Emotionale Intelligenz

Buch Emotionale Intelligenz

dtv,
Erstausgabe:1995
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Das Konzept der emotionalen Intelligenz ist noch recht jung. Es war die hohe Aggressivität in der US-Gesellschaft, die den Autor Daniel Goleman, einen an der Har­vard-Uni­ver­sität lehrenden Psychologen, zu den Recherchen für dieses Buch anregte. Das Resultat ist auch hierzulande bereits ein Klassiker der psy­chol­o­gis­chen Literatur – und das völlig zu Recht: Trotz seines wenig griffigen Themas ist das Buch sehr angenehm zu lesen, und die vielen Beispiele erhellen Golemans Theorie aufs Beste. Massenphänomene wie De­pres­sio­nen oder Gewalt in Familien wurzeln häufig in Gefühls­de­fiziten, die möglichst früh bekämpft und behandelt werden sollten. Der Autor weist diese Aufgabe vor allem den Schulen und dem Gesund­heitssys­tem zu. Er liefert aber auch eine Fülle praktischer Hinweise, wie der Leser selbst seine emotionale Intelligenz trainieren kann, sei es zu Hause oder am Ar­beit­splatz. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die ihren EQ erhöhen wollen.

Take-aways

  • Das Konzept der emotionalen Intelligenz bringt Kopf und Herz ins Gle­ichgewicht.
  • Die moderne Gesellschaft vernachlässigt die emotionale Seite des Menschen.
  • In scheinbar ir­ra­tionalen Gewaltausbrüchen oder in De­pres­sio­nen kommen unterdrückte Gefühle zum Vorschein.
  • Die Neu­rowis­senschaften haben in jüngster Zeit wichtige Erken­nt­nisse über die Ar­beitsweise des Gehirns geliefert.
  • Im entschei­den­den Moment folgen die Menschen vor allem ihren emotionalen Impulsen.
  • Streben Sie die Kontrolle Ihres Gefühlshaushalts an, nicht seine Unterdrückung.
  • Erhalten Sie sich die Fähigkeit, Gefühle anderer wahrzunehmen und damit umzugehen.
  • Kritisieren Sie an Ihrem Partner oder Kollegen nie den Charakter, sondern nur Hand­lungsweisen.
  • Ärzte sollten stärker als bisher psy­chol­o­gis­che Aspekte ihrer Patienten beachten.
  • In den Schulen sollte emotionale Intelligenz un­ter­richtet werden.
 

Zusammenfassung

Emotionen außer Kontrolle

In der modernen Gesellschaft fühlen sich viele Menschen ganz und gar der Vernunft verpflichtet. Doch inmitten des Gemein­we­sens blitzen immer wieder emotional motivierte Wahnsin­ntaten auf: Amokläufe von Schulkindern, Gewaltakte in Familien, ausländer­feindliche Attacken. Nach Berichten über solchen Horror suchen viele Menschen Erklärungen. Doch allzu häufig macht sich nichts als Rat­losigkeit breit. Die Eindrücke trügen nicht: Mehr Menschen als früher verlieren die Kontrolle über sich selbst. Es kommt zu ag­gres­siverem Verhalten von Teenagern und zu mehr De­pres­sio­nen unter Erwachsenen. Eine breit angelegte Un­ter­suchung in den USA hat ergeben: Kinder sind einsamer, depressiver, gereizter, ängstlicher und aggressiver als früher.

Warum US-Er­fahrun­gen für uns wichtig sind

Kinder und Jugendliche in Deutschland sind zwar in einer anderen psy­chol­o­gis­chen Verfassung als die in den USA – die amerikanis­che Jugend ist wesentlich gewalttätiger –, bei den somatischen Krisen­symp­tomen, die oft auf unterdrückte Sorgen und Ängste schließen lassen, ist die hiesige Jugend aber mit der amerikanis­chen durchaus ver­gle­ich­bar. Die Wahrschein­lichkeit, an Depression zu erkranken, ist bei den Nachkriegs­gen­er­a­tio­nen in Deutschland dreimal höher als bei den vor 1944 Geborenen. Wie lässt sich das erklären?

Die Kartografie des Gehirns

Der Schlüssel zur Lösung solcher Fragen liegt in der emotionalen Intelligenz, im Ausgleich von Rationalität und Mitgefühl. Die gute Nachricht lautet: Die Forschung schreitet voran. Die Neu­rowis­senschaften liefern derzeit viele neue Erken­nt­nisse darüber, wie die Menschen ihre Emotionalität besser für sich nutzen können – statt gegen sie zu arbeiten. Bildgebende Verfahren liefern immer tiefere Einblicke in die Funk­tion­sweise des Gehirns und damit mehr Wissen über das Denken und Fühlen der Menschen.

