Wachstumsbranche Tourismus
Reisen diente im 18. Jahrhundert vor allem der Bildung und war fast ausschließlich dem Adel vorbehalten. Doch schon im 19. Jahrhundert etablierten sich Erholungsreisen für breitere Bevölkerungskreise, meist an die See oder in die Berge. Heute ist der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige überhaupt. Im Jahr 2007 lag der gesamte Produktionswert der Branche bei 5391 Milliarden Dollar, das sind etwa 10 % des Welt-Bruttoinlandsprodukts. 231 Millionen Menschen leben weltweit vom Tourismus. Jährliche Wachstumsraten von rund 4 % weisen darauf hin, dass auch zukünftig viel Geld mit der Erholung oder dem Erlebnisurlaub verdient werden kann. Deutschland, Japan, die USA und Großbritannien gehören zu den Ländern, die am meisten Geld für Reisen ausgeben. Das stärkste Wachstum hingegen legt China hin, denn mit dem Wohlstand haben auch die Chinesen ihre Reiselust entdeckt.
Akteure der Reisewirtschaft
In der Tourismuswirtschaft sind alle Akteure zusammengefasst, die an der Reiselust der Menschen verdienen. Aus verschiedenen Leistungen (Flug, Hotel, Ausflüge) schnüren Reiseveranstalter Pakete, die meist über Reisebüros vertrieben werden. Manche Reisebüros agieren nicht nur als Reisevermittler, sonder auch als Reiseveranstalter, indem sie für ihre Kunden exklusive Pakete zusammenstellen. Die drei größten deutschen Reiseveranstalter sind TUI (Marktanteil: 28 %), Thomas Cook (19 %) und REWE Touristik (18 %). Die meisten Reiseveranstalter besitzen mehrere Veranstaltermarken, mit denen sie den Reisemarkt bedienen. TUI operiert beispielsweise mit den Marken Berge & Meer, Gebeco, L’TUR und 1-2-Fly in unterschiedlichen Marktsegmenten.
„Der Tourismus ist einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige und eine der bedeutendsten Wachstumsbranchen weltweit.“
Spezielle Business-Travel-Anbieter organisieren Reisen für Unternehmen, meist auf Grundlage von individuell ausgehandelten Rahmenverträgen. Die Anbieter von Computerreservierungssystemen verkaufen Reisebüros eine einheitliche Buchungsmaske, die die Angebote verschiedener Reiseveranstalter bündelt. Überhaupt ist das Internet mittlerweile das wichtigste Medium, um Reisen zu verkaufen. Vor allem Einzelleistungen (Bahn, Flug, Hotel) werden bevorzugt im Internet gebucht. Allerdings ist noch nicht richtig klar, wann es sich wirklich um Onlineumsätze handelt, da sich viele Interessenten in Reisebüros informieren und dann im Internet buchen oder umgekehrt.
„Kreuzfahrtexperten erwarten in den nächsten Jahren ein zweistelliges Wachstum in Europa.“
Fluggesellschaften teilen sich in Full-Service-Carrier und Low-Cost-Carrier auf. Letztere sind erheblich billiger, bieten aber meist nur einen Teil des bei großen Fluggesellschaften üblichen Serviceangebots. Die meisten Fluggesellschaften gehören einer von drei großen Allianzen an, womit Synergien genutzt werden: Star Alliance (u. a. Lufthansa, Swiss, United, SAS, Austrian Air, Air Canada), SkyTeam (u. a. KLM, Alitalia, Aeroflot, Air France) und oneworld (u. a. American Airlines, Quantas, British Airways). Auch die großen Hotelketten führen mehrere Marken unter einem Dach. So gehören beispielsweise Mercure, Etap, Ibis und Sofitel zur Accor-Gruppe.
„Die Qualität allein ist kein ausreichendes Kriterium, um eine Marke zu definieren.“
Das größte Wachstum innerhalb der Tourismusindustrie erfahren derzeit die Kreuzfahrten. Das Angebot reicht von kleinen Boutiqueschiffen, die vor allem für Fluss- und Küstenkreuzfahrten eingesetzt werden, bis zu Mega-Kreuzfahrtschiffen mit einer Kapazität von 3000 Reisegästen.
