Aufsichtsratreporting

Buch Aufsichtsratreporting

Corporate Governance, Compliance und Controlling

Vahlen,


Rezension

Das Non­plusul­tra der Un­ternehmensführung ist offenbar noch nicht gefunden. Das wird gerade in Zeiten der Finanzkrise deutlich, die ja zu einem großen Teil – wenn nicht gar zur Gänze – auf mangelnde Voraussicht und fehlendes Ve­r­ant­wor­tungs­be­wusst­sein der Entschei­dungsträger zurückzuführen ist. Im Buch von Marc Diederichs und Martin Kißler wird der Konflikt zwischen Überwachung­sor­gan (Auf­sicht­srat) und ausführendem Organ (Management) in all seinen Facetten beschrieben. Die Be­stand­sauf­nahme fällt im Großen und Ganzen ernüchternd aus. Rund zwei Drittel des Buches befassen sich mit dem Status quo – dabei liegt schon nach wenigen Seiten das Grund­satzprob­lem auf dem Tisch. Im Schlusskapi­tel liefern die Autoren dann doch noch einen Vorschlag, wie ein System zur Information des Auf­sicht­srats aussehen könnte. Obwohl das Buch in sehr schwerfälligem akademis­chem Stil verfasst ist, dürfte es aufgrund seiner Detailschärfe und Ausführlichkeit zu einem der maßgeblichen Nach­schlagew­erke in puncto Auf­sicht­sra­tre­port­ing avancieren. BooksInShort empfiehlt es allen un­ternehmerischen Entschei­dungsträgern.

Take-aways

  • Die Un­ternehmensführung in Deutschland ist dual: Sie besteht aus Management und Auf­sicht­srat.
  • Der Auf­sicht­srat überwacht die Geschäftsführung nach den Maßstäben Wirtschaftlichkeit, Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit.
  • Zwischen jeder überwachen­den und jeder ausführenden Instanz herrschen In­for­ma­tion­sun­gle­ichgewichte.
  • Das zu überwachende Organ ist angehalten, Berichte zur eigenen Überwachung zu liefern – ein klarer In­ter­essenkon­flikt.
  • Gesetzliche Vorgaben können diese Asymmetrie nicht oder nur teilweise beheben.
  • Eine Antwort auf diese Situation ist der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK).
  • Der DCGK gilt als „weiches Gesetz“ und beinhaltet sowohl gesetzliche Regelungen als auch Ver­hal­tensempfehlun­gen.
  • Der Kodex setzt auf die Macht des Marktes: Ab­we­ichun­gen bestraft der Aktienmarkt notfalls mit Kursabschlägen.
  • Ziel­gerichtetes Controlling hilft dabei, die notwendigen In­for­ma­tio­nen für den Auf­sicht­srat bere­itzustellen.
  • Optimal wäre ein regelmäßiges, in sich geschlossenes Berichtssys­tem eigens für den Auf­sicht­srat.
 

Zusammenfassung

Der Teufel steckt im Detail

Unregelmäßigkeiten in den Un­ternehmen­szahlen aufzudecken gehört zu den vorrangigen Aufgaben eines Auf­sicht­srats. Sollte man jedenfalls meinen. Zahlreiche Pannen kommen jedoch nie ans Tageslicht, weil sich Aufseher und Beauf­sichtigte aus Imagegründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verständigen. In der Theorie ist das deutsche duale System, bestehend aus der Un­ternehmensführung einerseits und dem Auf­sicht­srat an­der­er­seits, zwar sehr ausgeklügelt, und das vom Gesetz gesponnene Netz ist engmaschig genug. Der Teufel steckt aber im Detail, und das heißt: in der Praxis.

Mehr als reiner Selbstzweck

Die materiellen und gesellschaftlichen Kosten spektakulärer Insolvenzen der großen börsen­notierten Unternehmen bilden die Schat­ten­seite eines naturgemäß un­vol­lkomme­nen Systems. Zu berücksichtigen sind auch die durch entgangene Gewinne ent­stande­nen Opportunitätskosten, die zu vermeiden gewesen wären, hätten die Aufseher früher bzw. überhaupt reagiert. Das Haupt­prob­lem des heutigen Un­ternehmer­tums ist die Prinzi­pal-Agent-Beziehung – dies, obwohl man die Trennung von Un­ternehmen­seigen­tum und Un­ternehmensführung einst noch als Conditio sine qua non feierte. Heute weiß man, dass zwischen jeder überwachen­den Instanz (Prinzipal) und jeder ausführenden Instanz (Agent) In­for­ma­tion­sun­gle­ichgewichte herrschen, gegen die beinahe jedes gesetzliche Korsett wirkungslos bleibt. Diese Erkenntnis war die Geburtsstunde der deutschen Diskussion um die Corporate Governance, die „gute Un­ternehmensführung“. Deren Hauptzweck ist es, dass das Mehr an Information, das von Rechts wegen nicht einge­fordert werden kann, freiwillig zur Verfügung gestellt wird.

