Zeiten des Aufruhrs

Buch Zeiten des Aufruhrs

Boston, 1961
Diese Ausgabe: DVA,


Worum es geht

Demontage des amerikanis­chen Traums

Oberflächlich betrachtet sind Frank und April Wheeler ein perfektes Paar. Mit ihren beiden Kindern wohnen sie in einem gepflegten Vorort von New York. Doch hinter der hübschen Fassade ihres Ein­fam­i­lien­hauses tut sich ein Abgrund auf. Frank langweilt sich in seinem Job als Werbetexter, April träumt vom Umzug nach Europa, die Eheleute sind zerstritten. Ihr Versuch, aus der Vorstadtidylle auszubrechen, endet für die beiden in einer Tragödie. In seinem 1961 er­schiene­nen, von der Kritik hochgelobten Romandebüt Zeiten des Aufruhrs erweist sich Richard Yates als unbestech­licher Chronist des amerikanis­chen Alltags der 50er Jahre. Mit großer Präzision spürt er den Enttäuschungen einer Generation nach, die den amerikanis­chen Traum verachtet, ohne dabei die eigenen Lebenslügen zu erkennen. Der Roman, der lange Zeit in Vergessen­heit geraten war und nach seiner Neuauflage zu einem Kultbuch avancierte, ist auch nach fast 50 Jahren kein bisschen gealtert – auch wenn seine Figuren Petticoats tragen und Cocktails trinken, Jazz hören und Jitterbug tanzen. Ein packender Klassiker der Moderne – bitterböse und komisch zugleich.

Take-aways

  • Richard Yates’ Zeiten des Aufruhrs ist ein Klassiker der amerikanis­chen Nachkriegslit­er­atur.
  • Inhalt: Frank und April Wheeler, beide um die 30, wollen der Tristesse einer Vorstadt­sied­lung entfliehen. Die Eheleute träumen von einem neuen Leben in Europa, fern vom öden Joballtag und den spießigen Nachbarn. Doch dann wird April zum dritten Mal schwanger, und die Tragödie nimmt ihren Lauf.
  • Präzise und psy­chol­o­gisch einfühlsam skizziert Yates das Scheitern einer Ehe.
  • Zugleich ist der Roman eine gnadenlose Demontage des amerikanis­chen Traums.
  • Yates’ Stil ist klar, realistisch und neigt mitunter zum Satirischen.
  • Viele zeitgenössische Schrift­steller, darunter Stewart O’Nan und Jonathan Franzen, nahmen sich Yates’ Debütroman zum Vorbild.
  • Trotz positiver Kritiken fand das Buch keine breite Leserschaft und geriet nach seinem Erscheinen 1961 für Jahrzehnte in Vergessen­heit.
  • In den USA genießt der Roman seit seiner Wieder­ent­deck­ung 1999 Kultstatus.
  • Sam Mendes verfilmte das Buch 2007 mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen.
  • Zitat: „Das ist die große sen­ti­men­tale Lüge der Vorstädte, und ich hab dich dazu gebracht, diese Lüge die ganze Zeit über gutzuheißen.“ (April zu Frank)
 

Zusammenfassung

Die Tristesse des New Yorker Vorstadtlebens

Frank und April Wheeler, beide 29 Jahre alt, leben mit ihren Kindern Jennifer und Michael in einem Vorort von New York. Frank, dem trotz seiner Ziel­losigkeit und seiner Neigung zu Träumereien eine große Zukunft prophezeit wurde, arbeitet in der Stadt als kleiner Angestell­ter. Die schöne und aris­tokratisch wirkende April, die früher eine New Yorker Schaus­pielschule besucht hat, kümmert sich um Haus und Kinder. In ihrer Freizeit spielt sie Theater in einer Laien­schaus­piel­gruppe. Nach einer miss­lun­genen Premiere, in der sie die Hauptrolle gespielt hat, bricht zwischen ihr und Frank ein heftiger Ehestreit aus, der wie gewohnt in tagelanges Schweigen mündet.

