Arbeit tut gut
Die meisten Menschen arbeiten. Nicht jeder tut das gerne, aber grundsätzlich gilt: Der tägliche Gang in die Fabrik oder ins Büro sichert nicht nur den Lebensunterhalt, sondern befriedigt auch das menschliche Bedürfnis nach Aktivität. Der Wissenschaftler Mihalyi Csikszentmihalyi hat herausgefunden, dass wir einen so genannten Flow erleben, wenn wir etwas tun, was wir gut können und was uns in einem positiven Sinn herausfordert. Arbeit kann aber auch über den Moment hinaus glücklich machen:
- Wer arbeitet, bleibt flexibel. Er lernt dazu und erwirbt neue Fähigkeiten.
- Arbeit strukturiert unsere Zeit. Sie gibt Tagen, Wochen, Jahren, der gesamten Lebensplanung einen Rahmen.
- Berufstätige haben mehr soziale Kontakte.
- Arbeit vermittelt ein Gefühl der Nützlichkeit, des Gebrauchtwerdens.
- Ein Job definiert das Selbstbild mit.
„Neben der Sicherung der materiellen Basis hat Arbeit positive Wirkungen für das einzelne Individuum in soziokultureller, gesellschaftlicher und psychosozialer Hinsicht.“
Erwerbslose haben oft weniger soziale Kontakte und ein niedrigeres Selbstwertgefühl als Berufstätige. Die Suizidrate bei Langzeitarbeitslosen ist erhöht.
Burn-out: nur noch funktionieren
Arbeit kann aber auch krank machen. Früher ruinierten Bergleute und Fabrikarbeiter dadurch ihr Kreuz und ihre Lungen. Heute kommen zu körperlichen Problemen psychische dazu. Prominentestes Beispiel: das Burn-out-Syndrom. Übersetzt ins Deutsche bedeutet Burn-out: ausgebrannt sein. Genau so fühlen sich die Betroffenen: überfordert, kraftlos, leer. Die Krankheit entwickelt sich schleichend und ähnelt anderen psychischen Verstimmungen. Das erschwert die Diagnose. Treffen kann es jeden und jede: Manager ebenso wie Menschen in sozialen Berufen oder Hausfrauen. Die Betroffenen leiden u. a. an folgenden Symptomen:
- Müdigkeit, Lustlosigkeit, fehlende Lebensfreude und Energie. Die Arbeit ödet einen nur noch an.
- Unfähigkeit zur Entspannung und Dauerstress mit Reaktionen wie Kopf- und Bauchweh, Schlaflosigkeit oder Verspannungen.
- Leistungseinbußen und höhere Fehlerquote mit Selbstzweifeln als Folge.
- Aggressivität, Zynismus, fehlendes Einfühlungsvermögen. Kunden und Kollegen gehen einem auf den Wecker.
„Wir brauchen starke Herausforderungen, die uns aus dem durchschnittlichen Alltagserleben ‚herausreißen‘, etwa in Form neuer Aufgaben oder Projekte.“
Ein typisches Burn-out verläuft in den folgenden Phasen: Zuerst will sich jemand beweisen, engagiert sich stärker als üblich und vernachlässigt seine Bedürfnisse. Er spürt zwar, dass etwas nicht stimmt, doch das verdrängt er ebenso, wie er Konflikten aus dem Weg geht. Die persönlichen Prioritäten verschieben sich: Überstunden sind plötzlich viel wichtiger als die Zeit mit der Familie oder mit Freunden. Das führt zwangsläufig zu Problemen. Die werden aber geleugnet, und der Betroffene zieht sich immer mehr zurück. Schließlich verliert er auch den Kontakt zu sich selbst, spürt sich nicht mehr und funktioniert nur noch als Rädchen im Getriebe. Die sich ausbreitende Leere endet in einer Depression und mit dem Gefühl, das Leben sei sinnlos.
Ursachen für ein Burn-out
Es gibt keine Veranlagung zum Burn-out, aber Charakterzüge, die es begünstigen. Meistens trifft es Typen, die viel von sich fordern, perfekt sein möchten, nach Anerkennung lechzen und nicht wissen, wie sie Stress bewältigen sollen. Immer sind jedoch auch die Umstände am Arbeitsplatz beteiligt. Die Heilung ist deshalb ein interaktiver Prozess. Kranke müssen ihre Einstellung überprüfen, Chefs Strukturen im Arbeitsalltag verändern. Das ist schwierig, teuer und langwierig. Am besten ist es, dem Burn-out gar nicht erst eine Chance zu geben. Die Waffe: persönliches und betriebliches Ressourcenmanagement.
