Wirtschaft Krise 2010

Buch Wirtschaft Krise 2010

Wie die Immobilienblase die Wirtschaft in die Krise stürzt

Wiley-VCH,


Rezension

Fred Harrison müsste sich eigentlich längst heiser geschrien haben. Wie es Propheten halt so geht, denen niemand glaubt. Harrison erklärt bereits seit geraumer Zeit, dass sich Immobilien- und Gesamtwirtschaft gemeinsam entwickeln würden – und dass das Platzen der Im­mo­bilien­blase unauswe­ich­lich in die Rezession führe. Aber erst seit die aktuelle Wirtschaft­skrise dem Briten Recht gegeben hat, werden seine Argumente gehört. Ihm zu folgen, ist allerdings nicht ganz leicht: Harrison hat sich mit­tler­weile so sehr in die Materie eingefuchst, dass Außenstehende bestenfalls einen Faden aufnehmen und versuchen können, ihn im Auge zu behalten, bis er un­weiger­lich im Knäuel von Harrisons Erläuterungen ver­schwindet. Wirtschaft Krise 2010 (am Rande bemerkt: Wer hat sich diesen dämlichen deutschen Titel ausgedacht für ein Buch, das im Original Boom Bust heißt?) lässt den Leser deshalb oft etwas ratlos zurück. Das ist schade, denn Harrisons Vorschläge – etwa zu einer radikalen Steuer­reform – sind höchst originell. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die sich fragen, wie ein paar zahlungsunfähige Haus­be­sitzer eine Ket­ten­reak­tion auslösen konnten – und wie sich das in Zukunft vermeiden ließe.

Take-aways

  • Die Wirtschaft­skrise 2010 war seit Jahren absehbar, nur hat niemand hinschauen wollen.
  • Die Banker trifft nicht die alleinige Schuld. Politiker hatten die Chance, gegen­zus­teuern, um eine globale Rezession zu verhindern.
  • Die rasant steigenden Preise für Immobilien gaben ihnen jede Menge Frühwarnze­ichen.
  • Immobilien galten als solid, aber in den USA und in Großbritannien wurden sie zu reinen Speku­la­tion­sob­jek­ten.
  • Bei der Berechnung der In­fla­tion­squote wurden Im­mo­bilien­preise nicht berücksichtigt.
  • Die Auswertung his­torischer Daten belegt, dass der Im­mo­bilien­markt alle 18 Jahre zusam­men­bricht und den Rest der Wirtschaft mit nach unten zieht.
  • Auf 14 Jahre Aufschwung folgt ein vierjähriger Niedergang, bis der Zyklus wieder beginnt.
  • Ein Steuer­sys­tem, das der Spekulation auf Grund und Boden Vorschub leistet, ist falsch.
  • Ein modernes Steuer­sys­tem versteht Steuern als Zahlungen für Dienste, die in Anspruch genommen werden.
  • Statt Einkommen sollte Grundbesitz versteuert werden.
 

Zusammenfassung

Krise? Welche Krise?

Die Wirtschaft­skrise, durch die die Welt derzeit taumelt, ist nicht allein der Selbstüberschätzung gieriger Banker anzulasten. Es stimmt zwar: Die Fi­nanzin­stru­mente, die zum Einsatz kamen, waren dermaßen elaboriert, dass sie kaum noch nachzu­vol­lziehen waren – nicht einmal von den Bankern. Jetzt, nachdem der Schwindel aufgedeckt wurde, sind zwei Erken­nt­nisse klar. Erstens: Kein Fi­nanzin­stru­ment der Welt ist in der Lage, faule Kredite zu veredeln. Zweitens: Irgendwann bricht alles zusammen.

„Das finanzielle Trauma des Jahres 2007 hätte nicht passieren müssen.“

Jetzt ist alles zusam­menge­brochen. Vor allem wegen der US-amerikanis­chen Banken, die willig Kredite an Hauskäufer vergaben, selbst wenn diese überhaupt kein Eigenkap­i­tal besaßen. Aber auch wegen der Banken in den anderen Teilen der Welt, die glaubten, mit den innovativen Paketen, in die diese faulen Kredite gewickelt wurden, wunderbare Renditen erzielen zu können. Und nicht zuletzt wegen der Politiker, die an das Genie der Fi­nan­za­kro­baten glaubten und darauf verzichteten, rechtzeitig einzu­greifen.

