Führen in ethischer Verantwortung

Buch Führen in ethischer Verantwortung

Die drei Seiten jeder Entscheidung

Brunnen Verlag,
Erstausgabe:2002


Rezension

Der Manager an sich ist sozial und emotional ein Idiot und zu allem Überfluss auch noch gierig – diesen Eindruck könnte man jedenfalls gewinnen, wenn man die öffentliche Debatte verfolgt. Doch Führungskräfte haben es auch nicht leicht: Sie fühlen sich häufig zwischen immer komplexeren An­forderun­gen zerrieben und überfordert vom Anspruch, wirtschaftlich vernünftige und gle­ichzeitig ethische Entschei­dun­gen treffen zu müssen. Thomas Schirrma­cher zeigt in seinem Buch, wie sich dieser Spagat bewältigen lässt und nach welchen Kriterien man auch in schwierigen Situationen christlich-ethisch fundierte Entschei­dun­gen treffen kann. BooksInShort ist überzeugt: Ein wertvolles und nützliches Buch für Entschei­dungsträger aller Hi­er­ar­chi­estufen, die sich an christlichen oder philosophisch-ethis­chen Werten orientieren wollen. Ihnen kann das Buch über viele Un­sicher­heiten hin­weghelfen.

Take-aways

  • Die Grundlage aller christlich fundierten Entschei­dun­gen ist die Liebe.
  • Die Zehn Gebote konkretisieren das oberste christliche Liebesgebot.
  • Werte und Normen geben Ihnen keinen festen Hand­lungskat­a­log, sie bilden aber den Rahmen für Entschei­dun­gen.
  • Werte können kollidieren. In diesem Fall müssen Sie abwägen.
  • Wenn Sie sich bei Ihren Entschei­dun­gen von der Liebe leiten lassen, werden Sie nie grundsätzlich falsch handeln.
  • Die Folgen Ihrer Entschei­dung kennen Sie nicht. Also machen Sie Ihre Entschei­dun­gen nicht von den Folgen abhängig.
  • Ethische Entschei­dun­gen passen sich den Betroffenen und der Situation an.
  • Wer ethisch handeln will, muss sich seiner Rollen und ihrer An­forderun­gen bewusst sein.
  • Um ethisch führen zu können, müssen Sie an Ihrer Persönlichkeit arbeiten.
  • Welche Entschei­dung in einer Situation die richtige ist, darüber befindet zu guter Letzt Ihr Gewissen.
 

Zusammenfassung

Der Liebe als höchstem Gebot verpflichtet

Das Leben ist heute komplex und die Zeiten sind schnel­llebig. Und nicht immer ist Ihnen vielleicht klar, wie Sie als Führungskraft oder Unternehmer christlich oder allgemein ethisch fundierte Entschei­dun­gen treffen können. Um diese wichtige Aufgabe zu bewältigen, müssen Sie sich Ihre ver­schiede­nen Rollen vor Augen führen und die Werte kennen, auf deren Basis die christliche oder philosophis­che Ethik Handlungen für gut oder schlecht erklärt. Einen Hand­lungskat­a­log für die Praxis halten Sie damit nicht in der Hand, aber immerhin einen guten Rahmen, der Ihnen hilft, im Einzelfall Werte und Entschei­dun­gen abzuwägen und somit ethisch zu führen. Christliche Führungskräfte fühlen sich in jedem Fall der Liebe als dem höchsten Gebot Gottes verpflichtet.

Normen und Werte geben den Rahmen

Sie spielen viele ver­schiedene Rollen: in Ehe und Familie, bei der Arbeit, in Staat und Gesellschaft sowie als Christ in der kirchlichen Gemeinde. Alle diese vier Lebens­bere­iche sind göttlich und damit gle­ich­w­er­tig. Die ver­schiede­nen Rollen, die Sie darin einnehmen – als Vater, Mutter, Sohn oder Onkel, als Unternehmer oder Vorge­set­zter, als Gemein­demit­glied oder als Staatsbürger –, sind aber sehr un­ter­schiedlich und stellen teils gegenläufige An­forderun­gen an Sie. Diese müssen Sie ko­or­dinieren und Ihre Entschei­dun­gen je nach Situation mit Ihren Werten in Einklang bringen. Als Christ greifen Sie dabei neben den Geboten auf Traditionen zurück, außerdem auf persönliche Erfahrungen und nicht zuletzt auf die Vernunft und Ihr Gewissen.