„Franklin H. Wheeler zählte zu den wenigen, die gegen den Strom schwammen.“ (S. 20)

Die Schwierigkeiten dauern schon länger an. Alles begann mit der Geburt des ersten Kindes, das beide nicht wollten, weil es ihren Plan, nach Europa zu gehen, zunichte machte. Um die Familie ernähren zu können, nahm Frank damals einen Job an. Als das zweite Kind folgte, zogen die Wheelers aus der Stadt hinaus. Mit­tler­weile greift Frank immer öfter zum Bourbon, um seinen Frust über das eintönige Vorstadt- und Fam­i­lien­leben zu ertränken. Auch mit ihren Nachbarn, Shep und Milly Campbell, mit denen die Wheelers seit Jahren befreundet sind, können sie nicht mehr viel anfangen. Früher fühlten sich die beiden Paare den anderen Vorstadt­be­wohn­ern überlegen und zogen gemeinsam über deren Spießigkeit und Kon­formis­mus her. Doch inzwischen reden sie, wenn sie abends bei einem Drink zusam­men­sitzen, auch nur noch über Klatsch und Tratsch aus der Nach­barschaft.

Der alte Traum von Europa

Seit seiner Rückkehr aus Europa, wo er im Zweiten Weltkrieg als Soldat gekämpft hat, arbeitet Frank in der Wer­be­abteilung von Knox, einer New Yorker Firma, die Büromaschinen herstellt. Auch Franks Vater Earl war früher bei Knox angestellt. Während Earl sein ganzes Leben als kleiner Angestell­ter der Firma widmete und stolz war, ihr zu dienen, betrachtet Frank seine Arbeit nur als Broterwerb. Um dem öden Joballtag zu entkommen, geht er an seinem 30. Geburtstag mit der Steno­typ­istin Maureen Grube ins Bett. Als Frank abends nach Hause kommt, überrascht ihn eine ungewohnt gesprächige und liebevolle April mit einem Plan: Sie möchte ihren alten Traum, nach Europa zu ziehen, wahrmachen. Sie will in Paris als Sekretärin arbeiten, während er endlich Zeit haben soll, zu sich selbst zu finden. Als sie ihm vor Augen hält, was für große Pläne er früher einmal hatte und welch verlogenes, spießiges Leben er nun führt, trifft sie Franks Nerv. Nach einigem Zögern willigt er ein. Mit neu erwachtem Selb­st­be­wusst­sein beschließt er, der Versuchung, noch einmal mit Maureen zu schlafen, zu widerstehen. Die Aussicht, im Herbst nach Frankreich zu ziehen, beflügelt seine Liebe zu April. Gemeinsam schmieden sie Pläne, doch je näher der Umzug rückt, desto größer werden Franks Zweifel.

Skeptische Reaktionen

Die Campbells sind von der Absicht der Wheelers, nach Europa auszuwan­dern, verstört. Vor allem Shep, der April schon seit Längerem begehrt, ist neidisch auf das neue, spürbare Glück des Paares. Die Im­mo­bilien­mak­lerin Helen Givings, die ihnen das Haus vermittelt hat, bemerkt sofort die Veränderung, als sie zu Besuch bei den Wheelers ist. Eigentlich wollten sie und ihr Mann Howard April und Frank zu einem Treffen mit ihrem geistesgestörten Sohn John einladen, der in der Psychiatrie sitzt, nachdem er in einem Anfall seine Eltern bedroht und das Mobiliar des Hauses zerstört hat. An den Tagen, an denen er Freigang hat, soll er nun neue Freunde finden, die ihm bei seiner psychischen Genesung helfen könnten. Mrs. Givings hat kein Verständnis dafür, dass die Wheelers ihr Haus verkaufen und ohne Geld, Job und Verwandte für immer nach Europa gehen wollen. Zudem ist sie verzweifelt, weil sie sich vom fre­und­schaftlichen Kontakt mit dem un­kon­ven­tionellen, in­tellek­tuellen Ehepaar eine positive Wirkung auf John erhofft hat. Jack Ordway, ein Kollege von Frank, reagiert nur mit spöttischer Her­ablas­sung auf dessen Träume von einem neuen selb­st­bes­timmten Leben in Paris. Der Einzige, der Franks und Aprils Sehnsucht nach Europa nachvol­lziehen kann, ist der geistesgestörte John. Als Frank bei einem nach­barschaftlichen Treffen seinen Überdruss an dem spießigen amerikanis­chen Lebensstil äußert, stimmt John ihm zu. Auch er verspürt die hoff­nungslose Leere, die in Amerika herrscht, und er bewundert die Wheelers für ihren Mut, dem Land den Rücken zu kehren.

