Der „dritte Ort“
Starbucks wurde 1971 in Seattle im US-Bundesstaat Washington gegründet , als gemütlicher Coffee-Shop am Pike Place Market. Treibende Kraft dahinter war ein Mann namens Howard Schultz; er erkannte als Erster das Potenzial gemütlicher Kaffeebars in den USA. Heute hat Starbucks weltweit fast 15 000 Filialen.
„Wir sind nicht im Kaffee-Geschäft und bedienen Menschen. Wir sind im Menschen-Geschäft und servieren Kaffee.“ (ein Starbucks-Manager)
Starbucks ermöglichte Millionen von Amerikanern erstmals Kaffeegenuss, der diesen Namen verdient. Das Unternehmen verwendet hochwertige Kaffeesorten und bereitet den Kaffee frisch zu; das war in den 1980er Jahren in Amerika etwas vollkommen Neues. Starbucks kreierte ferner einen Typ von Lokal, der sich an europäischen Kaffeehäusern und Espressobars orientiert und zum Verweilen einlädt. Es ist der Ehrgeiz des Unternehmens, einen „dritten Ort“ neben Wohnung und Arbeitsplatz zu schaffen, einen Ort, an dem sich der Kunde als Gast wohlfühlt. Von den Mitarbeitern wird jederzeit hervorragender Service erwartet.
„Diese Umgebung, die von den Mitarbeitern oft als ‚der dritte Ort‘ bezeichnet wird, muss eine unvergleichliche Wärme ausstrahlen, die sie von den beiden anderen Orten unterscheidet, an denen die meisten Menschen den Großteil ihres Lebens verbringen, d. h. von ihrer Wohnung und von ihrem Arbeitsplatz.“
Hauptsächlich diese drei Faktoren – 1. gute Produkte, 2. angenehme Atmosphäre, 3. freundliche Bedienung – sorgen für eine hohe Kundenzufriedenheit und rechtfertigen den überdurchschnittlichen Preis der Getränke.
Unternehmenskultur und Mitarbeiter
Starbucks betreibt seine Filialen in eigener Regie, also nicht im Franchise-System wie etwa McDonald’s. Starbucks-Mitarbeiter werden permanent zu eigenständigem, kundenorientierten Handeln angehalten. Jedem, der 20 Wochenstunden oder mehr bei Starbucks arbeitet, werden Aktienoptionen angeboten. So werden nicht nur Manager, sondern auch ganz normale Angestellte am Gewinn beteiligt. Die Führungskräfte leben eine respektvolle Behandlung der Mitarbeiter vor und zeigen so, wie sich diese untereinander und vor allem natürlich den Kunden gegenüber verhalten sollen. Man versucht, das Gefühl zu vermitteln, dass alle Teil einer großen Familie sind – mit dementsprechender Bindungswirkung auch nach außen. Die Mitarbeiterfluktuation ist vergleichsweise gering.
Unternehmenskultur und Kunden
Die Starbucks-Lokale sollen angenehm sein, ein Treffpunkt und ein Ort, an den man immer wieder gern zurückkehrt. Die Filialen sollen wiedererkennbar sein, damit der Kunde auch in der Fremde eine Stück Heimat erlebt. Gewünschte Kennzeichen sind Sauberkeit und die ständige Aufmerksamkeit eines unaufdringlich wirkenden Personals. Die Mitarbeiter werden darauf geschult, ein persönliches Verhältnis zu den Gästen aufzubauen und deren Wünsche von den Lippen abzulesen. Man kann nicht nur Standardgetränke ordern, sondern auch individuelle Wünsche anbringen; die Bestellung wird dann mit entsprechenden Zutaten zubereitet. Zur Politik von Starbucks gehört es, dass der Gast auch bei einer einzigen Tasse Kaffee so lange verweilen kann, wie er möchte. Wenn man das Unternehmen genau unter die Lupe nimmt, kristallisieren sich fünf Erfolgsprinzipien heraus:
Prinzip Nr. 1: Mache es dir zu eigen
Starbucks-Mitarbeiter bekommen ein Green Apron Book, das in die Tasche ihrer grünen Schürzen passt. Das Buch fasst die Grundsätze von Starbucks zusammen und erläutert sie kurz. Diese Grundsätze werden auf allen Ebenen eingehalten, und so bleibt Starbucks trotz vieler Nachahmer-Ketten der Marktführer. Das Prinzip Nr. 1 „Mache es dir zu eigen“ bringt die Mitarbeiter dazu, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Wer ein gutes Produkt in einer angenehmen Atmosphäre verkauft, strahlt dies auch auf die Gäste aus. Das Identifikationsprinzip wird anhand der „fünf Elemente der Starbucks-Persönlichkeit“ im Green Apron Book beschrieben:
- Sei einladend: Man soll sich so um die Gäste kümmern, wie man es auch zu Hause tun würde und ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie persönlich willkommen seien. Stammgäste sollten die Mitarbeiter mit Namen kennen und sich nach Möglichkeit ihre Gewohnheiten einprägen.
