Was ist eine Strategie?
Strategien sind nur für große Unternehmen relevant, denken manche Geschäftsführer kleiner und mittelständischer Unternehmen. Der Begriff „Strategie“ klingt pompös und abstrakt, als hätte er nichts mit dem Tagesgeschäft zu tun. Das Gegenteil ist der Fall. Ohne Strategie verläuft die tägliche Arbeit richtungslos. Die Strategie ist ein Aktionsplan, der sich mit den Entwicklungen eines Unternehmens sowie dessen Umfeld befasst und vorgibt, wie menschliche und finanzielle Ressourcen eingesetzt werden müssen, um langfristig die gewünschten Leistungen zu erreichen. Anders als die Taktik ist die Strategie langfristig angelegt, orientiert sich an großen Zielen und zeichnet sich durch eine umfassende Sichtweise aus.
„Während die operative Planung von weitgehend gegebenen Realitäten auszugehen hat, beeinflusst die strategische Planung die Realität bzw. schafft diese gar erst.“
Die Vorteile einer Strategie liegen darin, dass sie zum überlegten Handeln zwingt, die Gefahr von Überraschungen mindert, Konsequenz schafft, Energie verleiht sowie Entscheidungen und Handlungen lenkt. Nur mit einer Strategie vor Augen können alle Mitarbeiter an einem Strang ziehen, um ein Ziel zu erreichen. Eine Strategie beantwortet Fragen wie:
- Wer sind wir – und wer wollen wir sein?
- Wo stehen wir – und wo wollen wir hin?
- Welche Ressourcen sind dafür nötig – und wie wollen wir sie beschaffen?
„Die Unternehmenspolitik beschäftigt sich mit relativ abstrakten Grundsatzentscheidungen; sie ist insofern die Grundlage für die Strategie.“
Häufig wird die strategische Planung mit der Unternehmenspolitik verwechselt. Diese ist aber die Grundlage der Strategie. In ihr wird festgelegt, in welchen Bereichen das Unternehmen arbeitet, welche übergeordneten Ziele es verfolgt und wie es sich in grundsätzlichen wirtschaftspolitischen oder gesellschaftlichen Fragen verhält. Die Unternehmenspolitik schafft also einen Rahmen, innerhalb dessen sich die Strategie konkretisieren kann.
„Der Unterschied zwischen den Grundwerten, dem Leitbild, der Vision und dem Ziel liegt in der Konkretheit der jeweiligen Absicht.“
Für die Strategiebildung existieren zwei Ansätze: der marktorientierte und der kompetenzorientierte. Beim ersten Ansatz wird zuerst der Markt betrachtet, danach bestimmt man Produkte und Preise, mit denen das Unternehmen Gewinne erzielen kann. Wer dagegen seine Kernkompetenzen in den Mittelpunkt stellt, produziert das, was er am besten kann, und sucht sich danach seinen Markt. Häufig trifft man auch Mischformen beider Konzepte an.
Wo stehen Sie heute?
Für die Strategieformulierung müssen Sie sich drei Fragen stellen:
- Wo stehen wir heute?
- Was ist unser Ziel?
- Wie gelangen wir ans Ziel?
„In allen strategietheoretischen Modellen wird die Konzentration der Kräfte auf das empfohlen, was ein Unternehmen am besten kann, womit es seinen Kunden den größten Nutzen bietet.“
Definieren Sie zunächst Ihr Geschäft. Dabei geht es nicht nur darum, was Sie können und machen, sondern auch darum, was außerdem noch möglich wäre. Gehen Sie bei der Beantwortung dieser Frage von drei Blickwinkeln aus: Ihrem Produktangebot, dem zu befriedigenden Kundenbedürfnis und Ihren besonderen Kompetenzen. Im nächsten Schritt legen Sie fest, wofür Sie stehen. Dabei geht es um Ihre Grundannahmen zum Geschäft, Ihre Werte und Ihre Vision. Grundannahmen sind Einstellungen und Weltbilder. Grundwerte sind das, was Ihnen heilig ist. Formuliert werden sie in der Mission und im Leitbild. Hier zeigt sich, wie Sie mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Wettbewerbern und der Öffentlichkeit umgehen. Schließlich noch die Vision: Anders als bei den Grundwerten, die so etwas wie die Seele des Unternehmens sind, handelt es sich bei der Vision um imaginäre Zukunftsbilder. Eine Vision ist ein entferntes, aber erreichbares Ziel und gibt allen Mitarbeitern die Richtung vor.