Rückkehr zur Normalität

Frank hat sich innerlich schon von dem verhassten Büro und den Kollegen ve­r­ab­schiedet, da erhält er zum ersten Mal, seit er bei Knox tätig ist, Anerkennung für seine Arbeit. Für eine Werbebroschüre, die er ohne Eifer und Lei­den­schaft verfasst hat, erntet er großes Lob vom Abteilungsleiter Bart Pollock, der ihm neue Auf­gaben­bere­iche verspricht. April drängt ihren Mann, dem Vorge­set­zten von seinen Kündigungsplänen zu erzählen, doch Frank weigert sich. Bei einem Geschäftsessen, in dem Pollock sich von seiner persönlichen Seite zeigt, spricht Frank von seinem ver­stor­be­nen Vater, der für die Firma gelebt hat, aber niemals in eine ve­r­ant­wor­tungsvolle Position aufgestiegen ist. Erst als Pollock ihm eine führende Position in der vielver­sprechen­den und stetig wachsenden Com­put­er­branche anbietet, gesteht Frank, dass er die Firma verlassen will. Pollock vermutet dahinter ein Angebot der Konkurrenz. Mit der Bemerkung, der alte Earl Wheeler wäre sicher stolz darauf, wenn sein Sohn Karriere bei Knox machen würde, trifft er Frank mitten ins Herz.

„Zunächst einmal war die Welt, das Leben selbst sein erklärtes In­ter­es­sen­ge­biet.“ (über Frank, S. 31)

Allmählich wachsen Franks Zweifel an einem Neubeginn in Europa. Die Aussicht auf einen in­ter­es­san­teren, besser bezahlten Job in seiner Firma ist verlockend. Da kommt ihm die überraschende Nachricht, dass April erneut schwanger ist, sehr gelegen. Ein drittes Kind stünde ihren Europaplänen im Weg. Nach außen spielt Frank den Enttäuschten, insgeheim aber ist er glücklich über die Rückkehr zur Normalität und malt sich das neue Leben der Familie aus: Sie werden eine schöne Wohnung in New York beziehen, er wird Karriere machen, in­ter­es­sante Leute kennen lernen und irgendwann vielleicht sogar für die Firma nach Europa gehen. Doch Aprils Entschluss, das Baby abzutreiben, setzt seinen Träumen ein Ende. Mit allen Mitteln versucht er sie umzustimmen. Mal appelliert er an die Moral, mal spielt er bewusst die Rolle des reifen, ro­man­tis­chen Mannes und kümmert sich liebevoll um die Kinder. Der Alltag holt ihn aber bald wieder ein. Das andauernde Rollenspiel vor seiner Frau, die weiterhin eintönige Büroarbeit und die Besuche der Nachbarn zermürben ihn.

Affären, Schuldzuweisun­gen und Schweigen

Als April ihm nach einem anstren­gen­den Fam­i­lien­aus­flug vorhält, seine moralischen Vorstel­lun­gen seien verlogen, verliert Frank die Fassung. Er bezeichnet sie als emotional gestört und führt ihren Ab­trei­bungswillen darauf zurück, dass sie als Kind von ihren Eltern abgelehnt wurde. Seine laienhaften psy­chol­o­gis­chen Erklärungen scheinen sie zunächst zu überzeugen, und sie willigt in seinen Vorschlag ein, einen Psychiater aufzusuchen. Um sicherzuge­hen, dass sie das Baby vor Ablauf des dritten Monats nicht doch noch hinter seinem Rücken abtreibt, erzählt er allen Nachbarn und Kollegen von Aprils Schwanger­schaft und der Entschei­dung, vorerst in Amerika zu bleiben. Auf den ersten Blick scheint der Ehestreit beigelegt, doch mit der wieder aufge­flammten Liebe ist es vorbei. Zwischen April und Frank herrscht das alte, quälende Schweigen. Und auch im Job tut sich entgegen Franks Erwartungen gar nichts. Aus Frust nimmt er die Affäre mit Maureen Grube wieder auf.

