Human Factors

Buch Human Factors

Psychologie sicheren Handelns in Risikobranchen

Springer,


Rezension

In vielen Branchen werden nicht nur die einge­set­zten Techniken immer komplexer, auch die An­forderun­gen an die Sicher­heit­skonzepte steigen rasant. Das Buch Human Factors liefert eine sehr informative Zusam­men­fas­sung der aktuellen wis­senschaftlichen Diskussion. Anhand vieler Beispiele aus der Praxis zeigen die Autoren, welche entschei­dende Rolle der Mensch sowohl bei der Verur­sachung von Krisen als auch bei deren Bewältigung spielt. Und sie machen klar, dass Firmenchefs ohne den Blick für die men­schlichen Faktoren keine Sicher­heit­skul­tur etablieren können. Dem Untertitel zum Trotz richtet sich das Buch nicht nur an Unternehmen aus Risiko­branchen, sondern bietet allen Pro­duk­tions­be­trieben zahlreiche Anregungen für die Sicherheit. Die Fülle von In­for­ma­tio­nen aus der aktuellen Forschung ist das große Plus des Werks, aber die wis­senschaftliche Sprache macht es leider zu schwerer Kost. BooksInShort ist trotzdem der Meinung, dass das Buch für alle Unternehmer und Manager, die Wert auf Sicherheit und Prävention legen, sehr zu empfehlen ist.

Take-aways

  • Menschen machen Fehler und unterliegen Irrtümern. Das lässt sich nie ganz vermeiden.
  • Krisenprävention orientiert sich an den men­schlichen Faktoren, den Human Factors.
  • Zu den Human Factors zählen Wahrnehmen, Denken und Fühlen.
  • Eine Sicher­heit­skul­tur im Unternehmen verlangt eine ver­trauensvolle Kom­mu­nika­tion.
  • Bei schlechter Kom­mu­nika­tion entstehen Krisen leichter und sind zudem kaum steuerbar.
  • Die zwei Haup­trisiken in Unternehmen sind Gesund­heits­gefährdung und Pro­duk­tion­saus­fall.
  • Er­fol­gre­iche Krisenprävention setzt auf Ar­beit­steilung und dezentrale Ve­r­ant­wor­tung.
  • Verteilte Zusam­me­nar­beit, verteilte Ar­beit­sauf­gaben und or­gan­i­sa­tionsübergreifende Kooperation sind Grundpfeiler der Sicher­heit­skul­tur.
  • Komplexe Ar­beit­sauf­gaben erfordern regelmäßige Schulung.
  • Die Stan­dar­d­isierung von Abläufen kann helfen, Komplexität zu bewältigen.
 

Zusammenfassung

Die Bedeutung der men­schlichen Faktoren

Jede Or­gan­i­sa­tion ist ein Zusam­men­spiel zwischen den zu bewältigenden Aufgaben, den dafür benötigten technischen Vo­raus­set­zun­gen und den Menschen, die die Handlungen ausführen. Letzteren kommt die größte Bedeutung zu, denn die Menschen definieren nicht nur die Inhalte einer Or­gan­i­sa­tion und entwickeln die benötigte Technik, sie sind es auch, die einerseits Risiken abschätzen können und an­der­er­seits mögliche Fehlen­twick­lun­gen erst hervorrufen. Um Fehler bei der Produktion in technisch anspruchsvollen Branchen wie der Auto-, der Flugzeug- oder der Phar­main­dus­trie zu vermeiden oder auf Folgen von Her­stel­lungsmängeln schnell reagieren zu können, muss sich ein Unternehmen intensiv mit den men­schlichen Faktoren, den Human Factors, au­seinan­der­set­zen. Darunter werden alle körperlichen, psychischen und sozialen Eigen­schaften der Menschen zusam­menge­fasst, die deren Verhalten in einem von Technik geprägten Ar­beit­sum­feld bee­in­flussen.

„Or­gan­i­sa­tio­nen sind von ihrer Umwelt un­ter­schiedene Systeme, in denen Menschen, Technik und Prozesse in vielfältigen In­ter­ak­tio­nen zusam­men­wirken.“

Das Ziel der Au­seinan­der­set­zung mit den Human Factors ist die Suche nach größtmöglicher Sicherheit, besonders in den so genannten Risiko­branchen. Zur Sicherheit gehören nicht nur die Einhaltung von Regeln und das Vermeiden von Krisen, sondern auch das schnelle Beheben von Störungen sowie der Gesund­heitss­chutz. Gefragt ist daher eine Fir­menkul­tur, in der die Mitarbeiter offen mit men­schlichem Fehlver­hal­ten umgehen, Sensibilität für alle Abläufe entwickeln, flexibel organisiert sind und voreilige Schlüsse in Prob­lem­si­t­u­a­tio­nen vermeiden. Zudem ist ein effektives Feed­backsys­tem vonnöten, mit dem mögliche Krisen frühzeitig aufgedeckt werden. Um eine auf die men­schlichen Faktoren fokussierte Fir­menkul­tur zu etablieren, können Unternehmen auf die Erken­nt­nisse zahlreicher wis­senschaftlicher Fachrich­tun­gen wie der Ar­beitswis­senschaften, der Ergonomie, der In­ge­nieur­diszi­plinen, der Medizin oder der Psychologie zurückgreifen.

