Trojanisches Marketing
Was der Begriff „Trojanisches Marketing“ sagen soll, versteht fast jeder auf Anhieb. Merkwürdig, denn der Begriff ist eigentlich falsch. Erinnern wir uns: Es waren nicht die Trojaner, die gesiegt haben, sondern sie wurden besiegt. Richtig müsste es also „griechisches Marketing“ heißen. Denn es war der griechische Heerführer Odysseus, der „listenreiche“, der auf die Idee mit dem hölzernen Pferd kam. Zehn Jahre lang rannten die Griechen gegen die Mauern Trojas an und konnten die Stadt nicht einnehmen – eine scheinbar ausweglose Situation. Mit militärischer Kraft ließ sich nichts mehr bewegen. Übertragen auf die Situation der heutigen Wirtschaft heißt das: Die Märkte sind besetzt, auch mit viel Geld und Werbung lässt sich kaum mehr etwas erreichen.
„Gute Ideen sind wie das Trojanische Pferd. Sie kommen attraktiv verpackt daher, sodass der Mensch sie gerne hineinlässt. Erst dann entlarven sie ihr wahres Ziel: Eroberung!“
Wie wir aus der Geschichte Trojas wissen, bauten die Griechen ein großes Holzpferd, in dessen Innerem sie ihre besten Krieger versteckten. Dann verzogen sie sich auf ihre Schiffe und reisten scheinbar ab. Sie vertrauten aber nicht nur auf das Pferd, sondern ließen auch noch einen Mann namens Sinon zurück. Der gab sich als entlaufener griechischer Sklave aus und sorgte dafür, dass die Troer die Bedeutung des Pferdes auch im Sinne der Griechen verstanden. Die Troer sahen sich als Sieger und das Holzpferd als eine Göttergabe, denn Pferde waren ihnen heilig. Folgerichtig umjubelten sie das hölzerne Riesenross und zogen es in ihre Stadt; damit das überhaupt möglich war, mussten sie sogar einen Teil ihrer Stadtmauer abbrechen. In der Nacht nach der Siegesfeier stiegen die griechischen Krieger aus dem Bauch des Pferds, öffneten die Tore, und die heimlich zurückgekehrten Griechen fielen über die schlafenden Troer her. Mit diesem Gemetzel hat das Trojanische Marketing jedoch nichts zu tun. Der Begriff ist aber insofern gerechtfertigt, als es im Marketing um das Erreichen einer scheinbar unerreichbaren Zielgruppe geht.
Die Basisstrategie
Im Grunde handelt es sich um das Marketinginstrument List, das Sie ausweglose Situationen meistern lässt. Die Geschichte des Kampfes um Troja bietet dafür eine Art Handlungsmuster:
- Man nehme ein Objekt, das bei der Zielgruppe bekannt und begehrt ist (das Holzpferd). Das kann ein Geschenk, eine Dienstleistung oder etwas Ähnliches sein.
- Dieses Objekt lade man mit einem neuen Produkt (Idee etc.) auf, das man der Zielgruppe bekannt machen will (die versteckten griechischen Krieger).
- Man sorge mit geeigneten Maßnahmen dafür, dass das bekannte Objekt (Pferd) in der Zielgruppe auch richtig ankommt (Sinon).
- Abschließend wird mithilfe des Altbekannten das neue Produkt direkt der Zielgruppe präsentiert.
„Das ist die eigentliche Grundidee, die hinter Trojanischem Marketing und anderen Formen von unkonventionellem Marketing steht: Märkte werden nicht vorgefunden und bedient, sondern gemacht.“
Die Vorteile des Trojanischen Marketings liegen auf der Hand: Durch Querdenken und originelle Ideen erreicht man schnell und kostengünstig die anvisierten Kunden. Konventionelles Marketing wendet sich an existierende Märkte und vorhandene Zielgruppen. Es ist einfach strukturiert. Der Grundgedanke des Trojanischen Marketings führt um die Ecke, sucht Trojanische Pferde und schafft neue Märkte. Es versteht sich fast von selbst, wann Trojanisches Marketing nicht angebracht ist: Schlechte Produkte oder alte Hüte werden dadurch nicht besser. Wäre das Holzpferd hässlich oder schlecht gezimmert gewesen, hätte es nicht den Nerv der Troer getroffen – und um die versteckten Krieger hätte es nicht gut gestanden. Ebenfalls fehlgeschlagen wäre der Coup, wenn die Krieger feige gewesen wären (also keine guten Produkte).
