Fehlbesetzungen sind teuer
Ist Ihnen das auch schon mal passiert? Sie hatten bei einem Kandidaten ein richtig gutes Gefühl, und trotzdem hat er sich im Nachhinein als unpassend herausgestellt? Sie hätten Ihrem Gefühl lieber nicht trauen sollen, denn wenn man sich einmal eine Meinung über jemanden gebildet hat, übersieht man leicht Hinweise, die diesem Bild widersprechen. Sie müssen einsehen, dass Ihre eigenen Erfahrungen und Ihre Stimmung Ihre Wahrnehmung beeinflussen. Reflektieren Sie darum Ihre Entscheidungen – denn Fehler bei der Bewerberauswahl sind teuer. Falsche Fragen, falsche Schlüsse, komplizierte Methoden und daraus resultierende Fehlbesetzungen können sich in Kosten des zwei- bis dreifachen Jahresgehalts der betreffenden Position niederschlagen. Doch leider gibt es den einzig richtigen Weg zur Beurteilung von Bewerbern nicht.
Die Grundlagen der lernenden Potenzialbeurteilung
Ob Sie es wollen oder nicht: Die Sprechweise und die Kleidung eines Bewerbers spielen bei der Personalentscheidung ebenso eine Rolle wie Ihre eigene Tagesverfassung. Wenn es um die Frage geht, ob der Bewerber sich in die Unternehmenskultur einfügen wird, verlassen sich viele Personalverantwortliche auf ihr Bauchgefühl. Das ist auch in Ordnung so: Wäre alles vollkommen objektiv, könnte man die Personaler durch Computer ersetzen. Seien Sie sich aber der Fehlerquellen immer bewusst:
- „Normal“ sind nicht nur Ihre eigenen Vorlieben und Handlungen. Was in der Personalarbeit unüblich ist, kann in der Forschungsabteilung durchaus erwünscht sein.
- Wie sich der Bewerber in der Ausnahmesituation Bewerbungsgespräch verhält, muss nichts über sein Verhalten im Arbeitsalltag aussagen.
- Auffälliges und das, was man am Anfang und am Ende eines Tages voller Bewerbungsgespräche gehört hat, bleiben am ehesten haften. Das kann z. B. für zurückhaltende Bewerber mit einem Vorstellungstermin zur Mittagszeit ein Nachteil sein.
„Die Suche nach den Fehlern in den eigenen Auffassungen ist das Prinzip, durch das Erkenntnis entsteht.“
Ihre Bewerberauswahl ist also fehleranfällig und z. T. subjektiv. Was tun? Persönlichkeits-, Konzentrations- oder Intelligenztest können zwar einen gewissen Grad an Objektivität bringen, doch es ist keineswegs gewährleistet, dass damit auch die Eignung für die zukünftige Tätigkeit gemessen wird. Zudem ändern sich nicht nur die Referenzwerte, die zum Vergleich herangezogen werden, auch die Mitarbeiter entwickeln sich im Lauf der Zeit weiter. Als Lösung für dieses Problem bietet sich die Potenzialanalyse an, die versucht, ein dynamisches Element in die Analyse mit einzubringen. Beispielsweise in einem Assessment-Center wird so versucht, vorherzusagen, welche Position im Unternehmen ein Kandidat im Lauf seiner Karriere erreichen kann. Da stellt sich allerdings die Frage: Welche Bedingungen werden in Zukunft im Unternehmen vorherrschen? Vor dem Hintergrund sich ständig ändernder Anforderungen und Rahmenbedingungen fangen Sie als Personalentscheider am besten bei sich selbst an. Sie müssen Ihre Kompetenz stärken, indem Sie Ihre Entscheidungen reflektieren und immer dazulernen – daher der Begriff „lernende Potenzialbeurteilung“.
Aufgabenanalyse
Jeder Personalauswahlprozess beginnt mit einer Aufgabenanalyse. Fassen Sie nicht nur die Haupttätigkeit des künftigen Mitarbeiters ins Auge, sondern auch Aufgaben, die diese ergänzen. Besorgen Sie dazu Informationen von anderen Mitarbeitern der betreffenden Abteilung, vom früheren Stelleninhaber oder von dessen Vorgesetzten. Überlegen Sie, wie sich der Job entwickeln könnte, entwerfen Sie Szenarien und holen Sie evtl. den Rat von unternehmensfremden Experten wie etwa Volkswirten ein. Achten Sie darauf, dass Ihre Analyse auch für Kollegen nachvollziehbar ist. Am besten entwickeln Sie ein Muster, nach dem Sie bei der Aufgabenanalyse ab sofort vorgehen. Fragen Sie sich: Wie wurde es bisher gemacht? Wo gibt es Verbesserungspotenzial?
