Allgemeine Grundlagen eines ACs
Was ist ein Assessment-Center? Welchen Zweck kann es erfüllen? Welche Grundsätze und Leitideen liegen ihm zu Grunde? In einem Assessment-Center werden Situationen des täglichen Führungsalltags nachgestellt, wobei sechs bis acht Vertreter des mittleren Managements (die Kandidaten) entsprechende Aufgaben zu bewältigen haben und eine entsprechende Anzahl von Vertretern des obersten Managements (die Assessoren) den Kandidaten als Mentoren zur Verfügung stehen. Zwei Moderatoren, in der Regel ein interner und ein externer, sollten das AC leiten. Verschaffen Sie sich einen Überblick über den typischen Ablauf eines ACs, sei es der Definition nach ein Mittel zur Potenzialeinschätzung bei der Auswahl und Beurteilung möglicher Führungskräfte oder sei es als eignungsdiagnostisches Verfahren, z. B. bei einer anstehenden Stellenbesetzung. Erkennen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen ein AC eröffnet. Lernen Sie das „Wertequadrat“ als Beurteilungsinstrument kennen und schätzen.
„Wenn auch ACs ihrem nicht gerade bescheidenen Anspruch in der Realität nicht immer zu genügen vermögen, bieten sie im Vergleich zu filzokratischen Auswahlprozessen immerhin eine echte Alternative.“
Welchen Nutzen kann die Durchführung eines ACs für Ihr Unternehmen haben? Das AC kann als qualifiziertes Instrument der veränderten Arbeitswelt und dem Wandel unternehmerischer Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Vermeiden Sie durch das AC Fehlentscheidungen in der Personalpolitik und schöpfen Sie aus dem Potenzial Ihres eigenen Unternehmens. Nutzen Sie das AC als Chance zur Reflexion, geben Sie Führungskräften Gelegenheit zur Überprüfung ihrer Eigenschaften und Fähigkeiten. Dadurch, dass in einem AC eine dynamische Beurteilung erfolgt und diese nicht durch Einzelpersonen vorgenommen wird, begegnen Sie der Gefahr der Erstarrung und der möglichen Abhängigkeit von einem Alleinentscheider.
„AC-Legitimation wird eher von den Beteiligten gestiftet als von Methoden garantiert.“
Wie wird ein AC zu einem effektiven Instrument? Welche organisationsbezogenen Voraussetzungen sollte ein AC haben? Ein AC sollte firmenbezogen sein, was aber nicht bedeuten muss, dass Sie für Ihr Unternehmen ein AC von Grund auf neu entwickeln müssen. Günstig ist, wenn ein AC Teil der firmenspezifischen Personalentwicklung ist und eine organisatorische Einbettung innerhalb Ihres Unternehmens hat. Klären Sie den Zweck Ihres ACs. Verschleiern Sie nicht durch feinsinnige Definitionen wie Förderungs-AC, Entwicklungs-AC etc., dass es sich dabei vorwiegend um ein Instrument der Beurteilung handelt. Sorgen Sie für eine weitreichende Akzeptanz bei den Teilnehmern, indem Sie Transparenz, Offenheit und Authentizität schaffen.
„Bei der Einschätzung und Beurteilung von Verhalten werden die Standards nicht von geeichten Instrumenten gesetzt, sondern von den Assessoren. Nur so bleibt die Verantwortung für die Ergebnisse des ACs dort, wo sie hingehört: ... zum Führungskreis der Unternehmung.“
Welche methodischen Bedingungen sind notwendig? Generell wird für sinnvoll erachtet, dass die Assessoren Führungskräfte sind, die ein bis zwei Rangstufen oberhalb der Kandidaten stehen, verantwortlich für Personalentscheidungen und nicht gleichzeitig persönliche Vorgesetzte der Kandidaten sind. Mit der Übertragung dieser Rolle auf Psychologen erreichen Sie zwar ein höheres Mass an Professionalität, vermindern aber gleichzeitig die formelle Verantwortung der Manager. Entwickeln Sie Ihr AC als ein dynamisches System und schaffen Sie Transparenz für alle Beteiligten.
„Das angepeilte Ideal ist keine statische, sondern eine dynamische Balance ... Entscheidend ist, dass als innere Möglichkeit beide Haltungen zur Verfügung stehen.“
Verstärken Sie den Trainingsaspekt eines ACs, indem Sie den Kandidaten vor den Übungen nicht nur Sinn, Leitidee und Ablauf der Übung bekannt geben, sondern auch eine Offenlegung der Lösung anbieten. Schaffen Sie grösstmögliche Homogenität in den Gruppen, indem Sie sie jeweils nur aus internen oder externen Kandidaten bilden. Sorgen Sie dafür, das sämtliche Beteiligten am AC hundertprozentig präsent sein können und nicht gleichzeitig Aufgaben im Unternehmen wahrnehmen müssen. Fördern Sie durch Sofort-Feedback im Anschluss an eine Übung die Motivation und die Lernbereitschaft der Kandidaten, da direkt im Anschluss die Lernbereitschaft am grössten ist. Welche organisationskulturellen Bedingungen sind notwendig? Orientieren Sie sich nicht ausschliesslich an den gegebenen kulturellen Bedingungen Ihres Unternehmens, sondern nutzen Sie die Chance der kulturellen Weiterentwicklung. Schaffen Sie ein freundliches, kooperatives und möglichst informelles Klima, um den Teilnehmern den Zugang zu verschiedenen Erfahrungsmöglichkeiten zu verschaffen. Schaffen Sie mit Ihrem AC einen Ort, an dem spontane Einfälle, vergnügte Geselligkeit, kreative Gewitztheit und Spass am Lernen Platz haben.
