Der Schrei der Eule

Buch Der Schrei der Eule

New York, 1962
Diese Ausgabe: Diogenes,


Worum es geht

Mehr als ein Meis­terkrimi

Der Schrei der Eule beginnt ruhig, fast beschaulich, dann wird die Stimmung langsam bedrückend, und schließlich kommt es Schlag auf Schlag. Patricia Highsmiths berühmter Krim­i­nal­ro­man ist ein Beispiel erzählerischer Ökonomie und Doppelbödigkeit. Neben einer enorm spannenden Story gelingt der Autorin auch ein ein­dringliches Sittenbild ländlicher Intoleranz und eine bewegende Schilderung der Atemnot, die diese auslösen kann. Der Protagonist, ein depressiver Sonderling, erweckt das Mitleid des Lesers und bleibt ihm doch seltsam fremd. Im fehlenden Talent, das Leben zu meistern, und der in­ter­es­selosen Sprödigkeit dieses Antihelden verbirgt sich ein Stück von Patricia Highsmiths eigenem ex­is­ten­ziellem Pessimismus. Halbwegs sympathisch kommen nur die Ro­man­fig­uren rüber, die dem Tod auf die eine oder andere Weise nahestehen. Vom gewöhnlichen Volk zeichnet Highsmith dagegen ein trostloses Bild: Es ist feige und missgünstig, steckt voller Vorurteile und verstößt den Einzelgänger eher, als dass es ihn verstünde. Einmal zu den Krim­i­au­toren gezählt, wurde Patricia Highsmith lange unterschätzt. Inzwischen steht ihr lit­er­arischer Rang außer Zweifel – nicht zuletzt dank dem Schrei der Eule.

Take-aways

  • Der Schrei der Eule verbindet eine klug kon­stru­ierte Krim­i­nalgeschichte mit einer Studie über Intoleranz und verletzte Seelen.
  • Inhalt: Der Ingenieur Robert lernt die junge Jenny kennen, die er zuvor heimlich beobachtet hat. Ihr eifersüchtiger Verlobter Greg taucht unter, um den Eindruck zu erwecken, Robert hätte ihn umgebracht; dessen Exfrau Nickie hilft ihm bei dem Plan. Die Lage spitzt sich zu: Jenny begeht Selbstmord, Robert wird allseits verdächtigt und Greg versucht ihn zu töten. In einem Kampf zwischen den beiden, den Nickie zu schlichten versucht, kommt auch sie ums Leben.
  • Hinter nüchternem Stil und engmaschig geknüpfter Story entfaltet Highsmith ein bewegendes moralisches Drama.
  • Das Buch kommt ohne echte Schuldige aus. Die tödliche Dynamik entspringt direkt der En­g­stirnigkeit des ländlichen Kleinbürgertums.
  • Robert und Jenny leiden an De­pres­sio­nen; der Hand­lungsver­lauf bestärkt ihre düstere Weltsicht.
  • Es gibt kein Happy End. Zwar wird Roberts Unschuld bewiesen, doch seine Sehnsucht nach einem normalen Leben bleibt unerfüllt.
  • In Roberts Figur spiegelt sich Patricia Highsmiths eigener prob­lema­tis­cher Status als Außenseiterin.
  • Der Roman kann auch als bittere Ab­schied­snote an die USA gelten: Nach der Veröffentlichung des Buches siedelte die Autorin nach Europa über.
  • Lange Zeit wurde die Schrift­stel­lerin als schlichte Krim­i­au­torin abgestem­pelt. Der Schrei der Eule trug wesentlich zu ihrem heutigen Renommee als Verfasserin psy­chol­o­gisch tiefgründiger Texte bei.
  • Zitat: „Sie war in gewisser Weise in den Tod verliebt. Deshalb war sie in mich verliebt.“ (Robert über Jenny)
 