„In unserem gesellschaftlichen System kann das berufliche Tätigsein ein wesentlicher sinnstiftender Aspekt sein.“
Im Gegensatz zu kranken Menschen vertragen gesunde Stress besser und sind leistungsfähiger. Gesund zu sein bedeutet allerdings für jeden etwas anderes. Der eine geht mit Schnupfen ins Bett, der andere ins Büro. Ob Sie sich gesund fühlen, hängt auch von dem Ergebnis ab, zu dem Sie im Vergleich mit anderen kommen. Wer beim Sport oder im Job mit anderen mithalten kann, fühlt sich fit und gesund. Gesundheit ist ein dynamischer Prozess. Wir fühlen uns immer wieder anders und pendeln zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite geben Ressourcen Energie, auf der anderen zehren Belastungen an uns.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir in unserem alltäglichen Verhalten Rücksicht nehmen auf unser ureigenes durchschnittliches Funktionsniveau, das einen minimalen, d. h. optimalen Energieaufwand sicherstellt und dadurch auch für die Leistungserbringung optimal ist.“
Jeder Mensch spielt mehrere Rollen, im Beruf, in der Familie und in der Freizeit. Seine verschiedenen „Bühnen“ beeinflussen ihn und sein Leben. Was er im Arbeitsalltag erlebt, wirkt auch auf sein Privatleben und umgekehrt. Was uns belastet, ist allerdings von Person zu Person verschieden. Am Arbeitsplatz fühlen sich Menschen vor allem gestresst, wenn sie:
- überfordert sind,
- keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen,
- sich ausgeschlossen fühlen,
- wenig Handlungsspielraum haben,
- unter Zeitdruck stehen,
- zu lange, nachts oder in Schichten arbeiten,
- einer schädlichen Umgebung ausgesetzt sind oder an nicht ergonomischen Arbeitsplätzen sitzen,
- unter Mobbing leiden,
- ständig unterbrochen werden,
- nicht wertgeschätzt werden oder
- Angst um den Arbeitsplatz haben.
Ressourcen managen
Das Ressourcen-Belastungs-Regulations-Modell veranschaulicht das Zusammenspiel von Dingen, die Kraft kosten (Belastungen), und solchen, die Kraft spenden (Ressourcen). Ihr Ziel sollte es sein, private und berufliche Ressourcen zu stärken und gleichzeitig die Belastungen zu regulieren. Mit einer guten Ressourcenbasis lassen sich stressige Phasen im Job besser ertragen.
„Der Wechsel erst ermöglicht ein frisches Wiedereinsteigen (z. B. in das Arbeitsfeld) mit neuem Elan, vielleicht mit neuen Ideen und Lösungen – unterstützt gerade durch die Distanznahme und das Eintauchen in eine ‚andere Welt‘.“
Jeder Mensch verfügt über verschiedene persönliche Ressourcen, die sich gegenseitig beeinflussen. Dazu gehört körperliche Fitness. Sie lässt sich steigern und erhalten, indem Sie vernünftig essen und Sport treiben. Psychische Ressourcen wie Zuversicht und der Glaube daran, dass das Leben einen Sinn hat, können während des Arbeitens gestärkt werden, aber auch, wenn Sie Zeit für Ihre Familie oder für ein Hobby aufwenden. Ihre Lebenserfahrung wiederum ist eine Wissens- und Handlungsressource.
„Zwischen den Individuen in Arbeitsteams, ebenso zwischen Teams und Abteilungen, findet ein ständiger Transfer von Ressourcen statt.“
Daneben gibt es Ressourcen, die nicht in Ihrer Person selbst liegen, sondern in Ihrem Umfeld. Dazu gehören etwa finanzielle Sicherheit, eine Wohnung, in der man sich wohlfühlt, ein gutes Verhältnis zu Nachbarn und Kollegen und Bewegung an der frischen Luft.
