Marketing auf Innovationskurs

Buch Marketing auf Innovationskurs

Mit der DIG-Methode auf der Spur des Kunden

mi-Wirtschaftsbuch,


Rezension

Viele Unternehmen besitzen ein großes In­no­va­tionspoten­zial, können es aber nicht erkennen, sagt Mar­ket­ing­pro­fes­sor Erich Joachim­sthaler. Es ist wie ein blinder Fleck. Joachim­sthaler hat darum ein Konzept zur Ermittlung von Kundenbedürfnissen entwickelt, das diesen Unternehmen helfen könnte. Das Herz dieser Methode ist der so genannte episodische Ver­hal­tenscode: die ganz alltäglichen Ver­rich­tun­gen der Kunden, die Aufschluss über ihre Kon­sumge­wohn­heiten geben. Der Autor verwendet seine Erken­nt­nisse dazu, Unternehmen Anreize für den Blick über den Tellerrand zu geben, denn in an­gren­zen­den oder gänzlich un­bear­beit­eten Geschäftsfeldern versteckt sich oft ein großes Wach­s­tumspoten­zial. Das Buch lebt von seinen Fallstudien, die ausführlich il­lus­tri­eren, wo die Knackpunkte im Strategie- und Mar­ket­ing­prozess liegen. Nervig ist jedoch die Hin­hal­te­tak­tik des Autors, wenn es um die Essenz seiner Lehre geht. So braucht er mehrere Anläufe, um dem Leser zu erklären, wie episodis­ches Verhalten erforscht wird. Ebenfalls keine Glan­zleis­tung: die oft sperrige, ungelenke deutsche Übersetzung. Allen Un­ternehmern und Mar­ket­ingspezial­is­ten, die darüber hinweglesen können, empfiehlt BooksInShort das Buch für die sys­tem­a­tis­che Entwicklung von Pro­duk­tin­no­va­tio­nen.

Take-aways

  • Gerade er­fol­gre­iche Unternehmen vergessen über dem Tagesgeschäft, dass sie sich auch um In­no­va­tio­nen und neue Märkte kümmern müssen.
  • Für wirkungsvolles Marketing müssen Sie den episodis­chen Ver­hal­tenscode Ihrer Kunden erforschen: Stellen sie sich ganz normale All­t­agsmo­mente vor.
  • Dieser Code hat drei Elemente: Ziele (was Ihre Kunden wollen), Aktivitäten (was sie dafür tun) und Prioritäten (welchen Zielen und Aktivitäten sie den Vorrang geben).
  • Verdichten Sie die Ergebnisse zu Nach­frageclus­tern wie z. B. „sich gesund ernähren“.
  • Folgen Sie dem DIG-Wach­s­tumsmod­ell (De­mand-first Innovation and Growth). Es besagt: Wachstum geht von der Nachfrage aus und befriedigt diese mittels In­no­va­tio­nen.
  • Fragen Sie sich, wo Ihre Wach­s­tums­felder liegen.
  • Hin­ter­fra­gen Sie Ihre Position und erfinden Sie Ihr Geschäftsmodell immer wieder neu.
  • Nehmen Sie die Perspektive des Kunden, des Marktes und der Branche ein.
  • Wenn Sie wissen, wie Ihre Kunden ticken und in welchen Märkten Sie wachsen wollen und können, entwickeln Sie eine entsprechende Er­fol­gsstrate­gie.
  • Marken funk­tion­ieren nur, wenn sie Er­leb­nis­charak­ter haben und sich in der All­t­agskul­tur verwurzeln.
 

Zusammenfassung

Wie Starbucks den Amerikanern Kaf­fee­hauskul­tur beibrachte

Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Gerade er­fol­gre­iche Unternehmen sind oft so mit dem Tagesgeschäft beschäftigt, dass sie den In­no­va­tion­szug verpassen, der mit viel Getöse direkt vor ihren Augen vor­beirat­tert. Manchmal genügt ein Blick über den Tellerrand, um In­no­va­tio­nen zu finden, wo man nie welche vermutet hätte. Beispiel Starbucks: Gründer Howard Schultz gelang mit seinem Unternehmen ein Kunststück. Er schaffte es, den Amerikanern eine Kaf­fee­hauskul­tur beizubrin­gen, die er auf seinen Reisen durch Italien kennen gelernt hatte. Dem Durch­schnittsamerikaner war sie aber völlig fremd. In Metropolen wie New York gibt es so viele Möglichkeiten, sich einen Kaffee zu ziehen, dass es fast wie ein Wunder anmutet, dass Starbucks es in einem solchen Wet­tbe­werb­sum­feld geschafft hat. Und nicht nur das: Binnen kurzer Zeit wurde das Unternehmen zum Platzhirsch. Liegt es am Kaffee? Nein, es liegt in erster Linie an einem konsequent kun­de­nori­en­tierten Marketing. Jede Star­bucks-Fil­iale ist ein „third place“, ein Ort zwischen Büro und Wohnung, den Amerikaner gerne aufsuchen, um dort nicht nur Kaffee zu trinken, sondern auch Freunde zu treffen, per WLAN E-Mails zu checken oder einfach zu entspannen. Schultz hatte erkannt, dass es in Italien zum Ritual des Alltags gehört, seinen Espresso in einem Kaffeehaus zu trinken. Er gab den Amerikanern dieses Ritual weiter. Er holte sie in ihrem Alltag ab.

