Klimaschutz – mehr als nur ein Modethema
In Deutschland gilt es allgemein als chic, sich für den Klimaschutz zu engagieren. Es gibt sogar bereits „Ökostromwechselpartys“. Andererseits schimpfen viele – vor allem Feuilletonisten – auf den Trend zum Ökolifestyle und kritisieren diesen als quasi-religiöse Haltung. Das Thema Klimawandel sollte aber lieber ohne derlei Emotionen betrachtet werden. Die Klimaveränderung ist sehr wahrscheinlich zu einem großen Teil durch den Menschen verursacht, und es wird ziemlich sicher fatale Auswirkungen haben, wenn wir unser Klimabewusstsein nicht bald drastisch überdenken. Nüchtern und wissenschaftlich gesehen, sollten wir daher die Kohlendioxid-Emissionen senken. Das muss nicht dazu führen, dass wir und zukünftige Generationen unseren Lebensstil einschränken müssen. Beides ist möglich: klimaneutrales und komfortables Leben.
Die Wahrscheinlichkeit des Klimawandels
Wissenschaftler hantieren in der Klimadebatte häufig mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen, also mit mehr oder weniger vagen Zukunftsprognosen. Die errechneten hohen Wahrscheinlichkeiten für eine globale Erwärmung sind ein unumstrittener Beleg für den Klimawandel. Dass es dennoch rechnerisch – wie bei Wahrscheinlichkeitsrechnungen üblich – gleichzeitig eine gewisse Wahrscheinlichkeit für gar keine Klimaveränderung gibt, ist zu vernachlässigen, denn diese Wahrscheinlichkeit ist wesentlich geringer.
„Beim Thema Klima muss man Sorge haben, dass die Leute nicht mit Messern aufeinander losgehen.“
Eine Quelle der Wahrscheinlichkeitsrechnungen ist das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Diese Organisation, in der inzwischen rund 7000 Wissenschaftler mitarbeiten, sammelt die weltweit beobachteten Symptome von Klimaveränderungen. Dabei werden auch kritische Stimmen berücksichtigt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die IPCC-Prognosen nicht mit hundertprozentiger Sicherheit abgegeben werden können. Die Aussage, dass der größte Teil der bisherigen Klimaerwärmung von Menschen gemacht wurde, rangiert bei einer Wahrscheinlichkeit von 90–95 %. Meistens sind nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Prognosen umstritten, sondern die daraus zu ziehenden Schlüsse. Es ist aber nicht nur vernünftiger, Klimaschutz zu betreiben, sondern auch billiger. Wenn wir früh genug damit anfangen, können wir unter dem Strich sogar davon profitieren.
Wärmeres Klima ist kein Segen
Erinnern Sie sich noch an das Spiegel-Titelbild mit dem Kölner Dom unter Wasser? So warnte das Nachrichtenmagazin bereits 1986 vor der Klimakatastrophe. Eine derartige Panikmache ist kontraproduktiv. Sie lähmt die Menschen, indem sie ihnen den Weltuntergang als unvermeidliche Tatsache präsentiert. Die Sachlichkeit der öffentlichen Debatte wird aber auch dadurch verfälscht, dass Studien, die von Energiekonzernen oder anderen Lobbyisten finanziert werden, immer wieder Gegenargumente hervorbringen. Besonders irreführend ist es, wenn die vermeintlichen Vorteile des Klimawandels in den Vordergrund gerückt werden. Denn alle Experten sind sich einig, dass die negativen Folgen des Klimawandels die positiven bei Weitem übersteigen werden. Klimaphänomene wie Hungersnöte, Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen werden auch in Regionen mit längeren Vegetationsperioden gewaltig zunehmen. Und wem nützt es, wenn zwar in Norddeutschland künftig Wein angebaut werden kann, die Weinstöcke aber alle sechs Monate von großen Unwettern zerstört werden?
„Es geht hier um die sehr philosophische Frage, wie wir mit dem Klimawandel umgehen, von dem wir nicht hundertprozentig sicher wissen, dass es ihn gibt.“
Obwohl eine Menge Zahlen im Umlauf sind, lässt sich nicht genau berechnen, wie hoch die Kosten durch den Klimawandel sein werden. Nach einem Modell, das unmittelbare Kosten (Schäden), mittelbare Kosten (Anpassung an das veränderte Klima) und durch den Klimawandel steigende Energiekosten beinhaltet, ergeben sich für Deutschland in den nächsten 50 Jahren Gesamtkosten von rund 800 Milliarden Euro. Das sind rund 3 % des Bruttosozialprodukts. Täglich macht das ca. 0,70 € für jeden Deutschen, also ungefähr 250 € pro Jahr. Auch wenn die verschiedenen Branchen und Regionen unterschiedlich stark von diesen Kosten betroffen sein werden: Völlig entziehen kann sich niemand. Die Industrie wird unter hohen Energiekosten leiden, die Land- und Forstwirtschaft unter Flächenbränden, die Finanzbranche unter Klimafolgenspekulationen.