„Und auf dem Weg zur Arbeit, als einer der jüngsten und gesündesten Fahrgäste, saß er im Zug mit dem Gesicht­saus­druck eines Menschen, der zu einem sehr langsamen, schmer­zlosen Tod verurteilt ist. Er kam sich wie ein Mann mittleren Alters vor.“ (über Shep, S. 79)

Nach einer Tanzver­anstal­tung in einer Jazzkneipe kommen April und Shep Campbell sich näher und schlafen auf dem Rücksitz seines Wagens miteinander. Shep, der in April verliebt ist, sieht darin die Erfüllung seiner Träume. April allerdings ist merkwürdig einsilbig und abweisend. Auch von Frank zieht sie sich nun völlig zurück und schläft jede Nacht auf dem Sofa. Die beiden streiten sich nicht einmal mehr, sondern leben distanziert nebeneinan­der her, jeder mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Dennoch ist Frank, der nun immerhin eine Gehaltserhöhung bekommen und seine Beziehung zu Maureen endgültig beendet hat, guter Dinge, dass sein Leben wieder in Ordnung kommen wird. In der Hoffnung, die Eifersucht und Lei­den­schaft seiner Frau zu wecken, die wie versteinert wirkt und seine Anwesenheit kaum noch zu bemerken scheint, gesteht er ihr seine Affäre mit Maureen. Doch statt ihm eine Szene zu machen, reagiert April gleichgültig. Sie behauptet, ihn nicht zu lieben und niemals geliebt zu haben.

Das Ende einer Ehe

Als Helen, Howard und John Givings eines Sonntags die Wheelers besuchen, platzen sie mitten in einen heftigen Ehekrach hinein. Mrs. Givings möchte am liebsten sofort wieder gehen, aber John treibt die Wheelers mit seiner Frage, warum sie ihren Traum von Europa aufgegeben haben, in die Enge. Er wirft Frank Be­quem­lichkeit und Feigheit vor und unterstellt ihm, die Schwanger­schaft seiner Frau nur als Vorwand zu benutzen, um sein lang­weiliges, aber solides Bürgerdasein nicht aufgeben zu müssen. Frank reagiert empört und beschimpft John. Die Familie Givings verlässt das Haus der Wheelers daraufhin schlagartig. Im Nachhinein pflichtet April John bei. Frank wirft ihr Unfähigkeit zur Liebe vor, und sie verbietet ihm, sie jemals wieder zu berühren. Der Streit gerät außer Kontrolle. In seiner Wut schreit Frank, er wünschte, sie hätte das Baby abgetrieben. April läuft in den nahe gelegenen Wald, und Frank befürchtet schon, sie sei durchge­dreht. Zu seiner großen Überraschung ist sie am nächsten Morgen wie aus­gewech­selt. Sie hat ihm das Frühstück bereitet, lächelt und stellt höfliche Fragen zu seiner Arbeit. Doch ihr Verhalten kommt ihm sonderbar und künstlich vor. Ihm schwant, dass seine Ehe das Endstadium erreicht hat.

