Macht oder Verantwortung
Macht ist in den seltensten Fällen eine einseitige Angelegenheit: Auch die schwächere Seite profitiert von ihr, allein schon deshalb, weil der Mächtige ohne den Untergebenen nicht mächtig wäre. Macht speist sich aus zwei verschiedenen Quellen: Entweder verfügt der Machtinhaber über die Möglichkeit, anderen Schwierigkeiten zu bereiten, oder aber er verfügt über ein besonderes Wissen.
„Machtspiele und Organisation gehören zusammen. Wo es eine Organisation gibt, da werden auch Machtspiele betrieben.“
Häufig besitzen mächtige Menschen die Fähigkeit, auf der Klaviatur der Gefühle anderer zu spielen. Macht und Verantwortung vertragen sich weit weniger, als gemeinhin behauptet wird. Meistens bekommt jemand mehr Verantwortung oder mehr Macht, nicht aber beides. Wer wirklich Macht will, muss Verantwortung abgeben können. Denn echte Macht bedeutet, etwas bewegen zu können, ohne alle Folgen zu verantworten. Die Menschen neigen dazu, die Ausdehnung des eigenen Machtbereichs zu überschätzen. Das lässt ihnen den Glauben, sie hätten die Dinge in der Hand.
Machtspiele
Wer ab einer bestimmten Hierarchiestufe Macht erlangen will, muss in der Lage sein, Machtspiele zu gewinnen. Bei Machtspielen gibt es eine Vorder- und eine Hinterbühne. Letztere – ohne Publikum – ist die wichtigere. Die Rollen, die bei Machtspielen übernommen werden, und die Regeln, die es zu beachten gilt, sind kulturell geprägt. Grundsätzlich spielt jeder die Rollen, die bereits Teil seiner Persönlichkeit sind.
„Auch wenn darüber meist der Mantel des Schweigens gebreitet wird: Aufsteigen kann man nur, wenn man sich gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzt.“
Die Art der Spielkultur ist von den Organisationen abhängig, denen wir angehören. Das Innenleben von Organisationen ist sehr kompliziert, es kann als Bündel ineinander verwobener Machtspiele definiert werden. Was zeichnet Machtspiele aus? Sie verfügen über:
- charakteristische Muster, in denen bestimmte Regeln deutlich erkennbar sind,
- einen doppelten Boden, d. h. das, was jemand sagt, unterscheidet sich von dem, was er meint,
- Gegenspieler, die ihre eigenen Bedürfnisse gegenüber anderen geltend machen wollen.
Grundspiele
Eines der grundlegenden Spiele ist das „Ich will ein Eis!“-Spiel. Das Ziel dabei ist es, sich durchzusetzen, und zwar einfach nur, indem man anderen ohne Rücksicht auf deren Ansichten oder Argumente seinen Willen aufzwingt. Das funktioniert nur, wenn der andere stark von einem abhängig ist. Doch Vorsicht! Das „Ich will ein Eis!-Spiel“ bringt auf lange Sicht kaum Vorteile. Drohungen sind ein wesentliches Grundelement von Machtspielen; niemand kann ohne sie auskommen. Offene Drohungen sind höchst gefährlich – sowohl für den Drohenden als auch für den Bedrohten. Leichter kommen Sie mit versteckten Drohungen ans Ziel, denn sie ermöglichen es allen Beteiligten, das Gesicht zu wahren.
„Je weiter Ihre Macht reicht, umso weniger sind die Folgen kalkulierbar.“
Daneben gibt es auch ein „Spiel des Lobens“, das genauso durchtrieben ausfallen kann. Wer auf geschickte Weise Lob spendet, kann damit eindeutige Akzente setzen und dadurch wiederum auf subtile Weise Macht ausüben. Abhängigkeiten entstehen, wenn Mitarbeiter allzu sehr auf das Lob ihres Chefs setzen. Die Gefahr des Lobens besteht darin, dass es rasch entwertet ist und dadurch keine Wirkung mehr entfalten kann. Beim Spiel „Schuld schieben“ geht es darum, anderen die negativen Folgen einer Entscheidung aufzubürden. Insofern ist es das klassische Spiel schlechthin, wenn es darum geht, Macht zu erhalten. Das „Opferspiel“ stellt die Verhältnisse auf den Kopf: Der Schwächere setzt seine Schwäche ganz gezielt als Mittel im Machtkampf ein. Es gibt verschiedene Versionen des Opferspiels; die weichere zielt auf das Mitgefühl der Gegner, die harte auf ihr Schuldgefühl.
