Unternehmensstrategische Positionierung
Innerhalb eines Unternehmens gehört der Einkauf in der Regel zu den Abteilungen, denen eine geringere Priorität eingeräumt wird. Hinzu kommt die weit verbreitete Ansicht, dass auch eine gute Einkaufspolitik sich nur schwer am Erfolg des Unternehmens messen lässt. Umgekehrt ist dagegen einfach nachzuweisen, dass ein wenig erfolgreicher Einkauf einem Unternehmen erheblichen Schaden zufügen kann. Qualität und Effizienz des Einkaufs können aber mittlerweile mit hoher Präzision gemessen und analysiert werden. Ein Mittel zur Bewertung sind so genannte Hebelanalysen. Es gibt kaufmännisch dominierte Hebel, die auf eine klare Vorteilsnutzung ausgerichtet sind, z. B. die Lieferantenreduzierung oder die Preisbewertung. Andere hingegen sind „crossfunctional“, d. h. sie sind nur in Kombination mit anderen Abteilungen im Unternehmen wirksam, z. B. die Produktoptimierung oder die Prozessverbesserung. Um Kostensenkungspotenziale zu realisieren, sollten Sie regelmäßige „Hebelworkshops“ einrichten. Durchschnittlich können so 11 % Einsparungen realisiert werden, wobei die Zahlen je nach Professionalität des Einkaufsteams zwischen 2 und 20 % liegen.
„Bis heute ist ein Durchbruch im Sinne einer starken Positionierung des Einkaufs nicht gelungen. Vertrieb, Fertigung und Rechnungswesen sind als Funktionen eindeutiger definiert, ihr Beitrag zum Unternehmen wird deutlich höher bewertet.“
Wie unternehmensstrategisch soll Ihr Einkauf sein? Wenn Sie diese Frage beantworten wollen, sollten Sie vor allem drei Bereiche ins Auge fassen:
- die Unternehmensstrategie als Ganzes,
- das Umfeld: Branche, Wettwerber, Position in der Wertschöpfungskette etc.,
- die zeitliche Achse, also Entwicklungen bzw. Trends in Vergangenheit und Zukunft.
„Der Einkauf beeinflusst entscheidend die Kostenposition und somit den Erfolg eines Unternehmens.“
Beim Einkauf spielen drei Faktoren eine übergeordnete Rolle:
- die strategische Ausrichtung des Einkaufs,
- die Organisation des Einkaufs im Unternehmen,
- das Management der Lieferanten.
Faktor 1: Vom Preis zum Wert
Der Anteil der Beschaffungskosten an den Gesamtkosten eines Unternehmens ist nicht zu unterschätzen. Er beträgt gewöhnlich 30–80 % des Umsatzes. Bei Unternehmen der produzierenden Industrie liegen die Materialkosten in der Regel deutlich über 50 %. Allein daraus lässt sich ersehen, dass die Bedeutung des Einkaufs über reines Kostenmanagement hinausgehen muss.
„Das Gleichgewicht zwischen schneller Verbesserung der Kostenposition und einer nachhaltig wertsteigernden Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit Lieferanten scheitert oft an kurzfristigem Aktionismus.“
Wie aber können Sie Einsparpotenziale möglichst genau ermitteln? Zu den wichtigsten Instrumenten gehört die Beschaffungsmarktanalyse. Sie sucht nach dem optimalen Beschaffungsmarkt und wählt schließlich die Lieferanten aus, die für ein Angebot in Frage kommen. Auf die Analyse der Beschaffungsmärkte folgt die Bewertung der Lieferanten. Wie verhält es sich mit deren Vertragstreue? Wie sind Service und Support? Wie eng hält man sich an die zuvor getroffenen Qualitätsvereinbarungen? Die anschließende Einkaufspreisanalyse dient vor allem dazu, den Einkaufspreis in seine Bestandteile zu zerlegen, um so mögliche Kostenreduzierungspotenziale aufzuspüren. Ein weitere Methode um Sparpotenziale im Einkauf zu erkennen, ist das Benchmarking: Erstellen Sie interne oder externe Vergleiche, mit deren Hilfe Sie die Effizienz der Einkaufsabteilung messen und mögliche Schwachstellen erkennen können.