Zusammenfassung

Ein Blick ins fremde Glück

Robert Forester, Angestell­ter einer Firma für Luft­fahrt­tech­nik im US-Bun­desstaat Penn­syl­va­nia, fährt nach Feierabend nicht gleich nach Hause. Einige Meilen außerhalb seines Arbeits- und Wohnorts Langley stellt er den Wagen nahe einem allein stehenden Haus ab. Im Schutz der win­ter­lichen Dunkelheit beobachtet er eine junge Frau, die hinter dem Fenster alltäglichen Ver­rich­tun­gen nachgeht. Dies hat er andere Abende auch schon gemacht. Eigentlich möchte er damit aufhören, um nicht irgendwann von der Polizei als Spanner verhaftet zu werden. Doch er beobachtet die Frau nicht mit lüsternen Augen, sondern genießt vor allem den Eindruck häuslicher Zufrieden­heit, den sie ausstrahlt. Dieses Bild tut dem oft depressiv gestimmten Robert gut. Seine letzte seelische Krise liegt noch nicht lange zurück: Erst vor ein paar Monaten verließ er New York tief deprimiert und zog ins ländliche Langley. Die Scheidung von seiner Exfrau Nickie ist noch anhängig.

„Doch als er das Mädchen zum (...) dritten Mal gesehen hatte, war ihm klar geworden, was ihm an ihr gefiel: ihre ruhige Gelassen­heit, (...) ihre spürbare Zufrieden­heit mit dem Leben, das sie führte. All das konnte er durch das Küchenfenster erkennen.“ (über Robert, S. 13)

Ein paar Tage später zieht es Robert abermals vor das Haus der fremden Frau. Diesmal entdeckt sie ihn. Zunächst erschrickt sie, doch Robert, der sein Verhalten aufrichtig bereut, kann sie überzeugen, dass er nichts Böses im Schilde führt. Als er seine Einsamkeit und seine De­pres­sio­nen erwähnt, bittet die Frau, die sich als Jenny Thierolf vorstellt, ihn auf einen Kaffee ins Haus. Im Gespräch entdecken die beiden Gemein­samkeiten und entwickeln eine stille Sympathie füreinander. Jenny lädt Robert ein, bald einmal wiederzukom­men. Sie würde ihm auch gern ihren Verlobten Greg Wyncoop vorstellen. Von einem solchen Treffen hält Robert allerdings nicht viel.

Unerfüllte Liebe

Nach Weihnachten ruft Jenny bei Robert an und bittet ihn zum Abendessen. Er lädt sie stattdessen in ein Restaurant ein. Dort erzählt Robert von seiner Kindheit und Jenny von ihrem Entschluss, die Verlobung mit Greg in Kürze zu lösen. Am folgenden Sonntag ist Robert bei Jenny zu Gast. Plötzlich taucht Greg auf und stellt Robert unhöflich zur Rede. Dieser, un­beein­druckt, ve­r­ab­schiedet sich umgehend. Kaum zu Hause, wird er von Jenny angerufen; sie entschuldigt sich für ihren unge­ho­bel­ten Freund. Sie fährt nun ihrerseits zu Robert, dem sie im weiteren Gespräch ihre Liebe gesteht. Robert aber bleibt betont auf Distanz und rät ihr, besser bald über die Ver­liebtheit hin­wegzukom­men. Er sei noch immer seiner Frau verpflichtet und ohnehin ein psychisch labiler, un­berechen­barer Mensch. Die beiden unterhalten sich eine Weile über ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Tod. Robert erscheint im Traum oft ein Mann, der sich „Bruder Tod“ nennt. Jenny hat drei Jahre zuvor ihren jüngeren Bruder durch eine Hirn­hau­t­entzündung verloren; seitdem denkt sie oft über das Sterben nach. Zum Ende der Un­ter­hal­tung bedauert Robert, in Jennys Leben getreten zu sein, und bittet sie, den Kontakt abzubrechen.

Der Verlobte mischt sich ein

Greg beginnt Robert nachzus­pi­onieren. Er kontaktiert dessen Ex-Frau Nickie in New York und erfährt von der – mit­tler­weile vollzogenen – Scheidung. Als dieser in ein Haus außerhalb von Langley umzieht, nimmt Greg fälschlicher­weise an, er sei nach New York zurückgegangen. Jenny verhält sich Greg gegenüber weiterhin abweisend, doch der will die Trennung nicht akzeptieren. Eines Tages folgt Jenny Robert im Auto von dessen Ar­beitsstelle zu seinem neuen Zuhause. Er ist überrascht, bittet sie aber freundlich herein. Im Lauf der Un­ter­hal­tung redet sie abermals über ihre Liebe zu ihm – und wird dann ohnmächtig. Robert lässt sie bei sich auf dem Sofa übernachten.