Boss-Spiele
Boss-Spiele dienen vor allem zwei Dingen: erstens dem Vergnügen daran und zweitens der Möglichkeit, menschliche Beziehungen zu vereinfachen. Boss-Spiele sind dann angebracht, wenn der Vorgesetzte sich auf schlichte Weise im Spiel halten will. Zu den beliebtesten Aktionen zählt dabei das „Sklaven-Spiel“ mit der Hauptvariante „Den Sklaven vorführen“. Dieses Spiel dient allein der Machtdemonstration. Der „Sklave“ kann jedoch unter dem Schutz seines Meisters durchaus seinen Vorteil daraus ziehen. Der „Knicktest“ hingegen zielt auf besonders ehrgeizige und motivierte Mitarbeiter. Seine Anwendung beruht hauptsächlich darauf, diesen einen „Knick zu verpassen“. Dabei bringt man sie absichtlich in eine Situation, von der man meint, dass sie ihr nicht gewachsen sind, um sie scheitern zu lassen. „Niederbügeln, um aufzubauen“ dient vorwiegend dazu, Mitarbeiter durch wechselndes Lob und Kritik in eine Abhängigkeit vom Chef zu manövrieren.
„Macht bereitet nicht nur Genuss, sie verschafft auch Anerkennung und Prestige.“
Zu den durchtriebenen Machtspielen gehört „Durch Lob verbrennen“. Hier läuft auf der Vorderbühne scheinbar alles nach Wunsch. Der Chef lobt seinen Mitarbeiter, auch wenn seine Leistungen nicht sehr beeindruckend waren. Der Gelobte ist aber nichts anderes als eine Spielfigur, die hin und her geschoben, aber nicht befördert wird. Bei diesem Spiel ist es schwierig, eine wirksame Gegenstrategie zu entwickeln – schließlich lässt sich gegen Lob wenig ausrichten. Regelmäßig wird auch das Spiel „Ein Huhn schlachten“ gespielt. Es ist eine reine Machtdemonstration: Der Boss haut mit der Faust auf den Tisch, um wieder mal zu zeigen, wer der Herr im Haus ist. Das „Schlachten“ endet in der Regel damit, dass der Boss den „Geschlachteten“ um Verzeihung bittet; dadurch verbindet er seine Demonstration mit einem Akt menschlicher Größe. Beim „Flegelspiel“ benimmt der Vorgesetzte sich gezielt daneben, um damit zu beweisen, dass die üblichen Grenzen für ihn nicht gelten. Das Spiel „Der Leitwolf und sein Betamännchen“ läuft auf eine klassische Rollenverteilung hinaus. Die Rolle des Leitwolfs kommt dem charismatischen, seine Verantwortung demonstrierenden Leader zu; nach innen hingegen hält das Betamännchen den Laden zusammen.
Mitarbeiterspiele
Machtspiele werden nicht nur von oben nach unten, sondern auch von unten nach oben gespielt. Solche Mitarbeiterspiele nutzen den Umstand aus, dass ein anderer die Hosen anhat. Eines der wichtigsten Spiele dieser Gattung ist „Vollbeschäftigung“. Hierbei suggeriert der Mitarbeiter seine hohe Motivation durch permanentes Beschäftigtsein. Bei schwierigen Chef-Mitarbeiter-Konstellationen wird häufig auch das Spiel „In den Graben fahren“ angewendet. Der Untergebene tut genau das, was der Chef von ihm will, und fährt so – weil er in entscheidenden Momenten nicht gegensteuert – ein Projekt in den Graben. Das Scheitern bleibt schließlich am Chef kleben. Ist Anpassung die beste Möglichkeit, um mit seinem Vorgesetzten klar zu kommen, hilft das „Ja-Sager-Spiel“. Die Strategie ist einfach: Der Mitarbeiter sagt zu allem Ja und Amen und tut schließlich doch, was er will.
„Niemand kommt beruflich voran, wenn seine Wettbewerber ein besseres Bild abgeben als er. Folglich muss man dafür sorgen, dass sie schlechter aussehen. Erfolge muss man verhindern, Blamagen muss man schaffen.“
Einer weiteren Art der Anpassung bedient sich das „Nüsse-Verstecken“. Der Mitarbeiter baut in seine Projekte absichtlich Fehler ein, um den besonders nörgeligen Chef zufriedenzustellen. Diese absichtlichen Fehler lassen sich dann leicht korrigieren, und der Chef konnte sich abreagieren. „Die Marionette führt“ funktioniert bei schwachen Chefs. Man unterstützt den Chef mit seiner Kompetenz und hilft ihm, nach außen hin sein Gesicht zu wahren. Mit der „Niedrigstrom-Provokation“ soll der Vorgesetzte allmählich um seine Alpha-Position gebracht werden. Sie reicht von geringfügigen Respektlosigkeiten bis hin zu Erniedrigungen, denen man den Chef im Kreise der Kollegen aussetzt. „Mit Liebe gekocht“ bedient sich gegenteiliger Mittel. Hierbei wird dem Chef gehuldigt, er wird von der Fürsorge seines Mitarbeiters förmlich erdrückt. Mit diesem Mittel lässt sich z. B. mangelnde Kompetenz kaschieren.
Verhandlungsspiele
Immer wieder gern gespielt wird das „Mein gnadenloser Boss“-Spiel. Hier wälzen Sie die Verantwortung für Ihre Verhandlungsposition auf Ihren Vorgesetzten ab und verbünden sich gewissermaßen mit Ihrem Gegenspieler. Eine ähnliche Funktion übt man mit der „freiwilligen Selbstfesselung“ aus. Auch hier kann man nicht anders, weil man von äußeren Umständen geknebelt wird. Die Spiele „Klappe zu“ und „eingebaute Nachverhandlung“ beruhen beide darauf, dass Vertragsverhandlung und -realisierung zwei Paar Schuhe sind.