Die sichtbare Ebene der Marke
Es ist gar nicht so einfach zu definieren, was Marken eigentlich sind. Sie stehen für eine bestimmte Qualität, und sie sind Teil eines Kommunikationskonzepts. Eine Marke entsteht nicht von selbst in den Köpfen der Verbraucher; sie muss intensiv und langfristig aufgebaut werden. Jede Marke besitzt zwei Ebenen oder Gesichter: die äußere, sichtbare Form und die unsichtbaren Inhalte, die mit dem Markenauftritt transportiert werden. Zur sichtbaren Ebene gehört der Markenname. Er definiert die Marke und sollte, ist er erst einmal etabliert, nicht mehr geändert werden. So war die Ersetzung des etablierten Namens „Condor“ durch den neuen Markennamen „Thomas Cook“ markentechnisch eine Katastrophe, was nach zwei Jahren dazu führte, dass die Fluggesellschaft ihren alten Namen und das alte Logo reaktivierte. Logos sind zwar auch wichtig, wirken jedoch meist nur, wenn der Name bereits etabliert ist: Wer den angebissenen Apfel sieht, denkt an Apple, wer einen dreizackigen Stern im Kreis erblickt, hat sofort den Schriftzug von Mercedes-Benz vor Augen. Logo und Farbwahl können wichtige Bausteine der Markenkommunikation sein. Der Low-Cost-Carrier HLX verwendet auf seinen Flugzeugen gelb-schwarze Farben, die an Taxis erinnern. Die implizite Botschaft: Mit HLX fliegen ist so günstig wie eine Taxifahrt.
Die unsichtbare Ebene der Marke
Die unsichtbare, inhaltliche Ebene der Marke ist sehr viel schwieriger zu fassen als die „dekorative Hülle“. Jede Marke ruft Assoziationen hervor, die in ein fein verzweigtes Raster eingetragen werden können. Dieses stellt die Assoziationslandkarte der Marke dar. Allgemeine Attribute wie „Qualität“ und „innovativ“ sind wertlos, wenn nicht eruiert werden kann, was die Qualität und Innovationskraft ganz konkret ausmacht.
„Der Endverbraucher informiert sich grundsätzlich bei mehreren Quellen, bevor er sich für eine touristische Leistung entscheidet.“
Am Anfang einer neuen Marke steht immer die Kombination einer Leistungskomponente mit einer Markierung. Letztere erfolgt zunächst über den Namen und ggf. über ein Bildzeichen oder Logo. Eine solche markierte Leistung ist aber noch keine Marke. In einem zweiten Schritt muss die Marke mit Bedeutung aufgeladen werden. Dies geschieht über die Kommunikation von Assoziationen. Allerdings wird sich ein Markenbild beim Kunden nur dann festsetzen, wenn das Produkt die Versprechen der Markenkommunikation auch einlöst. Erst aus dem Wechselspiel von Markenkommunikation und Markenerfahrung ergibt sich die Bedeutung der Marke. Für die einzelnen Bausteine einer Marke hat sich die Metapher vom „Markenhaus“ etabliert: Das Fundament besteht aus den Assoziationen, die von der Marke hervorgerufen werden, das Dach umfasst alle nach außen sichtbaren Markenbestandteile, und die Räume stehen für diejenigen Aspekte der Marke, die nicht von außen sichtbar sind (z. B. Loyalität oder Sympathie).
Markenstrategien im Tourismus
Tourismusmarken lassen sich prinzipiell genauso gestalten und beschreiben wie Konsumgütermarken. Einige haben es sogar geschafft, Gattungsbegriffe zu werden: Paris, die Schweiz und Venedig sind solche Destinationsmarken, deren Markenkerne auch auf andere touristische Ziele übertragen werden, z. B. „Paris des Ostens“ für Prag oder „Sächsische Schweiz“ für das Elbsandsteingebirge in Sachsen. So bauen Sie eine Tourismusmarke auf:
- Analyse: Beginnen Sie mit der der Untersuchung des Ist- und Sollzustands. Wenn Ihre Marke bereits existiert, sollten Sie ins Marketingarchiv gehen und herausfinden, welche Kernbotschaften – so genannte Markenwurzeln – schon immer eine wichtige Rolle gespielt haben. Bei neuen Marken können Sie zunächst von Wunschvorstellungen ausgehen. Das ist aber z. B. bei Destinationen nicht uneingeschränkt möglich. Wenn ein Land wie etwa die Türkei zur Marke gemacht werden soll, gilt es zu berücksichtigen, dass in den Köpfen der Menschen bereits Assoziationen existieren. Wollen Sie dagegen ein neues Onlinereisebüro aus der Taufe heben, können Sie über Umfragen die Ansprüche herausfinden, die potenzielle Kunden stellen. Analysieren Sie auch das Marktumfeld genau, um eine geeignete Marktnische zu finden und mögliche Differenzierungsmerkmale zu erkennen. Eine genaue Marktanalyse kann Ihnen völlig neue Perspektiven eröffnen.
