Unterschiedliche Kulturen bergen ein hohes Konfliktpotenzial
Über 400 deutsche Unternehmen haben sich bereits in Thailand angesiedelt und dazu beigetragen, dass Deutschland der wichtigste Handelspartner Thailands innerhalb der Europäischen Union ist. Die Zahl der deutschen Beschäftigten in Thailand, hauptsächlich in führenden Positionen, steigt ständig. Für sie ist es von zentraler Bedeutung, die Kultur dieses exotischen Landes zu verstehen. Nur ein tieferes kulturelles Verständnis hilft zu vermeiden, dass unnötige Hindernisse aufgebaut und damit ggf. berufliche Zielsetzungen gefährdet werden. Ein kulturelles Training von Führungs- und Fachkräften sollte stets mit einem hohen Anteil an konkreten Fallbeispielen einhergehen. Nur anhand solcher praktisch gewonnener Erfahrungen lässt sich ermessen, welche Konflikte im Verhältnis zwischen Thailändern und Deutschen typisch sind und wie man diese Probleme lösen kann.
„Wenn das eigene Orientierungssystem in einer anderen Kultur nicht mehr zu funktionieren scheint, sind Menschen verunsichert und erleiden einen Orientierungsverlust. Dieses Phänomen wird als ‚Kulturschock‘ bezeichnet.“
Eine Kultur setzt sich aus verschiedenen Kulturstandards zusammen, die von der Mehrheit ihrer Angehörigen als verbindlich betrachtet werden. Diese Standards sind nicht starr, sondern durchaus zeitlichen Veränderungen unterworfen. Eine Abweichung von diesen Richtlinien, also ein Fehlverhalten, wird von den anderen Mitgliedern der Gesellschaft in der Regel nur bis zu einem bestimmten Grad toleriert. Probleme entstehen häufig dann, wenn Angehörige verschiedener Kulturen zusammentreffen, da die meisten Menschen von der Allgemeingültigkeit ihrer eigenen Werte und Normen überzeugt sind. Verhält sich das Gegenüber auf unerwartete, untypische Weise, so wird das häufig weniger dem anderen kulturellen Hintergrund als vielmehr dem persönlichem Charakter zugeschrieben. Entsprechend besteht immer wieder die Gefahr, dass man sich in einer fremden Kultur fremd oder missverstanden fühlt. Treten solche Situationen gehäuft auf, kann es zu einem regelrechten Kulturschock kommen. Dieser geht oft mit einem sozialen Rückzug und einer mentalen Abwertung der Umgebung einher – ein Gefühl, das sich innerhalb eines Unternehmens fatal auswirken kann. Um einen solchen Kulturschock zu vermeiden oder zumindest zu mildern, ist es von Vorteil, sich bereits im Voraus mit typischen Konflikten auseinanderzusetzen.
Hierarchien
In Thailand spielen Hierarchien eine erheblich größere Rolle als z. B. in Deutschland. Position und Bedeutung einer Person müssen in jeder Art von Beziehung beachtet werden. Wenn Thailänder nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben, verhalten sie sich in der Regel passiv. Dies gilt vor allem bei der Vorstellung neuer Mitarbeiter. In dieser Hinsicht ist auch die Rolle der Frau in der thailändischen Gesellschaft zu berücksichtigen: Das weibliche Geschlecht wird noch häufig als dem männlichen nachgestellt angesehen. Aber auch in Thailand findet in dieser Beziehung momentan ein gesellschaftlicher Wandel statt. Die Grundlagen für das streng hierarchische System wurden bereits in dem früheren Königreich Siam gelegt. Bestandteil des so genannten Sakdina-Systems war ein bestimmter Verhaltenskodex, der von der Nutzung eines festgelegten Vokabulars bis hin zur Körperhaltung reichte. Dieser Kodex wurde von jedem eingefordert, sobald er Kontakt zu einer höhergestellten Person hatte.
