der Übernahme ändern, werden Ihnen mit ziemlicher Sicherheit die Kunden davonlaufen, da sie niedrigere Preise gewohnt sind. Außerdem setzen Arbeitgeber oft auf Schwarzarbeit, um der hohen Abgabenlast auf den Bruttolohn zu entgehen. Wenn Sie dann Mitarbeiter entlassen, können diese Sie wiederum verklagen und bekommen meist Recht. Der Firmenpool rät bei solchen Unternehmen von einem Kauf ab.

Die eigene Firma gründen und führen

Angenommen, Sie möchten eine Han­dels­firma gründen. Die beste Rechtsform hierfür ist die Limitada (zu Deutsch: GmbH). Die ersten Hürden beginnen bei der Reg­istrierung: Sie müssen für die Gesellschafter brasil­ian­is­che Steuer­num­mern beantragen, was nur über einen Bevollmächtigten und eine Unzahl notariell beglaubigter Dokumente funk­tion­iert. Machen Sie sich auf einen langen und hartnäckigen Kampf mit der Bürokratie gefasst. Dann der Mi­tar­beit­er­pro­porz: Für jeden aus dem Ausland Entsandten müssen zwei Brasilianer bei gleicher Entlöhnung eingestellt werden. Ausnahmen gibt es, wenn Sie glaubwürdig darstellen können, dass Sie keinen ähnlich qual­i­fizierten Ein­heimis­chen finden konnten. Auch das brasil­ian­is­che Steuer­sys­tem ist sehr kompliziert und je nach Region verschieden. Es verändert sich ständig und enthält jede Menge verdeckter Steuern. Kein Wunder, dass sich die geplante Einführung einer Mehrw­ert­s­teuer schon seit Jahren hinzieht: Um den Wegfall vieler versteckter Abgaben auszu­gle­ichen, müsste die Mehrw­ert­s­teuer so hoch ausfallen, dass niemand sie akzeptieren würde. Heben Sie auf jeden Fall immer Ihre Rech­nungs­belege auf und archivieren Sie sie. Sonst kann es passieren, dass das Finanzamt Sie nach zehn Jahren noch zur Zahlung einer längst abge­golte­nen Schuld verdonnert.

„Murphys Gesetz gilt auch in Brasilien! Hier ändern sich die Verhältnisse manchmal über Nacht: Land und Leute sind dynamisch, gele­gentlich zu sehr.“

Wichtige Hin­ter­grund­info zur Per­son­al­suche: Das brasil­ian­is­che Bil­dungssys­tem ist betont antielitär und in weiten Teilen un­zure­ichend. Die Lehrer an öffentlichen Schulen sind un­ter­bezahlt, viele Jugendliche verlassen die Schule, ohne richtig lesen zu können, und das Niveau an den Universitäten sinkt. Die Suche nach qual­i­fizierten Mi­tar­beit­ern wird dadurch erschwert, dass viele Bewerbungen reine Fan­tasiege­bilde sind und es keine aussagekräftigen Ar­beit­szeug­nisse gibt. Wenn Sie fähige Führungskräfte suchen, stützen Sie sich deshalb auf Referenzen. Für tech­nolo­giebe­tonte Positionen können Sie deutsche Mitarbeiter entsenden, da diesen ohnehin mehr Respekt gezollt wird. Brasilianer eignen sich besser für die Mi­tar­beit­erführung und den direkten Kontakt zu Kunden. Als Arbeitgeber müssen Sie mit un­vorherge­se­henen Schikanen rechnen, denn das kom­plizierte Ar­beit­srecht steht fast immer aufseiten des Ar­beit­nehmers. Ehemalige Arbeitgeber zu verklagen ist in Brasilien ein Volkssport. Jährlich werden stolze zwei Millionen Prozesse angestrengt.

Mit Ehrlichkeit zum Ziel

Machen Sie sich keine Illusionen: Brasilien ist kein Niedriglohn­land. Die bürokratis­chen Hürden und die Steuer­las­ten sind erheblich, und die Chancen, dass Sie übers Ohr gehauen oder Opfer korrupter Staats­di­ener werden, stehen nicht schlecht. Auf jeden Fall sollten Sie – wann immer möglich – Schmiergeldzahlun­gen vermeiden. Mit etwas Geduld kommen Sie auf legalem Weg auch zum Ziel. Trotz aller Probleme liegen in diesem riesigen Land aber unzählige unentdeckte Schätze. Sie müssen sich nur selbst herbemühen, vor Ort Kontakte knüpfen und ein Gespür für die Brasilianer entwickeln. Menschen machen mit Menschen Geschäfte – in Brasilien mehr als anderswo.

Über den Autor

Karlheinz Kurt Naumann leitet den Firmenpool Brasilien/Mercosur der IHK Essen und betreibt eine eigene Be­ratungs­firma in São Paulo.