„Wie Entscheidungen ausfallen, das hängt von zahlreichen Faktoren ab, die nichts mit dem sachlichen Hintergrund des Themas zu tun haben.“
Im ersteren Spiel wird der Umstand ausgenutzt, dass sich die andere Partei keine Nachverhandlung leisten kann; im zweiten Fall wird die andere Partei gezielt in eine Nachverhandlung hineingetrieben. Die Strategie ist in beiden Fällen ähnlich: Den Verhandlungspartner einlullen, um ihn später die Kröten schlucken zu lassen. Ähnliches gilt für Köderspiele. Auch hier wird zunächst ein verlockendes Angebot unterbreitet, das schließlich nach und nach aufgeweicht wird. Eines der Lieblingsspiele am Verhandlungstisch ist „Nicht erreichbar“: Wer nicht erreichbar ist, mit dem kann auch nicht verhandelt werden. So kann es z. B. gelingen, einen Preis erheblich zu drücken.
Konkurrenz und Karriere
Um Ihre Stellung innerhalb einer Organisation zu verbessern, stehen Ihnen drei Möglichkeiten zur Verfügung: die Pflege des eigenen Images, das gezielte Herunterputzen von Konkurrenten sowie eine erfolgreiche Bündnisstrategie. Eine wichtige Waffe, um Oberwasser zu bekommen, ist das „geborgte Messer“. Mitarbeiter können als geborgtes Messer gebraucht werden, auch Vorgesetzte, sogar Kunden. Das Prinzip ist immer dasselbe: Man benutzt etwas oder jemanden, um jemand anderem zu schaden.
„Ein Foulspiel, mit dem Sie immer rechnen sollten, sobald es um etwas geht: Ihr Konkurrent versucht, Sie herabzusetzen, Ihnen etwas anzuhängen, Sie zu verleumden.“
Ähnliches gilt für die „Kunst der rechten Provokation“. Dadurch bringt man seinen Konkurrenten auf die Palme, ohne dass andere Mitspieler die Ursache mitbekommen. Auch hier zeigt sich wieder: Nur wer sich selbst im Griff hat, kann im Kampf um die Macht überleben. Beim Spiel „Wir sind alle gute Freunde“ demonstriert der Machthaber auf der Vorderbühne Menschlichkeit und schafft sich so willige Verbündete. Um innerhalb einer Organisation Macht ausüben zu können, muss man zunächst in ihren inneren Kreis vordringen, denn nur wer sich innerhalb des Zirkels der Privilegierten befindet, kommt an die wichtigen Informationen heran. Wollen Sie es bis ganz nach oben schaffen, sollten Sie sich permanent in Habachtstellung befinden und Ihr Revier ebenso umsichtig verteidigen, wie Sie Ihre Attacken planen.
Weiche und harte Tricks
Die so genannten Organisationsspiele drehen sich um die Entscheidungsfindung innerhalb der Organisation. Der „Scheinhäuptling“ hat vor allem die Funktion, den wahren Häuptling vor Belästigungen zu schützen. Eine besondere Rolle für Stabilität und Funktionalität einer Organisation hat der „Entscheidungsmülleimer“. In ihn wird alles hineingepackt, was zur Entscheidungsfindung notwendig ist. Wer weiß, womit der Entscheidungsmülleimer gefüllt, und vor allem, wann er ausgeleert wird, hat bei der endgültigen Entscheidung einen großen Vorteil.
„Vielen ist nicht bewusst, wie schnell sich ihre Glaubwürdigkeit erschüttern lässt.“
Auch in Organisationen mit weichen Umgangsformen finden Machtspiele statt. Man überträgt seinen Mitarbeitern „Eigenverantwortung“, will aber im Grunde nur deren Leistung steigern. Das „Enttäuschungsspiel“ lässt sich von beiden Parteien spielen, verfolgt aber das gleiche Ziel: Indem Sie sich von Ihrem Vorgesetzten bzw. Untergebenen enttäuscht zeigen, üben Sie nachhaltigen Druck auf ihn aus, um seine Leistung zu steigern.
Foulspiel
Fouls kommen selbst in den besten Unternehmen vor – in schlechten sind sie allgegenwärtig. Als Foulspieler gilt, wer seine Mitarbeiter verleumdet oder beispielsweise Vertrauliches über sie ausplaudert. Erfahrene Foulspieler bereiten zunächst einmal den Boden vor, damit die Gerüchte, die über einen Mitarbeiter im Umlauf sind, auch geglaubt werden, um dann seinen Ruf zu zerstören. Ein gleichermaßen übles Spiel ist das „Schikanierspiel“. Hier geht es lediglich darum, den anderen am Boden zu haben, ihn zu verletzen oder seine Selbstachtung zu zerstören. Warum? Ganz einfach: um die eigene Macht zu demonstrieren.