„Ich habe ganz deutlich das Gefühl, wir würden allesamt durchdrehen, wenn nicht jeder von uns andauernd aufpassen würde, was die anderen machen. Ohne feste Ver­hal­tensregeln wüsste kein Mensch, wie er leben soll.“ (Robert, S. 19)

Greg bemerkt, dass Jenny nicht zu Hause schläft. Er trifft Robert auf dem Werkspark­platz von dessen Firma und droht ihm mit ernsten Kon­se­quen­zen, sollte er sich weiterhin mit „seiner Braut“ treffen. Mehrmals telefoniert Greg mit Nickie, die ihn noch zusätzlich gegen Robert aufhetzt. Jenny verbringt ganze vier Tage bei Robert. Der ringt sich zu ein, zwei halb­herzi­gen Küssen durch – vor allem Weiteren schreckt er zurück. Am vierten Tag dringt er erneut auf größere Distanz. Die beiden einigen sich schließlich auf zwei Treffen pro Woche. Anfang Mai wird Robert befördert: Ab Juni soll er in die Fir­men­zen­trale nach Philadel­phia wechseln. Das wird, nimmt er an, den endgültigen Abschied von Jenny bedeuten.

Ein Kampf und ein Vermisster

Mitte Mai, als Robert auf dem Weg zu einem Abendessen mit Jenny ist, wird er von Greg auf einer einsamen Landstraße im Auto verfolgt und zum Halten gezwungen. Greg beginnt eine Prügelei, die fast zu einem Kampf auf Leben und Tod ausartet. Unversehens gewinnt Robert die Oberhand. Er rettet Greg sogar noch aus dem Delaware River, in den dieser im Eifer des Gefechts gefallen ist. Dann lässt er seinen Widersacher am Flussufer zurück und fährt zu seiner Verabredung mit Jenny. Nachdem deren Ärger über Gregs Attacke verflogen ist, schlägt sie Robert vor, mit ihm nach Philadel­phia zu ziehen. Seine Liebe zu ihr könne ja noch wachsen. Robert mag sich dieser Idee nicht verweigern.

„Dennoch empfand er die Vorstellung, an diesem Abend zu Hause zu bleiben, wie den Tod, einen leisen, langsamen Tod. Und das Mädchen wiederzuse­hen bedeutete Leben. Auf welcher Seite stehst Du eigentlich, Robert Forester? Und warum ist es so schwer zu leben?“ (S. 41)

Zwei Tage später gilt Greg als vermisst. Sein Auto wurde am Ort der Prügelei gefunden, von ihm selbst fehlt aber jede Spur. Nach einigem Zögern meldet sich Robert von Jennys Haus aus bei der Polizei. Den Beamten Lippenholtz und McGregor, die sofort vor­beikom­men, erzählt er von der Prügelei und deren Hintergrund. Auch an den folgenden Tagen taucht Greg nicht wieder auf. Die regionale Presse stürzt sich auf alle Einzel­heiten des Falls und Robert wird erneut vernommen. Lippenholtz und McGregor bezweifeln inzwischen seine Version der Geschichte. Sie haben auch mit Nickie gesprochen. Die hält ihren Exmann für potenziell gewalttätig und tischt den Beamten eine Geschichte auf, der zufolge sie von Robert schon mit einem Gewehr bedroht wurde. Die Polizei bittet Robert, das Wochenende über zu Hause zu bleiben.

Greg lebt, Jenny stirbt

Son­ntagabend macht sich Robert auf den Weg nach New York. Er vermutet, dass Nickie Greg beim Un­ter­tauchen geholfen hat, damit man ihn, Robert, des Mordes beschuldigen kann. Er besucht seine Exfrau und ihren neuen Ehemann Ralph Jurgen in deren Appartement, doch Nickie weist jeden Verdacht entrüstet zurück. Nachdem Robert abgezogen ist, besucht Jurgen Greg in seinem Un­ter­schlupf, einem billigen Hotel, und droht ihm, die Polizei zu verständigen, sollte er seinen Racheplan nicht aufgeben. Immerhin erreicht er, dass Greg am folgenden Tag New York verlässt.