„Man kann auch sagen, dass die Kernkompetenz die Quelle und Notwendigkeit für die Kundenzufriedenheit ist. Jedoch muss Ihr Kunde die Kernkompetenz dabei nicht zwingend erkennen.“
Erfolgreich ist ein Unternehmen dann, wenn es sich auf seine Stärken konzentriert. Führen Sie darum eine Stärken-Schwächen-Analyse durch. Wo liegen Ihre strategischen Erfolgspotenziale? Für eine starke Wettbewerbsposition sollten Ihre Stärken verglichen mit der Konkurrenz größer sein als Ihre Schwächen. Und: Die Chancen Ihres Geschäftsfelds müssen die Risiken überwiegen. Auf diese Weise finden Sie Ihre Kernkompetenzen. Damit Sie auf einem Markt wirklich eine Rolle spielen und nicht nur Teilnehmer sind, müssen Ihre Kernkompetenzen für einen wahrnehmbaren Kundennutzen sorgen, Ihr Unternehmen muss sich aus der Masse der Mitbewerber herausheben und für viele Produkte nutzbar sein.
„Natürlich ist Wachstum das Ziel der meisten Unternehmen, bedenken sollten Sie aber, dass es mehrere Wachstumspfade gibt.“
Lassen Sie in die Strategieformulierung das Umfeld des Unternehmens mit einfließen. Dazu gehört das innere Umfeld mit den Mitarbeitern, den Prozessen und der Unternehmenskultur, das Sie beeinflussen können. Das nähere Umfeld mit den Mitbewerbern, der Branche und dem Markt lässt sich schon schwerer verändern. Lediglich Zuschauer sind Sie auf dem äußeren Umfeld mit Technik, Politik, Gesetzgebung, allgemeiner Wirtschaftsentwicklung und soziokulturellen Faktoren.
Strategische Planung oder Architektur?
So banal es klingt: Das Ziel jedes Unternehmens besteht grob gesagt darin, erfolgreich zu sein. Dabei durchläuft es – genau wie seine Produkte – eine Entwicklung, die sich mit der sogenannten Sigmoidkurve, auch Schwanenhalskurve genannt, sehr gut darstellen lässt. Das Unternehmen fängt klein an, kommt dann in Schwung und wächst. Mit dem Erfolg stellt sich aber schnell auch eine gewisse Schwerfälligkeit ein, was zu einem Absinken der Kurve führt. Um dies zu verhindern, sollten Sie rechtzeitig eine neue Entwicklungskurve starten, und zwar bevor die erste ausläuft. Der beste Zeitpunkt dafür liegt noch in der Aufwärtsbewegung der ersten Kurve. Das wirtschaftliche Umfeld ist heute alles andere als stabil. Branchenstrukturen verändern sich in großen Schritten. Wer da mithalten will, muss nicht nur seine bestehenden Wettbewerber im Blick behalten, sondern auch die Unternehmen, die plötzlich in den eigenen Markt einbrechen. Traditionelle Strategiemodelle, bei denen ein Unternehmen immer in seinem angestammten Umfeld bleibt, eignen sich heute kaum noch.
„Eine Strategie der Kostenführerschaft ist dann erfolgreich, wenn der Preis das entscheidende Kaufmotiv ist.“
Sie brauchen darum keine Strategie, mit der Sie Ihre Entwicklung vorausplanen können, sondern eine, die Sie in die richtige Richtung führt. Anders gesagt: Die Strategie muss so formuliert sein, dass sie ständig an sich verändernde Rahmenbedingungen angepasst werden kann. Sie müssen eine strategische Architektur schaffen, innerhalb derer Sie Gelegenheiten dann ergreifen können, wenn sie sich bieten, und nicht, wenn der Plan es vorsieht. Betrachten Sie das Ganze wie einen Rohbau, dessen Innenräume immer wieder neu gestaltet werden können. Diese strategische Architektur lebt von Meinungsvielfalt und Kommunikation. Fördern Sie Kreativität und Experimentierfreude. Halten Sie Ihr Unternehmen flexibel, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Während das Ziel der strategischen Planung in der Regel „Verbesserung der Marktposition“ heißt, ist es bei der strategischen Architektur die „Schaffung neuer Wettbewerbsräume“.
Wie gelangen Sie ans Ziel?
Zum großen Ziel namens Erfolg können Sie auf ganz verschiedenen Wegen kommen. Erfolg wird in der Regel mit Wachstum gleichgesetzt. Ein möglicher strategischer Weg dorthin besteht in der Kombination der Faktoren Produkt und Markt. Sie vergrößern Ihren Marktanteil (Marktdurchdringung), ersetzen neue Produkte durch alte (Produktentwicklung), erschließen neue Märkte mit bestehenden Produkten (Marktentwicklung) oder streben Diversifikation an: mit neuen Produkten, neuen Zielgruppen oder der Befriedigung neuer Bedürfnisse.
„Sie können nicht 20 % mehr Wachstum bekommen, wenn Sie nicht n % Marketing und Personalentwicklung betreiben.“
Weitere Wege führen über die Kostenführerschaft, die Differenzierung oder die Nischenstrategie. Bei der Kostenführerschaft geht es darum, die eigenen Stückkosten unter das Niveau der Konkurrenz zu senken. Damit können Sie in einen Preiswettbewerb treten, wie beispielsweise der Discounter Aldi, der durch globalen Einkauf, spartanisch eingerichtete Filialen, kostengünstige Transporte usw. Kostenführer in seinem Segment ist. Mit der Differenzierung verändern Sie Ihr Produkt oder Ihre Leistung so, dass ein einzigartiger Kundennutzen entsteht, mit dem Sie sich von Ihren Wettbewerbern abheben können. Gerade kleine Unternehmen können dem Preiskampf heutzutage kaum standhalten und weichen darum auf Nischenmärkte aus. Sie zielen z. B. auf eine spezielle Abnehmergruppe oder bedienen einen geografisch begrenzten Markt.