„Wer keinen Wertekanon hat, hat auch nichts zum Abwägen.“

Die vier Lebens­bere­iche gehören zusammen. Sie dürfen sie aber nicht vermischen – Ihren Un­tergebe­nen müssen Sie anders behandeln als Ihr Kind. Die Bereiche sollen gle­ich­w­er­tig nebeneinan­der stehen, keiner darf den anderen dominieren. Welchen An­forderun­gen eine Entschei­dung genügen muss, hängt auch von Ihrem Umfeld ab, also der konkreten Situation und den Menschen, die Ihre Entschei­dung betrifft.

Ethisch entscheiden: lieben, denken, handeln

Das oberste Gebot der christlichen Ethik ist das Liebesgebot. Als Christ sollen Sie Gott, sich selbst und Ihre Mitmenschen lieben. Aus diesem obersten Gebot folgen konsequent die biblischen Zehn Gebote: Wer seine Mitmenschen liebt, der wird sie natürlich nicht bestehlen, belügen, töten oder sonst wie schädigen. Die Zehn Gebote stehen also nicht für sich, sondern zeigen, welche Handlungen auf der Grundlage des Liebesge­bots gut oder schlecht sind. Dabei legen sie vor allem fest, was Sie als Christ nicht tun sollen – eben lügen, stehlen, ehebrechen usw.

„Die Zehn Gebote sind nur Ausführungs­bes­tim­mungen des Liebesge­botes, denn wer Gott liebt, wird nur ihn verehren, und wer den Nächsten liebt, wird ihn nicht töten, bestehlen oder belügen.“

Aufgrund der christlichen Grundwerte zu entscheiden, setzt neben der Liebe auch die Bere­itschaft zum Nachdenken voraus. Es wird nicht reichen, wenn Sie sich einfach strikt an die christlichen Normen und Werte halten wollen. Allzu oft werden Sie sich in Situationen wiederfinden, die für eine mech­a­nis­tis­che Entschei­dung zu komplex sind. Das fängt bereits damit an, dass Sie sich im Alltag stets entscheiden müssen, welchem Ihrer Lebens­bere­iche oder welchen Bedürfnissen – eigenen wie denen Ihrer Mitmenschen – Sie wie viel Zeit widmen oder für was Sie wie viel Geld ausgeben wollen. Auch im Ar­beit­sall­tag werden Sie stets Güter und Werte gegeneinan­der abwägen müssen. Mit Werten allein werden Sie komplexen Situationen nicht gerecht, sie reichen für eine ethische Entschei­dung nicht aus.

Jede Entschei­dung hat drei Seiten

Entschei­dun­gen besitzen stets drei Seiten: die normative, die situative und die ex­is­ten­zielle Seite. Keine Seite steht für sich allein und keine kann strikt von den anderen abgegrenzt werden. Sich die drei ver­schiede­nen Aspekte einer Entschei­dung vor Augen zu führen, ist hilfreich, weil Ihre Entschei­dung bei jeder der drei Seiten eine andere Grundlage besitzt. Bei der normativen Seite sind es die Gebote Gottes oder die ethischen Grundwerte. Bei der situativen Seite ist es Ihr Gegenüber bzw. sind es die von der Entschei­dung Betroffenen und die Umstände, etwa die wirtschaftliche Lage Ihres Un­ternehmens oder Konflikte in Ihrer Abteilung. Der für die ex­is­ten­zielle Seite maßgebliche Faktor sind schließlich Sie selbst: Ihre Persönlichkeit und Ihr Gewissen. Alle drei Aspekte sind stets da, bei jeder Entschei­dung. Sie als Entscheider sind es, der ihnen das jeweils angemessene Gewicht beimisst.

Normative Entschei­dung: basierend auf Werten

Um zu wissen, wie er sich verhalten muss, braucht der Mensch Normen und Werte. Die ver­schiede­nen In­sti­tu­tio­nen vermitteln ihm den nötigen Rahmen: Elternhaus, Kinder­garten, Schule, Gemeinde sowie später das Unternehmen, der Ar­beit­splatz. Die Werte und Normen einer Gesellschaft dienen nach christlichem Verständnis dazu, ein von Liebe bestimmtes Handeln zu erreichen. Oder anders ausgedrückt: dafür zu sorgen, dass das menschliche Zusam­men­leben möglichst ohne Hass und Zerstörung funk­tion­iert. Im Zweifels­fall müssen die Menschen diese Werte und Normen gegen Verstöße verteidigen. Die Maßgabe jeder (christlich) ethischen Entschei­dung: Sie soll aus Liebe geschehen.