„,Ich sage Ihnen nur, was ich empfinde. Ich liebe Sie.‘ Sein Blick huschte kurz zu ihr hinüber. ,Ich glaube, je eher Sie über dieses Gefühl hin­wegkom­men, umso besser.‘“ (Jenny und Robert, S. 90)

Am Montag wird Robert von seinem Vorge­set­zten darüber informiert, dass die Versetzung nach Philadel­phia vorerst aufgeschoben sei. Abends trifft er Jenny, um ihr von seinem Verdacht zu erzählen. Sie ist seltsam distanziert und bittet schließlich darum, in Zukunft auf die Treffen zu verzichten. Sie verbringt eine schlaflose Nacht, meldet sich auf der Arbeit krank und nimmt am kommenden Abend mehrere Packungen Schlaftablet­ten – mit­tler­weile davon überzeugt, dass Robert Greg in den Fluss geworfen hat. Sie sperrt sich selbst aus und legt sich abseits des Hauses ins Gras. Dort schneidet sie sich die Pulsadern auf und stirbt.

Als Spanner entlarvt

Etwa zur gleichen Zeit erhält Robert einen Anruf von Jurgen, der ihm bestätigt, dass Greg sich während der vergangenen Tage in New York aufgehalten hat. Jurgen bittet ihn jedoch, seinen Namen der Polizei gegenüber keinesfalls zu erwähnen. Robert lässt Lippenholtz die Nachricht von Gregs Aufen­thalt­sort ausrichten. Als der Beamte zurückruft, informiert er Robert über Jennys Selbstmord. Er liest ihm auch ihren Ab­schieds­brief vor, in dem es heißt, Robert verkörpere für sie den Tod. Außerdem hat eine von Jennys Freundinnen Lippenholtz erzählt, auf welche Weise Robert die Tote kennen gelernt hat. Von nun an gilt er als Spanner.

„Wenn ich Sie früher durchs Küchenfenster beobachtet habe, stellte ich mir immer vor, dass Sie glücklich sind und einen Freund haben, den Sie am Ende heiraten werden – mehr nicht. Es war ein Fehler, Sie kennen zu lernen, ein Fehler ...“ (Robert zu Jenny, S. 98)

Die Presse greift die Enthüllungen der Freundin sofort auf. Am Abend wird von außerhalb des Hauses ein Schuss auf Robert abgegeben. Die Polizei findet allerdings keine Kugel. Robert hat Greg als Schützen in Verdacht. Am Morgen beschließt er, seine Stelle zu kündigen, um einer Entlassung zu­vorzukom­men. Im Betrieb trifft er erneut auf Lippenholtz. Der un­ter­richtet ihn darüber, dass im Delaware River endlich eine Leiche gefunden worden sei – mutmaßlich die von Greg Wyncoop. Als Robert für die folgende Nacht Polizeis­chutz erbittet, reagiert Lippenholtz mit Unverständnis. Für ihn ist Robert nichts weiter als ein Spanner unter dringendem Mord­ver­dacht. Endgültigen Aufschluss über die Identität der Wasser­le­iche erwartet man sich unterdessen von Gregs Zahnarzt, der aber noch für zwei Tage auf Reisen ist.

Mehr Schüsse, mehr Tote

Am Nachmittag findet Robert einen abgemagerten Hund vor seinem Haus. Er gibt ihm zu fressen und nimmt ihn vorübergehend auf. Als er abends mit seiner Mutter telefoniert, werden erneut Schüsse auf ihn abgefeuert. Einer trifft ihn am Arm, ein anderer tötet den Hund. Robert ruft die Polizei an. Zugleich stürzt sein Nachbar Kolbe, von den Schüssen alarmiert, ins Haus und iden­ti­fiziert den Hund empört als den der Huxmeyers aus der Nach­barschaft. Robert wird ohnmächtig. Als er wieder aufwacht, ist ein Arzt zugegen, ebenso Lippenholtz und eine Reihe neugieriger Nachbarn. Martha Huxmeyer macht Robert nicht nur für den Tod ihres Hundes ve­r­ant­wortlich, sondern sieht ihn auch als Frauenschänder und Doppelmörder an, der im Grunde nichts Besseres als die Schüsse verdient habe. Andere Nachbarn pflichten ihr bei. Dr. Knott, der anwesende Arzt, kann Lippenholtz endlich dazu bewegen, die Menge wegzuschicken, und verbringt die Nacht an Roberts Seite.