Die Dawos-Strategie
Trojanisch zu denken bedeutet, mehrdimensional zu denken. Man kann eine Nachricht in die Welt setzen – etwa durch Werbeanzeigen – und dann hoffen, dass sie irgendeiner bemerken wird. Oder man sieht sich die Welt genauer an und fragt: Wo sind meine Kunden? Hat man sie identifiziert, geht man dorthin, wo es potenzielle Kunden gibt. Die Idee stammt eigentlich von einem Mediziner, der sagte: „Ich heile da, wo es weh tut!“, und er nannte das die Dawos-Therapie. Übertragen auf das Marketing heißt die Strategie: „Setze deine Marketingaktivitäten da ein, wo es potenzielle Kunden gibt!“
„Überhaupt ist Werbung, die Witz und Charme und Jux und Humor einsetzt, mit großer Erfolgswahrscheinlichkeit gesegnet, wenn man die Grenze zur Peinlichkeit nicht überschreitet.“
Ein Beispiel: Ein Biobauer hält, jenseits der üblichen Werbung, Ausschau nach Kooperationspartnern in anderen Lebenszusammenhängen und findet eine unendliche Fülle von Orten, Läden und Ansprechpartnern: Kinderärzte, Spielwarenläden, Puppentheater, Kindergärten, Altenzentren usw. Bei der Dawos-Strategie ist Absurdität bisweilen Trumpf: Die Salzburger Stiegl-Brauerei etwa bietet in einer Entbindungsklinik für die Neuväter ein Gratis-Sixpack an. Jeder bierselige Mann, der dort Vater wurde, wird diese Brauerei vermutlich niemals vergessen. Solche Kooperationspartner müssen Sie finden und danach beginnen, Ihre Strategie aufzubauen. Das Produkt ist klar, doch wo liegt Troja, was ist das Pferd und wer ist Sinon? Je origineller die Idee ist, desto größer die Chance, dass sie einmalig sein wird.
Trojanische Pferde
Wer sich die trojanische Denkweise erst einmal angewöhnt hat, entdeckt überall in seiner eigenen und in benachbarten Branchen Anknüpfungspunkte für sein Marketing. Viele etablierte Unternehmen werben längst trojanisch, selbst wenn sie es nicht so nennen. Zum Beispiel die amerikanische Kaffeehauskette Starbucks: Sie platzierte schon in mehreren Städten Kaffeebecher auf den Dächern von Taxis, sodass Passanten annehmen mussten, der Becher sei versehentlich dort vergessen worden und würde beim Anfahren unweigerlich auf die Straße fallen. Wer den Taxifahrer auf das vermeintliche Malheur ansprach, bekam prompt einen Gutschein für einen Kaffee im Starbucks-Shop. Der Becher konnte übrigens gar nicht herunterfallen, er war fest auf dem Dach des trojanischen Taxis angebracht. Starbucks gewann über diesen Umweg viele Kunden.
„Trojanisches Marketing zählt nicht Kunden, sondern sucht und analysiert Trojanische Pferde.“
Mit einem bisschen Brainstorming eröffnet sich eine Welt voller Trojanischer Pferde, mit deren Hilfe neue Botschaften transportiert werden können. Eine wichtige Softwarefirma soll während einer großen Computermesse mit den Hotels vor Ort kooperiert haben. So betteten während der Messe die Computerkunden ihr müdes Haupt auf Kopfkissenbezüge, auf denen die Werbebotschaft eben dieser Firma prangte.
„Um Produkte erfolgreich verkaufen zu können, muss im gesamten Prozess der Marketingkommunikation auch auf die impliziten Bedeutungen Rücksicht genommen werden.“
Werbung im Internet funktioniert häufig nach trojanischen Mustern: Wenn bekannte Marken in der virtuellen Welt Second-Life-Filialen aufmachen, wenn Computerspiele ganz oder teilweise von Markenwerbung gesponsert werden, so folgt das dem Prinzip, der angestrebten Zielgruppe durch beliebte Trojanische Pferde die eigene Botschaft anzudienen.
Trojanische Produkteinführung
Eine der wichtigsten und schwierigsten Marketingdisziplinen ist die Produkteinführung. Da fast alle Märkte weitgehend besetzt sind, wird der Stratege, der um die Ecke – also trojanisch – denkt, am ehesten Erfolg haben.