Entscheiden Sie aus Liebe und fördern Sie die Einsicht

In Ihrer Firma werden Sie – letztlich aus Liebe zu den poten­ziellen Opfern – Ihren Mi­tar­beit­ern verbieten, Kollegen sexuell zu belästigen. Es reicht, wenn Sie potenzielle Täter durch das Verbot und die Angst vor möglichen Sanktionen wirkungsvoll dazu bringen, Belästigungen zu unterlassen. Besser ist es, wenn Ihre Mitarbeiter den von Ihnen hochge­hal­te­nen Werten nicht aus Angst vor Sanktionen folgen, sondern aus eigener Einsicht. So werden sich Ihre Un­ternehmenswerte und die mit ihnen verbundenen Ver­hal­tensweisen auch neuen Mi­tar­beit­ern leicht vermitteln lassen. Zu Einsicht verhelfen Sie Ihren Beschäftigten etwa durch In­for­ma­tion­s­ma­te­r­ial, Seminare oder Beratung über Formen und Folgen sexueller Belästigung. Ihre Fürsorgepflicht kommt Ihnen als Ve­r­ant­wortlicher schon wegen des Urhe­ber­prinzips zu, das auch im Christentum gilt. Dieses sieht vor, dass Sie Schaden von einem Menschen abwenden müssen, wenn es in Ihrer Macht liegt.

„Das Gesetz ist wie ein Haus, das sehr sorgfältig gebaut werden muss, die Liebe hingegen entspricht den Bewohnern, die dem Haus erst seinen Sinn geben.“

Auch die Führungsentschei­dung, einen Mitarbeiter zu entlassen, kann aus Liebe geschehen: wenn der Mitarbeiter mit seiner Arbeit trotz Hil­f­sange­boten überfordert ist oder wenn nur durch vereinzelte Kündigungen das Bestehen der Firma gesichert werden kann und damit die Arbeitsplätze einer größeren Zahl von Mi­tar­beit­ern gerettet werden. Um eine solche Entschei­dung ethisch zu treffen, gehört neben dem ve­r­ant­wor­tungsvollen Abwägen auch, dem betroffenen Mitarbeiter die Gründe zu erklären. Dabei sollten Sie ggf. zu erkennen geben, dass Sie mögliche Gründe gegen die Entschei­dung kennen und dass Sie das Für und Wider nach bestem Wissen und Gewissen gegeneinan­der abgewogen haben. Ihr Mitarbeiter wird Ihre Entschei­dung so besser akzeptieren und sich mehr geachtet fühlen, als wenn Sie ihn womöglich schlicht per Brief abservieren und anschließend nicht mehr für ihn zu sprechen sind.

Situative Entschei­dung: mit Blick auf Umstände und Beteiligte

Das Abwägen anhand der Umstände ist die situative Seite einer Entschei­dung. Mit Werten allein kommen Sie in komplexen Situationen – und bei Beteiligten mit wider­stre­i­t­en­den Interessen – nicht weiter. Ein wichtiger Faktor jeder ethischen Entschei­dung ist, dass sie dem Menschen und den Umständen gerecht wird. Um also ethisch zu entscheiden, werden Sie Güter gegeneinan­der abwägen müssen – auch wenn Ihnen beide Güter und die damit verbundenen Werte grundsätzlich gleichermaßen hoch stehend erscheinen: beispiel­sweise welchem Mitarbeiter Sie kündigen und wessen Ar­beit­splatz Sie zu retten versuchen.

„Die letzte, innerste, vor unserem Gewissen gefällte Entschei­dung macht sie erst eigentlich zu einer Entschei­dung.“

Die Bibel nennt zahlreiche Beispiele, in denen Grundwerte miteinander kollidieren. Welchem Wert der Vorrang zukommt, ist am leichtesten zu erkennen an den Geboten, nicht zu töten und nicht zu lügen: Können Sie das Leben eines Menschen retten, so wird es ethisch immer vertretbar sein, zu lügen. Hierfür nennt die Bibel viele Beispiele. Auch Re­dewen­dun­gen wie „Not kennt kein Gebot“ oder „Not sucht Brot, wo sich’s finden lässt“ zeugen vom Widerstreit der Werte und Pflichten. Dass das Gebot, Leben zu schützen, höher steht, als das, die Wahrheit zu sagen oder nicht zu stehlen, leuchtet ein.

