Ist der Kunde wirklich König?
Der Kunde ist König – jedenfalls in den Sonntagsreden der Manager. Während der Woche hingegen ist er öfter ein Störfaktor, der es wagt, geregelte Abläufe mit seinen Anliegen zu unterbrechen. Sonderwünsche, Servicebedarf oder gar Reklamationen? Da kann der Kunde was erleben! Stundenlange Versuche, statt des Sprachcomputers einen echten Menschen ans Telefon zu bekommen, Callcenter mit schlecht ausgebildetem Personal, Beratungsgespräche, die sich um alles drehen, nur nicht um das, was der Kunde wirklich braucht, ständig wechselnde Ansprechpartner, bei denen man die ganze Geschichte jedes mal von vorn aufrollen muss – die Liste der Enttäuschungen scheint endlos. Zwar gibt es immer wieder Erfolgsbeispiele von perfektem Service, aber sie sind die Ausnahme. Weiterhin werden viel zu viele Kunden durch ungenügenden Service vergrault. Eigentlich unverständlich, schließlich wird unendlich viel Geld ausgegeben, um die umschwärmten Kunden überhaupt zu gewinnen. Kaum ist das Objekt der Begierde aber eingefangen, überlässt man es sich selbst, oder, noch schlimmer, behandelt es richtig mies. Die Konsequenz: Der Kunde springt ab und redet möglicherweise auch noch schlecht über das Unternehmen. Ist er richtig sauer geworden, kann das zu einer regelrechten Negativ-Lawine führen: Die technischen Möglichkeiten des Web 2.0 mit seinen Foren, Chats, Blogs etc. wissen verärgerte Kunde immer besser zu nutzen.
Das kundenfokussierte Unternehmen
Zwar hat sich in den letzten Jahren einiges verbessert. Vor allem die kundennahen Abteilungen sind stärker auf Freundlichkeit und Service getrimmt worden. Dass man auch das verkehrt angehen kann, weiß jeder, dem schon einmal mit süßlichem Pseudolächeln ein Essen auf den Tisch geknallt wurde. Man spürt, ob jemand es ehrlich meint. In den kundenfernen Abteilungen ist nicht mal gespielte Kundenfokussierung zu spüren; hier spielt der Kunde schlicht keine Rolle. Die internen Abläufe und die täglichen Routinen funktionieren ja schließlich auch ohne ihn. Eine fatale Haltung: Für den Kunden ist das Unternehmen nämlich eine Einheit; interne Zuständigkeiten interessieren ihn nicht. Jede negative Erfahrung fällt auf das gesamte Unternehmen zurück. Egal ob ein Mitarbeiter unfreundlich ist oder ein Gerät nicht richtig funktioniert – immer ist die Firma als Ganzes schuld. Es nützt deshalb nichts, wenn zwar der Vertrieb perfekt, der Service aber schlampig ist oder die Buchhaltung auf Nachfragen patzig reagiert. Die Firma muss wie aus einem Guss funktionieren; sie muss von A bis Z nicht nur kundenorientiert, sondern kundenfokussiert sein. Das bedeutet: Jeder Prozess, jede interne Struktur muss an den Bedürfnissen der Kunden ausgerichtet sein. Erst damit – nicht allein mit guten Produkten oder Dienstleistungen – machen Sie Ihr Unternehmen für Ihre Kunden unentbehrlich. Perfekte, individuelle Erfüllung der Kundenbedürfnisse ist ein Wettbewerbsvorteil, der sich nicht einfach kopieren lässt!
„Anstatt über glühende Kohlen zu laufen, sollten Manager besser nachsehen gehen, wo es beim Kunden brennt.“
Nachholbedarf in Sachen Kundenfokussierung gibt es vielerorts: Leider üblich, aber grundfalsch ist es beispielsweise, wenn nach jedem Führungswechsel Umstrukturierungen stattfinden, die eher die Lust an Machtspielchen als die Bedürfnisse der Kunden befriedigen. Bestes Beispiel: Chefs Liebling bekommt die lukrativsten Kunden. Oder die Postleitzahl bzw. die Branche des Kunden entscheidet über den zuständigen Vertriebsmitarbeiter. Das ist vielleicht praktisch, doch mit Sicherheit nicht kundenfreundlich. Richtig wäre: Der Kunde sucht sich seinen Vertriebsmitarbeiter selbst aus, denn Verkaufsgespräche haben dann Erfolg, wenn beide Parteien auch menschlich gut miteinander auskommen. Im Controlling, in der Personalentwicklung, der Produktentwicklung, im Marketing und in der Werbung gilt ebenfalls: Nur wenn der Kunde in der „Consumer-driven-Company“ mit am Entscheidungstisch sitzt – real oder virtuell –, entspricht das Ergebnis auch wirklich seinen Bedürfnissen. Setzen Sie deshalb statt auf bloßes CRM (Customer Relationship Management) auf CMR: Customer Managed Relationship. Im besten Fall funktioniert das so gut, dass Ihre Kunden als so genannte Market-Mavens, als Marktkenner und Fan-Kunden für positive Mund-zu-Mund-Propaganda sorgen. Die gewinnt in der global vernetzten Online-Welt rasant an Bedeutung. Idealerweise richtet ein Unternehmen deshalb eigens einen CCO-Posten ein, einen Chief Customer Officer, der analog zum Chief Financial Officer (CFO) auf Geschäftsführungsebene angesiedelt ist und dort die Interessen der Kunden vertritt.
