Personalentwicklung: Wie es in der Praxis wirklich läuft

Buch Personalentwicklung: Wie es in der Praxis wirklich läuft

Von der Illusion zur Wirksamkeit

Haupt,


Rezension

Empfehlung

Der Rekru­tierung und Entwicklung von Personal wird ein immer höherer Stellenwert eingeräumt. Zu Unrecht, meint der Psychologe Eberhardt Hofmann. In seinem Buch macht er sich fast schon genüsslich daran, HR-Trends auf ihren sachlichen Gehalt zurechtzus­tutzen, Maßnahmen zur Persönlichkeit­sen­twick­lung zu sezieren und schwammige Anglizismen als pseudowis­senschaftliche Leerformeln zu entlarven. Sein Ziel: den hochgesteck­ten Ansprüchen der Per­son­alen­twick­ler durch kritische Prüfung die Tatsachen ent­ge­gen­zustellen. Der Autor selbst hat kein All­heilmit­tel anzubieten, außer dem Appell an die wache, praktische Vernunft. Letztlich stellt er, selbst etwas ratlos, die Frage, warum so viele Mitarbeiter den durch­schaubaren Sug­ges­tio­nen der Per­son­alen­twick­ler und -trainer auf den Leim gehen können. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Führungskräften und Mi­tar­beit­ern im Per­son­al­we­sen – sie müssen sich aber auf eine gehörige Kopfwäsche gefasst machen.

Take-aways

  • Die Bedeutung der Per­son­alen­twick­lung in Firmen nimmt anscheinend permanent zu. Der Anspruch: Personal gestalten statt nur verwalten.
  • Per­son­alen­twick­ler neigen zur Selbstüberschätzung, aber ihre Bedeutung ist gering.
  • Anglizismen, z. B. Wörter, die auf „-ing“ enden, lassen die Per­son­alen­twick­lung bereits über einen neuen Trend jubeln.
  • Ein paar kreative Übungen und pseudowis­senschaftliche Floskeln reichen heute aus, um Per­son­al­trainer zu werden.
  • Mo­ti­va­tion­smaßnahmen wie Feuerlaufen oder Pendeln beruhen auf Knall­ef­fek­ten und lassen keinerlei langfristige Wirkung erkennen.
  • Das Feedback von Persönlichkeit­stests hat immer das gleiche Muster: 70 % der Teilnehmer finden sich gut getroffen, 20 % einigermaßen und 10 % kaum.
  • Per­son­al­trainer sind vor allem darin erfolgreich, den Erfolg ihrer Arbeit zu suggerieren.
  • Wer den Konformitätsdruck unter den Teilnehmern ausnutzt, erhält auch für schlechte Seminare gute Noten.
  • Ob ein Training den erhofften Effekt bringt, hängt davon ab, ob es wis­senschaftlichen Kriterien standhält.
  • Der Anspruch, stets die besten Mitarbeiter zu rekrutieren, dient oft nur dem Ver­schleiern der eigenen begrenzten Möglichkeiten.
 

Zusammenfassung

All­machts­fan­tasien der Per­son­alen­twick­lung

In den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten, so scheint es, hat die Bedeutung der Per­son­alen­twick­lung innerhalb der Unternehmen permanent zugenommen. Per­son­al­abteilun­gen betrachten sich nicht mehr nur als Per­son­alver­wal­ter, sondern vor allem als Di­en­stleis­ter und Per­son­al­ber­ater. Der gestal­ter­ische Anteil ihrer Aufgaben, so die Selb­stein­schätzung, überwiegt die ad­min­is­tra­tiven Funktionen bei Weitem. Aber hält dieser hochgesteckte Anspruch auch der un­ternehmerischen Wirk­lichkeit stand? Kon­fron­tiert man die Beurteilung der HR-Leute mit Umfragen über die Bedeutung der Per­son­alen­twick­lung im Unternehmen, so lässt sich eine große Diskrepanz zwischen dem Selbstbild und der Einschätzung etwa aus Sicht der Geschäftsführung erkennen. Dies führt zu der Schlussfol­gerung: Die Per­son­alen­twick­lung neigt of­fen­sichtlich zur Selbstüberschätzung, und es ist an der Zeit, dass sie auf den Boden der Tatsachen zurückfindet.