Das Assessment-Center der Abteilung Technik der Swissair
Aufgeklärte, humane, mündige Haltungen sind Voraussetzungen für ein gutes AC. Sie entscheiden, ob Ihr Unternehmen für ein nach diesen Grundsätzen gestaltetes AC geeignet ist, oder ob für die Durchführung die Voraussetzungen fehlen.
- Reflektieren Sie Ihre Normen und Werte. Betrachten Sie Zweifeln als Tugend und pflegen Sie ein gewisses Misstrauen gegenüber dem „gesunden Menschenverstand“. Jedem Wert steht sozusagen das Gegenteil gegenüber und erzeugt ein positives Spannungsverhältnis. Dieser Gegenwert verhindert, dass ein Wert übertrieben wird und in seiner Wirkung ins Negative kippt. Machen Sie sich bewusst, welchen Einfluss Ihre subjektive Einstellung auf die Beurteilung in einem AC hat. Werten Sie das, was Sie sehen oder hören, bewusst aus.
- Trennen Sie Beobachtung und Beurteilung voneinander. Verzichten Sie auf jeglichen Objektivitätsanspruch bei der Beobachtung und Beurteilung der Kandidaten, machen Sie sich aber klar, welche Einstellungen und Haltungen Ihre Einschätzung beeinflussen.
„Es gibt grundsätzlich keine gültige, richtige und einzige Methode zur Bewältigung einer Aufgabe. Ich muss eine Vielfalt von Alternativen sowohl kennen als auch erproben und daraus selbstverantwortlich meine Methode oder Handlungsweise für die jeweilige Situation auswählen.“
Machen Sie sich ein multikausales Denken zu Eigen und verzichten Sie auf einfache Ursache-Wirkungs-Erklärungen. Berücksichtigen Sie mögliche Wechselwirkungen zwischen allen Beteiligten. Wechseln Sie bewusst den Blickwinkel, unter dem Sie eine Situation oder einen Kandidaten beurteilen. Machen Sie sich klar, dass jeder Mensch nur über ein begrenztes Handlungsrepertoire verfügt, das er nur schrittweise verändern kann. Zur Bewältigung von Aufgaben gibt es nicht nur einen Weg. Finden Sie Ihre Methode und Handlungsweise für die jeweilige Situation. Akzeptieren Sie die Tatsache, dass jeder Mensch verschiedene soziale Rollen hat und dass ein soziales Leben ohne diese nicht möglich wäre. Ermöglichen Sie dem Kandidaten eine Entwicklung, indem Sie ihm Feedbacks bezüglich Akzeptanz und Konfrontation geben. Erkennen Sie den gemeinsam erlebten Prozess im AC und ermutigen Sie auch die anderen Beteiligten, darüber zu reflektieren und zu sprechen.
Abwicklung eines Assessment-Centers
Planen Sie für die Durchführung eines ACs genügend Zeit ein. Etwa 14 Tage vor dem Start des vier- bis fünftägigen ACs sollten Sie für Kandidaten und Assessoren eine Orientierungsveranstaltung durchführen; rund vier Tage vor Beginn sollte ein Trainings-Workshop für die Assessoren eingeplant werden. Die Assessoren spielen im AC eine überaus wichtige Rolle, indem sie sowohl Berater und Unterstützer sind als auch am Ende des AC in Anwesenheit eines anderen Assessors das Bilanzgespräch mit dem Kandidaten führen. In ihrer Doppelrolle befinden sie sich in einem grossen Spannungsfeld. Der Vormittag des ersten Tages dient bis zur Ankunft der Kandidaten der Vorbereitung der Assessoren durch Vorstellung untereinander (bzw. durch ein Einstiegsspiel), Zuordnung zu den Kandidaten, Diskussion ihrer Rolle und Vorbereitung des biografischen Interviews. Stimmen Sie die Assessoren inhaltlich auch dadurch auf ihre Rolle ein, indem Sie sie eine ähnliche Übung durchlaufen lassen, wie die Kandidaten sie durchlaufen werden (Prinzip: „Wir muten uns wenigstens teilweise das zu, was wir später den Kandidaten zumuten.“). Die eigentliche Eröffnung des ACs findet nach dem Eintreffen der Kandidaten mit einer Vorstellungsrunde statt. Beginnen und beenden Sie den Tag jeweils mit einem Plenum. Beschliessen Sie den Tag mit einem Meeting, das der Reflexion der Übungen und deren Bewältigung dient. Ermutigen Sie die Kandidaten, ein so genanntes Lerntagebuch zu führen, in dem er seine Fortschritte und Entwicklungswünsche ausschliesslich zu seinem eigenen Gebrauch notiert. Verschaffen Sie den Kandidaten durch eine eigene Kandidaten-Konferenz einen identitätsstiftenden Raum.