„Die Banken reichten die Risiken an andere weiter; in letzter Konsequenz bedeutete das, dass die Risiken von der arbeitenden Bevölkerung getragen wurden.“

Ein besonders ein­leuch­t­en­des Beispiel gibt Großbritannien ab. Zwischen 1971 und 2001 ver­dreifachte sich dort der Im­mo­bilien­preis. (Zum Vergleich: In Deutschland stieg er im selben Zeitraum nur um 10 %.) Und dann ging es erst richtig los: Von Anfang 2002 bis Anfang 2007 ver­dop­pel­ten sich die Im­mo­bilien­preise nochmals fast. Obwohl die Briten durchaus aus Erfahrung wussten, wie eine platzende Im­mo­bilien­blase die Wirtschaft schädigt, lobte sich der damalige Fi­nanzmin­is­ter und heutige Pre­mier­min­is­ter Gordon Brown noch 2004 als Baumeister der „längsten Phase anhaltenden Wachstums seit der in­dus­triellen Revolution“. Gegen­s­teuern? Die Luft aus der Blase lassen? Kein Wort davon. Alles bestens. Bis die Blase platzte. Seit 2007 sind die Im­mo­bilien­preise in Großbritannien um 15 % gefallen, und es ist noch kein Ende abzusehen. Die Kalkulation vieler Käufer, die sich in der Hoffnung auf steigende Preise heillos verschuldet haben, ist in sich zusam­menge­fallen. Nun besteht kein Zweifel mehr: Der Abschwung ist da.

Rezession mit Ansage

Historische Un­ter­suchun­gen zeigen deutlich, dass die britische Wirtschaft seit drei Jahrhun­derten durch­schnit­tlich alle 18 Jahre die Talsohle durch­schre­iten muss. Dieser Zyklus ist eng an die Preise für Grund und Boden gekoppelt. In­ter­es­san­ter­weise steigen diese Preise rascher als jene für die Gebäude, die darauf errichtet werden. Und da zuerst Grundstücke erworben werden müssen, bevor gebaut werden kann, gelangt man zu einem wertvollen Indikator: Kommt der Handel mit Grundstücken zum Stillstand, endet spätestens anderthalb Jahre später der Bauboom. Entweder gibt es keine In­ter­essen­ten mehr, die willens oder fähig sind Fan­tasiepreise zu zahlen, oder die Banken ziehen die Notbremse.

„Bei jedem bedeutenden wirtschaftlichen Zusam­men­bruch ist die wichtigste treibende Kraft stets der Grundstücksmarkt gewesen.“

Letzteres war bei der jüngsten Blase nicht der Fall. Die Nachfrage stieg jahrelang stärker als das Angebot, und die Banken halfen eifrig mit Krediten nach – Grund und Boden ist schließlich etwas Solides, glaubte man. Und was ist mit der Inflation? Nicht der Rede wert, wiegelten Politiker, Banker und Wirtschaft­sex­perten ab. Wenn die In­fla­tion­squote berechnet wird, tauchen Im­mo­bilien­preise darin nicht auf.

Der Zyklus von Boom und Crash

Der bereits ange­sproch­ene 18-jährige Zyklus, in dem die Preise von Immobilien steigen und fallen, sieht wie folgt aus:

  • Er­hol­ungsphase: Nach einer Rezession treibt die steigende Nachfrage die Preise in die Höhe, woraufhin der Kreis der Nachfrager schrumpft. Nach sieben Jahren kommt es zur ersten, kleineren Rezession.
  • Ex­plo­sion­sphase: In den nächsten fünf Jahren geht es wieder aufwärts. Die Banken vergeben bere­itwillig Kredite, und Grundstücks- sowie Häuserkäufer setzen (im Hinblick auf den Wiederverkauf) auf steigende Preise; sie denken und handeln zunehmend spekulativ.
  • Die Blase platzt: Dies ist die Phase der „teuer erkauften Siege“. Spekulation ist jetzt das vor­dringliche Motiv. Die Preise schießen in die Höhe – bis sich irgendwann niemand mehr findet, der noch gewagter spekulieren mag. Das ist spätestens nach zwei Jahren der Fall. Dann bricht der Markt zusammen.
  • Rezession: Es folgen zwei Jahre Absturz und zwei weitere Jahre weit­ge­hen­der Inaktivität. Insgesamt etwa vier Jahre lang können Unternehmen und Verbraucher einen Großteil der In­vesti­tio­nen zurückstellen. Danach geht es wieder los – der Zyklus beginnt von vorn.
„Grund und Boden sind die Grundlage von Wirtschaft­szyklen.“