Anforderungsanalyse
Aus der fertigen Aufgabenanalyse lassen sich Ihre Anforderungen an den richtigen Bewerber ableiten. Machen Sie aber nicht den Anfängerfehler, einen Kriterienkatalog mit 40 Anforderungen zum Kandidateninterview mitzubringen. Konzentrieren Sie sich auf wenige, dafür klar auf die zukünftige Tätigkeit zugeschnittene und präzise Kriterien. Die unverzichtbaren fachlichen Anforderungen an den Bewerber können relativ einfach eruiert werden. Schwieriger wird es, herauszufinden, welche spezifischen Eigenschaften oder Fertigkeiten ein Mitarbeiter haben muss. Soll er eher mitarbeiterorientiert oder autoritär sein? Eigenständig oder ein Teamplayer? Besonders bei Führungskräften, die bei den Mitteln zur Zielerreichung ziemlich freie Hand haben, ist dies schwierig festzulegen. Sammeln Sie die Anforderungen und entscheiden Sie danach, welche unbedingt nötig sind, um den Job erfolgreich auszuführen. Diese erfolgskritischen Anforderungen finden Sie, indem Sie sich fragen: Was macht ein erfolgreicher Stelleninhaber anders als ein weniger erfolgreicher?
„Um die eigene Intuition schärfen zu können, ist es notwendig, sich über die Einflüsse, die für die Wahrnehmung anderer Personen eine Rolle spielen, klar zu werden.“
So gehen Sie bei der Anforderungsanalyse vor: Befragen Sie Kollegen und Vorgesetzte über die Struktur der Tätigkeit. Was muss der Mitarbeiter können und wie ist die Tätigkeit am besten auszuführen? Stellen Sie fest, welche Routineaufgaben die Stelle beinhaltet und welche Schwierigkeiten kritische Situationen hervorrufen können. Die daraus abgeleiteten Anforderungen allein sind aber noch zu unstrukturiert. Sie müssen Sie in Beziehung zueinander setzen. Am besten schreiben Sie die Kriterien auf Kärtchen. Diese ordnen Sie dann auf einer Pinwand zu Gruppen, die jeweils verbundene bzw. ähnliche Begriffe enthalten. Zeichnen Sie Pfeile, die die Wechselbeziehungen zwischen den Gruppen verdeutlichen. Danach ordnen Sie die Gruppen nach ihrer Wichtigkeit, sodass Sie sehen, auf welche Anforderungen Sie bei der Bewerberauswahl wirklich Wert legen müssen. Je mehr Pfeile von einer Gruppe abgehen oder darauf hinweisen, desto wichtiger ist sie.
„Der Beurteiler – nicht die Methode – ist das eigentlich erfolgskritische Element der Potenzialbeurteilung.“
Bevor Sie nun Bewerber ansprechen, zwei Warnungen: Das Anforderungsprofil dient nur als Anhaltspunkt. Niemand sagt, dass erfolgreiche Stelleninhaber alle Kriterien erfüllen müssen. Schließlich kann eine Tätigkeit auf viele verschiedene Arten durchgeführt werden. Und: Überbewerten Sie die fachlichen Kompetenzen der Bewerber nicht. Menschen lernen während der Arbeit dazu. Wichtig sind auch die kulturelle Passung zum Unternehmen sowie die soziale Kompetenz.
Personalmarketing
Wenn es Ihr Ziel ist, möglichst viele Bewerber anzusprechen, bedenken Sie, dass die Sichtung der Unterlagen viel Zeit kostet. Versuchen Sie daher von vornherein, das Interesse möglichst passender Kandidaten zu wecken. Wird ein Experte gesucht, erkundigen Sie sich bei Tagungen oder bei den Spezialisten im eigenen Haus. Ist Berufserfahrung weniger wichtig, eignet sich eine Ausschreibung an Hochschulen. Nehmen Sie an Personalmessen teil oder schreiben Sie Wettbewerbe aus. Eine günstige Variante ist die Empfehlung neuer Mitarbeiter durch eigene Arbeitskräfte. Sie schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Ihr Mitarbeiter wird ein Interesse daran haben, verlässliche Personen zu empfehlen, die dann auch meistens menschlich zum Unternehmen passen.
„Versuchen Sie, Ihre Vorgehensweisen nach Möglichkeit nicht alleine, sondern mit einem Kollegen zu reflektieren, mit dem Sie Ihre Ergebnisse vergleichen und diskutieren können.“
Wenn Sie eine Stellenanzeige aufsetzen, orientieren Sie sich an der Firmenphilosophie und den Wünschen der Zielgruppe. Diese Zielgruppe sollte nicht nur aus Personen bestehen, die Arbeit suchen, sondern auch aus jenen, die gerade keine neue Karriere planen. Die Anforderungen müssen konkret sein. Abstrakte Kriterien wie Teamfähigkeit sind zu vage. Reflektieren Sie Ihre Vorgehensweise: Welche Personen haben sich auf Ihre Stellenanzeige beworben? Waren auch total ungeeignete Kandidaten darunter? Woran liegt das?