Aprils Tod und Franks Verzwei­flung

Nachdem Frank zur Arbeit gefahren ist, räumt April die Wohnung auf und verbrennt die Ab­schieds­briefe, die sie in der letzten Nacht geschrieben hat. Ihr ist klar geworden, dass sie ihren Mann weder liebt noch hasst. Ihr einziger Fehler bestand darin, ihn nie als das gesehen zu haben, was er tatsächlich ist: ein ganz normaler Mann. Stets hat sie ihm und sich selbst eingeredet, er sei der wun­der­barste, in­ter­es­san­teste Mensch – so lange, bis sie schließlich an diese Lüge geglaubt hat. Sie erkennt, dass sie einem Trugbild verfallen war, das sie selbst entworfen hatte – und daran trägt Frank keine Schuld. In einem kurzen Ab­schieds­brief bittet sie Frank, sich keine Vorwürfe zu machen, was auch immer passieren werde. Dann trifft sie alle nötigen Vor­bere­itun­gen für eine Abtreibung, die sie eigenhändig vornimmt.

„Das ist die große sen­ti­men­tale Lüge der Vorstädte, und ich hab dich dazu gebracht, diese Lüge die ganze Zeit über gutzuheißen.“ (April zu Frank, S. 124)

Als Milly Campbell, bei der April für zwei Tage die Kinder un­terge­bracht hat, die Sirenen des Kranken­wa­gens hört, ahnt sie Schlimmes. Sie ruft Shep im Büro an und dieser erfährt auf Nachfrage vom Krankenhaus, dass April eine Fehlgeburt erlitten hat. Er be­nachrichtigt Frank und begleitet ihn in die Klinik, wo April notoperiert wird. Nachdem die Ärzte Frank mitgeteilt haben, dass seine Frau an starken inneren Blutungen gestorben ist, erleidet er einen Ner­ven­zusam­men­bruch. Shep ist ebenfalls schockiert und kann nicht fassen, dass April sich die Ver­let­zun­gen bei ihrem Ab­trei­bungsver­such selbst zugefügt haben soll. Zusammen betrinken sich die Freunde in Sheps Küche. Als Milly am Abend nach den beiden schauen will, ist Shep eingeschlafen und Frank ver­schwun­den.

„Sie weinte, weil sie an diesem Abend so große Hoffnungen in die Wheelers gesetzt hatte und nun so entsetzlich enttäuscht war. Sie weinte, (...) weil Howard Givings der einzige Mann war, der ihr je einen Heirat­santrag gemacht hatte, weil sie darauf eingegangen und weil ihr einziges Kind geis­teskrank war.“ (über Helen Givings, S. 182)

Verzweifelt irrt Frank durch die Straßen der Vorstadt­sied­lung, vorbei an pastell­far­be­nen Häusern mit hell er­leuchteten Fenstern. Der Anblick der gepflegten Rasenflächen und der Lichter bringt ihn fast zur Raserei. Auf einmal packt ihn die Wah­n­vorstel­lung, alles sei nur ein schreck­licher Albtraum gewesen. Doch der Anblick seines Hauses, das als einziges in der Straße un­beleuchtet ist, holt ihn in die traurige Wirk­lichkeit zurück. Im Bad liegen noch die Utensilien von Aprils Abtreibung herum. Überall im Haus meint er ihre Anwesenheit zu spüren und ihre Stimme zu hören. Auf dem Schreibtisch entdeckt er ihren Ab­schieds­brief. Wenn der Brief nicht gewesen wäre, wird er später den Campbells berichten, hätte er sich in dieser Nacht wahrschein­lich umgebracht.

