Krise? Welche Krise?
Die Wirtschaftskrise, durch die die Welt derzeit taumelt, ist nicht allein der Selbstüberschätzung gieriger Banker anzulasten. Es stimmt zwar: Die Finanzinstrumente, die zum Einsatz kamen, waren dermaßen elaboriert, dass sie kaum noch nachzuvollziehen waren – nicht einmal von den Bankern. Jetzt, nachdem der Schwindel aufgedeckt wurde, sind zwei Erkenntnisse klar. Erstens: Kein Finanzinstrument der Welt ist in der Lage, faule Kredite zu veredeln. Zweitens: Irgendwann bricht alles zusammen.
„Das finanzielle Trauma des Jahres 2007 hätte nicht passieren müssen.“
Jetzt ist alles zusammengebrochen. Vor allem wegen der US-amerikanischen Banken, die willig Kredite an Hauskäufer vergaben, selbst wenn diese überhaupt kein Eigenkapital besaßen. Aber auch wegen der Banken in den anderen Teilen der Welt, die glaubten, mit den innovativen Paketen, in die diese faulen Kredite gewickelt wurden, wunderbare Renditen erzielen zu können. Und nicht zuletzt wegen der Politiker, die an das Genie der Finanzakrobaten glaubten und darauf verzichteten, rechtzeitig einzugreifen.
„Die Banken reichten die Risiken an andere weiter; in letzter Konsequenz bedeutete das, dass die Risiken von der arbeitenden Bevölkerung getragen wurden.“
Ein besonders einleuchtendes Beispiel gibt Großbritannien ab. Zwischen 1971 und 2001 verdreifachte sich dort der Immobilienpreis. (Zum Vergleich: In Deutschland stieg er im selben Zeitraum nur um 10 %.) Und dann ging es erst richtig los: Von Anfang 2002 bis Anfang 2007 verdoppelten sich die Immobilienpreise nochmals fast. Obwohl die Briten durchaus aus Erfahrung wussten, wie eine platzende Immobilienblase die Wirtschaft schädigt, lobte sich der damalige Finanzminister und heutige Premierminister Gordon Brown noch 2004 als Baumeister der „längsten Phase anhaltenden Wachstums seit der industriellen Revolution“. Gegensteuern? Die Luft aus der Blase lassen? Kein Wort davon. Alles bestens. Bis die Blase platzte. Seit 2007 sind die Immobilienpreise in Großbritannien um 15 % gefallen, und es ist noch kein Ende abzusehen. Die Kalkulation vieler Käufer, die sich in der Hoffnung auf steigende Preise heillos verschuldet haben, ist in sich zusammengefallen. Nun besteht kein Zweifel mehr: Der Abschwung ist da.
Rezession mit Ansage
Historische Untersuchungen zeigen deutlich, dass die britische Wirtschaft seit drei Jahrhunderten durchschnittlich alle 18 Jahre die Talsohle durchschreiten muss. Dieser Zyklus ist eng an die Preise für Grund und Boden gekoppelt. Interessanterweise steigen diese Preise rascher als jene für die Gebäude, die darauf errichtet werden. Und da zuerst Grundstücke erworben werden müssen, bevor gebaut werden kann, gelangt man zu einem wertvollen Indikator: Kommt der Handel mit Grundstücken zum Stillstand, endet spätestens anderthalb Jahre später der Bauboom. Entweder gibt es keine Interessenten mehr, die willens oder fähig sind Fantasiepreise zu zahlen, oder die Banken ziehen die Notbremse.
„Bei jedem bedeutenden wirtschaftlichen Zusammenbruch ist die wichtigste treibende Kraft stets der Grundstücksmarkt gewesen.“
Letzteres war bei der jüngsten Blase nicht der Fall. Die Nachfrage stieg jahrelang stärker als das Angebot, und die Banken halfen eifrig mit Krediten nach – Grund und Boden ist schließlich etwas Solides, glaubte man. Und was ist mit der Inflation? Nicht der Rede wert, wiegelten Politiker, Banker und Wirtschaftsexperten ab. Wenn die Inflationsquote berechnet wird, tauchen Immobilienpreise darin nicht auf.
Der Zyklus von Boom und Crash
Der bereits angesprochene 18-jährige Zyklus, in dem die Preise von Immobilien steigen und fallen, sieht wie folgt aus:
- Erholungsphase: Nach einer Rezession treibt die steigende Nachfrage die Preise in die Höhe, woraufhin der Kreis der Nachfrager schrumpft. Nach sieben Jahren kommt es zur ersten, kleineren Rezession.
