Das Team an der Spitze: Alinghi
Wenn sich eine Gruppe von Personen, jede einzelne davon ein Experte auf ihrem Gebiet, die Bezeichnung „High-Performance-Team“ verdient hat, dann ist es das Segelteam Alinghi. Der Schweizer Mannschaft gelang es im Jahr 2003 als erstem Team eines Landes ohne eigenen Hochseezugang, den prestigeträchtigen America’s Cup für sich zu entscheiden. Dabei wurde sie erst im Jahr 2000 gegründet. Alles begann mit dem Traum von Ernesto Bertarelli: Trotz seiner steilen Karriere in der Wirtschaft gab er nie den Wunsch auf, einmal am America’s Cup teilzunehmen. Er sammelte Informationen über die Voraussetzungen für die Teilnahme und hatte nach einem Gespräch mit dem dreimaligen deutschen Segel-Olympiasieger Jochen Schümann schließlich eine genaue To-do-Liste. Bertarelli und sein Manager Michel Bonnefous gewannen im Frühjahr 2000 die amtierenden Sieger des America’s Cup aus Neuseeland, Russell Coutts und Brad Butterworth, sowie Jochen Schümann für ihr Team. Und auch bei der weiteren Zusammenstellung der Mannschaft rekrutierten sie nur die Besten ihrer Zunft. Sie ließen sich von jedem Teammitglied weitere Kandidaten empfehlen und achteten darauf, dass sie auch menschlich zueinanderpassten.
„Es geht in erster Linie nicht um technische Vorteile, sondern um einen echten Wettbewerb, der durch die an ihm teilnehmenden Menschen und deren Art der Zusammenarbeit entschieden wird.“
Die gesamte Mannschaft, bestehend aus 32 Seglern, 20 Designern, der 15-köpfigen Shore-Crew für Logistik und Wartung und 30 Mitgliedern des Managementteams, war bei der Formulierung der Teamvision involviert. Diese lautete: „Wir wollen ein Team aufbauen, auf das man stolz ist, das in der Lage ist, den America’s Cup zu gewinnen, und das andere Leute begeistert, selbst höhere Ziele zu erreichen.“. Bertarelli ging keine Kompromisse ein; er duldete nur die beste Technologie und die besten Mitarbeiter für sein Team. Einige Herausforderungen mussten bewältigt werden. Das Schweizer Team mit dem lediglich viertgrößten Budget unter den Konkurrenten galt als Außenseiter, die Teammitglieder kamen aus 15 Nationen, und der Älteste war mehr als doppelt so alt wie der Jüngste der Truppe. Erst als die gesamte Mannschaft im Jahr 2001 nach Neuseeland übersiedelte und sich feste Abläufe entwickelten, konnte sie zusammenwachsen.
„Es ist für das Commitment der Teammitglieder zu der gemeinsamen Mission entscheidend, dass der Erfüllung der Mission selbst eine ebenso große Bedeutung beigemessen wird wie dem Erreichen des Endziels.“
Um die Wettbewerbsbedingungen zu simulieren, traten die Teammitglieder in immer neuen Formationen gegeneinander an. Morgens wurde gemeinsam im Kraftraum trainiert. Jeder durfte mitmachen, egal ob Segler, Designer oder Manager. War jemand unzufrieden oder hatte er Streit mit einem anderen Teammitglied, musste er selbst das Gespräch suchen. Offene Worte wurden geschätzt. Nach zwei Jahren Vorbereitung begannen im Oktober 2002 die Wettfahrten für den dreieinhalb Monate dauernden Louis Vuitton Cup. Das Team Alinghi schlug sich tapfer. Und als am Tag vor dem Halbfinale der Mast der Rennjacht brach, bewies sich die Mannschaft wirklich als High-Performance-Team: Anstatt den Schuldigen zu suchen, arbeitete jeder Einzelne mit, über Nacht den Mast zu reparieren. Alinghi gewann schließlich den Louis Vuitton Cup. Damit stand das Team Alinghi als Herausforderer für das Team Neuseeland fest. Der Ausgang ist bekannt: der Sieg Alinghis im America’s Cup 2003.