- Sei authentisch: Es ist nicht die Aufgabe des Personals, der beste Freund der Kunden zu werden, aber die Mitarbeiter sollen eine positive Beziehung zu den Gästen herstellen, statt sie anonym abzufertigen und eine sterile Dienstleistung anzubieten. So wie die Führungskräfte den Mitarbeitern zuhören und sich um sie kümmern, soll das Personal auf die Gäste eingehen, sich um sie kümmern, sie aufheitern, evtl. anbieten, mal etwas Neues zu probieren. Im Umgang mit den Kunden haben Starbucks-Mitarbeiter vor allem „die Freiheit, das Richtige zu tun“.
- Sei fürsorglich: Starbucks kümmert sich aktiv um den gerechten, auch umweltgerechten Anbau und die Weiterverarbeitung des Kaffees im Sinne des fairen Handels. Nach innen wird der Teamgeist gefördert. Mitarbeiter werden ermutigt, in ihrer Freizeit etwas gemeinsam zu unternehmen oder sich in ihrer Gemeinde zu engagieren. Die Verwurzelung in der jeweiligen Nachbarschaft ist Starbucks sehr wichtig. Starbucks unterstützt sehr viele gemeinnützige Projekte. Und verdiente Mitarbeiter werden gebührend gelobt.
- Sei kenntnisreich: Kaffee ist ein hochwertiges Genussprodukt, das sorgfältig zubereitet werden muss. Starbucks schult seine Mitarbeiter hinsichtlich der Produktkenntnis und fördert besonders intensiv ausgebildete Mitarbeiter (die Coffee-Masters mit einer schwarzen Schürze). Auf Wunsch werden die Kunden über die Produkte unterrichtet.
- Sei engagiert: Starbucks fördert jede Art von Engagement. In einer hochkompetitiven Wirtschaft schlägt flaue Einsatzbereitschaft sofort in einen Wettbewerbsnachteil um. Zum Engagement zählen nicht nur Gemeinschaftsaktivitäten und Kundenservice, es ist genauso wichtig, dass Neuerungs- und Verbesserungsvorschläge ernst genommen und nach Möglichkeit ausprobiert werden.
Prinzip Nr. 2: Jedes Detail ist bedeutsam
Starbucks arbeitet kontinuierlich an der Verbesserung der Gestaltung der Cafés, die bisweilen, vor allem außerhalb der USA, an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden muss. Manchmal ist das auch beim Speisenangebot der Fall. Zum Standard in allen Starbucks-Filialen gehört die Musikberieselung, aus der sich sogar ein eigener Merchandising-Geschäftszweig entwickelt hat.
„Kaum jemand würde auf die Idee kommen, Gäste zu sich nach Hause einzuladen, um sich dann nicht um sie zu kümmern.“
Die Mitarbeiter werden in Rollenspielen geschult: Es gilt die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden frühzeitig zu erkennen und ihnen hilfreich entgegenzukommen, statt darauf zu warten, bis sie sich äußern. Neben der intensiven Kundenbetreuung ist für Starbucks die Sauberkeit ein ganz großes Thema – von den Servietten bis zu den Toiletten. Beim Produkteinkauf achtet das Unternehmen auf Qualität und hält die Lieferanten dazu an, diesen hohen Anspruch zu erfüllen. Für die Qualität ist vor allem die Frische der Produkte bedeutsam. Sie wird streng kontrolliert.
„Begrüßen Sie den Widerstand – natürlich nur, solange er nicht von Elefanten kommt.“
Alle diese Details sollen zu einem einzigartigen positiven Starbucks-Gefühl verschmelzen, das die Mitarbeiter in sich tragen und den Kunden vermitteln. Die Kundenbindung steht im Mittelpunkt aller Aktivitäten.
