„Don’t be evil“
Google ist wahrscheinlich das beliebteste Unternehmen der Welt. Die überaus praktische Funktion der Suchmaschine im Internet, verbunden mit dem sympathischen Firmenmotto „Don’t be evil“ – ein menschlicheres Antlitz kann der moderne Konzernkapitalismus kaum haben. In dieser allgemeinen Hurrastimmung kritische Fragen aufzuwerfen, ist schwierig. Aber notwendig. Warum etwa lässt das kalifornische Unternehmen immer neue und ausgefeiltere Methoden patentieren, um Informationen über Google-Nutzer zu sammeln und aufzubereiten? Warum steigt ein Suchportal ins Handy- und Telekomgeschäft ein? Warum wird von Google neben vielen anderen Projekten auch ein Gesundheitsportal aufgebaut?
„Google ist schon längst keine bloße Suchmaschine mehr.“
Google informiert über viele Dinge, aber nur ungern über sich selbst. Wer mehr über das Unternehmen erfahren will, kommt nicht über Interview-Anfragen bei Google-Managern weiter, sondern, Ironie des Internetzeitalters, über die Suchmaschine selbst. Wer googelt, kann einiges über Google erfahren.
Googles innere Logik
Googles Bemühungen, die Suchfunktionen zu personalisieren, folgen einer inneren Logik. Der seit 1998 genutzte Suchalgorithmus sorgt dafür, dass die häufigsten und wichtigsten Verlinkungen eines Begriffs im Google-Ranking nach oben wandern. Doch dies muss nicht unbedingt den Wünschen der Nutzer entsprechen. Wer z. B. „turkey“ eingibt, kann am nächsten Türkei-Urlaub oder an einem Truthahnrezept interessiert sein. Wüsste Google nun, dass ein bestimmter Nutzer ein begeisterter Koch ist, würden auf die Eingabe „turkey“ jede Menge Truthahnrezepte aufgelistet und erst weiter unten würden die ersten „Türkei“-Treffer auftauchen.
„Der Weltkonzern ist zu einem mächtigen Koloss herangewachsen, mit einer gefährlichen und tückischen Informations-, Such- und Werbedominanz.“
Google will sich von der Suchmaschine zum persönlichen Suchassistenten entwickeln. Um einem Nutzer erfolgreich assistieren zu können, muss das Unternehmen so viel wie möglich über seine persönlichen Vorlieben wissen. Dieses Wissen eignet sich Google momentan an. Allein 2006 hat der Konzern acht Patente eingereicht, die sich mit „User-Tracking“ beschäftigen. In einem Interview vom Mai 2007 sagte Google-Chef Eric Schmidt: „Unsere Algorithmen werden immer besser und wir werden auch bei der Personalisierung immer besser.“
„Personalisierung bedeutet nichts anderes, als dass ein System von Software und Computern weiß, wer wir sind und was wir machen.“
Derzeit werden die Daten von Google-Nutzern offiziell 18 Monate gespeichert. Auch wenn die Nutzer die Internetoption „Verlauf löschen“ anklicken, hat Google die eingegebenen Suchbegriffe, aufgesuchten Seiten, Anzeigenklicks und Produktkäufe gespeichert und kann sie Nutzern zuordnen. Ob die Daten tatsächlich nach anderthalb Jahren gelöscht werden, ist umstritten. Es ließe sich ja argumentieren, dass jemand, der fast täglich googelt, diese 18-Monate-Frist jedes Mal neu beginnen ließe. Google selbst äußert sich zu solchen Mutmaßungen nicht und verweist auf den (geheimen) Suchmaschinenalgorithmus.
„Die über die Nutzer gesammelten Daten sind sehr viel Geld wert.“
Absurd ist die Unterstellung keineswegs, denn bei Cookies (Profildateien) gilt genau diese Regel: Sie werden nach zwei Jahren gelöscht – aber nur, wenn der Nutzer zwei Jahre lang nicht gegoogelt hat, sonst beginnt die Frist von Neuem. Cookies dienen ebenfalls dazu, Gewohnheiten von Internetnutzern zu erkunden. Beim Aufrufen einer Website wird ein Cookie hinterlegt. Es protokolliert, was der Nutzer macht, und schickt die Informationen weiter. Diese Daten können beispielsweise verwendet werden, um dem Nutzer passgenaue Werbung zu schicken. Ein Unternehmen, das sich mit dem Einsatz von Cookies sehr gut auskennt, ist DoubleClick. Es wurde 2007 von Google gekauft.