Zu den wichtigsten Ressourcen am Arbeitsplatz gehören:
- eine ergonomische Gestaltung mit angenehmer Temperatur, ansprechenden Räumen und gutem Licht,
- die richtigen Arbeitsutensilien,
- die Freiheit, gewisse Dinge selbst zu entscheiden,
- Firmenwerte, die von Vorgesetzten und Kollegen vorgelebt werden,
- Anerkennung, Wertschätzung und Fehlertoleranz,
- sinnvolle Pausenregelungen und
- Angebote, die dem leiblichen Wohl dienen: eine Kantine oder die Möglichkeit, in Pausen im Betriebspark spazieren zu gehen.
Schwachstellen im Betrieb finden
Wie Mitarbeiter sich selbst, die Situation am Arbeitsplatz und die Betriebskultur erleben, kann mit einem Individual-Ressourcen-, Betriebs-Ressourcen- und Kultur-Ressourcen-Profil grafisch abgebildet werden. Je nachdem, welche Aspekte in einer Abteilung wichtig sind, werden Fragen abgeleitet, z. B. „Kann man Mitteilungen der Organisationsleitung trauen?“, „Werden Abstimmungsprobleme schnell gelöst?“ oder „Wird die Entwicklung jedes Einzelnen gefördert?“. Aus den Antworten der Mitarbeiter (Wertungen von eins bis fünf) entstehen Profile. Diese legen offen, wo Ressourcen gestärkt werden müssen und wer überfordert, gelangweilt oder Burn-out-gefährdet ist.
„Es müssen immer sowohl die persönlichen/privaten als auch die Arbeitsfeld-Faktoren bei Diagnose, Interventionsplanung und Burn-out-Interventionen einbezogen werden.“
Wird der Ressourcenaustausch in Teams untersucht, müssen sich die Kollegen gegenseitig vertrauen. Jeder muss frei entscheiden dürfen, ob er sein persönliches Ressourcen-Profil den anderen zeigt oder nicht. Die Mitglieder eines Teams beeinflussen sich. Entweder sie unterstützen sich gegenseitig – dann spricht man von einem Winner-Winner-Transfer, dem Idealfall –, oder sie ziehen sich gegenseitig runter. Diese Situation, ein Loser-Loser-Transfer, kommt leider oft vor. Die einzelnen Personen glauben dabei, sie würden gewinnen, wenn sie Hahnenkämpfe austragen oder intrigieren. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall. Beim Winner-Loser-Transfer schließlich lebt eine Person auf Kosten einer anderen. Zum Beispiel wenn der Chef entspannt nach Hause geht und der überlasteten Sekretärin Arbeitsberge hinterlässt. Die wäre schon längst weg, wenn sie ihren Vorgesetzten als Menschen nicht so schätzen würde – auch das ist eine Ressource.
Gegen Burn-out vorgehen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Burn-out zu verhindern, zu beeinflussen und zu heilen. Im Idealfall ist das Ressourcenmanagement in der Unternehmensstrategie verankert und die Arbeitsplätze sind so gestaltet, dass es gar nicht erst zu einem Burn-out kommen kann. Wenn sich die Krankheit bei einem Mitarbeiter ankündigt, lässt sie sich je nachdem, in welcher Phase er steckt, noch abwenden. Ist es aber zu spät, brauchen ausgebrannte Menschen eine maßgeschneiderte Therapie und professionelle Hilfe von außen.
„Durch ein gezieltes persönliches Ressourcen-Management und professionelles Anpacken der organisationalen Veränderungen im Arbeitsfeld können Dysbalancen vermieden werden.“
Derzeit ist sowohl die Diagnose als auch die Behandlung von Burn-out alles andere als differenziert. Ärzte legen sich in der Regel zu früh auf eine bestimmte Diagnose fest, stellen die Menschen mit Psychopharmaka ruhig und schicken sie in eine Auszeit. Kehren die Betroffenen dann an ihren kaum veränderten Arbeitsplatz zurück, fühlen sie sich fremd und verunsichert und sind erst recht anfällig für Krankheiten. Oft genügt es, dass Mitarbeiter ihr Arbeitspensum reduzieren oder neue Aufgaben übernehmen, die besser für sie geeignet sind. Ist eine Auszeit aber der einzige Ausweg, müssen Angestellte sicher sein, ihren Job behalten zu dürfen. Sie sollten in dieser Zeit ihr Privatleben neu ordnen, Freunde treffen oder neue Hobbys für sich entdecken. Daraus lässt sich wieder Kraft schöpfen.