Veränderungs­druck

Heute ist Corporate Governance eines der meist­disku­tierten Man­age­ment­the­men. Und das verwundert nicht: Einze­lak­tionäre gewinnen zunehmend an Einfluss, auch in tra­di­tion­sre­ichen Fam­i­lienun­ternehmen; Schieflagen zahlreicher Gesellschaften werden mit man­gel­hafter Aufsicht in Verbindung gebracht; Un­ternehmen­skrisen provozieren eine steigende Aufmerk­samkeit der Medien; und schließlich versuchen sich deutsche Unternehmen in ihren Fi­nanzierungsstrate­gien dem Usus an den in­ter­na­tionalen Finanzmärkten anzupassen.

Historisch gewachsen

Der Cor­po­rate-Gov­er­nance-Ansatz musste sich im Lauf der Jahre erst her­aus­bilden. Schließlich war der Eigentümer eines Un­ternehmens in be­trieb­swirtschaftlichen Urzeiten meistens auch Geschäftsführer – eine Kon­stel­la­tion, die heute längst keine Allgemeingültigkeit mehr beanspruchen kann. Aus dem angelsächsischen Raum stammt die Maxime des Share­holder-Value, der die Steigerung des Marktwerts des Un­ternehmens als oberstes Ziel postuliert. Damit steht der An­teil­seigner im Mittelpunkt des Interesses.

„Die gesamte Volk­swirtschaft wird letztlich davon profitieren, wenn der stärkste Gov­er­nance-Mech­a­nis­mus – die Überwachung durch den Auf­sicht­srat – zur vollen Entfaltung kommt.“

In Deutschland jedoch stieß dieses Reizthema schnell auf Widerstände. Unternehmen dis­tanzierten sich zusehends vom Share­holder-Value-Ansatz, was vom deutschen Gesetzgeber unterstützt wurde. Die deutsche Antwort darauf ist der Stake­holder-Ansatz, der alle Anspruchs­grup­pen berücksichtigt, so etwa auch Ar­beit­nehmer und Zulieferer. Das Ziel ist nicht mehr allein die Maximierung des Markwerts, sondern auch die gerechte Verteilung der Werte auf die Anspruchs­berechtigten. Beide Ansätze – Shareholder und Stakeholder – laufen zusammen im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK).

DCGK

Corporate Governance ist in Deutschland gesetzlich definiert. Das 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Un­ternehmens­bere­ich (KonTraG) sollte die sichtbaren Mängel bei der Umsetzung von Sorgfalt­spflichten regeln. Vo­raus­ge­gan­gen waren auf­se­hen­erre­gende Un­ternehmens­de­bakel etwa der Met­allge­sellschaft. Eine weitere Krise – dieses Mal die Schieflage der Holzmann AG – rief im Jahr 2000 die Regierungskom­mis­sion Corporate Governance auf den Plan. Die von der Kommission er­ar­beit­eten Vorschläge sahen im Wesentlichen vor, den Auf­sicht­srat stärker in die Pflicht zu nehmen, ihn aber auch besser zu informieren. Der Deutsche Corporate Governance Kodex wurde vom Bun­desk­abi­nett gebilligt.