Der Ärger der Datenschützer
Datenschützer kritisieren, dass Nutzer die von Google gesammelten Daten weder einsehen noch löschen können. Die britische Organisation Privacy International verlieh Google deshalb das zweifelhafte Prädikat „hostile to privacy“ – datenschutzfeindlich.
„Google schafft die Basis für perfektes Direktmarketing.“
Die Daten, die gesammelt werden, interessieren möglicherweise nicht nur Google selbst und die Werbeindustrie: Was ist, wenn die Polizei meint, die Daten zu brauchen, und die Politiker entsprechende Gesetze erlassen? Als amerikanisches Unternehmen ist Google vor allem von den Gesetzen der USA betroffen. Da der Service aber fast weltweit genutzt wird, könnten die amerikanischen Behörden an Daten von Menschen überall auf dem Globus gelangen.
„Viele Internetseiten sind heute schon von Google abhängig, weil sie mit Systemen wie etwa Google AdWords Einnahmen erzielen und sich so finanzieren.“
In Europa gibt es Bemühungen, Google für die Belange des Datenschutzes zu sensibilisieren. Aber sie sind spärlich und stoßen offenbar nicht auf besonders viel Gehör. Europas Politiker scheint es nicht wirklich zu irritieren, wenn ein US-Unternehmen kritische Daten hiesiger Bürger hortet und es keine rechtliche Handhabe gibt, deren späteren Einsatz zu kontrollieren. Google ist sehr geschickt darin, die Jurisdiktion von Ländern auszuhebeln, die mit dem Konzern Datenschutzbedenken diskutieren möchten: Es wird ganz einfach darauf verwiesen, dass das Unternehmen einer anderen Gesetzgebung unterliege. Wird der politische Druck aber zu groß, zeigt sich der Konzern durchaus anpassungsfähig, wie das Beispiel China zeigt: Um dort überhaupt als www.google.cn antreten zu dürfen, erklärte sich das Unternehmen bereit, gewisse Inhalte – Tibet, Taiwan, Tiananmen – zu zensieren.
Big Brother is scanning you
Wer es Google besonders leicht machen möchte, kann seinen E-Mail-Verkehr über Gmail (in Deutschland und Österreich: Google Mail) laufen lassen. Sämtliche ein- und ausgehenden Mails werden gescannt und auf werberelevante Inhalte untersucht. Die gefundenen Daten werden natürlich gespeichert. Warum wählen Nutzer diesen Anbieter trotzdem? Google bietet gratis viel mehr Speicherplatz als die Konkurrenz. Dafür nehmen viele Menschen „das bisschen Werbung“ in Kauf.
„Wenn Google an Projekten arbeitet, die sich mit Medizin, Genforschung und Genanalyse beschäftigen, sollte uns das zu denken geben.“
Weil er ebenfalls umsonst ist, verwenden viele Nutzer auch den Onlinespeicher GDrive von Google. Alle dort abgelegten Daten werden gescannt – schon als Schutz vor Viren –, also auch vertrauliche Dokumente. Und auch wer die Google-Desktop-Suche auf seinem Rechner installiert, sollte wissen, dass dadurch praktisch alles, was auf dem Computer passiert, protokolliert wird.
„Jeder Begriff und jede Phrase, die in die Google-Suchmaske eingegeben wird, bleibt im Google-System abrufbar.“
Noch mehr Beispiele gefällig? Wer über iGoogle seine eigene Startseite anlegt, vermittelt – z. B. durch die angegebenen Links – ebenfalls eine Menge Informationen über sich. Löschen lassen sich diese Informationen kaum: In den Speichern von Google werden sie festgehalten.
Im Bewusstsein der Internetsurfer sind all diese Tatsachen noch nicht sehr präsent, wie eine aktuelle Umfrage unter 500 österreichischen Nutzern im Alter von 14–59 Jahren zeigt. Drei Viertel der Befragten halten sich für interneterfahren, über 90 % verwenden Google als Suchmaschine, mehr als die Hälfte täglich. Vier von fünf Surfern ist es „sehr wichtig“, dass ihre Anfragen kostenlos sind. Entsprechend positiv kommt das kalifornische Unternehmen bei ihnen weg: Neun von zehn finden den Konzern „sympathisch“, nur 2,5 % der Befragten halten Google für zu mächtig. Dass das Unternehmen ihre Daten sammelt, überraschte die meisten befragten Internetnutzer. Drei Viertel störten sich daran und wollten ihren Weg durchs Internet nicht nachvollzogen wissen. Gleichgültig gegen die Schnüffelei zeigte sich nur jeder Zehnte.