Kooperation schlägt Konfrontation
Jede Führungskraft muss ein Menschenversteher sein. Selbstverständlich ist das nicht, schließlich steht das Fach „Menschenverstand“ auf keinem Lehrplan. Um Kunden, aber auch die eigenen Mitarbeiter besser zu verstehen, hilft ein Blick ins Gehirn: Menschen wollen nicht in erster Linie kämpfen und konkurrieren, sondern wünschen sich Zuwendung und positive, gelingende Beziehungen. Deshalb lohnt es sich z. B., einem Kunden nicht ständig neue Ansprechpartner vor die Nase zu setzen. Kunden sind eher einem individuellen Mitarbeiter gegenüber loyal als dem anonymen Unternehmen als Ganzes.
„Gerade in kundenfernen Abteilungen wird immer noch allzu häufig aus einer Innensicht heraus agiert.“
Sie brauchen nicht nur loyale Kunden, sondern zuerst und vor allem auch loyale Mitarbeiter. Studien zeigen: Chronisch unzufriedenes Personal verursacht Produktivitätseinbußen von mindestens 20 %. Viele Unternehmen tun alles, um ihre Mitarbeiter zu vergraulen: Ständige Umstrukturierungen, unfaires Verhalten im Kündigungsfall, Vertrauensbrüche und emotionale Kälte sorgen dafür, dass die Mitarbeiter im besten Fall die innere Kündigung einreichen, im schlechtesten Fall im Internet über das unerträgliche Betriebsklima lästern. Der schlimmste Motivationskiller ist Angst – vor Fehlern, vor Kritik, vor Blamage. Wer kreative Spitzenleistungen zu erzielen beabsichtigt – und die sind nötig, wenn man sich in Zukunft weiterhin auf dem Markt behaupten will –, muss sich bei der Arbeit wohlfühlen. Wer seinen Mitarbeitern Wertschätzung vorenthält, darf sich über aggressive Reaktionen oder Depressionen nicht wundern. In einem Klima von Angst, Stress, Wut und Bedrohung entsteht bestenfalls Mittelmaß. Experten haben berechnet, dass die Performance bei guter Stimmung um bis zu 100 % steigen kann, bei permanentem Druck dagegen auf die Hälfte sinkt. Im zweiten Fall geht ein großer Teil der Energie dafür verloren, die genetisch programmierten Reflexe Angriff oder Flucht zu beherrschen. Für die eigentliche Arbeitsaufgabe fehlt dann der Antrieb: Lustlosigkeit, Dienst nach Vorschrift, Konkurrenzkampf, unergiebiges Gerede und Intrigen sind die Folge.
Lachende Unternehmen
Das Betriebsklima ist Ausdruck einer gelebten Unternehmenskultur. In „lachenden Unternehmen“ ist die Stimmung gut, die Atmosphäre wohlwollend und die Arbeit geht leicht von der Hand. Man geht freundlich miteinander um, und das spiegelt sich im Umgang mit den Kunden. Das Erfolgsrezept: Gerechtigkeit, Berechenbarkeit und Vertrauen. Behandeln Sie Ihre Angestellten fair, halten Sie sich an Zusagen und Versprechen, stellen Sie klare Regeln auf und formulieren Sie Erwartungen deutlich – dann wissen Ihre Mitarbeiter, woran sie sind. So kann sich nach und nach Vertrauen bilden, und wenn dieses nicht enttäuscht wird, entsteht Loyalität.
„Wer loyale Kunden will, braucht loyale Mitarbeiter.“
Die Peitsche ist out, Zuckerbrot ist in – in Form von Lob, Anerkennung und Respekt. Gefragt ist allerdings nicht blinde Lobhudelei, sondern ehrliches Feedback, das es dem Mitarbeiter ermöglicht, seine Leistung realistisch einzuschätzen. In lachenden Unternehmen herrscht ein angstfreies Klima. Ein Fehler ist kein Drama, sondern eine Gelegenheit zum Lernen. Die Frage ist nicht, wer schuld ist, sondern wie man dafür sorgen kann, dass so etwas in Zukunft nicht wieder vorkommt. Ängstliches Wegducken vor der nächsten Schimpftirade des Chefs mindert die Motivation, statt Lernprozesse zu fördern. Richtig dosiertes Lob hingegen, ehrlich empfundene Anerkennung vollbringen wahre Motivationswunder. Selbstverständlich müssen auch Gratifikationssyteme so gestaltet sein, dass sie kundenorientiertes Verhalten belohnen. Und Erfolge müssen natürlich angemessen gewürdigt werden – je nach Anlass mit einem kleinen Umtrunk oder einer großen Feier.