Kohlendioxidsenkung mit Emissionsrechtehandel
Wenn es Ihnen durch eine Änderung Ihres Lebenswandels gelänge, jährlich nur noch zwei bis drei Tonnen Kohlendioxid zu verbrauchen, wäre Ihre Lebensweise auf Dauer klimaverträglich. Im Durchschnitt allerdings produzieren die Deutschen pro Kopf mehr als zehn Tonnen CO2 pro Jahr. Der europäische Durchschnitt liegt bei 8,8 Tonnen. Dieser Ausstoß lässt sich prinzipiell politisch begrenzen und mit einem weltweiten Handel von Emissionsrechten wirtschaftlich sinnvoll regulieren. Emission wäre dann nicht mehr kostenlos; Umwelteffizienz würde belohnt.
„Klimawandel und Klimaschutz bringen mehr Chancen mit sich als Bedrohungen.“
Obwohl das Kyoto-Protokoll den Emissionsrechtehandel als Instrument eingeführt hat, gibt es keine weltweite Obergrenze für Emissionen. Dafür müsste künftig eine Mehrheit der Länder beim Emissionsrechtehandel mitmachen. Je mehr Nationen sich beteiligen, desto billiger würde der Klimaschutz werden. Viele Politiker wissen aber nicht, worum es beim Emissionsrechtehandel geht. Leute wie Arnold Schwarzenegger, der als Gouverneur von Kalifornien die Vorschläge sachkundiger Berater zum Klimaschutz versteht und umsetzt, bilden die Ausnahme. Stattdessen ist meist die Besitzstandswahrung der Industriellen das oberste politische Prinzip. Der Emissionsrechtehandel im europäischen Rahmen gilt als erfolgreicher Vorläufer eines weltweiten Handelssystems. Doch auch hier gibt es Konstruktionsmängel. Die Endverbraucher sind ausgenommen. Und ausgerechnet einige der größten CO2-Verursacher – Erdölraffinerien, Stahlwerke, Verbrennungsanlagen, Kohlekraftwerke – wurden bei der Zuteilung bevorzugt. Die kostenlose Ausgabe der Rechte ist kontraproduktiv. Besser wäre eine Versteigerung, bei der die Erlöse dem Klimaschutz zugutekommen. Je früher diese Investitionen getätigt werden, desto preiswerter wird der Klimaschutz.
Neue Energie für Deutschland
Die Technologien für einen klimafreundlicheren Lebenswandel sind zum großen Teil bereits vorhanden. Deutschland profitiert dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von einer boomenden Umwelttechnikindustrie. Weltweit schwenken die Wirtschaftsunternehmen um und investieren in Ökotech, seien es General Electric oder Siemens, Start-ups oder Mittelständler. Doch damit ist längst noch nicht alles getan. Der deutsche Energiesektor etwa muss deutlich stärker reguliert werden, damit das Stromnetz umweltfreundlich und kosteneffizient ausgebaut werden kann. Außerdem ist Deutschland weiterhin zu stark von Energieimporten abhängig. Schon wegen dieser strategischen Abhängigkeit und den zur Neige gehenden Ölvorräten müssen Alternativen in Betracht gezogen werden. Eine Lösung wäre, alte Kohlekraftwerke durch neue zu ersetzen. Die Forschung zur Kohlendioxid-Abscheidung steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Dennoch werden kohlendioxidarme oder -freie Kohlekraftwerke zum Energiemix der Zukunft gehören. Die Atomkraft birgt zu viele Risiken, um fossile Energien ersetzen zu können. Allerdings könnte eine Verlängerung der Reaktorlaufzeiten die nötige Zeit verschaffen, um an der Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu arbeiten.