Floskeln und Trends

Es scheint, als gäbe es eine unerschöpfliche Vielzahl neuer bedeutsamer Er­run­gen­schaften im Bereich der Per­son­alen­twick­lung. In Wirk­lichkeit aber sind viele dieser Neuen­twick­lun­gen lediglich neue Wortschöpfungen, hauptsächlich Anglizismen wie Wörter, die auf „-ing“ enden. Dabei fällt beispiel­sweise die inflationäre Vermehrung des Begriffs „Coaching“ auf. Ließen sich 1998 dazu noch 8000 Google-Einträge finden, so waren es 2004 acht Millionen und 2008 bereits über 80 Millionen. Bei den unzähligen Anbietern von Coachings, die es heute gibt, stellt sich die Frage, wie viele Trainer eigentlich von ihrem Beruf leben können. Die Wirk­lichkeit zeigt: kaum einer.

„Die Per­son­alen­twick­lung muss sich des man­nig­fachen verbalen, the­o­retis­chen und praktischen Gestrüpps entledigen, um zu einem archimedis­chen Punkt zu gelangen, an dem sie die Hebel zur Wirksamkeit ansetzen kann.“

Von einer ähnlich großen In­halt­sleere zeugen die Theorien und Modelle, die sich um den Begriff der „sozialen Kompetenz“ ranken. So findet man neben der Sozial- noch die Fach- und Meth­o­d­enkom­pe­tenz sowie deren Schnittmenge, die Hand­lungskom­pe­tenz. Damit nicht genug: Hinzu kommen Me­di­enkom­pe­tenz, Veränderungskom­pe­tenz etc. Grafisch lässt sich die Vielfalt der Kompetenzen heute schon nicht mehr sinnvoll darstellen.

„Häufig bezieht sich die Innovation im Bereich der Per­son­alen­twick­lung mehr auf Begriffsschöpfung und weniger auf Inhalte.“

Auch den so genannten Trends fehlt bei näherer Betrachtung oft die Substanz. Nach wie vor hält der Pro­jekt-Trend an. Man vergleiche nur den Unterschied in der Zahl der Zuschriften, die man erhält, wenn man statt der Stelle eines „Pro­jek­tierungsin­ge­nieurs“ die eines „Pro­jek­tin­ge­nieurs“ ausschreibt: Of­fen­sichtlich wollen selbst Ingenieure heute unbedingt ins Pro­jek­t­man­age­ment; für Pro­jek­tierung scheint sich dagegen kaum jemand zu in­ter­essieren, obwohl damit genau das Gleiche gemeint ist.

Wann ist ein Training gut?

Eine der gängigsten Methoden, als Trainer für seine Seminare gute Noten einzuheim­sen, ist das Ausnutzen des Konformitätsdrucks. Selbst Teilnehmer, die ein Seminar letztlich als wenig überzeugend beurteilen, beugen sich in der Regel diesem Druck, da sie nicht negativ auffallen möchten. Als Trainer befindet man sich hier in einem Dilemma: Wenn man vor allem auf ein positives Feedback der Teilnehmer Wert legt, so ist es oft besser, sie bei den Trainingsmaßnahmen nicht allzu sehr her­auszu­fordern. Will man jedoch tatsächlich Anstöße zur Weit­er­en­twick­lung geben, setzt man sich verstärkt der Gefahr einer negativen Bewertung aus. Ein positives Feedback zu erzielen, ist in der Regel nicht schwer, schließlich wird man durch den Effekt der Wirk­samkeitsüberzeugung unterstützt. Das bedeutet nichts anderes, als dass ein Sem­i­narteil­nehmer tatsächlich bessere Ergebnisse erzielt, wenn er das Gefühl hat, eine Situation bee­in­flussen zu können. Zurück im Beruf­sall­tag stellt sich dann aber allzu oft heraus, dass der Glaube, bestimmte Dinge im Griff zu haben, noch lange nicht dazu führt, dass man sie wirklich beherrscht. Auch was die Knall­ef­fekte betrifft, die viele Trainer in ihrem Repertoire haben, wird man rasch wieder von der Wirk­lichkeit eingeholt.

„Im Bereich der Per­son­alen­twick­lung wird sehr viel und sehr wirkungsvoll mit Sug­ges­tio­nen gearbeitet.“

Festzuhal­ten bleibt, dass allein die subjektive Einschätzung der Teilnehmer wenig über die Qualität eines Seminars aussagt. Kon­se­quenter­weise sollten Sie bereits vor einer geplanten Coaching- oder Train­ingsver­anstal­tung überprüfen, ob deren Maßnahmen einen wis­senschaftlich nach­weis­baren Effekt haben. Mithilfe dieser Vorab-Eval­u­a­tion kann man sich vor Trainingsmaßnahmen schützen, mit denen sich zwar alle Teilnehmer zufrieden zeigen, deren Wirksamkeit aber nach dem Ende des Seminars rasch verpufft.