„Der Einfluss des Einkaufs auf den Unternehmenswert ist zu wichtig, um den Einkauf nur als operativen Kostendrücker anzusehen.“
Entscheidend aber ist die Umsetzung all dieser Analyseergebnisse. Handeln Sie keinesfalls in blindem Aktionismus, sonst besteht die Gefahr, dass die eingeleiteten Maßnahmen rasch verpuffen. Planen Sie langfristig, das macht meistens mehr Sinn. Nachhaltige Kosteneinsparungen sind vor allem dann möglich, wenn Sie bereits in der Entwicklungsphase eines Produkts mit dem Lieferanten zusammenarbeiten.
„Modernes Beschaffungsmanagement strebt die Vernetzung und Integration des gesamten Wertschöpfungsprozesses an und legt hier den Schwerpunkt seiner strategischen Aktivitäten.“
Neben dem aktiven Kostenmanagement kann ein gut positionierter Einkauf durchaus Wert für ein Unternehmen schaffen. Das bezieht sich beispielsweise auf Faktoren wie Innovation, die Positionierung des Produkts sowie das Erzielen höherer Preise durch einen besonders qualitätsbewussten Einkauf. Die Tendenz geht weg von einer Politik des Preisdrückens hin zu einer wertorientierten Steuerung des Einkaufs. Wertbeiträge bestehen z. B. darin, dass Produktinnovationen des Lieferanten übernommen werden, wenn das Produkt dadurch marktfähiger wird.
„Einkäufer sind heute aktive Kommunikatoren und Moderatoren, die querschnittlich denken und integrative Netzwerke gestalten und managen.“
Die Voraussetzungen für eine wertorientierte Steuerung des Einkaufs schaffen Sie am besten mit einem ganzheitlichen Steuerungssystem. Dieses basiert auf einer Beschaffungsstrategie, in die der gesamte Kreislauf – Lieferanten, Kunden, interne Prozesse und Mitarbeiter bis hin zu den Finanzen – einbezogen wird. Maßnahmen, die sich auf die Wertorientierung als Ganzes beziehen, sind häufig mit hoher Kostenersparnis verbunden. Das Problem ist allerdings: Häufig werden die erzielten Leistungen dem Einkauf nicht „gutgeschrieben“, da sie sich in den Budgets anderer Abteilungen niederschlagen. Nichtsdestotrotz sollten Sie darauf hinarbeiten, dass der Einkauf eine wesentliche strategische Stellung im Unternehmen einnimmt.
Faktor 2: Von der Einkaufsabteilung zum Shared-Services-Center
Um den Einkauf innerhalb Ihres Unternehmens aufzuwerten, sollten Sie diesen Bereich mit entsprechen Qualifikationen und Know-how ausstatten. So hat beispielsweise BMW ein eigenes Vorstandsressort „Einkauf und Entwicklung“ gebildet. Auf diese Weise will der Autobauer die eigene Innovationskraft mit jener der Zulieferer bündeln. Um eine solche moderne Einkaufsorganisation zu entwickeln, gelten drei Gestaltungsprinzipien:
- Wahren Sie die strategische Flexibilität,
- schöpfen Sie Bündelungspotenziale aus,
- realisieren Sie Standardisierungspotenziale.
„Die zentrale Frage lautet: Wie attraktiv ist ein Käufer für seine Lieferanten?“
Eine zentrale Rolle beim Einkauf spielt seit jeher die Bündelungsorganisation. Hier gibt es eine Reihe von Modellen, die sich für Unternehmen abhängig von ihrer Branche bzw. ihrer Unternehmensgröße eignen. Zu den aktuellen Trends gehört die Bündelung des Einkaufs in so genannten Shared-Services-Centern. Diese Center fassen Dienstleistungen der Unternehmenszentrale mit denen der einzelnen Geschäftseinheiten in einer einzigen Organisationseinheit zusammen, auf die die einzelnen Bereiche dann nach Bedarf zugreifen können. So hat beispielsweise Siemens USA durch die Einführung von Shared Services und die Bündelung und Automatisierung von Prozess- und Systemabläufen Kosten in enormem Umfang sparen können.
„Wenn es wenige Lieferanten mit vergleichbaren Kompetenzen und Produkten gibt, kann der Zugriff auf einen davon dem Käufer einen Wettbewerbsvorteil vermitteln.“
Mit der steigenden Zahl der Einkaufsanforderungen und -modelle wächst auch die Notwendigkeit hochqualifizierter Arbeitskräfte unter den Einkäufern. So haben in den USA bereits mehr als 70 % aller Einkäufer einen College-Abschluss – eine im Vergleich mit anderen Unternehmensabteilungen überdurchschnittliche Quote. Auch in Deutschland hat sich der Anteil der Akademiker in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Das entspricht dem tiefgreifenden Wandel, den diese Berufssparte momentan durchläuft: Der Einkäufer von heute ist vor allem ein Kommunikator und Moderator, der Netzwerke gestalten und managen kann.