Grund und Boden, Wohnungen und Häuser wechseln nur dann den Besitzer, wenn sie bezahlbar sind. Dazu muss der Im­mo­bilien­markt immer mal wieder zusam­men­brechen. Und mit ihm die Spekulanten – viele davon einfache Häuslebauer, denen der Sinn für Beschei­den­heit ab­han­dengekom­men ist.

Der ignorierte Zyklus

Dieser Zyklus ist offenkundig und vollzieht sich vor aller Augen – aber niemand scheint hinsehen zu wollen. Jedes Mal wird aufs Neue so getan, als sei das Platzen der Im­mo­bilien­blase ein überraschen­des und un­vorherse­hbares Ereignis, das auf rätselhafte Weise mehr oder minder mit anderen Wirtschaft­sereignis­sen verknüpft ist. Diese Ansicht ist Blödsinn. Es verhält sich eher umgekehrt: Rezessionen sind die Folge von Krisen auf dem Im­mo­bilien­markt. Doch diese Aussage mögen die Politiker nicht hören, die Wirtschaft­sex­perten und Banker ebenso wenig. Es passt einfach nicht in ihr Weltbild, im Zeitalter von Web 2.0 und der Wis­sens­ge­sellschaft auf die entschei­dende wirtschaftliche Rolle von Grund und Boden zurückgeworfen zu werden.

„Der Kap­i­tal­is­mus ist von einem tödlichen Virus befallen.“

Es gibt noch einen anderen Grund für die Ignoranz, zumindest was die Politiker betrifft: Sie scheuen die Au­seinan­der­set­zung mit den mächtigen Grund- und Bo­denbe­sitzern. Also versperren sie sich allen entsprechen­den Erken­nt­nis­sen und reiben sich jedes Mal aufs Neue überrascht die Augen, wenn irgendwo auf der Welt das Zusam­menkrachen eines Im­mo­bilien­markts unerwartet weit reichende Folgen hat.

Die Rente aus Grund und Boden

Das Schlimme daran ist, dass die Bodenrenten (also das Einkommen, das der Boden liefert) die wichtigste Quelle für Einnahmen sind, aus denen Gemein­schaft­sleis­tun­gen gezahlt werden. Je höher dieses Einkommen ist, desto besser geht es dem Staat. Eine Logik, die der Staat merkwürdigerweise nicht akzeptieren will. Anstatt Steuern auf Grund und Boden zu erheben, verlagert er seine Steuerquellen hin zu den abhängig Beschäftigten, vor allem über die Einkom­men­steuer.

„Die Bo­den­speku­la­tion ist eine zen­trifu­gale Kraft, die au­seinan­der­bricht, was sonst zusam­men­hal­ten würde.“

Fi­nanz­ex­perten und Politiker halten es für wichtig, die In­fla­tion­srate möglichst gering zu halten. Die Preise sollen nicht exorbitant steigen. Das klappt in den meisten westlichen Ländern ganz gut. Dabei gibt es aber wieder und wieder dieselbe Ausnahme: den Im­mo­bilien­markt. Selbst wenn dort der Preisanstieg vehement ausfällt, verwundert das offenbar niemanden. Und es scheint keinerlei Relevanz zu haben, denn sonst würde man ja darauf reagieren. Bis wieder mal die Blase platzt und die gesamte Wirtschaft leidet.

„Der Grundstücksmarkt ist in den Theorien der Wirtschaftswis­senschaftler merkwürdig abwesend.“

Wer zurückschaut auf die vergangenen, angeblich so pros­perieren­den Jahre, stellt fest, dass das Wirtschaftswach­s­tum vor allem auf Pump aufgebaut war. Das gilt ins­beson­dere für die USA. Auf Pump wurde nicht nur konsumiert, auf Pump wurden auch Häuser gekauft. Zum einen natürlich, um darin zu wohnen. Zum anderen aber auch, um von der erhofften Wert­steigerung zu profitieren. Ein Glücksspiel.