„Jenny (...) wanderte im Haus umher, setzte sich ein paar Minuten hin und las erst in einem Lyrikband ein paar Zeilen, dann in einem anderen, stellte sich anschließend ans Fenster, blickte in die Dunkelheit hinaus und lauschte einer Eule. Ein Todessymbol, dachte sie.“ (S. 242)

Am nächsten Tag nimmt Dr. Knott Robert mit zu sich nach Hause. Der Arzt hat erst vor zehn Tagen seine Ehefrau verloren und genießt es, nicht allein zu sein. Die Männer sind sich sofort sympathisch. Doch am Abend kracht abermals ein Schuss. Dr. Knott wird am Hinterkopf getroffen und fällt ins Koma. In Anwesenheit mis­strauis­cher Nachbarn wartet Robert auf den Notarzt, der Dr. Knott in die Klinik bringt. Am folgenden Tag erfährt er, dass Gregs Zahnarzt zu wenig Indizien hat, um über die Identität der Wasser­le­iche zu befinden. Robert stattet Jennys Eltern einen Beilei­ds­be­such ab, der ohne Vorwürfe und Bitterkeit verläuft, und kehrt gegen Abend wieder nach Hause zurück. Diesmal macht er Licht im Haus, wartet aber draußen, hinter einem Busch versteckt, auf die Wiederkehr des Schützen.

Der Showdown

Wenig später nähert sich Greg dem Haus, mit gezogenem Revolver. Es gelingt Robert, ihn zu überwältigen. Dabei löst sich ein Schuss, dessen Krach den Nachbarn Kolbe anlockt. Dieser hält ein Jagdgewehr in der Hand und ergreift instinktiv Partei für Greg. Er zwingt Robert, Greg den Revolver zurückzugeben, und lässt diesen dann entkommen. Erst jetzt erlaubt er Robert, die Polizei anzurufen, um sie über den Vorfall zu un­ter­richten. Greg wird am Busbahnhof von Langley festgenom­men, kurz vor der geplanten Rückreise nach New York. Sofort gesteht er die nächtlichen Schüsse der letzten Tage. Allerdings behauptet er auch, Robert habe ihn seinerzeit am Fluss ermorden wollen. Um die Aussage zu überprüfen, ruft Lippenholtz bei Nickie in New York an. Dabei kommt auch eine Affäre zur Sprache, die Greg offenbar mit ihr hatte. Nickie leugnet hysterisch und kündigt an, noch in der Nacht nach Langley aufzubrechen.

„Lieber Robert, ich liebe Dich sehr. (...) Bis vor Kurzem wusste ich nicht, dass du den Tod verkörperst, wenigstens für mich. Es war so vorherbes­timmt. Ich weiß nicht, ob ich froh bin oder traurig, aber ich weiß, was ich zu tun habe ...“ (Jennys Ab­schieds­brief, S. 248)