- Explosionsphase: In den nächsten fünf Jahren geht es wieder aufwärts. Die Banken vergeben bereitwillig Kredite, und Grundstücks- sowie Häuserkäufer setzen (im Hinblick auf den Wiederverkauf) auf steigende Preise; sie denken und handeln zunehmend spekulativ.
- Die Blase platzt: Dies ist die Phase der „teuer erkauften Siege“. Spekulation ist jetzt das vordringliche Motiv. Die Preise schießen in die Höhe – bis sich irgendwann niemand mehr findet, der noch gewagter spekulieren mag. Das ist spätestens nach zwei Jahren der Fall. Dann bricht der Markt zusammen.
- Rezession: Es folgen zwei Jahre Absturz und zwei weitere Jahre weitgehender Inaktivität. Insgesamt etwa vier Jahre lang können Unternehmen und Verbraucher einen Großteil der Investitionen zurückstellen. Danach geht es wieder los – der Zyklus beginnt von vorn.
„Grund und Boden sind die Grundlage von Wirtschaftszyklen.“
Grund und Boden, Wohnungen und Häuser wechseln nur dann den Besitzer, wenn sie bezahlbar sind. Dazu muss der Immobilienmarkt immer mal wieder zusammenbrechen. Und mit ihm die Spekulanten – viele davon einfache Häuslebauer, denen der Sinn für Bescheidenheit abhandengekommen ist.
Der ignorierte Zyklus
Dieser Zyklus ist offenkundig und vollzieht sich vor aller Augen – aber niemand scheint hinsehen zu wollen. Jedes Mal wird aufs Neue so getan, als sei das Platzen der Immobilienblase ein überraschendes und unvorhersehbares Ereignis, das auf rätselhafte Weise mehr oder minder mit anderen Wirtschaftsereignissen verknüpft ist. Diese Ansicht ist Blödsinn. Es verhält sich eher umgekehrt: Rezessionen sind die Folge von Krisen auf dem Immobilienmarkt. Doch diese Aussage mögen die Politiker nicht hören, die Wirtschaftsexperten und Banker ebenso wenig. Es passt einfach nicht in ihr Weltbild, im Zeitalter von Web 2.0 und der Wissensgesellschaft auf die entscheidende wirtschaftliche Rolle von Grund und Boden zurückgeworfen zu werden.
„Der Kapitalismus ist von einem tödlichen Virus befallen.“
Es gibt noch einen anderen Grund für die Ignoranz, zumindest was die Politiker betrifft: Sie scheuen die Auseinandersetzung mit den mächtigen Grund- und Bodenbesitzern. Also versperren sie sich allen entsprechenden Erkenntnissen und reiben sich jedes Mal aufs Neue überrascht die Augen, wenn irgendwo auf der Welt das Zusammenkrachen eines Immobilienmarkts unerwartet weit reichende Folgen hat.
Die Rente aus Grund und Boden
Das Schlimme daran ist, dass die Bodenrenten (also das Einkommen, das der Boden liefert) die wichtigste Quelle für Einnahmen sind, aus denen Gemeinschaftsleistungen gezahlt werden. Je höher dieses Einkommen ist, desto besser geht es dem Staat. Eine Logik, die der Staat merkwürdigerweise nicht akzeptieren will. Anstatt Steuern auf Grund und Boden zu erheben, verlagert er seine Steuerquellen hin zu den abhängig Beschäftigten, vor allem über die Einkommensteuer.
„Die Bodenspekulation ist eine zentrifugale Kraft, die auseinanderbricht, was sonst zusammenhalten würde.“
Finanzexperten und Politiker halten es für wichtig, die Inflationsrate möglichst gering zu halten. Die Preise sollen nicht exorbitant steigen. Das klappt in den meisten westlichen Ländern ganz gut. Dabei gibt es aber wieder und wieder dieselbe Ausnahme: den Immobilienmarkt. Selbst wenn dort der Preisanstieg vehement ausfällt, verwundert das offenbar niemanden. Und es scheint keinerlei Relevanz zu haben, denn sonst würde man ja darauf reagieren. Bis wieder mal die Blase platzt und die gesamte Wirtschaft leidet.