Verkehr und Haus ganz ökogerecht
In Teilen der Welt ist bereits erkennbar, wie die Menschen in Zukunft umweltgerecht leben können. In den Niederlanden, ja mittlerweile sogar in Kalifornien, trifft man auf viele Fahrradfahrer. Hybridautos wie der Toyota Prius dienen als Statussymbole alternativer Art. Beim Ausbau der Biokraftstoffversorgung ist darauf zu achten, dass der Anbau von Lebensmitteln nicht verdrängt wird. Alternative Mobilitätskonzepte, wie Car-Sharing oder Zugfahren, machen Sinn. Auch im Immobiliensektor bietet der Klimawandel innovativen Firmen viele Chancen. So forciert der Fensterhersteller Schüco nicht nur die Produktion von Solarmodulen, sondern auch den Fassadenschutz gegen Hagel und das Energiesparen. Durch Wärmedämmung und Klimatechnik können Sie heute schon einen großen Teil der Energieverluste im Gebäudebereich einsparen. Die Gebäudeemissionen könnten in Deutschland leicht um 40 % gesenkt werden. Der Bausektor wird vom Klimawandel profitieren, ökologische Architektur ist auf dem Vormarsch. Eine niederländische Firma stellt übrigens bereits Amphibienhäuser her, die im Fall eines Dammbruchs schwimmen können.
„Hören Sie auf, den Arbeitsplätzen von gestern nachzutrauern, investieren Sie lieber in die von morgen.“
In den USA mehren sich Gerichtsverfahren gegen Kohlendioxid-Verursacher. Als bahnbrechend gilt ein Urteil des Obersten Gerichtshofs, das die US-Umweltbehörde zum Handeln gegen den Klimawandel aufforderte. In der Finanzbranche wird der Klimawandel wegen solcher juristischer Folgen verstärkt beobachtet, und das weit über das klassische Rückversicherungsgeschäft hinaus. Spezielle Katastrophenanleihen, Nachhaltigkeitsindizes oder Umweltfonds sind Beispiele für diese neue Sichtweise.
Forderungen an Politik und Wirtschaft
Um den Klimawandel bewältigen zu können, sind dringend Innovationen nötig – auch in Deutschland. Denn das Land ist keineswegs so führend, wie es sich gern nach außen hin darstellt. Deutsche Klimaschutzgüter verkaufen sich international nicht so gut wie deutsche Durchschnittstechnik. Die Wirtschaft benötigt jetzt klare politische Vorgaben über die künftige Klimapolitik. Erst dann können sich die Unternehmen darauf verlassen, dass Klimaneutralität kein Modethema ist, und werden langfristig investieren. Als Unternehmer sollten Sie gezielt CO2-freie Produkte und Dienste anbieten und Ihre Energieeffizienz steigern. Die private und die staatliche Forschung über Zukunftsenergien müssen ausgeweitet werden. Auch Verbote sind nicht tabu: Herkömmliche Glühbirnen sind schlicht unnötig. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung wäre getan, wenn Deutschland ein Energieministerium bekäme, um die Zersplitterung der Zuständigkeiten zu beenden.
Was Sie konkret tun können
Wenn Sie sich für den Klimaschutz engagieren wollen, können Sie damit anfangen, klimabewusst zu konsumieren. Für 70 Cent am Tag können Sie sich Klimaneutralität kaufen – sei es durch Ökostrom, ein Hybridauto oder eine Fahrradfahrt. Darüber hinaus können Sie z. B. für Flugreisen Kompensationsgeschäfte abschließen. Ob der Anbieter vertrauenswürdig ist, signalisiert Ihnen sein Zertifikat. Über die am meisten geprüften Projekte finden Sie Informationen auf den Webseiten des UNFCC (United Nations Framework Convention on Climate Change). Manche Anbieter legen strengere Maßstäbe an als andere, deswegen kostet Sie die Kompensationen für geflogene Kilometer dort etwas mehr.
„Am besten wäre ein globaler Emissionsrechtehandel, das Klimaschutzinstrument erster Wahl!“
Britische Experten haben ein Konzept entwickelt, das weit über solche freiwilligen Kompensationsversuche hinausgeht: Mit einer „CO2-Card“, so der Vorschlag, bekommt jeder Bürger eine jährliche Menge Kohlendioxid zugeteilt, die er für seinen Konsum verwenden kann. Jeder weiß dann bei jedem Kauf, wie viel Treibhausgas bei der Herstellung des Produkts angefallen ist, und kann entscheiden, ob er sich das leisten will. Erste Handelsketten zeichnen Produkte bereits mit einem solchen „Carbon Footprint“ aus. Eine neue Verbrauchergeneration, die so genannten LOHAS (Lifestyle Of Health And Sustainability), ist als Zielgruppe wie geschaffen für dieses CO2-Labeling. Wollen Sie lieber sofort etwas tun, so wechseln Sie Ihren Stromanbieter – es gibt schließlich Anbieter von Ökostrom – oder sorgen Sie für eine bessere Wärmedämmung Ihres Hauses.