Früh am kommenden Morgen holt Gregs Vater seinen Sohn aus dem Gefängnis. Die ganze Nacht hat er gebraucht, um die Kaution zusam­men­zubekom­men. Er bringt Greg in dessen Wohnung und ve­r­ab­schiedet sich, kurz bevor Nickie eintrifft. Die wirft Greg sofort vor, für ihr Unglück ve­r­ant­wortlich zu sein: Ralph Jurgen verlange die Scheidung. Sie zwingt Greg deshalb zu einem schriftlichen Widerruf. Doch bevor die beiden das Schriftstück zur Polizei bringen, statten sie Robert, der gerade mit seinem Auszug beschäftigt ist, einen Besuch ab. Greg, ebenso angetrunken wie Nickie, geht auf Robert los und schlägt ihn nieder. Nickie bittet halbherzig um Mäßigung, als das Telefon klingelt und eine Kranken­schwester Robert von Dr. Knotts Tod un­ter­richtet. Greg, dem nun zu allem Überfluss eine Mordanklage droht, geht erneut zum Angriff über, diesmal mit einem Küchenmesser. Er fügt Robert zwar eine Wunde zu, trifft aber im Handgemenge auch Nickie und verletzt sie am Hals, bevor er selbst bewusstlos umsinkt. Sie verblutet innerhalb weniger Minuten. Robert zuckt instinktiv davor zurück, die Tatwaffe aufzuheben. Um nicht neuen Verdacht zu provozieren, möchte er keine Fingerabdrücke hin­ter­lassen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Schrei der Eule ist chro­nol­o­gisch aufgebaut und in klarer, schnörkelloser Sprache geschrieben. Ein all­wis­sender Erzähler begleitet den Pro­tag­o­nis­ten Robert Forester und gibt dessen Gedanken und Empfind­un­gen wieder. Nur gele­gentlich liegt der Fokus auf anderen Figuren. So erhält man punktuell auch Einblick ins Innenleben von Jenny und Greg. Highsmith verzichtet auf de­tail­lierte Beschrei­bun­gen von Orten und Stimmungen und verwendet kaum Metaphern. Vor allem aber enthält sie sich jeden Urteils. Gerade mit dieser Zurückhaltung gelingt es ihr, ein Gefühl drohender Gewalt und Gefahr zu erzeugen. Von Anfang an scheinen die zunächst noch harmlosen Ereignisse von her­aufziehen­dem Unheil überschattet zu sein. Kon­tinuier­lich steigert Highsmith die Spannung und kombiniert souverän ereignis­re­iche mit ruhigeren Passagen. Obwohl es Verbrechen, Täter und Tote gibt, kann das Buch kaum als typischer Krim­i­nal­ro­man bezeichnet werden. Highsmith bedient sich der Genre­dra­maturgie, um mit deren Gerüst eine Geschichte über bedrückte Seelen und erdrückende Umstände zu erzählen.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • Der Schrei der Eule verzichtet auf Verbrecher gängigen Typs. Stattdessen beschreibt Highsmith, wie sich auf einem Nährboden aus Intoleranz, Biedersinn und Kleingeistigkeit eine fatale Dynamik entfaltet, die den Un­schuldigen unter Verdacht bringt, während der Schuldige sich im Recht glaubt. Das Unrecht entsteht dabei nicht gegen den Common Sense einer Gemein­schaft, sondern erhält durch ihn erst seine unheimliche Dimension.
  • Der Roman handelt vom stillen Unglück hinter einer Fassade trügerischer Zufrieden­heit. Robert, der zur Depression neigende Außenseiter, glaubt anfangs, durch Jennys Fenster Szenen häuslichen Glücks zu sehen. Diese sind allerdings nichts als die Projektion seiner eigenen Sehnsucht nach Normalität.
  • Highsmith schildert ein ländliches Amerika, dessen enger moralischer Horizont es Menschen mit ab­we­ichen­der Mentalität schwer macht, sich zu integrieren. Sie werden vom herrschen­den Konsens aus­geson­dert und tendenziell zu Outlaws, die sich nicht einmal mehr auf ihre Bürgerrechte verlassen können.
  • Robert ist ein seltsamer Antiheld, dem es nicht gelingt, seinem Leben einen Sinn zu geben. Selbst für die Liebe scheint er kein Talent zu haben. In seiner Interessen- und Empfind­ungsar­mut ist er ein un­definier­barer Charakter, der z. T. Abwehr und Hass provoziert. Er zieht von New York aufs Land, um freier atmen zu können, doch dort wird sein Radius nur weiter eingeschränkt. Am Ende wagt er keine falsche Bewegung mehr.
  • Robert erscheint mehrfach als eine Art Todesengel. So glaubt Jenny kurz vor ihrem Selbstmord, dass er den Tod verkörpert. Dazu passt der Umstand, dass seine Lebensuntüchtigkeit ihn ständig im Einzugs­bere­ich des Todes hält. Auch der Buchtitel spielt darauf an: Der Schrei einer Eule – von Jenny in der Selb­st­mord­nacht vernommen – ist ein Sinnbild für den Tod.
  • Eine Aus­nah­me­figur in ihrer eindeutigen Gutar­tigkeit ist Dr. Knott. Für eine kurze Weile bildet er ein un­ver­hofftes Gegengewicht zur fatalen Schwerkraft der Verhältnisse. Doch er muss zügig sterben. Innerhalb von Highsmiths pes­simistis­chem Panorama wirkt er wie eine Gestalt aus einer besseren, aber unmöglichen Welt.