Irrläufer und Knall­ef­fekte

Zu den immer wiederkehren­den Methoden, um Mitarbeiter von der Überlegen­heit der Psyche gegenüber der Realität zu überzeugen, gehört das Feuerlaufen. Dabei gilt es seit Langem als gesichert, dass Feuerlaufen (wenn man die richtigen Vo­raus­set­zun­gen und die richtige Lauftechnik dafür wählt) keinerlei Schmerzen erzeugt. Der Schmerzbewälti­gungsmech­a­nis­mus, der hier angeblich greifen soll, tritt also gar nicht in Aktion. Gleiches gilt für das Pendeln, wobei ein Pendel durch bloße Wil­len­skraft bewegt werden soll. Dieser Vorgang ist als so genannter Car­pen­ter-Ef­fekt schon lange bekannt. Das geheimnisumwit­terte Pendeln ist nur die Folge davon, dass Nerven bereits dann Impulse an die Muskeln weitergeben, wenn wir uns die Bewegung nur vorstellen. Eine andere oft benutzte Methode ist das Out­door­train­ing. Dabei werden einfache Übungen oft mit geradezu mythischen Dimensionen aufgeladen. Tatsache ist, dass ein Out­door­train­ing durchaus eine positive Wirksamkeit auf die Teamarbeit haben kann. Diese besteht vor allem darin, dass Interaktion Attraktion erzeugt: Der gemeinsam erworbene Er­fahrungss­chatz aus solchen Un­ternehmungen führt dazu, dass sich das Be­trieb­sklima verbessert.

Der Bar­num-Ef­fekt

Zu den er­staunlich­sten psy­chol­o­gis­chen Erken­nt­nis­sen zählt die Entdeckung des Bar­num-Ef­fekts. Er besagt, dass Tests, in denen das Persönlichkeit­spro­fil von Menschen ermittelt wird, in der Regel das im­mer­gle­iche Zus­tim­mungsmuster aufweisen, und zwar völlig unabhängig davon, wie der jeweilige Test bzw. das Persönlichkeit­spro­fil des jeweiligen Test­teil­nehmers beschaffen ist. Ganz gleich, wie sub­stanziell oder konkret das Profil auch ausfallen mag: Bei jedem Test fühlen sich 70 % der Teilnehmer „erstaunlich gut getroffen“, 20 % „ungefähr“ und 10 % „eher weniger“. Der Schluss, den man daraus ziehen muss: Der Nutzen eines Persönlichkeit­stests kann nicht nach den Aussagen oder der Zustimmung einzelner Teilnehmer beurteilt werden. Häufig nutzen solche Tests vor allem einem: dem, der sie verkauft. In der Praxis können Sie nur solchen Per­son­alen­twick­lungsmaßnahmen vertrauen, die auf fundierten wis­senschaftlichen Kennwerten wie Objektivität, Reliabilität und Validität beruhen.

Feld-Wald-und-Wiesen-Trainer

Es ist heute sehr einfach, sich als Trainer oder Per­son­al­ber­ater zu profilieren. Im Prinzip reicht es aus, eine Reihe von uni­versellen Übungen anzubieten, in denen die Kreativität und das praktische Denken der Sem­i­narteil­nehmer geprüft werden, z. B. die beliebte Turmbauübung oder die NASA-Übung. Des Weiteren ist es von Vorteil, sich einige ebenso universell verwendbare Be­rater­be­griffe zunutze zu machen, beispiel­sweise „prozes­sori­en­tiert“, „Eis­bergmod­ell“, „Lernfelder“ oder „Nach­haltigkeit“. Allzu kritischen Teilnehmern kann man mit dem Argument begegnen, sie seien nicht kom­mu­nika­tiv genug oder sie wären immer noch in ihren alten Denksch­ablo­nen verhaftet.

Prozess­ber­ater und Systemiker

Viele Berater profilieren sich mit­tler­weile als so genannte Prozess­ber­ater. Im Gegensatz zur eher autoritären Ex­perten­ber­atung, die auf die Verbreitung von Fachwissen und auf Ergeb­nisori­en­tierung setzt, will der Prozess­ber­ater keine fertigen Lösungen anbieten, sondern hält sich mit seiner Meinung zurück und konzen­tri­ert sich darauf, das Wissen der anderen zu nutzen. Wenig kompetente Berater haben einen Gegensatz der beiden Be­ratungs­for­men konstruiert. Dabei hat der Vater der Or­gan­i­sa­tion­spsy­cholo­gie, Edgar Schein, selbst betont, dass man beide Arten der Beratung beherrschen müsse, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Ähnliches gilt für die so genannte systemische Beratung, die gern in den Gegensatz zur linearen Be­tra­ch­tungsweise gestellt wird. Auch hier wird ein Begriff lediglich dazu benutzt, einen künstlichen Dualismus zu schaffen, der sich aber in der Praxis weitgehend in nichts auflöst.