Das Herzstück und die Beobachtungsbogen
Machen Sie das Wertequadrat nach F. Schulz von Thun zur Grundlage, zum Herzstück Ihres ACs. Es bildet die Grundlage für alle Beobachtungen im AC. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Kandidaten ist bei allen zu lösenden Aufgaben, in welchem Mass sie in ihrem Verhalten eine dynamische Balance zwischen den jeweils erwünschten Eigenschaften erlangt. Ermitteln Sie mit Hilfe des Herzstücks das Profil des Kandidaten hinsichtlich Selbstpräsentation, Sprache, Gesprächsverhalten, Führungsverhalten, dem Ich in der Gruppe und in der Gesellschaft, intellektueller Mobilität und seinem Verhalten bei Stress und Konflikten. Machen Sie das Wertequadrat zur Grundlage Ihrer Beobachtungsbogen und nutzen Sie es für das Führen von Feedback-Gesprächen zur Feststellung der Entwicklungsrichtung.
Die Übungen
Legen Sie die Übungen in schriftlicher Form vor. Entwickeln Sie führungsorientierte Übungen mit relevanten Inhalten und schliessen Sie dabei fachliche Belange weitgehend aus. Berücksichtigen Sie, dass die Übungen sowohl an einer konkreten Alltagssituation orientiert sein sollten als auch für alle Kandidaten (trotz verschiedener Vorkenntnisse) gleiche Chancen bieten. Vermeiden Sie es, Rollenspiele in Theaterspiele zu verwandeln.
Das Bilanzgespräch
In das Bilanzgespräch fliessen drei Einschätzungen über den Kandidaten ein: die des Kandidaten, des Assessors und des Beobachters. Jeder dieser Einschätzungen liegt eine eigene Betrachtungsweise und Wertung zu Grunde. Versuchen Sie nicht, im Bilanzgespräch einen Konsens in der Art und Weise zu finden, dass die ursprünglichen Bilder verwischt und nivelliert werden. Wahren Sie den Persönlichkeitsschutz aller Beteiligten, indem Sie alle Originale aller benutzten Unterlagen dem internen Ausbildungs- und AC-Verantwortlichen zur treuhänderischen Aufbewahrung überlassen. Finden Sie Ihr Gesprächsrezept heraus, aber verfallen Sie nicht in trickreiche Rhetorik. Als Beobachter eines Bilanzgesprächs sollten Sie v. a. den beiden Gesprächspartnern dienen und auf den Rahmen des Gesprächs achten. Seien Sie als Beobachter Zeuge des Gesprächs und nicht des Assessors oder des Kandidaten. Lassen Sie als Kandidat das Feedback Ihres Assessors an sich heran und nutzen Sie die Chance zum Lernen, die Ihnen daraus erwächst. Schliessen Sie einen Entwicklungskontrakt mit sich selbst und nutzen Sie dabei die Ergebnisse des Bilanzgesprächs.
Ausbildung der Assessoren
Ziel der Ausbildung der Assessoren ist es, ihnen ein handwerkliches Rüstzeug zu vermitteln. Dazu gehören die Kenntnisse über das Bilanzgespräch und das biografische Interview. Der Assessor soll den Unterschied kennen zwischen Beobachten und Beurteilen und wissen, was ein Feedback ist und was es beabsichtigt. Die Ausbildung soll darüber hinaus bewirken, den Anspruch auf Objektivität aufzugeben und die Idee der transparenten Subjektivität zu akzeptieren. Geben Sie den Assessoren in dieser Ausbildung Gelegenheit, ihre Rolle zu reflektieren und ihre Zweifel daran zu formulieren. Hier offenbart sich oftmals die Erfassungsproblematik des ACs. Die Beziehung des Assessors zu seinem Kandidaten steht in einem Spannungsfeld zwischen Beurteiler und Berater, Förderer und Richter, Zeitstopper und Trainer. Auf Grund dieser Doppelrollen ist die Rolle des Assessors zwar heikel, wird aber andererseits gerade dadurch spannend und dynamisch. Fragen Sie als Assessor im biografischen Interview nach dem, was Sie wirklich interessiert, und fragen Sie trichterförmig statt schmetterlingsartig. Nutzen Sie die Antworten des Kandidaten, um Nach- und Klärungsfragen anzubringen. Vermitteln Sie dem Kandidaten, welche Erwartungen Sie an ihn stellen und welche Rahmenbedingungen ihn im biografischen Interview erwarten.
Dr. phil. Armin Gloor studierte Psychologie und Erziehungswissenschaften, bevor er am Seminar für Pädagogische Grundausbildung und an der Universität in Zürich als Dozent tätig war. Er arbeitete als Trainer in Gruppendynamik und Kommunikationsveranstaltungen und als Eignungsdiagnostiker für die Swissair. Seit 1989 ist er selbstständiger Unternehmensberater in Zürich.