Das unsichtbare Damok­less­chw­ert

Der Kodex enthält sowohl gesetzliche Regelungen als auch Ver­hal­tensempfehlun­gen und Anregungen. Bei Empfehlun­gen verwendet er das Wort „soll“, bei Anregungen „sollte“ oder „kann“. Vorstand und Auf­sicht­srat börsen­notierter Gesellschaften müssen jährlich eine Entsprechungserklärung abgeben, in der erläutert wird, ob man dem DCGK gefolgt ist. Innerhalb der Erklärung legt das Unternehmen dar, wo der Kodex eingehalten und warum an anderen Stellen möglicher­weise von ihm abgewichen wurde. Begründungen für Ab­we­ichun­gen werden vom Gesetz jedoch nicht verlangt. Allerdings hat sich die Praxis durchge­setzt, aus In­vestor-Re­la­tions-Gründen sehr wohl zu Ab­we­ichun­gen ausführlich Stellung zu nehmen. Ein Abschlussprüfer kon­trol­liert dann nur noch die formale Richtigkeit der Entsprechenserklärung. Was geschieht nun aber bei Ab­we­ichun­gen? Als „weiches Gesetz“ vertraut der DCGK auf die unsichtbare Macht des Marktes, d. h. darauf, dass Investoren diejenigen Unternehmen via Börse mit Kursabschlägen bestrafen, die sich nicht oder nicht hinreichend an den Kodex halten.

Nicht auf Lücke setzen

Der DCGK zeitigte durchaus gewisse Erfolge – oder zumindest Veränderungen. Die in den vergangenen Jahren zu beobach­t­ende stärkere Einbindung des Auf­sicht­srats in die operativen Entschei­dung­sprozesse der Unternehmen wird auf den Einfluss des Kodex zurückgeführt. Dies spiegelt die Abkehr von der herkömmlichen reinen Er­fol­gskon­trolle wider. Die In­for­ma­tionsver­sorgung des Auf­sicht­srats bleibt indes das große Manko. Die Frage ist: Muss er sich die In­for­ma­tio­nen holen, oder darf er erwarten, dass der Vorstand sie ihm von sich aus liefert? Die Her­aus­forderung für beide Seiten lautet, den objektiv er­forder­lichen In­for­ma­tions­be­darf zu konkretisieren. So möchten weder Vorstand noch Auf­sicht­srat am Ende mit einer In­for­ma­tions­beschaf­fung befasst sein, bei denen die Daten weder vorhanden noch überhaupt nachgefragt und womöglich gar nicht er­forder­lich sind.

„Der Auf­sicht­srat als Spar­ringspart­ner des Vorstands ist auch für die volk­swirtschaftliche Wohlfahrt mitver­ant­wortlich.“

Mehrere Hindernisse können die Arbeit erschweren:

  • In­for­ma­tions­block­ade: Der Vorstand liefert die notwendigen In­for­ma­tio­nen nur unvollständig, zu spät oder nicht qualitativ ausreichend.
  • Unkenntnis des In­for­ma­tion­sanspruchs: Der Auf­sicht­srat kann selbst nicht genau definieren, welche In­for­ma­tio­nen er erhalten möchte.
  • Subjektives Zufrieden­heits­gefühl: Vorstand und Auf­sicht­srat scheinen zufriedengestellt, obwohl die In­for­ma­tionsver­sorgung nicht ausreichend ist.
  • Mangelnde Relevanz und Qualität von In­for­ma­tio­nen: Lieferant und Empfänger von In­for­ma­tio­nen schätzen deren Bedeutung falsch ein.

Die vier Säulen der Überwachungstätigkeit

Der Auf­sicht­srat kon­trol­liert die Geschäftsführung nach vier Maßstäben:

  • Wirtschaftlichkeit,
  • Rechtmäßigkeit,
  • Ordnungsmäßigkeit,
  • Zweckmäßigkeit.
„Sowohl seitens des Eigenkap­i­tal­markts als auch des Fremd­kap­i­tal­markts sind keine aus­re­ichen­den Impulse bezüglich der Corporate Governance zu erwarten.“

Mit Beachtung der Wirtschaftlichkeit wird die Kosten-Erlös-Situation ins Auge gefasst; Rechtmäßigkeit ist die essenzielle Grundlage der Existenz eines Un­ternehmens; ordnungsgemäß handelt der Vorstand, wenn er bei seinen Entschei­dun­gen die Verfahrens- und die kaufmännischen Sorgfalt­spflichten beachtet; und zweckmäßig sind Handlungen, wenn sie als plausibel gelten und einer inneren Fol­gerichtigkeit Genüge tun.