Prinzip Nr. 3: Überrasche und erfreue
Positive Überraschungen und spontane, unerwartete Handlungen sind wichtige Kommunikationsträger. Auch solche Überraschungen lassen sich planen, etwa als Sonderangebote zur Einführung neuer Produkte. Nett ist auch immer eine humorvolle Geste des Personals oder eine entspanntes Gespräch über den Verlauf des Wochenendes, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. In diesem Sinn fördert Starbucks eine regelrechte Überraschungskultur: zwischen Management und Mitarbeitern, zwischen den Teammitgliedern und zwischen Mitarbeitern und Kunden. Freundliche Zeichen können auch durch problemlosen, großzügigen Umtausch der Bestellung gesetzt werden oder durch ein „Zahlen Sie einfach beim nächsten Mal“, wenn der Kunde seine Geldbörse vergessen hat. Der Transport positiver Emotionen ist Starbucks bisweilen wichtiger als der kleine Gewinn, weil gute Gefühle nachhaltig wirken.
Prinzip Nr. 4: Freue dich über Widerstand
Kritik wird bei Starbucks als Chance zur Verbesserung gesehen. Das Management geht konkreten Beschwerden und Klagen nach und versucht, das Problem zu lösen. Dies ist seine Aufgabe und sie ist sehr viel konkreter als die Feststellung im Geschäftsbericht, dass „42,5 % der Kunden sehr zufrieden sind“. Nach Möglichkeit werden Gäste oder andere Beteiligte in die Problemlösung eingebunden. Vor allem bei „Makrowiderstand“ ist diese Vorgehensweise wichtig, z. B. wenn eine neue Filiale in einem Stadtteil oder in einer Gemeinde unerwünscht ist. So hatte Starbucks Probleme bei der Einführung in China und Frankreich, und auch wenn eine Filiale in einem überwiegend jüdischen Stadtviertel in den USA eröffnet wird, stößt das Unternehmen immer wieder auf Ablehnung, weil z. B. koschere Speisen im Angebot fehlen. Starbucks legt Wert darauf, solche Probleme im Einvernehmen mit den Betroffenen zu lösen und sie einzubinden. Fehlinformationen versucht man sofort zu korrigieren, was in Zeiten des Internets, zumal für ein so anspruchsvolles und Aufmerksamkeit auf sich ziehendes Unternehmen wie Starbucks, nicht ganz leicht ist.
„Bedauerlicherweise musste ich bei einigen Starbucks-Besuchen auch feststellen, dass mein Barista an diesem Tag nicht gut aufgelegt war. Aber insgesamt kann man sagen, dass Starbucks ein beispielhaftes Unternehmen ist, das die Kultur der modernen Unternehmen verändern könnte.“
Fehler müssen zugegeben werden und die führende Stelle übernimmt die Verantwortung dafür. Selbstverständlich folgen dann Entschuldigung und Wiedergutmachung. So hat ein Starbucks-Mitarbeiter in New York am 11. September 2001 von einem Helfer bei den Terroranschlägen den regulären Preis für drei Kisten Wasser, also 130 $, verlangt. Das war nicht im Sinne von Starbucks. Hauptgeschäftsführer Orin Smith hat den Fehler zugegeben, den Betrag zurückerstattet und eine größere Spende entrichtet.
Prinzip Nr. 5: Drücke der Welt deinen Stempel auf
Starbucks engagiert sich in vielerlei Hinsicht in gemeinnütziger Weise. Mit gutem Beispiel voranzugehen ist eine Leitmaxime, die sich durch alle Bereiche des Unternehmens zieht. Sie gilt für die Mitarbeiterführung und für die Kundenbedienung ebenso wie für den Produkteinkauf. Man berücksichtigt Belange des Umweltschutzes ebenso wie des fairen Handels. Soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern heißt auch, dass diese wiederum soziale Verantwortung übernehmen und sich in höherem Maß für das Unternehmen engagieren, weil sie wissen, dass es das wert ist. Das Unternehmen genießt in der Folge ein höheres Vertrauen, sowohl bei den Mitarbeitern als auch bei den Kunden. Aufgrund seiner engen Verbindung zur Dritten Welt fördert Starbucks zudem Entwicklungshilfeprojekte im Ausland, außerdem Erziehungs-, Ernährungs- und Behindertenprojekte im Inland. Das Ziel ist, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben und in jeder Hinsicht zu den Besten zu gehören.
Dr. Joseph A. Michelli ist Organisationspsychologe und Inhaber des Beratungsunternehmens „Lessons for Success“ in Colorado Springs. Sein Spezialgebiet ist die Entwicklung dynamischer und produktiver Arbeitsumgebungen.