„Eine Krise ist etwas Wunderbares. Sie hat die Kraft, ein Team zusammenzuschweißen.“
Der Erfolg des Teams zeigt: Will man Außergewöhnliches schaffen, kommt es nicht auf die Höhe des Budgets oder auf technische Vorteile, sondern vor allem auf die Menschen und ihre Zusammenarbeit an. Nach der Untersuchung vieler Spitzenteams lässt sich Teamerfolg auf fünf Prinzipien zurückführen:
Erfolgsfaktor 1: Die Bedeutung von Vision, Mission und Ziel
Jedes Team braucht eine Existenzberechtigung. Die Frage lautet: „Warum gibt es uns als Team?“ Die Aufgabe jedes Teammitglieds muss klar sein; eine Teamvision, eine Teammission und das Teamziel müssen festgelegt werden. Die Vision zeichnet ein positives Bild der Zukunft und kann ruhig ein wenig utopisch sein. Sie wirkt motivierend, solange sie glaubwürdig ist, also die Rahmenbedingungen nicht außer Acht lässt. So zielte die Vision von Alinghi nicht darauf ab, den America’s Cup zu gewinnen, sondern darauf, ein Team zu gründen, das „in der Lage ist“, diesen zu gewinnen. Für High-Performance-Teams ist nicht nur das Ziel wichtig, sondern auch der Weg dorthin. Die Mission, also der Auftrag, macht deutlich, wie man sich zu verhalten hat. Im Falle Alinghis bedeutete dies, dass jeder Fairness und Professionalität an den Tag legen musste. Das Ziel schließlich ist kurzfristiger und realistischer als die Vision. Es kann in Teilziele untergliedert sein und muss Parameter festlegen, auf deren Basis festgestellt werden kann, ob das Ziel tatsächlich erreicht wurde. Was alle High-Performance-Teams verbindet, ist die Tatsache, dass sie nicht nur operativen Zielen, sondern einer Vision folgen.
„Die größte Gefahr liegt im Krisenfall in der Verschwendung von dringend an anderer Stelle benötigter Energie und Aufmerksamkeit durch das typische Suchen nach Schuldigen.“
Die Teamaufgabe muss nicht nur eindeutig, sondern auch für die Gruppe vorteilhaft sein. Zwar muss jeder Einzelne motiviert werden, ein optimaler Teamzusammenhalt wird sich aber nur einstellen, wenn es ein „kollektives Nutzenversprechen“ gibt. Meist halten Teams gerade dann zusammen, wenn das Überleben der Gruppe gefährdet ist oder wenn sie sich von anderen abgrenzen müssen. Dies war auch bei Alinghi der Fall: Die neuseeländische Presse griff mit einer Kampagne die ihrer Ansicht nach abtrünnigen Segler Coutts und Butterworth an. Schließlich wurden die Familien der beiden in anonymen Briefen bedroht. Doch anstatt daran zu zerbrechen, rückte das Team Alinghi noch stärker zusammen. Neben dem kollektiven Nutzenversprechen braucht es für Spitzenleistungen auch das individuelle Nutzenversprechen. Die persönliche Höchstleistung wird ein Teammitglied nur dann erbringen, wenn es sich etwas davon verspricht. Das kann Anerkennung oder Aufmerksamkeit, die Steigerung des persönlichen Marktwerts oder die Chance auf persönliche Reifung sein.
Erfolgsfaktor 2: Kompromisslose Personalauswahl
Hochleistungsteams prüfen die fachliche Eignung eines Kandidaten ebenso wie die menschliche. Jedes einzelne Teammitglied muss Spitzenleistungen erbringen. Daher ist es wichtig, keine Kompromisse einzugehen und bei der Personalauswahl Minimalkriterien vorzugeben. Oft sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl, wenn mit einem Kandidaten etwas nicht stimmt. Urteilen Sie aber nicht vorschnell: Manche hoch qualifizierten Bewerber sind es gewohnt, dass man Ihnen einiges durchgehen lässt, und verhalten sich dementsprechend selbstbewusst und in Ihren Augen vielleicht auch eigenartig. Holen Sie Zeugnisse, Empfehlungsschreiben und Referenzen eines Kandidaten ein, führen Sie mit ihm ein persönliches Interview und lassen Sie sich Arbeitsproben zeigen. Bei Alinghi hat sich das System der persönlichen Empfehlungen anderer Teammitglieder bewährt. Außerdem durften alle Teammitglieder über einen neuen Kandidaten abstimmen. Es ist schließlich wichtig, dass sich alle gut verstehen, da sonst zu viel Energie in Streitigkeiten und zu wenig in das Verfolgen der Ziele gesteckt wird. Funktioniert ein bestehendes Team nicht richtig, scheuen Sie sich nicht davor, Fehlbesetzungen auszutauschen – auch wenn es schwerfällt.
Erfolgsfaktor 3: Rollenklärungen und Teamstrukturen
Man sieht es nicht auf den ersten Blick, doch in Hochleistungsteams herrscht eine klare Hierarchie, und jedes Mitglied hat eine bestimmte Rolle. Auch bei Alinghi hätte man angesichts des kollegialen Miteinanders und der offenen Kommunikation meinen können, es gäbe keine Hierarchie. Doch jedes Teammitglied wusste, dass Russell Coutts und Jochen Schümann die Zügel in der Hand hielten. Eine gute Führungskraft hat keine Angst, ihrem Mitarbeiter jenes Maß an Freiheit zu geben, das es ihm ermöglicht, seine Stärken am besten einzubringen. Geben Sie Ihrem Team Zeit, damit sich die Rollen im Lauf der Zusammenarbeit festigen und jeder diejenigen Aufgaben findet, die seinen Stärken entsprechen. Jedes Teammitglied muss sich seiner Rolle bewusst sein und damit konform gehen. Eine ausgehandelte und allgemein akzeptierte Hierarchie ist die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander, das wiederum notwendig ist, um alle Energie auf die Zielerreichung zu fokussieren. Sind die Rollen und die Hierarchie geklärt, kann sich das Team festigen. Bei Alinghi war der Umzug der gesamten Mannschaft nach Neuseeland von entscheidender Bedeutung. Die Gruppe sollte räumlich beisammen sein, um zu einem Spitzenteam zu werden.