„Auch dort, wo der Kodex geltendes Recht beschreibt, gibt er dem Ziel leichter Verständlichkeit den Vorrang vor ju­ris­tis­cher Präzision.“

Kann sich der Auf­sicht­srat auf eine umfassende In­formierung durch den Vorstand verlassen? Natürlich nicht. Die Erklärung dafür ist einfach: Das zu überwachende geschäftsführende Organ ist angehalten, Berichte zur eigenen Überwachung zu liefern – womit ein eindeutiger In­ter­essenkon­flikt vorliegt. Hinzu kommt die ohnehin nicht zu vermeidende Wis­sensasym­me­trie zwischen der Geschäftsführung und dem Überwachungs­gremium, das von dieser beauf­sichtigt werden soll.

Vertrauen ist gut, Controlling ist besser

Controlling hilft dabei, die notwendigen In­for­ma­tio­nen zu generieren; es ist die Basis der In­for­ma­tionsver­sorgung. Seine Aufgaben sind das führung­sori­en­tierte Rech­nungswe­sen, die Ko­or­di­na­tion der Bud­getierung, Planung und Reporting, Risiko­man­age­ment und -con­trol­ling sowie die wer­to­ri­en­tierte Un­ternehmensführung. Das Controlling stellt sicher, dass die Ziele des Managements gesetzt, so effizient wie möglich erreicht und durch die Bere­it­stel­lung der er­forder­lichen In­for­ma­tions­ba­sis begleitet werden. So analysiert das Controlling den In­for­ma­tions- und Daten­ver­ar­beitungs­be­darf und entwickelt konkrete Konzepte sowie prob­lem­be­zo­gene Auswer­tun­gen.

„Die mit der Überwachung durch den Auf­sicht­srat verbundenen Erwartungen zur Verbesserung der Corporate Governance können in der praktischen Umsetzung derzeit noch nicht als erfüllt angesehen werden.“

Die exakte praktische Umsetzung ist Gegenstand zahlreicher Diskus­sio­nen. Der Kern der Sache besteht darin, dass dem Management steuerungsrel­e­vante In­for­ma­tio­nen bere­it­gestellt werden, auf deren Grundlage dieses ziel­gerichtete Entschei­dun­gen treffen kann. Dazu müssen Planung und Kontrolle Hand in Hand gehen, z. B. durch einen Soll-Ist-Ver­gle­ich, durch einen Vergleich von Mittelverfügbarkeit und Mit­telver­wen­dung oder durch einen Vergleich von Maßnahmen und Wirkungen.

Sys­temver­sagen beheben

Der DCGK hat zwar einige Pluspunkte, doch bei der praktischen Umsetzung der Überwachungstätigkeit hapert es noch oft. Eine Verbesserung wäre ein in sich geschlossenes Berichtssys­tem, dessen Hauptziele das Schließen der In­for­ma­tions­de­fizite einerseits und die Verstärkung der Steuerungsmöglichkeiten durch den Auf­sicht­srat an­der­er­seits sind. Als Überbau dient die strate­gis­che Planung, eine Art Übereinkunft zwischen Vorstand und Auf­sicht­srat. Sie bildet den Rahmen für die operative Un­ternehmen­spla­nung, die wiederum ihre operativen Ziele in eine Chan­cen-Risiken-Ma­trix einspeist, in die auch die strate­gis­chen Ziele eingetragen werden.

„Wenn wir einen kleinen Beitrag zur kritischen Selb­stre­flex­ion einiger Aufsichtsräte leisten können, hat sich der Einsatz gelohnt.“

Die so entstehende Bal­anced-Chance-and-Risk-Card als Kom­mu­nika­tions- und Steuerungse­le­ment enthält Messgrößen zur Ziel­er­re­ichung sowie strate­gis­che Maßnahmen und Initiativen. Sie dient als Grundlage für die Berück­sich­ti­gung der Chancen- und Risikoabwägungen, wie sie andauernd in der operativen Un­ternehmensführung vorgenommen werden müssen. Ihre zentrale Zielgröße ist der Un­ternehmenswert. Somit kann die BCR-Card als kom­men­tierter Bericht, der mit aus­re­ichen­dem Vorlauf vor regelmäßigen Sitzungen des Auf­sicht­srats erstellt wird, die In­for­ma­tions­de­fizite zu beheben helfen – natürlich zusätzlich zum Geschäftsbericht, zur Bilanz und zur Gewinn- und Ver­lus­trech­nung.

Über die Autoren

Dr. Marc Diederichs ist Leiter des Risiko­man­age­ments der Beiersdorf AG. Martin Kißler ist Un­ternehmens­ber­ater der Controlling Innovations Center GmbH.