„Anders als der IQ, der seit fast hundert Jahren an Hun­dert­tausenden untersucht wurde, ist die emotionale Intelligenz ein neues Konzept.“

Bislang war man überzeugt, der In­tel­li­gen­zquo­tient sei durch die Gene bestimmt, werde durch Lebenser­fahrun­gen nicht verändert und sei das Los des jeweiligen Menschen. Doch es gibt er­fol­gre­iche Menschen mit niedrigem IQ, während andere, die einen hohen IQ besitzen, scheitern. Das liegt am Vorhan­den­sein oder Fehlen gewisser Merkmale der emotionalen Intelligenz: Selb­st­be­herrschung, Eifer, Be­har­rlichkeit und die Fähigkeit zur Selb­st­mo­ti­va­tion. Wer seinen Kindern diese Eigen­schaften vermittelt, erhöht ihre Chancen im Leben. Ideal ist die Kombination von Selb­st­be­herrschung und Mitgefühl. Es ist er­strebenswert, die eigenen Impulse kon­trol­lieren zu können, sich gle­ichzeitig aber die Fähigkeit zu erhalten, die Gefühle anderer Menschen wahrzunehmen. Das ist emotionale Intelligenz.

Emotionen aus der Urzeit

Der Begriff Emotion, der sich vom lateinis­chen „emovere“ ableitet, beinhaltet eine Tendenz zum Handeln. Ob bei der Partnerwahl, im Trauerfall oder in Gefahr: In wichtigen Situationen handeln Menschen in erster Linie emotional. Dafür hat die Evolution gesorgt. Die Zivil­i­sa­tion ist in den letzten 10 000 Jahren aber schneller vo­r­angeschrit­ten als die Evolution. Die biologische Grun­dausstat­tung ist auf dem Stand des Pleistozäns stehen geblieben. Gesetze und ethische Normen dienen seither als Maßgaben, die Gefühle im Zaum zu halten.

„In unserem Zeitalter sind die Kräfte und Fähigkeiten des Herzens genauso lebenswichtig wie die des Kopfes.“

Neu­ro­bi­olo­gen haben mehrere Arten von Emotionen iden­ti­fiziert. Im Zorn sorgt Adrenalin für körperliche Energie. Bei Furcht unterstützt der Körper durch Steigerung der Blutzufuhr in den Beinen die Fähigkeit zur Flucht. Im Glückszustand blockiert er negative Gefühle: Liebende versetzt er in einen gelassenen, entspannten Zustand. Auch für Überraschung, Abscheu und Trauer hat die Evolution den Menschen jeweils ein Hand­lungsmuster mitgegeben, das für alle bis in die Mimik gleich ist. Bei Ekel beispiel­sweise rümpft man die Nase.

„Jetzt ist die Wis­senschaft endlich in der Lage, auf diese dringenden und ver­wirren­den Fragen der Psyche in ihren ir­ra­tional­sten Aspekten begründete Antworten zu geben und das menschliche Herz mit leidlicher Genauigkeit kar­tografisch zu erfassen.“

Neben den Emotionen, die im harten Dasein von früher überlebenswichtig waren, lassen sich die Menschen von rationalen Überlegungen leiten. Herz und Kopf, Emotion und Ratio – nor­maler­weise arbeiten diese beiden Seelen in einer Brust gut zusammen. Doch wenn die Emotionen die Oberhand gewinnen, darf sich der Mensch auf seine Ratio nicht mehr viel einbilden. Kein Wunder: Der denkende Teil des Gehirns – die äußere Schicht (Neokortex) – hat sich aus den Wurzeln des Hirnstamms entwickelt, den wir mit den prim­i­tivsten Arten gemeinsam haben. Die Struktur des Hirns verleiht den emotionalen, uralten Teilen – vor allem dem limbischen System und dem Mandelkern – eine Schlüsselstelle. Sie können die höheren Hirn­funk­tio­nen in bestimmten Situationen mattsetzen. Der Mandelkern ist der emotionale Wachposten, der Reaktionen auslösen kann, bevor der Neokortex die Situation verarbeitet.

Fünf Bausteine emotionaler Intelligenz

Das Konzept der emotionalen Intelligenz ist neu, aber mindestens ebenso wichtig für den Erfolg eines Menschen wie sein IQ. Der in­tel­li­gente Umgang mit Emotionen wird durch fünf Merkmale gekennze­ich­net:

  1. Eigene Emotionen wahrnehmen: Eine funk­tion­ierende Selb­st­wahrnehmung ist dafür die Grundlage.
  2. Emotionen kon­trol­lieren: Nur so kann man sich selbst beherrschen.
  3. Emotionen ziel­gerichtet nutzen: Sie lassen sich etwa zur Selb­st­mo­ti­va­tion oder für Kreativitätsschübe verwenden.
  4. Emotionen anderer erkennen: Die Empathie ist Grundlage der so genannten Men­schenken­nt­nis.
  5. Mit den Emotionen der anderen umgehen: Wenn Sie diese Kunst beherrschen, werden Sie zum „sozialen Star“.