- Strategie: Marken wachsen langsam und über mehrere Jahre. Daher müssen Sie strategisch planen, wie sich das Image der Marke entwickeln soll. Legen Sie Ihre Ziele so konkret wie möglich fest (z. B. „Bekanntheitsgrad um 10 % erhöhen“). Bestimmen Sie die genaue Positionierung der Marke, definieren Sie Unterscheidungsmerkmale in Bezug auf das Wettbewerbsumfeld und legen Sie schließlich den Zeitrahmen, das Budget und die Instrumente fest, mit denen Sie Ihre Strategie umsetzen wollen.
- Umsetzung: Hier steht Ihnen das gesamte Marketinginstrumentarium zur Verfügung. Die Grundlage bildet meist ein geeigneter Name. Achten Sie darauf, dass dieser kurz und griffig ist, keinerlei negative Nebenbedeutungen hat und – sofern er international verwendet wird – überall gleich gut ausgesprochen werden kann. Das ist Fleißarbeit! Kein Wunder, dass spezielle Naming-Agenturen sechsstellige Summen für die Namensfindung verlangen. Hinzu kommen Slogans, Prospekte und Kataloge, Public Relations und Reisemessen. Wichtig: Die meisten Kunden informieren sich in verschiedenen Medien über ihr Reiseziel. Daher müssen Sie konsequent auf Multichannel-Marketing setzen, also ihre Zielgruppe über verschiedene Kommunikationsmaßnahmen ansprechen.
Zwei Beispiele für einen gelungenen Markenaufbau
AIDA Cruises gelingt es seit Mitte der 90er Jahre, das Kreuzfahrtsegment komplett zu verjüngen. Die AIDA-Clubschiffe sind deshalb so erfolgreich, weil sie das Seniorenimage abgestreift und Kreuzfahrten für junge Menschen attraktiv gemacht haben. Der bunte Schriftzug, der Name selbst, der an die Verdi-Oper erinnert, und der stilisierte Kussmund als Bugbemalung machen deutlich: Auf AIDA-Clubschiffen gibt es keine Kleiderordnung, kein Captain’s Dinner und keine festen Sitzplätze. Sport, Spaß und Entertainment stehen im Vordergrund.
„Reiseentscheidungen werden spontaner und flexibler getroffen, der Verbraucher wird hybrid und multioptional.“
Die deutsche Airline Lufthansa hat mit den Lufthansa City Centern den erfolgreichen Einstieg in den Bereich der Reisebüros geschafft. Die selbstständigen Reisebüros übernehmen das Lufthansa-Konzept als Franchise und profitieren von der bekannten Marke. Diese wird umgekehrt durch die Präsenz in den Reisebüros zusätzlich gestärkt. Die Lufthansa City Center erhalten von der Airline so genannte Ad Kits, mit deren Hilfe sie die eigenen Angebote leicht in das vorkonfigurierte Lufthansa-Design integrieren können, um z. B. Schaufensteraushänge anzufertigen. Die Reisebüros sind unter dem Markendach der Airline zu einer Submarke geworden, deren Kurs mit dem Markenimage der Dachmarke steigt und fällt.
Trends im Tourismus
Der Reisemarkt ist in Bewegung, daher sollten Sie bei Ihrer Marketingstrategie immer die Entwicklungen in den einzelnen Marktsegmenten beachten. Zu den wichtigsten Trends der kommenden Jahre gehören die folgenden:
- Senioren reisen viel: Die über 60-Jährigen sind die größte Zielgruppe der Zukunft.
- Künftig wird es mehr Kurztrips geben, dafür verreist man mehrmals pro Jahr statt nur einmal.
- Die Bedeutung des Internets für die Marketingkommunikation und den Verkauf wird weiterhin wachsen.
- Neue Touristen aus den Schwellenländern werden in die klassischen Destinationen strömen.
Dr. Nicholas Adjouri ist Gründer und Geschäftsführer einer Agentur für Marken und Kommunikation. Er ist außerdem Koautor des Buches Sport-Branding. Tobias Büttner ist Mitglied der Geschäftsleitung eines Erlebnisreisen-Anbieters.