Erfolgsfaktor 4: Prozesse, Spielregeln und Feedback
Wenn Sie ein High-Performance-Team zusammenstellen wollen, müssen Sie die strukturellen Prinzipien „Arbeitsautonomie“ und „Coopetition“ sowie die prozessualen Prinzipien „Feedback-Kultur“ und „Umgang mit Konflikten“ klären.
- Unter Arbeitsautonomie sind die Aspekte Freiheit, Vertrauen und Eigenverantwortung zusammengefasst. Ein Teammitglied wird nur dann über sich hinauswachsen, wenn es sich für das Ergebnis seiner Arbeit verantwortlich fühlt und das Gefühl hat, selbst etwas bewegen zu können. Haben Sie keine Angst vor dem Kontrollverlust und gestehen Sie den Teammitgliedern Freiraum zum Handeln zu. Als Teamleiter sind Sie für das „Dürfen“ zuständig, doch der Mitarbeiter muss auch wollen. Er ist selbst dafür verantwortlich, sich weiterzubilden oder Konflikte mit anderen im Team zu lösen. Informationen sollen als Hol- und nicht als Bringschuld angesehen werden. Jeder Mitarbeiter muss sich überlegen, welche Informationen er braucht, um erfolgreich arbeiten zu können. Dann liegt es am Vorgesetzten, diese über geeignete Kanäle zu verteilen.
- Das Kunstwort „Coopetition“ setzt sich aus den englischen Begriffen „cooperation“ (Kooperation) und „competition“ (Wettbewerb) zusammen und bezeichnet den Ausgleich zwischen internem Wettbewerb im Team und sozialer Unterstützung durch dasselbe. Um internen Wettbewerb aufrechtzuerhalten, formierte das Team Alinghi beispielsweise täglich ein Team A und ein Team B, die dann gegeneinander antraten. Dies spornt einerseits die Teammitglieder an. Andererseits muss sichergestellt sein, dass ein Mindestmaß an Vertrauen zu den anderen Mitglieder und deren Unterstützung bestehen bleibt.
- Feedback wird in High-Performance-Teams großgeschrieben. Das Team lernt nur dann aus Fehlern, wenn es eine Rückmeldung bekommt. Ein konstruktives Feedback erkennt man daran, dass es authentisch und der Situation angemessen ist. Es muss zeitnah gegeben werden, damit es zu einem Lerneffekt führt. Offenheit ist zwar wichtig, doch Vorsicht: Bedenken Sie immer vorher, wie Ihre Kritik beim Gegenüber ankommt. An Taktlosigkeiten und verletzenden Bemerkungen kann ein Team zerbrechen. Bewährt hat sich das institutionalisierte Feedback, wie es bei Alinghi gepflegt wurde: Nach jedem Training musste jeweils ein Teammitglied ein Feedback an die gesamte Mannschaft liefern. Dieses Ritual sorgt dafür, dass Mitarbeiter aller Hierarchiestufen ihre Meinung sagen. Bei Alinghi wurde auch informell einiges an Information ausgetauscht – z. B. beim gemeinsamen morgendlichen Training, an dem alle Mitarbeiter, auch die Nichtsegler, teilnehmen durften.
- Das Team Alinghi ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie man mit Konflikten umgehen sollte. Es galt das Prinzip „no babysitting“: Hatte jemand ein Problem mit einem Teamkameraden, musste er selbst die Aussprache suchen. High-Performance-Teams bewahren den Respekt voreinander und suchen im Problemfall Lösungen und nicht den Schuldigen.
Erfolgsfaktor 5: Willensstärke und Krisenmanagement
Was ein Team neben allem Vorherigen außerdem noch braucht, ist Ausdauer. Bei den Einzelschritten zum Ziel wird deutlich, wie wichtig kompetente Mitarbeiter sind. Damit man die anfängliche Motivation und Energie aufrechterhalten kann, muss das Team gegen Störungen von außen abgeschirmt werden. Gliedern Sie den Weg zum Ziel in kleine Etappen, dann wird das Team bei Teilerfolgen immer wieder bestätigt. Kommt es irgendwann zu einer Krise, sehen Sie sie vor allem als Chance, den Teamzusammenhalt zu stärken. Setzen Sie auf eine konsequente Lösungsorientierung und vermeiden Sie die Suche nach einem Sündenbock.