Das Leben muss weitergehen

Langsam kehrt der Alltag in die Siedlung zurück. In das ehemalige Haus der Wheelers sind inzwischen neue Bewohner eingezogen. Jennifer und Michael leben mit­tler­weile bei ihrem Onkel, Franks älterem Bruder, wo ihr Vater sie jedes Wochenende besuchen kommt. Er hat das Haus verkauft und lebt jetzt in New York. Milly ist nach einem Besuch Franks der Meinung, dieser habe einen munteren Eindruck gemacht, doch Shep kam er vor wie ein Mann, der nicht mehr richtig lebt. Helen Givings, die sich anfangs wegen Johns Auftritt bei den Wheelers eine Mitschuld an Aprils Tod gab, hat sich wieder gefangen. Ihren Sohn besucht sie immer seltener in der psy­chi­a­trischen Anstalt. Dafür hat sie sich einen kleinen Hundewelpen zugelegt, den sie abgöttisch liebt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Richard Yates’ Zeiten des Aufruhrs besteht aus drei Teilen, die jeweils wiederum in mehrere längere Kapitel un­ter­gliedert sind. Während im ersten Teil noch Frank Wheelers Sichtweise dominiert, wechselt die Erzählper­spek­tive ab dem zweiten Abschnitt immer öfter zwischen den ver­schiede­nen Personen. Yates’ kunstvolles Spiel mit der Perspektive macht deutlich, dass alle Figuren in ihren Kon­ven­tio­nen und Ritualen gefangen und zu einem men­schlichen Miteinander nicht in der Lage sind. Immer wieder baut der Autor Rückblenden aus der Kindheit seiner Haupt­fig­uren in die Handlung ein, um bestimmte Wesenszüge – etwa Aprils Gefühlskälte oder Franks Hang zum Sen­ti­men­talen – plausibel zu machen. Die Sprache des Romans ist klar und präzise. Ob in den tem­por­e­ichen Dialogen oder in den de­tail­lierten Beschrei­bun­gen von Häusern, Autos, Woh­nung­sein­rich­tun­gen, Frisuren oder Kleidungsstücken, stets ist die Schilderung sehr wirk­lichkeit­snah. Der Hang zu satirischen Überze­ich­nun­gen und der schwarze Humor verleihen dem Roman bei aller Tragik der Geschichte auch einen ungeheuren Witz und Un­ter­hal­tungswert.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • Der Orig­inalti­tel Rev­o­lu­tion­ary Road (so heißt die Straße, in der das Haus der Wheelers steht) spielt darauf an, dass der Geist der amerikanis­chen Revolution von 1776 in den 50er Jahren des 20. Jahrhun­derts an einem Endpunkt angelangt war.
  • Zeiten des Aufruhrs ist eine bissige Abrechnung mit dem amerikanis­chen Traum einer pros­perieren­den Mit­telschicht, aber auch mit dessen Kritikern. Yates’ Möchte­gern-In­tellek­tuelle fühlen sich über das banale Vorstadtleben erhaben, erliegen jedoch auf ihre Weise einer ebensolchen Selbsttäuschung wie die von ihnen verachteten Spießbürger.
  • In dem Roman, der von alkoholabhängigen Büroangestell­ten, korrupten Geschäftsleuten, gelang­weil­ten Hausfrauen, durchge­drehten Neurotikern und kreis­chen­den Kindern bevölkert ist, gibt es keine eindeutig positive Figur. Lediglich April, die den Ausbruch aus der Vorstadtidylle wagen will und am Ende ihre eigenen Lügen durchschaut, sowie der geistesgestörte John ragen zeitweise aus der Masse heraus.
  • Ein Motiv, das sich durch den ganzen Roman zieht, ist das der Schaus­piel­erei. Zu Beginn wirkt April bei der Aufführung eines Stückes im Laienthe­ater mit. Im weiteren Verlauf der Handlung erweisen sich April und Frank auch im Alltag als Schaus­pieler. Ob im Job, in der Ehe oder unter Freunden – ständig setzen sie sich bewusst in Szene und spielen die gewünschten Rollen. Und wie die Aufführung der Laien­schaus­piel­gruppe am Anfang des Romans floppt, so scheitern auch die Figuren im wirklichen Leben letztlich mit ihrem Bemühen, den Frust des Alltags zu überspielen.
  • Als unbestech­licher Chronist des amerikanis­chen Alltags steht Richard Yates in einer Reihe mit anderen US-amerikanis­chen Autoren wie J. D. Salinger und John Updike. Seine il­lu­sion­slose Schilderung des Vorstadtlebens, der öden Jobs und gescheit­erten Ehen, der alko­holseli­gen Vergnügungen und trivialen Zer­streu­un­gen wurden mit Updikes um dieselbe Zeit er­schienenem Rab­bit-Ro­man verglichen.