Fehler sind un­ver­mei­dlich

Einen Ar­beit­sall­tag ohne Krisen oder Pannen gibt es nicht. Wo Menschen handeln, passieren Fehler. Dennoch versuchen Unternehmen oft, Fehler und Irrtümer vollständig auszumerzen. Dazu setzen sie einerseits auf Regeln und Standards. An­der­er­seits versuchen sie, die be­trieblichen Abläufe zu au­toma­tisieren. Da es aber in beiden Fällen letztlich immer noch die Menschen sind, die handeln, lassen sich Fehlen­twick­lun­gen auch hier nicht vermeiden. Die Krisenprävention muss daher zunächst bei den Human Factors ansetzen.

„Ein Kernproblem von Ar­beitssys­te­men ist der Umgang mit Un­sicher­heit.“

Um die men­schlichen Risiken im in­di­vidu­ellen Un­ternehmensfall konkret zu bestimmen, ist es entschei­dend zu wissen, wann Fehler überhaupt auftreten. Die Wis­senschaft versteht unter Fehlern ein Verhalten oder ein Ergebnis, das nicht den vere­in­barten Erwartungen und dem verfügbaren Können und Wissen entspricht. Manche Irrtümer treten immer wieder auf, andere nur vereinzelt. Ihre Folgen können sofort sichtbar sein oder erst durch eine Ket­ten­reak­tion spürbar werden. Die Gründe für die Pannen liegen vor allem bei den handelnden Menschen selbst. Sie resultieren u. a. aus Übermüdung, Unaufmerk­samkeit, Un­sicher­heit, fehlenden Kenntnissen, mangelnder Motivation oder einer ungenügenden Abstimmung zwischen Mensch und Technik.

„Bei der Un­ter­schei­dung ‚menschliche Faktoren‘ vs. ‚technische Faktoren‘ wird häufig vergessen, dass die Entwicklung der Maschine, des Computers oder des Systems immer auch ein Produkt von Menschen ist.“

Krisen können aber auch unabhängig von diesen Faktoren entstehen, etwa aufgrund störender Ar­beits­be­din­gun­gen wie Lärm, mangelnder Kom­mu­nika­tion im Team, unklarer Zielvor­gaben der Geschäftsführung oder einer zu komplexen Aufgabe. Ein Verstoß gegen die vere­in­barten Regeln bedeutet nicht automatisch ein Fehlver­hal­ten. Es kann sich dabei auch um eine notwendige Maßnahme handeln, mit der eine Krise vermieden wird. Statt gegen Fehler zu kämpfen oder sie vollständig vermeiden zu wollen, sollten die Unternehmen Schwierigkeiten als Chance nutzen, die interne Zusam­me­nar­beit zu verbessern.

Die Human Factors im Überblick

Sicheres Handeln hängt vor allem davon ab, welche Wahrnehmung die ve­r­ant­wortlichen Menschen von ihrer Situation haben. Fehler treten umso häufiger auf, je eingeschränkter die Wahrnehmung ist. Bei der Gestaltung der Arbeitsplätze und der Festlegung der Aufgaben sollte darum immer berücksichtigt werden, wie sich die Rah­menbe­din­gun­gen auf die men­schlichen Sinne – Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken – sowie die Aufmerk­samkeit auswirken. Zu einer Sicher­heit­skul­tur gehört auch eine regelmäßige Gesund­heit­sprüfung etwa des Gehörs und der Sehkraft.

„Inwieweit eine Or­gan­i­sa­tion eine umfassende bzw. sys­te­mori­en­tierte Strategie hin­sichtlich der Gewährleistung von Sicherheit verfolgen sollte, hängt in erster Linie vom Gefährdungspoten­zial ihrer Pro­duk­tion­sprozesse ab.“

Wahrnehmung ist immer ein Zusam­men­spiel zwischen der Sin­nesempfind­ung und der verstandesmäßigen Auswertung davon. Das Denken ist ein entschei­den­der men­schlicher Faktor. Einerseits ist es notwendig, um Situationen einschätzen zu können, Lösungen zu finden und zu handeln. An­der­er­seits liegt gerade in der Fähigkeit des Schlussfol­gerns ein großes Risiko für Fehlver­hal­ten. Die An­forderun­gen an das Denken werden umso größer, je komplexer die Ar­beit­sauf­gabe ist. Die Einführung eindeutiger Ziele und Ver­hal­tens­stan­dards kann eine Hilfe sein, um den Menschen Entschei­dun­gen zu erleichtern.