Der episodische Ver­hal­tenscode

Den Kun­de­nall­tag beobachten: Das ist das zentrale Motiv einer Mark­t­forschung, die es sich zum Ziel gemacht hat, den episodis­chen Ver­hal­tenscode der Kunden zu erforschen. Episodis­cher Ver­hal­tenscode bedeutet, dass Sie den Alltag Ihrer Kunden kennen lernen müssen. Fragen Sie sich also, wann Ihre Kunden welchen Aktivitäten nachgehen, warum sie es tun und in welchem Kontext dies geschieht. Alles was Menschen tun, nimmt eine bestimmte Zeit in Anspruch. Es sind Episoden in ihrem täglichen Leben. Sie machen das Frühstück, bringen die Kinder zur Schule, kaufen Lebens­mit­tel für das Mittagessen ein, gönnen sich unterwegs einen Snack usw. Wenn Sie dem Alltag Ihrer Kunden auf die Spur kommen wollen, sollten Sie sich die Episoden ihres Lebens anschauen. Die Seg­men­tierung nach Lebensstil, regionalen und sozialen Kriterien, die von der Mark­t­forschung üblicher­weise verwendet werden, können Sie hingegen getrost vergessen. Versuchen Sie, die bereits ex­istieren­den Angebote Ihres Un­ternehmens auszublenden. Schließlich geht es bei dieser Mark­t­forschungsmeth­ode darum, innovative Lösungen zu finden, die vielleicht gar nichts mit Ihren aktuellen Produkten zu tun haben. Wenn Sie immer nur durch die Brille Ihres bereits vorhandenen Pro­duk­t­port­fo­lios schauen, werden Sie nie auf neue und ungewöhnliche Ideen kommen.

Dem Kun­de­nall­tag auf die Schliche kommen

Episodis­ches Verhalten besteht aus drei Ba­sise­le­menten:

  • Ziele sind die Dinge, die Menschen (mit Produkten) erreichen wollen, beispiel­sweise soll der Spülgang in der Waschmas­chine den Geruch des Waschmit­tels aus der Kleidung verringern.
  • Aktivitäten sind die Tätigkeiten, um diese Ziele zu erreichen. Sie können vielfältig sein: Kleidung wird beispiel­sweise nicht nur getragen, sondern auch gewaschen, getrocknet, gebügelt und aufbewahrt. Hier offenbaren sich schon einige mögliche Di­en­stleis­tun­gen oder Pro­duk­tideen.
  • Prioritäten schließlich geben an, wie wichtig Verbraucher Ziele oder Aktivitäten nehmen. Entschei­dend ist, welche Prioritäten sich im Handeln zeigen. So wünschen sich z. B. die meisten Amerikaner laut Umfragen eine gesunde Ernährung, stopfen aber in Wirk­lichkeit dann doch Fastfood in sich hinein.
„Neue Möglichkeiten liegen direkt vor der eigenen Nase, man schaut darauf, aber man sieht sie nicht.“

Am Beginn der Mark­t­forschung müssen Sie diese drei Elemente iden­ti­fizieren. Dafür steht Ihnen die gesamte Bandbreite der Mark­t­forschungsmeth­o­den – von Tiefen­in­ter­views bis zum Rollenspiel – zur Verfügung. Besonders wichtig sind Tage­buchaufze­ich­nun­gen, bei denen die Probanden genau festhalten, was sie wann mit wem tun. Hierbei wird vor allem der Kontext ihrer Ver­hal­tensweisen deutlich. Beispiel­swiese kann so her­aus­ge­fun­den werden, wann Kunden am liebsten eine bestimmte Biersorte trinken.