Bewerbungsunterlagen beurteilen
Viele Personalfachleute sehen im Anschreiben eine Art erste Arbeitsprobe des Bewerbers. Dabei wird selten überlegt, ob die Fähigkeit zur Selbstpräsentation auch tatsächlich zu den Anforderungen der gesuchten Position gehört. Fragen Sie sich, ob Sie z. B. das Foto oder die Hobbys eines Bewerbers zu voreiligen Schlüssen verleiten und ob diese Informationen wirklich für die zu besetzende Stelle wichtig sind. Vielleicht ist es Ihnen schon passiert, dass Sie von einem Bewerber mit tollen Unterlagen im Endeffekt überhaupt nicht begeistert waren. Auch Schulnoten sind trügerisch. Sie sagen nichts darüber aus, welche Leistung der Kandidat später bringen wird, ob er fleißig oder ehrgeizig ist und ob er über die notwendige Sozialkompetenz verfügt.
„Ein von mehreren Interviewern geführtes Gespräch und eine anschließende Diskussion sollte nicht nur für die Qualität der Entscheidung, sondern auch für die Weiterentwicklung jeder Einzelnen der am Auswahlprozess beteiligten Personen das Mittel der Wahl sein.“
Aufgaben- und Anforderungsanalyse bilden die Basis für die Auswahl der Kandidaten, die im Bewerbungsprozess weiterkommen. Definieren Sie positive Go- und negative No-Go-Kriterien, nach denen Sie selektieren. Sollte ein Bewerber theoretisch aufgrund eines No-Go-Kriteriums aus dem Rennen fallen, Ihr Bauchgefühl aber dennoch „Go“ sagen, dann sollten Sie Ihr Modell noch einmal auf den Prüfstand stellen. Vielleicht kompensiert ja eine besondere Fähigkeit des Bewerbers das Fehlen einer anderen, die zum Ausschluss aus dem Prozess geführt hat.
Bewerbungsgespräch
Das Wichtigste vorweg: Lassen Sie sich bei Bewerbungsinterviews immer von Kollegen unterstützen und diskutieren Sie Ihre Eindrücke mit ihnen. Das bringt die notwendige Objektivität beim Vergleich der jeweils gewonnenen Erkenntnisse. Denn darum geht es beim Beurteilungsgespräch: Sie wollen unvoreingenommen ein möglichst klares Bild von den Stärken und Schwächen des Kandidaten erhalten. Eine Methode, ein Vorstellungsgespräch zu führen, ist das multimodale Interview:
„Behalten Sie die bewährten Schritte in Ihrem Vorgehen bei und verändern Sie nur dann etwas, wenn Sie die neue Methode aus den bisherigen Erfahrungen auch nachvollziehen und begründen können.“
Zu Gesprächsbeginn schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre, indem Sie die anwesenden Personen vorstellen und den Ablauf der folgenden 30–60 Minuten erläutern. Bitten Sie dann den Kandidaten, einige Sätze über sich selbst zu sagen und zu erörtern, was ihn zu seiner Bewerbung bewogen hat. Nun ist Zeit für ein freies Gespräch, in dessen Verlauf Sie offene Fragen stellen. Danach überprüfen Sie das Handlungs- und Fachwissen des Kandidaten, evtl. mit einer Arbeitsprobe. Im Anschluss folgen biografiebezogene Fragen, anhand derer Sie die persönlichen Eigenschaften des Bewerbers ausmachen. Versorgen Sie den Bewerber nun mit realistischen Informationen zu der ausgeschriebenen Position, zum Unternehmensklima und den Aufstiegschancen. Erläutern Sie nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Seiten. Der Bewerber kann anschließend Fragen stellen. Bitten Sie ihn dann, einen Lösungsweg für eine bestimmte Problemsituation zu skizzieren, und bewerten Sie diesen. Zum Abschluss schaffen Sie wieder eine angenehme Atmosphäre – Sie wissen nie, was der Kandidat anderen potenziellen Bewerbern über Ihr Unternehmen erzählt. Übernehmen Sie diese ganze Gesprächsstruktur nicht eins zu eins, sondern sehen Sie sie als Anregung zur Verbesserung Ihres bisherigen Vorgehens. Hat sich etwas bewährt, behalten Sie es bei.
Auf dem Prüfstand: Sie!
Es ist wichtig, dass Sie Ihre eigene Kompetenz beurteilen. Evaluieren Sie, ob Ihr Verfahren zur Bewerberauswahl erfolgreich ist. Stellen Sie Erfolgskriterien auf, z. B. wie lange der neue Mitarbeiter im Unternehmen verbleibt und wie er sich im Arbeitsalltag bewährt. Zur Überprüfung können Sie Fragebögen zu Hilfe nehmen oder einen neutralen Dritten ersuchen, seine Beobachtungen zu schildern. Diskutieren Sie mit Ihren Kollegen und bitten Sie auch Experten um Hilfe.
Prof. Dr. Thomas Lang-von Wins lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München und an der Universität der Bundeswehr München. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Kompetenzdiagnostik, Unternehmertum und Coaching. Dipl.-Psychologe Claas Triebel arbeitet an der Universität der Bundeswehr München. Gemeinsam mit Lang-von Wins hat er Wege zur kompetenzorientierten Beratung entwickelt. Ursula Gisela Buchner ist ebenfalls Dipl.-Psychologin und hat in der Personalentwicklung gearbeitet. Dipl.-Psychologin Andrea Sandor ist Expertin für Eignungsdiagnostik.