„In komplexen und dynamischen Umfeldern bilden er­fol­gre­iche Or­gan­i­sa­tio­nen komplexe Strukturen aus; die Antwort auf die gestiegene Umweltkom­plexität ist or­gan­i­sa­tionale Komplexitätserhöhung statt Reduktion und Vere­in­fachung.“

Ein Aspekt, der häufig vernachlässigt wird, sind die Gefühle. Genauso wie das Wahrnehmen und das Denken bee­in­flussen auch die Emotionen jede Handlung. Um in einer schwierigen Situation die Kontrolle zu behalten, besteht die Tendenz, die Wahrnehmung einzuschränken und voreilige Schlüsse zu ziehen. Diese Entwicklung lässt sich verhindern oder zumindest abschwächen durch eine regelmäßige, die Arbeit begleitende Reflexion etwa mithilfe von Coachs oder Trainings, in denen der Umgang mit Stress geschult wird.

„Eine wesentliche Vo­raus­set­zung für sicheres Handeln ist, dass Planerinnen, Entscheider und Operateure ver­schiedene Aspekte einer Situation korrekt wahrnehmen, zutreffend in­ter­pretieren und daraus adäquate Handlungen generieren.“

Die drei genannten Faktoren sind nicht nur für Einzelper­so­nen relevant, sondern auch für Teams. In Gruppen müssen jedoch noch weitere Aspekte beachtet werden, wenn eine er­fol­gre­iche Sicher­heit­skul­tur gewährleistet sein soll. Dazu zählen u. a. Themen wie Kom­mu­nika­tion, das Ko­or­dinieren von Aufgaben, der Wille zur Kooperation und die in­di­vidu­elle Motivation. Die Kom­mu­nika­tion, der Austausch von In­for­ma­tio­nen, ist von zentraler Bedeutung. Sie hängt nicht nur von der zur Verfügung stehenden Technik wie E-Mail oder Mobilfunk ab. Sie wird vor allem von der Sprache und der Art und Weise, wie Dinge gesagt werden, beeinflusst. Zu Letzterem zählen neben dem verbalen Ausdruck auch Gestik, Mimik und Körperhaltung. Kom­mu­nika­tion ist demnach vor allem eine Frage des ver­trauensvollen Beziehungsauf­baus, der re­spek­tvollen Klärung von Erwartungen und der offenen Absprache über Ver­hal­tensweisen. Bleibt dies aus, sind Krisen nicht nur un­ver­mei­d­bar, sondern auch nicht mehr steuerbar.

Der Aufbau einer Sicher­heit­skul­tur

Or­gan­i­sa­tio­nen sind Gebilde, deren Arbeit durch das Wech­sel­spiel von Mensch und Technik und den Austausch zwischen den handelnden Personen geprägt ist. Ziel muss es sein, eine Vere­in­barung unter allen Beteiligten zu erreichen, wie die täglichen Her­aus­forderun­gen zu bewältigen, komplexe Situationen zu steuern und Probleme zu lösen sind. Aufgabe der Führung ist es dann, die entsprechen­den Kom­mu­nika­tion­smaßnahmen zu etablieren. Neben der Ausstattung mit geeigneter Technik gehören dazu vor allem der Aufbau einer Kon­flik­tkul­tur, die Einführung sprach­licher Standards, die Festlegung gemeinsamer Werte und eine kon­tinuier­liche Doku­men­ta­tion der Abläufe.

„Evo­lu­tion­s­the­o­retisch wird die Bedeutung von Emotionen darin gesehen, dass sie einen Organismus vorbereiten, um die An­forderun­gen seiner Umwelt adaptiv zu bewältigen.“

Die An­forderun­gen an das Management sind hoch. Führungskräfte müssen eine Vielzahl von Tätigkeiten ausführen: informieren, überwachen, delegieren, anerkennen, Probleme lösen, beraten, vernetzen oder Teams zusam­men­stellen. Für den Aufbau einer Sicher­heit­skul­tur sind aber auch zahlreiche Mitarbeiter anderer Bereiche wie der Maschi­nen­wartung, der Ar­beit­splatzgestal­tung oder des Con­trol­lings gefordert. Der Erfolg einer Zusam­me­nar­beit hängt schließlich davon ab, ob alle Mitglieder der Belegschaft in den Prozess einbezogen werden, ob Teamarbeit gefördert wird und ob das Management die täglichen Abläufe kon­trol­liert.