„Der Grundstücksmarkt ist in den Theorien der Wirtschaftswissenschaftler merkwürdig abwesend.“
Wer zurückschaut auf die vergangenen, angeblich so prosperierenden Jahre, stellt fest, dass das Wirtschaftswachstum vor allem auf Pump aufgebaut war. Das gilt insbesondere für die USA. Auf Pump wurde nicht nur konsumiert, auf Pump wurden auch Häuser gekauft. Zum einen natürlich, um darin zu wohnen. Zum anderen aber auch, um von der erhofften Wertsteigerung zu profitieren. Ein Glücksspiel.
Der Ausweg: eine Steuerreform
Es gibt nur einen Weg aus dem Hamsterrad der Booms und Zusammenbrüche: eine antizyklische Politik. Zuerst ist es notwendig, Grundstücksspekulation zu unterbinden. Außerdem sollten Familien nicht für Wohnungen oder Häuser bieten, die sie sich eigentlich – also ohne auf einen Spekulationsgewinn zu setzen – nicht leisten können. Dazu bedarf es eines Wirtschafts- und Finanzsystems, das die produktive Wirtschaft und die in ihr arbeitenden Menschen schützt. Sparen muss sich wieder lohnen. Die Finanzpolitik ist gefordert. Es muss aber auch ein Konsens derjenigen Menschen geschaffen werden, die von diesem neuen System am meisten profitieren: die arbeitende Bevölkerung. Die wird gern hören, dass ein Teil des Systems weniger Steuern sind. Und sie wird die Politiker drängen müssen, jene härter zu besteuern, die bislang (weitgehend unbesteuert) spekulieren durften.
„Der Grundstücksmarkt ist gesetzlich befugt, perverse Ergebnisse hervorzubringen.“
Für den Immobilienmarkt bedeutet das, dass die Menschen für die Leistungen bezahlen sollen, die sie bekommen, wenn sie am Ort ihrer Wahl wohnen. Das passiert derzeit nämlich nicht. Ein Bauunternehmer oder Vorbesitzer bekommt bei einem Hausverkauf Geld. Aber was ist mit den Bussen, die regelmäßig in der Nähe vorbeifahren? Mit Schulen, mit Krankenhäusern, mit Kanalisation? Dafür kommt der Staat auf, und der holt sich sein Geld derzeit hauptsächlich über die Einkommens- und die Mehrwertsteuer – also von allen Bürgern, statt nur von jenen, die vom Wertzuwachs durch Infrastruktur profitieren, indem sie ihren Grund und Boden zu erheblich besseren Preisen verkaufen können. Wenn alle Kosten der in Anspruch genommenen Dienste auf den Wohnort übertragen würden, blieben keine Rentenerträge auf Grund und Boden übrig, aus denen beim Verkauf Kapital geschlagen werden könnte. Und der Staat hielte mehr Geld in Händen als heute. Ein Wechsel von Einkommenssteuern zur Besteuerung von Grundbesitz tut not.
„Die demokratische Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist es, eine neue Aufgabe für den Steuerstaat zu schaffen.“
Wir müssen umdenken und Steuern als Zahlungen für Dienste verstehen, die wir in Anspruch nehmen. Das zu erreichen, ist zweifellos eine gewaltige Aufgabe. Aber es beendet die Ungerechtigkeit, dass abhängig Beschäftigte über die Lohnsumme, die sie erhalten, faktisch durch steigende Steuern bestraft werden. Für Selbstständige gibt es dagegen jede Menge Möglichkeiten, das Finanzamt auszutricksen – streng legal natürlich. Die neue Form von Steuerstaat hätte es nicht mehr nötig, sich überwachend ins Leben der Menschen einzuschalten und sie zu gängeln.
Und in Deutschland?
Mit etwas Glück wäre das Platzen der Immobilienblase in Deutschland nur als entferntes „Pfffff“ zu hören gewesen. Doch Glück verträgt sich nicht mit der Gier einiger Banker, die mitverdienen wollten und deshalb auf Millionen und Abermillionen von US-Hypothekenpapieren saßen, deren Wert in Rekordzeit auf null sauste. Nicht nur deutsche Politiker behaupten, die Zukunft sei nicht vorhersehbar. Im Allgemeinen haben sie damit ja auch Recht. Im Immobilienmarkt aber ist es ein bisschen anders. Hier zeigt die Analyse von Daten, die mehr als 200 Jahre zurückreichen, wann die erste weltweite Rezession des 21. Jahrhunderts zu erwarten ist: im Jahr 2010 – oder auch ein, zwei Jahre früher.