Werte sind entschei­dend, nicht die Folgen

In der Regel liegt der Fall nicht so einfach und eindeutig wie bei den biblischen Fällen der Werte „Leben schützen“ versus „nicht lügen“. Wo Werte miteinander kollidieren, müssen Sie daher auch auf Er­fahrungswis­sen zurückgreifen. Das sagt Ihnen beim Beispiel der Kündigung zum einen, welchen Mitarbeiter Sie womöglich dringender benötigen, zum anderen aber auch, welcher Mitarbeiter sich auf dem Ar­beits­markt schwerer tun wird. Solange Sie sich grundsätzlich an Werten orientieren, ist es gut, auch mögliche Kon­se­quen­zen zu berücksichtigen. Sie dürfen aber nicht den Fehler machen, Ihre Entschei­dung von den Folgen abhängig zu machen. Denn da Sie die tatsächlichen Auswirkun­gen nicht vorhersagen können, würde eine solche Entschei­dung Sie überfordern. Die schlimmste mögliche Folge: Der erhoffte positive Effekt bleibt aus und Sie haben womöglich unethisch gehandelt.

„Wahrschein­lich ist die philosophis­che Vorgeschichte der Grund, warum viele Führungskräfte heute Ethik als etwas Hochthe­o­retisch-Trock­enes mit ausgeprägter In­sid­er­sprache ansehen.“

Bleiben Sie also bei Ihren Werten und wägen Sie diese und die daraus erwach­senden Entschei­dungsmöglichkeiten gegeneinan­der ab. Betrachten Sie die christlichen und philosophisch-ethis­chen Werte bewusst als Rahmen. Die Bibel macht keine engen und konkreten Vorgaben, sondern stellt Prinzipien auf und füllt diese in Fall­beispie­len mit Leben. Diese gilt es nun – der jeweiligen Situation entsprechend – in die Realität zu übersetzen, also anzupassen und so mit neuem Leben zu füllen. Trösten Sie sich damit, dass Sie im Grunde nie schlecht handeln können, wenn Sie sich bei Ihren Entschei­dun­gen stets an Werten orientieren.

Ex­is­ten­zielle Entschei­dung: auf sich selbst zurückgeworfen

Sie selbst sind es, der einschätzen darf und muss, welcher Wert Ihnen im Zweifels­fall wichtiger erscheint und mit welcher Entschei­dung Sie dem Gebot der Liebe zu sich und Ihren Mitmenschen mehr dienen. Um diesen Aspekt der Entschei­dung ve­r­ant­wor­tungsvoll ausfüllen zu können, müssen Sie an Ihrer Persönlichkeit arbeiten. Sammeln Sie Ihre Erfahrungen möglichst bewusst. Lassen Sie sich beraten, um un­ter­schiedliche Sichtweisen und Standpunkte kennen zu lernen. Pflegen Sie die Beziehungen zu Ihren Mitmenschen, in der Familie ebenso wie am Ar­beit­splatz und in allen anderen Lebens­bere­ichen. Eine gute Führungskraft braucht mit zunehmender Ve­r­ant­wor­tung vermehrt persönliche und charak­ter­liche Reife.

„Biblische Wahrheit ist sehr praktisch, und jede the­ol­o­gis­che Forschung muss sich an der geistlichen Relevanz für die Praxis des gemeindlichen Lebens erweisen.“

Charakterstärke brauchen Sie im Übrigen nicht nur, um ethisch entscheiden zu können, sondern auch, um dies auszuhalten. Denn letztlich müssen Sie jede ethische Entschei­dung, die über die Normen und Werte hinaus auch die Menschen einbezieht, zutiefst einsam treffen. Welche Entschei­dung Sie in einer Situation aufgrund Ihrer Werte, Erfahrungen und Einschätzungen für richtig halten, liegt allein bei Ihnen – entsprechend Ihrer Persönlichkeit, Ihrer Erfahrung und Ihrem Wissen. Ein anderer Mensch würde vielleicht anders handeln. Da Sie die Zukunft nicht kennen, können Sie nie mit Sicherheit wissen, ob Ihre Entschei­dung sich als richtig erweisen wird. Mit jeder Entschei­dung machen Sie sich also angreifbar. Bei allen wirklich ethischen Entschei­dun­gen sind Sie damit letztlich nur Ihrem eigenen Gewissen verpflichtet.

Über den Autor

Prof. Dr. Thomas Schirrma­cher übt als Theologe, Kul­tur­an­thro­pologe und ver­gle­ichen­der Re­li­gion­swis­senschaftler mehrere Ämter aus: Er ist Rektor des Mar­tin-Bucer-Sem­i­nars, Professor für Re­li­gion­ssozi­olo­gie an einer rumänischen Universität sowie Direktor des In­ter­na­tionalen Instituts für Re­li­gions­frei­heit der Weltweiten Evan­ge­lis­chen Allianz und hält mehrere Doktortitel.