His­torischer Hintergrund

Im Schatten der Überflussge­sellschaft

Ende der 50er Jahre lebte man in den USA so gut wie noch nie. Eine lang andauernde Phase wirtschaftlichen Aufschwungs hatte zur massen­haften Versorgung der Bevölkerung mit Wohlstandsgütern wie Autos, Kühlschränken, Fernsehern oder Telefonen geführt. In neu geschaf­fe­nen Vorstädten richteten sich Mit­tel­stands­fam­i­lien hübsche Eigenheime ein, an deren Größe und Ausstattung sich die gewachsene Kaufkraft zeigte. Ein weit ver­bre­it­eter Fortschritts­glaube hatte außerdem für einen Babyboom gesorgt; durch­schnit­tlich brachte eine Frau zwischen drei und vier Kinder zur Welt.

Außenpolitisch war die Zeit vom Kalten Krieg geprägt. Die Sowjetunion und die USA befanden sich in einem kon­tinuier­lichen Wettlauf um die globale Vor­ma­cht­stel­lung. 1957 mussten die Amerikaner gleich zwei Niederlagen einstecken: Kurz nacheinan­der zündeten die Sowjets die erste In­terkon­ti­nen­tal­rakete und schossen den ersten künstlichen Satelliten Sputnik ins All. Für die Mehrheit der US-Bevölkerung bestand allerdings kein Zweifel daran, dass man im besseren Gesellschaftsmod­ell zu Hause war: in einem kap­i­tal­is­tisch wirtschaf­ten­den, demokratisch regierten Gemeinwesen mit starken in­di­vidu­ellen Frei­heit­srechten. Die herrschende kon­ser­v­a­tiv-kleinbürgerliche Moral – ins­beson­dere auf dem Land dominant – mochte diese Rechte freilich nicht allen zugestehen. Der Hass auf ver­meintliche Kommunisten oder Ho­mo­sex­uelle war nur wenige Jahre zuvor, während der McCarthy-Ära, noch auf Staatsebene geschürt worden und war nach wie vor weit verbreitet. In den Südstaaten mussten sich die Schwarzen ihre Bürgerrechte erst mühsam erkämpfen, Diskri­m­inierung gehörte weiterhin zum Alltag. In einer weltoffenen Stadt wie New York konnten sich Ho­mo­sex­uelle oder Anhänger neuer sub­kul­tureller Strömungen wie der Beat­gen­er­a­tion gewisse Freiräume erschließen. Auf dem Land dagegen waren Außenseiter der En­g­stirnigkeit meist rettungslos aus­geliefert.

Entstehung

Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre lebte Patricia Highsmith in New York, war aber regelmäßig in Europa auf Reisen. Kurz nach der Veröffentlichung von Der Schrei der Eule 1962 ließ sie sich dort endgültig nieder. Motive des Romans lassen sich erstmals Notizbüchern aus den Jahren 1954/55 entnehmen, der früheste konkrete Hand­lungsen­twurf stammt aus einem Notizbuch von 1958. Darin entwickelt Highsmith die Idee, dass ein Mann ver­schwindet, um seinen Nebenbuhler unter Mord­ver­dacht zu bringen. Im Anschluss werden mehrere Hand­lungsvari­anten auf ihre logische Konsistenz durchge­spielt. Zur Erzählabsicht ist noch nichts vermerkt. Im April 1961 kehrte Highsmith zu dem Hand­lungskern zurück, legte zwei andere Projekte auf Eis und erarbeitete ein elfseitiges Dossier, in dem noch immer ver­schiedene Hand­lungsverläufe fest­ge­hal­ten sind. Unter anderem erwog Highsmith, Robert und die junge Frau, die er anfangs beobachtet, in eine betont sexuelle Affäre zu stürzen. Darüber hinaus werden alternative Täter-Opfer-Kon­stel­la­tio­nen aufgestellt. Ursprünglich sollte Robert am Ende – trotz seiner Unschuld – für Jennys Mörder gehalten werden. Auf diesen allzu fa­tal­is­tis­chen Schluss verzichtete Highsmith schließlich. Der überwölbende Pessimismus hingegen blieb. Im August 1962 wurde Der Schrei der Eule in New York publiziert.