„Kom­mu­nika­tion ist ins­beson­dere in Ex­trem­si­t­u­a­tio­nen in Gefahr, nur in eine Richtung – ohne Rückmeldung vom Empfänger – und reduziert zu erfolgen.“

Die Führungsebene un­ter­schei­det meist zwei Haup­trisiken, die dennoch gemeinsam fokussiert werden müssen. Zum einen sind die gesund­heitlichen Auswirkun­gen der Arbeit und mögliche Unfälle an den Arbeitsplätzen in Betracht zu ziehen. Zum anderen besteht die Gefahr einer gestörten Produktion. Eine der größten Her­aus­forderun­gen für die Führung ist das Managen von Un­sicher­heit. Manager müssen Abstand von der Vorstellung nehmen, dass sich eine Sicher­heit­skul­tur zentral überwachen und vollständig planen lässt. Am wirksamsten ist ein solches System dann, wenn es allen für die Sicherheit zuständigen Mi­tar­beit­ern ein hohes Maß an dezentraler Ve­r­ant­wor­tung überträgt und auf Ar­beit­steilung setzt.

Neue Formen der Zusam­me­nar­beit

Darüber hinaus muss das Management die Zusam­me­nar­beit kon­tinuier­lich den gegebenen Rah­menbe­din­gun­gen anpassen. Im Zuge der zunehmenden Vernetzung der Arbeitsplätze durch Com­put­ertech­nolo­gie verändern sich auch die An­forderun­gen an die Sicher­heit­skul­tur. Laut wis­senschaftlicher Un­ter­suchun­gen lassen sich vor diesem Hintergrund vor allem mit drei neuen Formen der Zusam­me­nar­beit Erfolge realisieren:

  1. Verteilte Zusam­me­nar­beit: In einer Or­gan­i­sa­tion arbeiten die Menschen an mehreren Standorten an einer Aufgabe.
  2. Verteilte Ar­beit­sauf­gaben: Eine Zentrale steuert die un­ter­schiedlichen Aufgaben, die die Mitarbeiter an ver­schiede­nen Standorten bewältigen.
  3. Or­gan­i­sa­tionsübergreifende Zusam­me­nar­beit: Mehrere Or­gan­i­sa­tio­nen arbeiten an einem Thema, deren Inhalt und Aufgaben immer wieder neu vereinbart werden.

Komplexe Prozesse gestalten

Die Wirtschaft zeichnet sich heute in fast allen Branchen durch eine große Anzahl von Ein­flussfak­toren, vielfältige In­for­ma­tio­nen und eine oftmals weltweite Vernetzung aus. Um in diesem komplexen Ar­beit­sum­feld erfolgreich sein zu können, bietet sich vor allem die Stan­dar­d­isierung von Abläufen an. Regeln, vere­in­heitlichte Technik und definiertes Verhalten erleichtern die Zusam­me­nar­beit. Eine zu starre Normierung allerdings, die in­di­vidu­elle Hand­lungsstile unberücksichtigt lässt, kann die Flexibilität einer Or­gan­i­sa­tion einschränken und Fehler provozieren.

„Kom­mu­nika­tion heißt, das eigene Denken und Handeln in eine Beziehung zu anderen Personen zu bringen.“

Der Umgang mit Komplexität erfordert bestimmte Fähigkeiten der Mitarbeiter, z. B. ein hohes Fachwissen, Stress­re­sistenz, Teamarbeit, Kom­mu­nika­tion­skom­pe­tenz, re­al­is­tis­che Selb­stein­schätzung und Konfliktfähigkeit. Eine regelmäßige Schulung der Manager und Mitarbeiter ist daher unerlässlich. Bieten Sie nicht nur Vorträge und Com­put­er­sim­u­la­tio­nen an, sondern legen Sie besonderen Wert auf einen großen Praxisbezug etwa in Form von Planspielen oder Trainings an echten Maschinen. Zudem verlangt das Thema Sicherheit, die Persönlichkeit­sen­twick­lung der Mitarbeiter zu fördern. Der Umgang mit Stress und Ängsten steht ganz oben auf der Liste der An­forderun­gen.

Über die Autorinnen

Petra Badke-Schaub ist Professorin für Design Theory and Methodology. Seit 2004 leitet die Dipl.-Psy­cholo­gin den entsprechen­den Lehrstuhl an der Technischen Universität Delft in den Nieder­lan­den. Die Dipl.-Psy­cholo­gin Gesine Hofinger arbeitet als Wis­senschaft­lerin und Beraterin. Sie leitet seit 1999 als erste Vorsitzende die Plattform Menschen in komplexen Ar­beitswel­ten e. V. Die promovierte Psychologin und Linguistin Kristina Lauche ist Associate Professor im Bereich Product Innovation Management an der TU Delft.