„Irgendjemand muss die Fäden in die Hand nehmen, muss Entscheidungen treffen und den Arbeitsfortschritt kontrollieren. Diese Einrichtung nennt man üblicherweise Lenkungsgruppe.“
Ein weiterer Weg führt über das Produkt-/Geschäftsfeldportfolio. Dabei streben Sie danach, Ihre Mittel und Ressourcen optimal auf verschiedene Produkte zu verteilen. Typisch für diesen Weg ist die Vier-Felder-Matrix der Boston Consulting Group, in der Produkte je nach ihren Chancen und ihrem relativen Marktanteil in eines von vier Feldern eingetragen werden: Stars (Starprodukte), Question Marks (Nachwuchsprodukte), Cash Cows (Milchkühe) und Poor Dogs (Auslaufprodukte). Bei den Question Marks sollten Sie genau schauen, welche Projekte wirklich erfolgversprechend sind. Alles andere geben Sie besser auf. Cash Cows bringen Geld und kosten wenig. Darum: Abschöpfen und die Mittel in Nachfolgeprodukte investieren. Stars befinden sich noch in der Wachstumsphase, haben aber eine große Zukunft. Investieren Sie in sie. Poor Dogs sind durch einen schwachen Marktanteil und ebensolches Wachstum gekennzeichnet. Desinvestieren, lautet hier die Parole.
„Sie brauchen den Visionär, um Ideen zu generieren; der Kontrolleur rechnet und prüft diese auf Machbarkeit; der Innovator gibt dem daraus entstandenen Produkt den nötigen Schwung; der Macher bringt es auf volle Touren.“
Die wichtigste Rolle in Ihrer Strategie sollten die Kunden spielen. Um deren Bedürfnisse kreist heute alles. Gab es früher einen Anbietermarkt, haben wir es heute mit einem Käufermarkt zu tun. Um ein aktives Kundenmanagement kommen Sie nicht herum.
Funktionsbereichsstrategien entwickeln
Um die große übergeordnete Unternehmensstrategie zu realisieren, müssen die einzelnen Funktionsbereiche des Unternehmens ebenfalls darauf eingeschworen werden. Egal in welcher Branche Ihr Unternehmen arbeitet, die Bereiche Personal, Beschaffung und Finanzen gibt es überall. Beim Personal achten Sie darauf, dass Sie die richtigen Leute für Ihre Strategie haben und finden. Bei der Differenzierungsstrategie beispielsweise profitieren Sie von Mitarbeitern mit einem hohen Qualitätsanspruch und Servicebereitschaft. Personal und Wertesystem des Unternehmens müssen harmonieren. Bei der Beschaffung sieht es genauso aus: Jede Strategie verlangt nach anderen Methoden. Als Kostenführer beispielsweise sind Ihnen Preis und Konditionen wichtiger als die Qualität; bei der Differenzierung ist das Gegenteil der Fall. Im Finanzbereich geht es darum, die Elemente Sicherheit/Risiko, Rentabilität und Liquidität dauerhaft im Gleichgewicht zu halten. Ein wichtiger Punkt ist hier seit 2007 Basel II. Dahinter verbergen sich die Eigenkapitalvorschriften des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht, wonach Banken u. a. je nach Bonität einen anderen Zinssatz verlangen müssen. Wer also in dieser Hinsicht schlechter bewertet wird, muss mit höheren Kreditkosten rechnen.
Die Strategie umsetzen
Eine Strategie nützt nichts, wenn ihr keine Taten folgen. Was Sie brauchen, ist eine geeignete Organisation und die richtigen Mitarbeiter. Für Entscheidung, Realisation und Kontrolle bilden Sie eine Lenkungsgruppe, bestehend aus Mitgliedern der Unternehmensführung und der zweiten Managementebene. Achten Sie darauf, dass Sie hier die richtigen Qualifikationen und Charaktere mischen. Gäbe es beispielsweise nur Machertypen, würde der Aktionismus dominieren, neue Ideen aber zu kurz kommen. Wollen Sie beispielsweise eine Cash-Cow-Strategie durchsetzen, sollte der Anteil eines kostenbewussten Managertyps überwiegen. Bei einer Pionierstrategie, mit der Sie sich auf neues Terrain wagen, sind dagegen Innovatoren gefragt.
Prof. Dr. Walter Simon zählt zu den bekanntesten Strategiecoachs und Wirtschaftsberatern in Deutschland. Zu seinen Kunden zählen Mittel- und Großunternehmen, Ministerien, Verbände, Stadtverwaltungen, Forschungseinrichtungen sowie Politiker aus dem In- und Ausland.