Wirkungs­geschichte

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Der Schrei der Eule war Patricia Highsmith bereits weithin bekannt – allerdings eindeutig als Krim­is­chrift­stel­lerin, was einer Rezeption, die dem lit­er­arischen Wert ihrer Bücher entspricht, eher ent­ge­gen­stand. Im Fall von Der Schrei der Eule war die Autorin freilich selbst kritischer als die Kritik. Highsmith betrachtete den Roman im Rückblick als eines ihrer schwächsten Werke und nannte die Hauptfigur Robert Forester abschätzig eine „höfliche Zielscheibe für die böseren Charaktere des Buches“. Kritiker erkannten im Roman dagegen eines ihrer bisher ein­drucksvoll­sten Bücher. Vom fehlenden Respekt zeugt dagegen, dass bis ins Jahr 2002 auf Deutsch nur eine gekürzte Ausgabe des Buches vorlag.

In den 70er Jahren avancierte Highsmith langsam zur Kultautorin, vor allem in Westeuropa. Ihr Ruhm in den USA blieb allerdings stets begrenzt und manche ihrer Bücher fanden keinen Verleger. Zweimal wurde Der Schrei der Eule verfilmt, beide Male ohne nen­nenswerten Erfolg: 1987 vom Franzosen Claude Chabrol, 2009 vom Amerikaner Jamie Thraves. Mit­tler­weile steht Highsmiths lit­er­arischer Rang außer Frage. Anlässlich ihres Todes 1995 schrieb der deutsche Kritiker Frank Schirrma­cher: „Kein anderer zeitgenössischer Schrift­steller hat den Grad an Angst und Beklemmung erreicht, dem die Bücher von Patricia Highsmith ent­ge­gen­treiben. Ihre Meis­ter­schaft erreichte sie in jenen Romanen, in denen das Verbrechen gar nicht oder nur wie ein flüchtiger Gedanke aufscheint, wie in Der Schrei der Eule.“

Über die Autorin

Patricia Highsmith wird am 19. Januar 1921 in Fort Worth, Texas, geboren und wächst nach der Scheidung der Eltern bei ihrer Großmutter auf. 1934 zieht sie mit Mutter und Stiefvater nach New York. Nach der Highschool studiert sie Englische Lit­er­atur­wis­senschaft am renom­mierten Barnard College, das nur Frauen offensteht. Außerdem belegt sie Kurse in Zoologie, Griechisch und Latein. Schon in der Schulzeit schreibt sie Geschichten und zeichnet viel. Ab 1943 arbeitet sie als Comictex­terin und Il­lus­tra­torin. Die Mod­ezeitschrift Harper’s Bazaar veröffentlicht im August 1945 ihre Kurzgeschichte The Heroine. Daraufhin erhält sie ein Stipendium für die Künstlerkolonie Yaddo, wo sie große Teile ihres ersten Romans Strangers on a Train (Zwei Fremde im Zug) schreibt. Der Erstling ist außeror­dentlich erfolgreich und wird 1951 von Alfred Hitchcock verfilmt. 1953 schreibt Patricia Highsmith unter dem Pseudonym Claire Morgan eine lesbische Liebesgeschichte mit Happy End, The Price of Salt (Salz und sein Preis). Sie wird mil­lio­nen­fach verkauft. Die frühen Erfolge verschaffen ihr finanzielle Unabhängigkeit, die sie für ausgedehnte Reisen nach Europa nutzt. Tom Ripley ist die Hauptfigur in fünf ihrer Romane. Highsmith ist aber auch jenseits der Ripley-Bücher ungemein produktiv und verfasst insgesamt 22 Romane sowie eine Vielzahl von Kurzgeschichten und Essays. 1963 siedelt sie definitiv nach Europa über, zunächst in das südi­tal­ienis­che Künstlerdorf Positano, dann nach England. Von 1967 bis 1981 lebt sie in der Nähe von Fontainebleau in Frankreich, bevor sie in die ital­ienis­che Schweiz zieht. So oft wie sie ihren Wohnort wechselt, so unstet ist auch das Liebesleben der lesbischen Autorin. Sie hat eine Vielzahl von Beziehungen zu Frauen, die meistens nach ein bis zwei Jahren in einem emotionalen Fiasko enden. Highsmith lebt sehr zurückgezogen und meidet öffentliche Auftritte und Interviews. Überliefert ist neben ihrem Hang zum Alkohol ihre ausgeprägte Tierliebe, besonders für Katzen und Schnecken. Von 1981 bis zu ihrem Tod lebt Patricia Highsmith in Tegna im Tessin. Sie stirbt am 4. Februar 1995 in einem Krankenhaus in Locarno an Krebs.