Faktor 3: Vom Verwalter zum Gestalter des Lieferantennetzwerks
Die Beziehung des Einkäufers zu seinen Lieferanten ist für den Umsatz, aber auch für das Entwicklungspotenzial eines Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Lieferanten. Strategische Lieferanten können dem Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen, beispielsweise durch Innovationen. Operative Lieferanten müssen hingegen nur funktionieren. Zu den zentralen Aufgaben eines aktiven Einkaufs gehört es, bei den wichtigen strategischen Lieferanten die Stellung eines „preferred customer“ zu erlangen. Eine bessere Beziehung zum Lieferanten bedeutet übrigens entgegen der allgemein verbreiteten Auffassung nicht, höhere Preise in Kauf nehmen zu müssen. Auch kleine Unternehmen haben durchaus Chancen, in den Rang eines „preferred customer“ aufzusteigen.
„Clusterunternehmen zeigen oft gleichzeitig höhere Produktivität und größere Innovationskraft als ihre isolierten Wettbewerber und können sich deshalb international durchsetzen.“
Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang: Local oder Global Sourcing? Ist es effizienter, ein globales Zulieferernetz aufzubauen, oder sollte ein Einkäufer lieber auf zuverlässige (und oft eher teure) Lieferanten aus dem lokalen Umfeld vertrauen? Das Fazit verschiedener Analysen liefert ein überraschendes Ergebnis: Oft führt das „moderne“ Global Sourcing gar nicht zu den erhofften Einsparungen, da es die Geschäftsprozesse in einem erheblichen Ausmaß verkompliziert. Die lokale Lieferantenanbindung mit effizienter Bündelung der Prozesse ist möglicherweise sinnvoller. Hinzu kommt, dass nationale Lieferanten hinsichtlich ihrer Qualität in der Regel besser bewertet werden als internationale. Besonders effizient arbeiten Unternehmen dann, wenn sie einem „Cluster“ angehören, sich also weitere Konkurrenz-, Partner- oder Zulieferunternehmen in unmittelbarer Nähe befinden. Für Unternehmen, deren Standort weit außerhalb solcher Cluster liegt, ist es sehr viel schwieriger, den Status eines „preferred customer“ zu erlangen.
Innovationen von und mit Lieferanten
Wie wichtig es für eine moderne Einkaufspolitik sein kann, nicht nur auf Kostenersparnis, sondern auch auf das Lieferantenmanagement zu setzen, zeigt das Beispiel BMW. Eines der BMW-Einkaufsbüros entdeckte im Silicon Valley ein junges Unternehmen, das eine neuartige Joystick-Technologie entwickelt hatte. Da das amerikanische Unternehmen nicht über ausreichend Entwicklungskapazitäten verfügte, um in eine Serienproduktion größeren Umfangs einzusteigen, wurde es von BMW partnerschaftlich unterstützt. Durch diese Partnerschaft in frühzeitigem Stadium konnte der Autobauer schließlich „iDrive“ entwickeln und sich damit einen Vorsprung vor der Konkurrenz sichern. Dies ist kein Einzelfall. Innovationen entstehen heutzutage immer mehr bei oder mit Lieferanten. Wichtig ist, zu gewährleisten, dass sie auch den Weg ins eigene Unternehmen finden. Dazu müssen Sie zunächst die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen schaffen, konkret: Zu den klassischen Einkaufsbereichen strategischer Einkauf und operative Beschaffung muss als dritte Säule das Advanced Sourcing hinzukommen, das für die frühe Einbindung des Einkaufs in den Innovationsprozess verantwortlich ist.
„Innovationen entstehen in immer größerem Maß bei oder mit Lieferanten.“
Der Einkauf der Zukunft könnte wie folgt aussehen: Die Einkaufsleiterin heißt jetzt „Leiterin Wertschöpfungsmanagement“ und ist eine mexikanische Diplomingenieurin. Sie sitzt zusammen mit internationalen Teams in einem Großraumbüro vor einem Organigramm, in dem die einzelnen Abteilungen nicht rechteckig nebeneinander gestellt, sondern durch Kreise und Knoten miteinander verbunden sind. Regelmäßige Videokonferenzen haben ihre Reisetätigkeit eingeschränkt. Die von ihr geleisteten Wertbeiträge gibt sie in wöchentlichen Berichten an den CEO des Unternehmens weiter.