Patrone und Klienten
In Thailand herrscht ein sehr traditionelles Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Chef und Mitarbeitern vor. Auf Mitarbeiterseite gilt es, den Chef möglichst nicht mit alltäglichen Arbeitsaufgaben zu belasten, was gerade im Bereich der Mitarbeiterkommunikation zu erheblichen Problemen führen kann. Ein thailändischer Mitarbeiter tut in der Regel lieber nichts, als dass er Gefahr läuft, etwas Falsches zu tun und sich damit den Zorn seines Chefs zuzuziehen. Für den Vorgesetzten ist es daher wichtig, regelmäßig nachzufragen, ob es Probleme bei den anfallenden Aufträgen gibt. Tut er das nicht, kann es passieren, dass Aufgaben liegen gelassen werden, vor allem dann, wenn der Mitarbeiter sich damit überfordert fühlt. Vorsicht vor einem allzu kollegialen Führungsstil: Dieser wird von thailändischen Mitarbeitern leicht missverstanden und führt häufig dazu, dass sie den Chef als führungsschwach oder fachlich inkompetent betrachten. Thailändische Mitarbeiter erwarten von ihrem Chef, dass er alles weiß und sich in allen Fragen umsichtig und entscheidungsfreudig verhält. Er ist es schließlich, der die gesamte Verantwortung in Händen hält und die Richtung vorgibt. Die Beziehung zwischen dem Chef und seinen Angestellten lässt sich am besten als Patron-Klient-Verhältnis beschreiben. Dieses ist tief in der thailändischen Kultur verankert und findet sich an verschiedenen Stellen der Gesellschaft wieder, wobei sich die Regeln gleichen. Von den Klienten wird totale Rücksichtnahme und Unterwürfigkeit eingefordert. Der Patron hingegen muss verantwortliche Entscheidungen treffen und sich gegenüber seinen Klienten wie ein Familienoberhaupt verhalten.
Status und Prestige
Das starre hierarchische System der thailändischen Gesellschaft drückt sich auch in der Kleidung aus. Jemand mit Fach- bzw. Führungsverantwortung sollte auf jeden Fall die traditionelle Kleiderordnung einhalten und vor allem darauf achten, sich nicht zu leger anzuziehen. Besonders auf die Schuhpflege ist zu achten (keine Sandalen!), denn die Füße zählen für die Thais zu den schmutzigen Körperteilen. Aufmerksamkeit erfordert auch der Umgang mit den thailändischen Behörden. Verzögert sich die Bearbeitung von Anträgen oder die Erledigung von Verwaltungsaufgaben, so wirkt ein Präsent bei dem zuständigen Beamten oft Wunder. Solche Geschenke gelten nicht als Korruption, sondern eher als Achtung vor dem entsprechenden Status. Sie helfen zudem, eine gewisse soziale Schieflage zu beheben, denn Beamte werden in Thailand in der Regel schlecht bezahlt. Im Übrigen gilt: Hat jemand eine Machtposition inne, so ist er nach Auffassung der Thailänder auch legitimiert, die daraus entspringenden Vorteile zu nutzen.
Harmonie (Jai Yen)
Thailänder praktizieren eine vollkommen andere Art der Problembewältigung, als sie beispielsweise in Deutschland üblich ist. Ein harmonisches Miteinander gilt als hoher Wert, Beziehungen sollen nicht von Problemen belastet werden. Probleme jeglicher Art obliegen der eigenen Verantwortlichkeit; darüber zu viel und zu deutlich zu reden, wird als Belastung für die Mitmenschen betrachtet. In der Praxis erweist es sich daher für die besonders problembewussten Deutschen als schwierig, Konflikte, Missstände usw. zu thematisieren. Das Aufrechterhalten der zwischenmenschlichen Harmonie, die Konfliktvermeidung spiegelt sich in dem Wertbegriff Jai Yen (kühles Herz) wider. Zu Jai Yen gehören u. a. das Zeigen von Respekt, Freundlichkeit, zuweilen sogar Unterwürfigkeit gegenüber anderen.
Bunkhun-Beziehungen
Die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen am Arbeitsplatz ist in Thailand von hoher Bedeutung, besonders wenn man als Vorgesetzter von seinen Angestellten die eine oder andere Sonderleistung verlangt. Überstunden sollten Sie in jedem Fall honorieren. Vermeiden Sie Nachrichten auf Zetteln und tragen Sie Ihre Mitteilungen stattdessen im persönlichen Gespräch vor. Auch die Essens- oder Gebetszeiten sollten Sie respektieren. Zu den zentralen Begriffen im Wertekanon der thailändischen Gesellschaft gehört „Bunkhun“. Es bedeutet so viel wie „geschuldete Güte“, bezeichnet also die Notwendigkeit, eine empfangene Hilfe- oder Unterstützungsleistung irgendwann durch einen vergleichbaren Dienst zu erwidern. Diese Verpflichtung ist u. a. religiös motiviert. Das Nichtbefolgen solcher Pflichten geht nach Auffassung der Thais immer mit schlechtem Karma einher.