Rekru­tierung von Führungskräften

Vereinfacht dargestellt, gibt es zwei Arten der Rekru­tierung von Führungskräften, nämlich In­fil­tra­tion und Kooptation. Bei der In­fil­tra­tion werden die Bewerber nach fest­gelegten Kriterien ausgewählt. Diese orientieren sich in der Regel vor allem an Bildungs- und Wis­sens­stan­dards. Die Auswahl wird nicht von Mitgliedern der Elite (z. B. der Geschäftsführung), sondern hauptsächlich von Mittelsmännern im Per­son­al­we­sen vorgenommen. Die Bedeutung der In­fil­tra­tion wird allerdings häufig überschätzt. Viel wichtiger ist die Kooptation, bei der die Elite die Selektion selbst vornimmt. Die kooptativen Aspekte spielen bei der Rekru­tierung von neuen Eliten eine größere Rolle als Wissen und Bildung. Das heißt: Für Führungspo­si­tio­nen werden Mitarbeiter bevorzugt, die bereits eine hohe Anzahl von übere­in­stim­menden Merkmalen mit der Elite aufweisen, also z. B. Bewerber, die aus einer höheren sozialen Schicht stammen. Die Per­son­alen­twick­lung wird nur deshalb mit ins Boot genommen, um die – im Grunde längst getroffene – Auswahl im Nachhinein zu recht­fer­ti­gen.

Poten­zialein­schätzung

Ein zentraler Bestandteil der Rekru­tierung von Führungskräften ist die so genannte Poten­zialein­schätzung. Der selbst erhobene Anspruch, stets die besten Mitarbeiter zu rekrutieren, dient dabei jedoch oft nur dem Ver­schleiern der eigenen, begrenzten Möglichkeiten. Eine Poten­zialein­schätzung lässt eher Rückschlüsse auf den Beurteilen­den zu, als dass man mit ihr auch nur annähernd die Fähigkeiten des Bewerbers objektiv beurteilen kann. Wer als Per­son­alen­twick­ler ernsthaft behaupten will, Bewerber nach ihrer Leistungsfähigkeit auszuwählen, leidet of­fen­sichtlich unter Realitätsverlust.

Mythos Teamwork

Ein immer noch nicht ganz entza­uberter Mythos ist der von der Effektivität der Grup­pe­nar­beit. Er stammt aus den 70er Jahren, als Teamwork aus ide­ol­o­gis­chen Gründen dem Einzelkämpfertum vorgezogen wurde. Seitdem hat sich die Mär von der gemeinsamen Stärke durch eine Reihe von sozialpsy­chol­o­gis­chen Un­ter­suchun­gen verflüchtigt bzw. in ihr Gegenteil verkehrt. Der so genannte Ringel­mann-Ef­fekt ist sogar bereits seit Anfang des 20. Jahrhun­derts bekannt. Anhand von Beispielen aus den ver­schieden­sten Bereichen konnte nachgewiesen werden, dass eine Grup­penge­samtleis­tung immer geringer ausfällt als die Addition der Einzelleis­tun­gen.

Fazit

Weite Teile der Per­son­alen­twick­lung funk­tion­ieren wie Nebelkerzen. Würde sie tatsächlich die Befugnisse haben, die ihr gele­gentlich zuge­sprochen werden (etwa die Besetzung von Führungspo­si­tio­nen), dann wäre ihre Macht innerhalb der Unternehmen in der Tat immens. In der Realität ist sie jedoch meilenweit davon entfernt. Um diesen Anspruch dennoch aufrechtzuer­hal­ten, bedient sie sich einer Vielzahl von Sug­ges­tio­nen und pseudowis­senschaftlichen Modellen und Methoden, die allein darauf abzielen, die eigene Bedeutung abzusichern oder zu erhöhen. Damit gelingt es der Per­son­alen­twick­lung, ihre Macht­losigkeit innerhalb der eigenen Or­gan­i­sa­tion nach außen zu vernebeln und nach innen die Unfähigkeit zu ver­schleiern, tatsächlich Personal zu entwickeln.

Über den Autor

Eberhardt Hofmann ist Arbeits-, Betriebs- und Or­gan­i­sa­tion­spsy­chologe. Er hat als Gutachter für Aus- und Weit­er­bil­dung beim TÜV gearbeitet und war als Per­son­alen­twick­ler in der Au­to­mo­bil­branche tätig. Außerdem hatte er Lehraufträge an mehreren Hochschulen.