Die Part­ner­schaft – ein weites Feld für Emotionen

Viele Beziehung­sprob­leme wurzeln bereits in der Kindheit: Jungen und Mädchen werden un­ter­schiedlich auf den Umgang mit Emotionen vorbereitet. Jungen schätzen im Spiel Unabhängigkeit, Mädchen Ver­bun­den­heit – ein Muster für manche Ehekrise. Wenn Sie im Alltag Ihren Partner kritisieren, z. B. weil er sich verspätet hat, sollten Sie die Hand­lungsweise kritisieren, nicht einen Charak­terzug. Denn allzu scharfe Worte führen zu Ab­wehrreak­tio­nen statt zur Besserung. Nachäffen, Beleidigen oder Verachtung ausdrückende Körpersprache sind kein Zeichen emotionaler Intelligenz. Männer lassen sich schneller und schon durch leicht negative Erlebnisse zu Gefühlsausbrüchen verleiten. Das coole, unberührbare Auftreten, das viele an den Tag legen, könnte ihr Selb­stschutz dagegen sein.

„Was die emotionale Intelligenz so wichtig macht, ist der Zusam­men­hang zwischen Gefühl, Charakter und moralischen Instinkten.“

Wenn Sie die Emotionen in sich aufwallen spüren, sollten Sie nicht mauern, sondern den Konflikt austragen. Doch denken Sie daran: Auch wenn Ihr Partner Ihnen mit einer Bemerkung auf die Nerven geht, will er Sie damit vermutlich nicht ärgern, sondern Ihre Beziehung verbessern. Männer tun gut daran, die Gefühle ihrer Part­ner­in­nen anzuerken­nen und ernst zu nehmen, indem sie ihnen nicht aus dem Weg gehen. Frauen sollten ihrerseits darauf achten, ihre Kritik nicht zu heftig zu formulieren: Männer sind durchaus verletzlich. Beide Partner müssen zuhören können. Das Gefühl, auf Gehör zu stoßen, baut bereits Spannungen ab. Nach emotionalen Ent­gleisun­gen ist es wichtig, sich zu beruhigen. Dieses Konfliktlösungsver­hal­ten sollten Sie üben. Dann besteht die Chance, dass der emotionale Teil Ihres Gehirns routiniert auf produktive Strategien zugreift, wenn Sie in Konflikte geraten.

Der Ar­beit­splatz – ein weiteres Minenfeld der Emotionen

Viele Manager sind der Meinung, am Ar­beit­splatz komme es in erster Linie auf ihren Verstand an, nicht auf ihre emotionale Intelligenz. Das ist ein Irrtum. Wenn Sie Ihre Emotionen nicht im Griff haben, entgehen Ihnen wichtige Details und Ihre Produktivität leidet.

„Die Tatsache, dass das Gehirn selbst durch Brutalität – oder durch Liebe – geformt wird, lässt die Kindheit als ein spezielles Fenster der Gelegenheit für emotionale Lektionen erscheinen.“

Am Ar­beit­splatz können Sie Ihre emotionale Intelligenz in drei Disziplinen beweisen: im Umgang mit Kritik, in Bezug auf die Vielfalt und bei der Teamarbeit. Ihre Mitarbeiter zu kritisieren – also ein Feedback zu geben –, gehört zu Ihren wichtigsten Aufgaben. Seien Sie dabei präzise, konstruktiv und sensibel. Am besten bringen Sie Ihre Kritik und Ihre Vorschläge im Gespräch unter vier Augen an. Sollten Sie in Ihrer Firma Intoleranz und Vorurteile gegen bestimmte Mitarbeiter oder ethnische Gruppen wahrnehmen, dürfen Sie nicht darüber hinwegsehen. Gehen Sie aktiv dagegen vor, indem Sie kam­er­ad­schaftliche Zusam­me­nar­beit fördern. Für funk­tion­ierende Teamarbeit ist weniger die fachliche Qual­i­fika­tion als der soziale Umgang der Schlüssel zum Erfolg. Während Angst, Rivalität und Wut der Zusam­me­nar­beit im Weg stehen, können in einem har­monis­chen Umfeld Teams zur Bestform auflaufen.