Wie man aus Ver­hal­tenscodes Mark­tchan­cen macht

Die gefundenen Ver­hal­tenscodes verdichten Sie zu Nach­frageclus­tern. Ein solches Cluster könnte z. B. „sich gesund ernähren“ sein, das mehrere entsprechende Ver­hal­tensweisen in sich vereint. An dieser Stelle kommt auch die tra­di­tionelle Mark­t­forschung zum Zug: Die Nach­frageclus­ter können mit den Kundendaten gefüttert werden, die meist ohnehin im Unternehmen vorhanden sind. Schließlich untersuchen Sie die Cluster auf ihren strate­gis­chen Wert: Wie attraktiv sind die Märkte? Welche Produkte werden von welchen Kunden bevorzugt? Wo herrscht eine direkte Konkurrenz zu anderen Produkten? Der amerikanis­che Kn­ab­ber­waren-Pro­duzent Frito-Lay fand auf diese Weise beispiel­sweise heraus, dass seine Kartof­felchips ins­beson­dere in kleineren Geschäften die Konkurrenz von Plätzchen und Fleis­chsnacks zu fürchten hatten. Außerdem musste das Unternehmen nach der Auswertung von Videoauf­nah­men am Point of Sale eine fest zementierte Mar­ket­ing-Haus­regel umstürzen: Viele Kunden kauften Kn­ab­ber­sachen gar nicht spontan – so die Annahme –, sondern geplant und sys­tem­a­tisch. Das hatte Folgen vor allem für die Platzierung der Waren.

Neue Märkte finden und Wach­s­tums­felder entwickeln

Der episodische Ver­hal­tenscode ist eines von drei Elementen des DIG-Wach­s­tumsmod­ells. DIG steht für „De­mand-first Innovation and Growth“, also Wachstum, dass von der Nachfrage ausgeht und durch In­no­va­tio­nen angestoßen wird. Die beiden weiteren Be­standteile des DIG-Modells sind Wach­s­tums­felder und Er­fol­gsstrate­gien. Manchmal erkennen Kunden selber nicht, ob sie einen Bedarf für etwas haben, bis Ihnen plötzlich eine neue Möglichkeit offeriert wird und sie sofort darauf eingehen. Unternehmen müssen also aktiv werden und Pro­duk­tchan­cen dort auftun, wo selbst der Kunde noch keine sieht. Im DIG-Modell werden solche Chancen als Wach­s­tums­felder beschrieben. Wach­s­tums­felder können Sie aus ver­schiede­nen Per­spek­tiven ermitteln. Mit den Augen der Kunden lassen sich beispiel­sweise neue Pro­duk­tideen in an­gren­zen­den Aktivitätsfeldern finden. So fand die Allianz Ver­sicherung heraus, dass viele Pri­vathaftpflicht-Kun­den mit Kindern häufig Er­ste-Hilfe-Kurse besuchen und noch dazu eine Wohngebäude­ver­sicherung wünschen. Was lag also näher, als entsprechende Kurse mit einer intensiven Ver­sicherungs­ber­atung zu kombinieren?

Üben Sie den Per­spek­tiven­wech­sel

Mit den Augen des Marktes eröffnen Sie sich ebenfalls neue Per­spek­tiven. Fragen Sie sich z. B., was Ihre Kunden machen würden, wenn es Ihr Produkt gar nicht gäbe. Ein Bier­her­steller erkannte auf diesem Wege, dass Kunden nicht nur andere Biersorten, sondern auch Wein oder gar Min­er­al­wasser als Ersatzgetränke nannten, und wusste nun genau, gegen welche Konkur­renten er sich besonders wappnen musste. Auch die Branchen­per­spek­tive kann zu Wach­s­tums­feldern führen. Der Einzelhändler Lidl stellte beispiel­sweise die branchenübliche Annahme infrage, dass Discounter nur Hausmarken und No-Name-Pro­dukte anbieten dürften. Lidls eigene Mischung aus bekannten Marken und Eigenmarken kam bei den Kunden toll an. Ein anderes Beispiel: Als General Electric die finnische Medi­z­in­tech­nikfirma In­stru­men­tar­ium übernahm, erfolgte dies vor allem aus einem Grund: Die Medi­zin­sek­tion von GE wollte die Methoden, Kompetenzen, Produkte und Di­en­stleis­tun­gen des erworbenen Un­ternehmens dazu nutzen, um Wachstum innerhalb des Medi­zin­sek­tors vo­ranzutreiben. GE ging es nicht in erster Linie um die fertigen Dienste, sondern man sah die Akquisition als Wach­s­tum­splat­tform für zukünftige Di­en­stleis­tun­gen. Eine solche Plattform bewahrt das Unternehmen davor, kurzfristige Einze­lak­tio­nen durchzuführen, und fokussiert es stattdessen auf ein ganzes System von Lösungen, die nahtlos ineinander greifen und gle­ichzeitig Raum für weitere In­no­va­tio­nen bieten.