His­torischer Hintergrund

Wohlstand, Konsum und Rebellion im Zeitalter der Atombombe

Mit Dwight D. Eisenhower stellte die kon­ser­v­a­tive Re­pub­likanis­che Partei ab 1953 erstmals nach 30 Jahren wieder den Präsidenten der USA. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Koreakriegs herrschte in großen Teilen der amerikanis­chen Bevölkerung ein Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit. Die Mit­telschicht genoss einen bis dahin ungekannten Wohlstand, der den Konsum anheizte. Bereits 1960 besaßen drei von vier Haushalten mindestens ein Auto. 87 % der Haushalte verfügten über einen Fernse­hap­pa­rat, der mit Beginn der 50er Jahre das Radio als vorherrschen­des Medium der Massenkom­mu­nika­tion allmählich verdrängte. Eine Kle­in­fam­i­lie und ein eigenes Haus waren auch für jüngere Leute aus der Mit­telschicht ein er­strebenswertes Ziel. Wer es sich finanziell leisten konnte, zog aus den Innenstädten hinaus in die neuen, gleichförmig gestalteten Vorstadt­sied­lun­gen, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Viele Frauen, die vorher gearbeitet hatten, schieden aus der Erwerbstätigkeit aus und nahmen wieder die tra­di­tionelle Rolle der Hausfrau ein. Fortschritts­glaube und Na­tion­al­stolz prägten die Stimmung jener Zeit. Zugleich aber herrschten ein Gefühl von Un­sicher­heit und eine un­ter­schwellige Angst vor dem Kommunismus stal­in­is­tis­cher Prägung, da die Sowjetunion im Besitz der Atombombe war.

Als Gegen­be­we­gung zum amerikanis­chen Mainstream bildete sich ab Mitte der 50er Jahre eine Ju­gend­kul­tur der Rebellion heraus. Vor allem in den Großstädten San Francisco und New York verweigerte sich eine wachsende Zahl junger Menschen dem „American Way of Life“ und propagierte einen Lebensstil, der weniger auf Arbeit, sozialen Aufstieg und Konsum fixiert war als derjenige ihrer Eltern. Allen Ginsbergs skandalträchtiges Gedicht Das Geheul aus dem Jahr 1955 und Jack Kerouacs zwei Jahre später er­schienener Roman Unterwegs markierten die Anfänge der so genannten Beat­gen­er­a­tion, die sich gegen Kon­formis­mus und bürgerliche Moralvorstel­lun­gen auflehnte.

Entstehung

Wie sein Held Frank Wheeler war Richard Yates gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als Soldat an der Landung der amerikanis­chen Truppen in der Normandie beteiligt. Und wie die Romanfigur musste auch der Autor nach seiner Rückkehr aus Europa ver­schiedene Jobs annehmen, um seine Familie ernähren zu können. Eine Zeit lang arbeitete er für die Zeitungsagen­tur United Press und als Werbetexter für den Schreib­maschi­nen­her­steller Remington Rand Corporation, der sich in der Nachkriegszeit zu einem der größten Com­put­er­her­steller in den USA entwickelte. Neben seiner Arbeit verfasste er Kurzgeschichten, von denen einige in Zeitungen veröffentlicht wurden, und er schrieb an seinem ersten Roman. Der Verleger Seymour Lawrence, Entdecker vieler amerikanis­cher Schrift­steller, veröffentlichte Zeiten des Aufruhrs 1961 im Bostoner Verlag Little, Brown & Co.

Wirkungs­geschichte

Gleich nach seinem Erscheinen erntete Zeiten des Aufbruchs großes Lob von der Kritik und wurde sogar für den renom­mierten National Book Award nominiert, der jedoch in einer knappen Entschei­dung einem anderen Autor verliehen wurde. Für kurze Zeit war Richard Yates ein berühmter Schrift­steller und sein Name in aller Munde. Dennoch erreichte der Roman – nach Yates’ eigenen Worten der einzige seiner sieben Romane, der etwas tauge – nie ein größeres Publikum.