Optimismus hält gesund

Auf Basis dieser Erken­nt­nisse setzt sich in der Medizin langsam die Ansicht durch, dass die Seele den Zustand des Körpers ebenso bee­in­flussen kann wie umgekehrt. Früher galt eine solche Einstellung als esoterisch. Menschen, die zu Zornausbrüchen neigen, leben mit einem deutlich höheren Herz­in­fark­trisiko, während Angst die Immunabwehr senkt. Studien haben gezeigt, dass sich Optimismus positiv auf die Gesundheit auswirkt. Das Gesund­heitssys­tem sollte daher stärker als bisher – neben den rein medi­zinis­chen – auch die psy­chol­o­gis­chen Bedürfnisse der Patienten berücksichtigen.

Kind­heit­ser­fahrun­gen prägen die emotionale Intelligenz

Kinder, deren Eltern emotional intelligent sind, haben gute Aussichten, ebenfalls emotionale Intelligenz zu entwickeln. Achten Sie darauf, gegenüber Ihren Kindern einige der häufigsten Fehler zu vermeiden: Ignorieren Sie nie die Gefühle Ihres Kindes; re­spek­tieren Sie diese, aber seien Sie auch nicht übermäßig tolerant. Die Übervorsicht mancher Eltern verhindert beispiel­sweise, dass furchtsame Kinder tapferer werden.

„Die Erzieher, schon seit Langem beunruhigt über die nach­lassenden Leistungen in Rechnen und Lesen, erkennen jetzt ein anderes und noch alarmieren­deres Defizit: emotionale Unbildung.“

Überprüfen Sie Ihre Kom­mu­nika­tion­s­ge­wohn­heiten auf emotionale Fitness: Schon Babys spüren, ob Sie mit Freude oder innerem Widerwillen betreut werden. Das prägt ihr emotionales Lernen. Wer aggressive Eltern hat, die willkürlich und streng strafen, wird häufig als Erwachsener ebenfalls ein solches Verhalten an den Tag legen. Prinzipiell lassen sich emotionale Muster zwar verändern. Trau­ma­tis­che Erfahrungen in der Kindheit oder im Erwach­se­nen­leben sind ohne pro­fes­sionelle Hilfe aber kaum zu bewältigen. Sowohl Medikamente als auch Ver­hal­tens­ther­a­pien können Hirn­funk­tio­nen korrigieren. Patienten mit Waschzwang etwa wiesen nach einer medikamentösen Behandlung in der betroffenen Hirnregion weniger Anomalien auf – genauso aber auch diejenigen, die eine Ver­hal­tens­ther­a­pie durchlaufen hatten.

Eine neue Aufgabe für die Schulen

Die Kosten man­gel­hafter emotionaler Bildung nehmen zu: Es gibt immer mehr ver­hal­tensauffällige Kinder und depressive Jugendliche. Der positive Einfluss der Familie geht zurück, während gle­ichzeitig die Schei­dungsrate steigt. Gegenmaßnahmen sollten schon früh ansetzen.

„Da immer mehr Kinder von der Familie keine sichere Leben­sori­en­tierung mehr erhalten, bleibt die Schule als der einzige Ort übrig, wo die Gemein­schaft Defizite der Kinder an emotionaler und sozialer Kompetenz korrigieren kann.“

Psy­chol­o­gis­che Sitzungen mit aggressiven Grundschülern sind eine erprobte Methode, Gewalt an Schulen zu verringern. Schulpsy­cholo­gen können auch die zunehmenden De­pres­sio­nen, die bei Teenagern häufig durch Beziehung­sprob­leme ausgelöst werden, gut behandeln. Essstörungen, Schulabbrüche und Suchtanfälligkeit sind weitere Phänomene, die in fehler­hafter emotionaler Kompetenz und ihrer mangelnden Behandlung begründet sind. Einige amerikanis­che Schulen un­ter­richten ihre Schüler bereits in emotionaler Intelligenz. Die Schüler sprechen ihre Probleme im Schulalltag an und re­flek­tieren ihre Gefühle. In Rol­len­spie­len finden sie unter Anleitung bessere Lösungen für ihre Probleme als die verbale oder körperliche Gewalt. Ein wichtiges Fazit dieser Erfahrungen: Lehrer sollten die emotionale Erziehung ihrer Schüler als eine ihrer wichtigsten Aufgaben betrachten.

Über den Autor

Daniel Goleman war jahrelang Herausgeber der Zeitschrift Psychology Today und lehrte klinische Psychologie an der Universität Harvard. Er hat bereits mehrere Bestseller geschrieben, darunter den Titel Emotionale Führung. Seine Be­ratungs­firma Emotional In­tel­li­gence Services bietet Man­ager­train­ings an.