Entwerfen Sie Er­fol­gsstrate­gien

Es genügt nicht, kon­tinuier­lich Ihre vorhandenen Produkte zu optimieren und ver­schiedene Wach­s­tums­felder zu bestimmen. Sie müssen zur Tat schreiten und Er­fol­gsstrate­gien aufstellen, die Ihr zukünftiges Handeln leiten sollen. Mithilfe eines „Strategic Blueprint“ können Sie Ihre Wach­s­tum­splat­tfor­men gewichten und ausrichten. Wenn Sie bereits wissen, wie Ihre Kunden ticken und in welchen Märkten Sie wachsen wollen und können, benötigen Sie nicht nur eine Strategie, sondern auch einen Ak­tivierungs­plan, der entsprechende Schritte vorsieht. Die State Street Bank kam auf diese Weise zu einer strate­gis­chen Neuaus­rich­tung des Vertriebs, der grundlegend re­or­gan­isiert wurde. Verärgerte Kunden, die früher innerhalb kurzer Zeit mehrfach wegen ver­schiedener Pro­duk­tange­bote angerufen wurden, gehörten bald der Ver­gan­gen­heit an.

Erfinden Sie sich immer wieder neu

Hin­ter­fra­gen Sie stets aufs Neue Ihre Annahmen. Ihre Strategie ist überarbeitet, der Marke­nauf­bau geht flott voran, die Mark­t­forschung rotiert und die Produktion ist angelaufen? Dann sind Sie gut aufgestellt. Aber richten Sie sich im Status quo nicht allzu gemütlich ein. Sie sollten immer wieder Ihre Marken und Produkte hin­ter­fra­gen. Wie der Com­put­er­spiel-Pro­duzent Electronic Arts: Das Unternehmen ist hoch­prof­ita­bel und konnte vor allem mit seinen Sport­sim­u­la­tio­nen große Erfolge feiern. Doch die Branche der elek­tro­n­is­chen Un­ter­hal­tung verändert sich ständig, daher muss der Betrieb permanent überprüfen, ob seine Geschäftsmodelle noch funk­tion­ieren. Ist das Unternehmen ein Games-Pro­duzent, oder doch ein Sporther­steller? Oder ein Me­di­enun­ternehmen? Oder gar alles zusammen? Das Unternehmen muss nicht nur seine Branche hin­ter­fra­gen, sondern auch seine Funktion im Leben der Menschen, in ihrem episodis­chen Ver­hal­tenscode. So gesehen verkauft Electronic Arts nicht Spiele, sondern Freizeitvergnügen und sportliche Her­aus­forderun­gen.

„Auf der Suche nach einer neuen Innovation- und Wach­s­tumsstrate­gie muss ein Unternehmen alle drei Teile des DIG-Modells anwenden.“

Eine Marke ist nur etwas wert, wenn es gelingt, sie zum Erlebnis zu machen und fest in der Kultur zu verankern. BMW hat die Zeichen der Zeit erkannt und tut alles, damit auch die Mitarbeiter des Au­to­mo­bilkonz­erns erfahren, wie sich die Marke entwickelt. Dafür wurde die Brand Academy im Münchner Haup­tquartier geschaffen. Die einzelnen Marken und Produkte präsentieren sich hier in Räumen, die so ein­gerichtet sind, dass sie den Stil der jeweiligen Zielgruppe abbilden. Manager, Händler und Mitarbeiter können hier selbst erfahren, welche Markenwerte die BMW-Gruppe in ihrem „House of Brands“ vereint.

„Es gilt, Produkte und Di­en­stleis­tun­gen für die Kunden zu suchen und nicht umgekehrt.“

Um eine Marke zu einem Kulturgut zu machen, müssen Sie sich vom klassischen Mar­ket­ingtrichter ve­r­ab­schieden, bei dem oben eine große Menge Menschen hineinfällt und mit Mar­ket­ing­botschaften traktiert wird, bis unten die paar her­auskom­men, die letztlich kaufen. Erreicht werden sollen nicht Massen mit einer einzigen Botschaft für alle (z. B. über TV-Spots, Plakatak­tio­nen, Anzeigen), sondern Individuen, und zwar mit zahlreichen gezielten Botschaften. Das kann über Werbung per Newsletter, Werbe-Pop-ups, Viral Marketing, Mobile Marketing, Mund­pro­pa­ganda usw. geschehen. Hauptsache: Die Botschaft kommt da an, wo die Kunden sind, und kann in ihren Alltag integriert werden.

Über den Autor

Dr. Erich Joachim­sthaler ist Gründer und CEO von Vivaldi Partners, einer auf Strate­giefind­ung, In­no­va­tion­s­man­age­ment und Marketing spezial­isierten Un­ternehmens­ber­atung. Er ist auch Koautor des Buches Brand Leadership.