„Wer nicht freundlich zu seinen Mitarbeitern ist, kann von diesen keine Freundlichkeit gegenüber Kunden erwarten.“
Dem Ausmerzen von Schwächen ist bekanntlich die Förderung der Stärken vorzuziehen. Je besser Mitarbeiter ihre individuellen Begabungen und Talente am Arbeitsplatz entfalten können, desto erfolgreicher wird auch Ihr Unternehmen sein. Nur Aufgaben, die weder unterfordern (Resultat: Langeweile) noch zu anspruchsvoll sind (Resultat: Überforderung), sorgen für den so genannten Flow, in dem jeder zur Höchstform aufläuft. Wenn dann noch die Arbeit als sinnvoll wahrgenommen wird und Ihren Mitarbeitern echte Spielräume bietet, in denen sie selbständig handeln und eigenverantwortlich entscheiden können, werden sie sich umso mehr engagieren. Auch langweilige Routineaufgaben, die es immer wieder gibt, werden dann gerne in Kauf genommen – die nächste interessante Aufgabe wartet ja schon.
Vorbild sein, menschlich bleiben
Zu Ihren Funktionen als Führungskraft gehören die Rollen „Vorbild“ und „Mensch“. Für eine gute Stimmung ist das Vorbild des Managements entscheidend: Gefühle sind ansteckend. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Sprache, denn Begriffe prägen das Denken. Wenn man im Ausflugslokal angesichts der aus dem Reisebus steigenden Senioren von „Urnenöffnung“ spricht, darf man sich über respektlosen Service nicht wundern. Auch die Körpersprache ist nicht zu unterschätzen. Viele Führungskräfte möchten gerne cool wirken – das Ergebnis ist distanzierte Kontrolliertheit anstelle von zwischenmenschlichem Kontakt. Die Mitarbeiter können Sie nicht einschätzen, geben sich ebenso reserviert – und Sie erhalten kein vernünftiges Feedback. Deshalb: Raus mit den Gefühlen, sowohl den positiven als auch den negativen – natürlich nicht in Form eines cholerischen Anfalls, sondern angemessen.
Kontakt suchen
Den direkten Draht zu ihren Kunden haben viele Führungskräfte auf dem Weg nach oben verloren. Viele sind sogar regelrecht froh, dass sie diesen ungeliebten Teil der Arbeit endlich abgeben konnten. Dabei kann man nur dann kundenfokussiert führen, wenn man nicht nur theoretisch weiß, sondern auch praktisch erfahren hat, was der Kunde wirklich will. Nutzen Sie also jede Gelegenheit zum direkten Austausch mit Ihren Kunden. Sei es, dass Sie sich, wie bei IKEA üblich, samstags an die Kasse setzen, sei es, dass Sie täglich im Callcenter reinhören. Sorgen Sie außerdem für eine kontinuierliche Prozessoptimierung an allen Kundenkontaktpunkten. Oft gibt es hier Fehleinschätzungen. Der erste Kundenkontakt findet nämlich wesentlich früher statt, als man denken könnte: Nicht erst bei der Anfrage, sondern dann, wenn der (potenzielle) Kunde zum ersten Mal irgendetwas über Ihr Unternehmen hört.
„Lassen Sie Ihre Mitarbeiter nicht emotional verhungern.“
Genauso wichtig wie der Draht zu Kunden ist, wie erwähnt, der tägliche Kontakt zu Ihren Mitarbeitern. Betreiben Sie „management by walking and talking around“: Gefragt ist nicht die offene Tür, sondern ein Chef, der sein Territorium verlässt und sich vor Ort an den Arbeitsplätzen der Mitarbeiter ein Stimmungsbild verschafft. Kein Kontrollrundgang, sondern ein Vorgesetzter, der sich aufrichtig für die Meinung seiner Leute interessiert, der sich nicht in Monologen ergeht, sondern zuhört. Eine solche Führungskraft bekommt hautnah mit, wo es hakt, und kann wichtige Infos sofort und ohne Umweg über den Flurfunk weitergeben.
Was bedeutet Erfolg?
Der Erfolg von Führungskräften wird heute an allen möglichen Zahlen gemessen. Die wichtigsten Faktoren werden freilich nicht berücksichtigt: Mitarbeitermotivation (nicht bloß Zufriedenheit), ist extrem wichtig. Versuchen Sie, sie mit Befragungen zu messen. Ebenfalls hochrelevant sind die Wiederkaufsrate, die Empfehlungsrate und die Kundenfluktuationsrate. Nicht kurzfristige Zielerreichung, sondern die nachhaltige Loyalität der Kunden entscheidet über Erfolg oder Misserfolg am Markt.