Google verdient sein Geld mit Werbung
Anders als andere Suchmaschinen verzichtet Google auf Bannerwerbung und Pop-ups. Zu sehen sind nur unauffällige „Sponsored Links“ über den Suchergebnissen sowie rechts oben auf den Seiten. Diese Verknüpfungen allerdings lässt sich Google teuer bezahlen: Je wertvoller der gesuchte Begriff, desto kostspieliger die Anzeige.
„Google weiß mehr als die Polizei.“
Wie viel Geld der Konzern aus Mountain View durch Werbung einnimmt, lässt sich nicht genau beziffern – schätzen lässt er sich durchaus: 17 Milliarden US-Dollar Umsatz verzeichnet Google jährlich, für den Großteil davon sind Werbeeinnahmen verantwortlich. Vier Milliarden bleiben als Gewinn. Eine immense Größe, doch für Google ist das erst der Auftakt zu weiteren Taten. In den USA hat das Unternehmen begonnen, auch Werbeanzeigen für Radio, TV und Print anzubieten, faktisch als Gesamtpaket. Offenbar gibt es bereits Projekte, mit denen ausgelotet wird, wie Google in den Fernsehmarkt einsteigen kann, und zwar nicht nur als Anzeigenvermittler. Vor allem beim Fernsehen über das Internet kann das Programm auf die Wünsche des einzelnen Zuschauers zugeschnitten werden – wenn man denn um dessen Vorlieben weiß.
Das Handy als Computer der Zukunft
Offenbar will Google auch noch selbst Telekommunikationsbetreiber werden, mit eigenem Glasfaser- und Mobilfunknetz. Rund 20 Patente, die erkennbar mit Telekommunikation zu tun haben, hat der Konzern bereits eingereicht. Den Grund nennt Unternehmenschef Schmidt: „Mobile Werbung ist doppelt so lukrativ wie nicht mobile, weil sie persönlich ist.“ Hinzu kommt, dass viel mehr Menschen auf der Welt ein Handy haben als einen Computer. Eine der vorstellbaren Optionen für Google auf dem Telefon: Jemand, der eine Frage an eine Suchmaschine hat, wählt eine Nummer und spricht dann seine Frage ins Handy. Dazu muss allerdings das Niveau der Spracherkennung noch deutlich gesteigert werden. Google arbeitet daran: Ein entsprechendes Patent wurde bereits 2001 angemeldet. Nun geht es darum, aus den Labors – wo „Voice-Search“ angeblich bereits funktioniert – herauszukommen und ein markttaugliches System anzubieten. In ein paar Jahren könnte es so weit sein.
„Google hat weitgehend die Kontrolle über europäische Nutzer und wird auch von der EU nicht ausreichend kontrolliert.“
Aber Google hat noch mehr Ideen, z. B. ein „Health-Portal“, in dem registrierte Nutzer nicht nur Gesundheitsinformationen abfragen, sondern auch ihr aktuelles Befinden festhalten können. Ärzte würden so einen Online-Überblick über den Zustand ihrer Patienten erhalten. Obendrein wäre der Service kostenlos – wohl als Ausgleich dafür, dass man einem US-Konzern die Kontrolle über die eigenen Gesundheitsdaten überlässt.
Was lässt sich tun gegen die Schnüffler?
Im Moment haben die Nutzer nur eine Chance: Sie müssen eine Anonymisierungssoftware verwenden, die ihre Spuren im Netz verwischt. Das tut derzeit nur ein Bruchteil. Die meisten wissen nicht einmal, dass es solche Software überhaupt gibt. Seriöse Anbieter sind beispielsweise Anonymizer (www.anonymizer.com) oder The Onion Router (www.torproject.org).
„Die Welt ist eine Kugel, sie sollte keine Google werden.“
Der Einfluss von Google ist so stark, der Konzern so schwer greifbar, dass sich ein direktes Ankämpfen momentan nicht lohnt. Die Informationstechnologie entwickelt sich aber weiterhin so schnell, dass die Gewinner von heute vielleicht schon morgen zu den Verlierern zählen. Einzigartig ist Google längst nicht mehr: Für jede der angebotenen Dienstleistungen gibt es geeignete Konkurrenten. Vielleicht gerade, weil Google so schnell und entschieden auf eine „brave new world“ zusteuert.