„Das Ende der Massenmärkte ist nahe.“
Der amerikanische Weinmarkt wird vollständig von zwei Produktlinien dominiert. Zum einen gibt es die Billigweine, zum anderen die Premiumsorten. Sie unterscheiden sich in ihrem Marketing kaum, außer dass die Premiumweine teurer sind, größere Werbeetats und ein besseres Image haben. In diesem 20-Milliarden-Dollar-Markt, der durch mörderische Konkurrenz gekennzeichnet ist, brach die australische Weinmarke yellow tail mit großem Erfolg ein. Im August 2003 war der meist verkaufte Rotwein der USA von yellow tail. Wie schaffte die Firma das? Zunächst veränderte sie das Schlachtfeld. Die Positionierung von yellow tail sprach nicht den Weintrinker an, sondern bot sich als Alternative für den Bier- und Cocktailtrinker an: Leichte Trinkbarkeit und das Image von Spaß und Abenteuer wurden hervorgehoben. Wir erinnern uns: Die Griechen brachen ihre Lager ab und boten etwas anderes als Krieg, nämlich den (scheinbaren) Frieden an. Danach setzte die Marke ganz auf ihr australisches Image. Als Zeichen verwendete sie ein Gelbfuß-Wallaby, eine besondere Känguru-Art, die als australisches Nationaltier eine besondere Strahlkraft aufweist. Im trojanischen Zusammenhang ergibt dies alles zusammen das gut gezimmerte Holzpferd. Dazu kam der Sinon-Effekt: In den Weinläden rüstete yellow tail das Personal mit typisch australischen Outback-Klamotten aus. Das sorgte dafür, dass am Point of Sale die Botschaft wirklich bei den Kunden ankam.
„In der Kreativphase eines trojanischen Marketingplans kann – und soll! – ,gesponnen‘ werden. Mut zum Unkonventionellen gehört definitionsgemäß dazu.“
Auch die Produkteinführung des alkoholfreien Erfrischungsgetränks Bionade kann als trojanisch bezeichnet werden. Es kam über viele und listige Umwege auf den Markt, z. B. mit dem Slogan „Das offizielle Getränk einer besseren Welt“, und verdankt seinen Erfolg nicht unwesentlich dem trojanischen Trick, dass der Schriftzug auf der Flasche aussieht, als ob hier Campari oder Martini getrunken würde.
Trojanische Imagebildung
Wie kam es dazu, dass die Maschinen des deutschen Familienunternehmens Kärcher heute weltweit für „Saubermachen“ stehen? Trojanisch. Seit über 20 Jahren reinigt Kärcher im Rahmen eines Kultursponsorings historische wichtige Monumente: das Brandenburger Tor in Berlin, die Christus-Statue in Rio de Janeiro, die Kolonnaden des Petersplatzes in Rom. Auch in Athen und im oberägyptischen Luxor macht sich der Reinigungsspezialist an den nationalen Denkmälern zu schaffen. In den USA reinigte Kärcher die berühmten Präsidentenköpfe von Mount Rushmore, pünktlich zum Unabhängigkeitstag. Nationale Denkmäler sind nationale Angelegenheiten mit der dafür üblichen öffentlichen Aufmerksamkeit. Das ist die Idee der trojanischen Imagebildung: Das Alte nutzen, um das Neue zu propagieren.
„Erfolg durch Kooperation fördert den Erfolg fördert die Kooperation fördert den Erfolg ...“
Man muss keine Weltfirma sein, um nach dem gleichen Prinzip zu agieren. Für Freiberufler oder Einzelkämpfer hat sich ein Guide, eine Fibel oder ein Ratgeber bewährt. Wenn z. B. ein Architekt eine kleine Broschüre „Baurecht für Anfänger“ verteilt oder ein Arzt einen „Gesundheits-Guide“ in Apotheken oder Drogerien auslegt, so verbreiten sie objektive Fakten und weisen gleichzeitig nachdrücklich auf das eigene Arbeitsgebiet hin. Die Großen machen es vor: Der Wäschehersteller Triumph verlegt einen Wäscheratgeber für Männer mit dem Titel „Kleines ABCDE der Dessous“. Die Quirin Bank verteilt ein Büchlein mit dem Titel „Neues Gesetzbuch des Private Banking“. Solche und ähnliche Aktionen setzen zudem Mund-zu-Mund-Propaganda in Gang oder sogar, wenn es im Internet geschieht, die so genannte Mouse-to-Mouse-Propaganda.
Der trojanische Pfeil: emotional treffsichere Kommunikation
Bei allen Kommunikationsmaßnahmen kommt es darauf an, den richtigen symbolischen Code zu treffen. Er ist der „trojanische Pfeil“, der ohne große Worte direkt ins Emotionszentrum des Kundenhirns trifft – ohne den Umweg über rational erklärende Worte. Red Bull etwa bedient sich bewusst der Farbe Rot und nutzt das Symbol des Stiers. Rot erhöht an sich schon die Stoffwechselaktivitäten des Körpers um bis zu 13 %, die Farbe passt also hervorragend zu einem Energy-Drink. Der Stier steht für Kraft und Mut und ist ein mythologisches Zeichen für den Kampf mit der Natur. Im Nahen Osten allerdings funktioniert dieses Schema nicht so gut. Bei den Arabern ist „Power Horse“ der führende Energy-Drink, denn bei ihnen steht eben das Pferd für Kraft, Schnelligkeit und hohes Sozialprestige. Trojanische Pfeile müssen also vorsichtig abgeschossen werden, das kulturelle Umfeld spielt dabei eine entscheidende Rolle.