Während Yates’ Romanen kein kom­merzieller Erfolg beschieden war, verehrten ihn viele Schrift­steller als ihren lit­er­arischen Meister, z. B. Richard Ford, Jonathan Franzen und Stewart O’Nan. Dennoch gerieten seine Bücher schon bald nach Erscheinen in Vergessen­heit. Erst 1999, sieben Jahre nach Yates’ Tod, löste Stewart O’Nan durch einen Essay, in dem er Yates mit Klassikern der Moderne wie William Faulkner, Anton Tschechow und F. Scott Fitzgerald verglich, in den USA ein Yates-Re­vival aus. Ein Jahr später wurde der vergriffene Roman Zeiten des Aufruhrs wieder aufgelegt und schaffte es in manchen amerikanis­chen Großstädten sogar bis in die Best­sellerlis­ten.

In deutscher Übersetzung erschien das Buch erstmals 1975. Der DDR-Verlag Volk und Welt veröffentlichte es unter dem Titel Das Jahr der leeren Träume und pries es im Klappentext als eine Art Manifest des An­tikap­i­tal­is­mus an. Nach der Neuübersetzung im Jahr 2002 erlangte der Roman auch im deutschsprachi­gen Raum rasch Kultstatus. Seitdem erschienen in kurzen Abständen weitere Werke des Schrift­stellers, die allesamt von der Kritik gefeiert wurden. 2007 verfilmte der amerikanis­che Regisseur Sam Mendes Zeiten des Aufruhrs mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen.

Über den Autor

Richard Yates wird am 3. Februar 1926 in Yonkers, New York geboren. Nach der Scheidung seiner Eltern wächst er mit seiner Schwester bei der Mutter auf, die aus Geldmangel von Stadt zu Stadt zieht. Mit 18 Jahren geht er zur Armee. In Frankreich, wo er im letzten Kriegsjahr als Soldat kämpft, erkrankt er an Tuberkulose. Nach Kriegsende kehrt er nach New York zurück und heiratet, doch schon bald zieht es ihn wieder nach Europa. Von 1951 bis 1953 lebt er in Paris und London. Er bringt sich mit einer Rente durch, die ihm die Armee aufgrund seiner Tuberkulose zahlt, und schreibt erste Geschichten. Zurück in den USA verdient er seinen Leben­sun­ter­halt u. a. als Werbetexter. 1959 lässt er sich von seiner Frau scheiden, die das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Töchter erhält. Sein erster Roman Rev­o­lu­tion­ary Road (Zeiten des Aufruhrs, 1961) wird von der Kritik sehr positiv aufgenommen. Auf einmal ist Yates ein bekannter Autor, doch schon mit der Veröffentlichung seines Erzählbandes Eleven Kinds of Loneliness (Elf Arten der Einsamkeit, 1962) beginnt der Abstieg. Yates zieht nach Hollywood, wo er wie sein großes Vorbild F. Scott Fitzgerald ein Drehbuch schreibt – und trinkt. Ab 1963 arbeitet er, um sich finanziell über Wasser zu halten, als Re­den­schreiber für Robert Kennedy. Daneben un­ter­richtet er kreatives Schreiben an Universitäten und schreibt weiterhin auch selbst, allerdings ohne großen Erfolg. Sein Roman A Special Providence (Eine besondere Vorsehung, 1969) bleibt unbeachtet, was Yates in tiefe Selb­stzweifel stürzt. Trotz seiner schlechten Gesundheit raucht und trinkt er unmäßig, isst manchmal tagelang nichts und wird wiederholt wegen Ner­ven­zusam­menbrüchen in eine psy­chi­a­trische Klinik eingewiesen. Auch seine zweite, 1968 geschlossene Ehe, aus der eine Tochter hervorgeht, scheitert. Mit dem Roman Easter Parade (1976) erreicht Yates noch einmal seine alte Größe, doch er verfällt immer mehr dem Alkohol. Hochgelobte Bücher wie Cold Spring Harbor (1986) bringen kaum Geld ein. Einsam und verarmt stirbt Yates am 7. November 1992 in seinem Appartement in Birmingham, Alabama an einer schweren Lun­genkrankheit.