Indirekte Kommunikation
Für den typischen Deutschen zeichnet sich ein professioneller Kommunikationsstil vor allem durch Direktheit, Klarheit und logische Eindeutigkeit aus. In Thailand wird dagegen eher auf einer indirekten Ebene kommuniziert. Durch ein offenes Nein, eine direkte Ablehnung von Vorschlägen des Gesprächspartners fürchtet man diesen zu verletzen. Allein schon um Enttäuschungen zu vermeiden, ist es für Ausländer wichtig, hinter der freundlichen Grundhaltung die eigentliche Antwort zu erkennen. Die Regeln dieser indirekten Kommunikation gelten auch für den Austausch von Gefälligkeiten, die schon mal den Beigeschmack der Korruption haben können. Auch wenn der Gesprächspartner indirekt, beispielsweise als Gegenleistung für einen zu vergebenden Auftrag, um solche Gefälligkeiten bittet, sollten Sie freundlich und positiv darauf reagieren, ganz gleich für welche Option Sie sich schließlich entscheiden. So kann man häufig sein Ziel erreichen, ohne den erwünschten Gefälligkeiten im vollen Umfang nachzukommen.
Selbstwertorientierung
In allen Aspekten der Kommunikation zwischen dem Vorgesetzten und seinen Mitarbeitern sind Disziplin und Beherrschung angebracht. So sollten Sie z. B. mit Körperkontakt in Thailand sehr vorsichtig umgehen. Gerade Berührungen am Kopf, der als edelster Körperteil gilt, sind verpönt. Mit Kritik an Mitarbeitern, zumal mit öffentlicher, sollte sehr dosiert umgegangen werden. Deutliche oder gar schroff geäußerte Kritik in der Öffentlichkeit führt zu einem Gesichtsverlust des Angesprochenen, was sich u. U. auch in nachlassender Arbeitsleistung widerspiegeln kann. Mit Behutsamkeit gelangen Sie oft besser und schneller ans Ziel. Auch bei einem eindeutigen, ja selbst bei einem kriminellen Fehlverhalten sollten Sie in der Behandlung der Mitarbeiter einen kühlen Kopf bewahren. Wird ein Angestellter beispielsweise bei einem Diebstahl ertappt, so machen Sie daraus, wenn möglich, keine öffentliche Angelegenheit, sondern versuchen Sie, die Dinge intern zu regeln. Fühlt sich ein Thai nämlich auf diese Weise bloßgestellt, kommt dies einem totalen Gesichtsverlust gleich. Um sich dagegen zu wehren, reagieren Thais häufig übermäßig aggressiv, zuweilen sogar mit gewalttätigen Handlungen, denn von diesem Zeitpunkt an haben sie buchstäblich nichts mehr zu verlieren und können evtl. aufkeimenden Rachegefühlen freien Lauf lassen.
Flexibilität (Mai Pen Rai)
Flexibilität spielt in der thailändischen Kultur im Vergleich zur deutschen eine deutlich größere Rolle. Das Schmieden detaillierter Pläne wird in der Regel vermieden, da man dem Zufälligen, Unvorhergesehenen im Leben einen größeren Stellenwert einräumt. Als Führungskraft sollten Sie daher eher darauf verzichten, Ihren Mitarbeitern allzu starre Pläne vorzugeben. Flexibilität prägt auch das thailändische Verhältnis zur Zeit. Unpünktlich zu sein, ist an der Tagesordnung, da man dem Faktor Zeit eine deutlich geringere Wertschätzung beimisst, als es beispielsweise in der deutschen Kultur der Fall ist. Hintergrund ist der Glaube an die Wiedergeburt, die Tatsache also, dass man die Möglichkeit hat, bestimmte Dinge auch noch im nächsten Leben zu tun. Damit verbunden ist das Gefühl, für alles mehr als genug Zeit zu haben. Deutsche sollten versuchen, mit dieser Kultur zu leben. Ist Pünktlichkeit im Rahmen eines Termins von besonderer Wichtigkeit, dann sollten Sie Ihre Mitarbeiter noch einmal gesondert darauf hinweisen. So schaffen sie unangenehme Situationen von vornherein aus der Welt. Der Ausspruch „Mai Pen Rai“ („Das macht doch nichts“) ist der bezeichnende Ausdruck dieser thailändischen Flexibilität. Dazu zählt auch eine Art von Pragmatismus, der der Loyalität zwischen Chef/Patron und Mitarbeiter/Klient auf den ersten Blick zu widersprechen scheint. Sieht ein thailändischer Mitarbeiter die Möglichkeit, sein Gehalt aufzubessern, so wird er diese in aller Regel auch wahrnehmen, indem er z. B. einen personellen Engpass seines Unternehmens ausnutzt. Normen, Prinzipien, die Rücksicht auf feste Werte – all das ist in der thailändischen Gesellschaft nicht von herausragender Bedeutung. Man versucht vielmehr sich immer den Umständen anzupassen und einen möglichst gangbaren Weg zu wählen.