Der Ausweg: eine Steuer­reform

Es gibt nur einen Weg aus dem Hamsterrad der Booms und Zusammenbrüche: eine an­tizyk­lis­che Politik. Zuerst ist es notwendig, Grundstücksspeku­la­tion zu unterbinden. Außerdem sollten Familien nicht für Wohnungen oder Häuser bieten, die sie sich eigentlich – also ohne auf einen Speku­la­tion­s­gewinn zu setzen – nicht leisten können. Dazu bedarf es eines Wirtschafts- und Fi­nanzsys­tems, das die produktive Wirtschaft und die in ihr arbeitenden Menschen schützt. Sparen muss sich wieder lohnen. Die Fi­nanzpoli­tik ist gefordert. Es muss aber auch ein Konsens derjenigen Menschen geschaffen werden, die von diesem neuen System am meisten profitieren: die arbeitende Bevölkerung. Die wird gern hören, dass ein Teil des Systems weniger Steuern sind. Und sie wird die Politiker drängen müssen, jene härter zu besteuern, die bislang (weitgehend unbesteuert) spekulieren durften.

„Der Grundstücksmarkt ist gesetzlich befugt, perverse Ergebnisse her­vorzubrin­gen.“

Für den Im­mo­bilien­markt bedeutet das, dass die Menschen für die Leistungen bezahlen sollen, die sie bekommen, wenn sie am Ort ihrer Wahl wohnen. Das passiert derzeit nämlich nicht. Ein Bau­un­ternehmer oder Vorbesitzer bekommt bei einem Hausverkauf Geld. Aber was ist mit den Bussen, die regelmäßig in der Nähe vor­beifahren? Mit Schulen, mit Krankenhäusern, mit Kanal­i­sa­tion? Dafür kommt der Staat auf, und der holt sich sein Geld derzeit hauptsächlich über die Einkommens- und die Mehrw­ert­s­teuer – also von allen Bürgern, statt nur von jenen, die vom Wertzuwachs durch In­fra­struk­tur profitieren, indem sie ihren Grund und Boden zu erheblich besseren Preisen verkaufen können. Wenn alle Kosten der in Anspruch genommenen Dienste auf den Wohnort übertragen würden, blieben keine Rentenerträge auf Grund und Boden übrig, aus denen beim Verkauf Kapital geschlagen werden könnte. Und der Staat hielte mehr Geld in Händen als heute. Ein Wechsel von Einkom­menss­teuern zur Besteuerung von Grundbesitz tut not.

„Die demokratis­che Her­aus­forderung des 21. Jahrhun­derts ist es, eine neue Aufgabe für den Steuerstaat zu schaffen.“

Wir müssen umdenken und Steuern als Zahlungen für Dienste verstehen, die wir in Anspruch nehmen. Das zu erreichen, ist zweifellos eine gewaltige Aufgabe. Aber es beendet die Un­gerechtigkeit, dass abhängig Beschäftigte über die Lohnsumme, die sie erhalten, faktisch durch steigende Steuern bestraft werden. Für Selbstständige gibt es dagegen jede Menge Möglichkeiten, das Finanzamt auszutrick­sen – streng legal natürlich. Die neue Form von Steuerstaat hätte es nicht mehr nötig, sich überwachend ins Leben der Menschen einzuschal­ten und sie zu gängeln.

Und in Deutschland?

Mit etwas Glück wäre das Platzen der Im­mo­bilien­blase in Deutschland nur als entferntes „Pfffff“ zu hören gewesen. Doch Glück verträgt sich nicht mit der Gier einiger Banker, die mitver­di­enen wollten und deshalb auf Millionen und Aber­mil­lio­nen von US-Hy­potheken­pa­pieren saßen, deren Wert in Rekordzeit auf null sauste. Nicht nur deutsche Politiker behaupten, die Zukunft sei nicht vorherse­hbar. Im Allgemeinen haben sie damit ja auch Recht. Im Im­mo­bilien­markt aber ist es ein bisschen anders. Hier zeigt die Analyse von Daten, die mehr als 200 Jahre zurückreichen, wann die erste weltweite Rezession des 21. Jahrhun­derts zu erwarten ist: im Jahr 2010 – oder auch ein, zwei Jahre früher.

Über den Autor

Fred Harrison ist Geschäftsführer des Land Research Trust in London und Direktor des britischen Economic Indicator Service. Als Berater war Harrison u. a. für die Duma in Russland tätig.