Die andere Klima-Zukunft

Buch Die andere Klima-Zukunft

Innovation statt Depression

Murmann,


Rezension

Treib­haus­ef­fekt, Arten­ster­ben, Wel­tun­ter­gang – der Klimawandel bewegt viele Menschen zu fa­tal­is­tis­chen Zukun­ftsper­spek­tiven. Andere sind dagegen ganz unbekümmert, machen „business as usual“ oder leugnen gar den Klimawandel. Claudia Kemfert vertritt dagegen eine prag­ma­tis­che Sichtweise. Zwar kokettiert sie mit dem Hinweis, sie sei kein Öko, sondern eine Ökonomin, tatsächlich aber befürwortet sie die starke Reduktion des Kohlen­diox­i­dausstoßes. Ihr bunter Strauß an Vorschlägen ist nur teilweise originell, dafür aber umso re­al­is­tis­cher. Warum sollte es besser sein, über die Mängel der in­ter­na­tionalen Klimapoli­tik zu jammern, statt das Wachstum einer klimabe­wussten Ver­brauch­er­schicht zu loben und erste Kli­maschutzmaßnahmen von Unternehmen zu feiern? Selbst wenn die weltweiten Rah­menbe­din­gun­gen noch nicht ideal sind, glaubt die Wirtschafts­forscherin an ein künftiges klimaverträgliches Wirtschaften. Ihr Streben nach Verständlichkeit und An­schaulichkeit führt leider manchmal in allzu seichte Gewässer, wo eher Tiefgang angemessen wäre. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Ver­brauch­ern und Un­ternehmern, die sich über klimabe­wusstes Leben und Wirtschaften Gedanken machen.

Take-aways

  • Über den Klimawandel wird zu emotional diskutiert.
  • Panikmache ist ebenso unange­bracht wie Untätigkeit.
  • Die zumindest teilweise vom Menschen verursachte Erderwärmung muss begrenzt werden.
  • Dafür wäre ein weltweiter Emis­sion­srechte­han­del das beste Instrument.
  • Je früher mit der Reduktion von Treib­haus­gasen begonnen wird, desto kostengünstiger ist der Klimaschutz.
  • Eine klimaverträgliche Lebensweise kostet jeden Deutschen rund 70 Cent pro Tag.
  • Politiker hören zu häufig auf in­dus­trielle Be­sitz­s­tandswahrer statt auf sachkundige Klimaber­ater.
  • Viele Tech­nolo­gien für klimaverträgliches Wirtschaften gibt es bereits.
  • Deutschland ist keineswegs so konkur­ren­z­los gut in der Umwelt­tech­nik aufgestellt, wie oft angenommen wird.
  • Nötig sind klimabe­wusste Verbraucher und langfristig gültige Vorgaben der Klimapoli­tik.
 

Zusammenfassung

Klimaschutz – mehr als nur ein Modethema

In Deutschland gilt es allgemein als chic, sich für den Klimaschutz zu engagieren. Es gibt sogar bereits „Ökostromwech­sel­par­tys“. An­der­er­seits schimpfen viele – vor allem Feuil­leton­is­ten – auf den Trend zum Ökolifestyle und kritisieren diesen als quasi-re­ligiöse Haltung. Das Thema Klimawandel sollte aber lieber ohne derlei Emotionen betrachtet werden. Die Klimaveränderung ist sehr wahrschein­lich zu einem großen Teil durch den Menschen verursacht, und es wird ziemlich sicher fatale Auswirkun­gen haben, wenn wir unser Klimabe­wusst­sein nicht bald drastisch überdenken. Nüchtern und wis­senschaftlich gesehen, sollten wir daher die Kohlen­dioxid-Emis­sio­nen senken. Das muss nicht dazu führen, dass wir und zukünftige Gen­er­a­tio­nen unseren Lebensstil einschränken müssen. Beides ist möglich: kli­ma­neu­trales und kom­fort­a­bles Leben.

Die Wahrschein­lichkeit des Kli­mawan­dels

Wis­senschaftler hantieren in der Kli­made­batte häufig mit Wahrschein­lichkeit­srech­nun­gen, also mit mehr oder weniger vagen Zukun­ft­sprog­nosen. Die errechneten hohen Wahrschein­lichkeiten für eine globale Erwärmung sind ein unum­strit­tener Beleg für den Klimawandel. Dass es dennoch rechnerisch – wie bei Wahrschein­lichkeit­srech­nun­gen üblich – gle­ichzeitig eine gewisse Wahrschein­lichkeit für gar keine Klimaveränderung gibt, ist zu vernachlässigen, denn diese Wahrschein­lichkeit ist wesentlich geringer.

„Beim Thema Klima muss man Sorge haben, dass die Leute nicht mit Messern aufeinander losgehen.“

Eine Quelle der Wahrschein­lichkeit­srech­nun­gen ist das In­ter­gov­ern­men­tal Panel on Climate Change (IPCC). Diese Or­gan­i­sa­tion, in der inzwischen rund 7000 Wis­senschaftler mitarbeiten, sammelt die weltweit beobachteten Symptome von Klimaveränderungen. Dabei werden auch kritische Stimmen berücksichtigt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die IPCC-Prog­nosen nicht mit hun­dert­prozentiger Sicherheit abgegeben werden können. Die Aussage, dass der größte Teil der bisherigen Klimaerwärmung von Menschen gemacht wurde, rangiert bei einer Wahrschein­lichkeit von 90–95 %. Meistens sind nicht die wis­senschaftlichen Erken­nt­nisse und Prognosen umstritten, sondern die daraus zu ziehenden Schlüsse. Es ist aber nicht nur vernünftiger, Klimaschutz zu betreiben, sondern auch billiger. Wenn wir früh genug damit anfangen, können wir unter dem Strich sogar davon profitieren.

Wärmeres Klima ist kein Segen

Erinnern Sie sich noch an das Spiegel-Titelbild mit dem Kölner Dom unter Wasser? So warnte das Nachricht­en­magazin bereits 1986 vor der Kli­makatas­tro­phe. Eine derartige Panikmache ist kon­trapro­duk­tiv. Sie lähmt die Menschen, indem sie ihnen den Wel­tun­ter­gang als un­ver­mei­dliche Tatsache präsentiert. Die Sach­lichkeit der öffentlichen Debatte wird aber auch dadurch verfälscht, dass Studien, die von En­ergiekonz­er­nen oder anderen Lobbyisten finanziert werden, immer wieder Gege­nar­gu­mente her­vor­brin­gen. Besonders irreführend ist es, wenn die ver­meintlichen Vorteile des Kli­mawan­dels in den Vordergrund gerückt werden. Denn alle Experten sind sich einig, dass die negativen Folgen des Kli­mawan­dels die positiven bei Weitem übersteigen werden. Klimaphänomene wie Hungersnöte, Hitzewellen, Dürren und Überschwem­mungen werden auch in Regionen mit längeren Veg­e­ta­tion­spe­ri­o­den gewaltig zunehmen. Und wem nützt es, wenn zwar in Nord­deutsch­land künftig Wein angebaut werden kann, die Weinstöcke aber alle sechs Monate von großen Unwettern zerstört werden?

„Es geht hier um die sehr philosophis­che Frage, wie wir mit dem Klimawandel umgehen, von dem wir nicht hun­dert­prozentig sicher wissen, dass es ihn gibt.“

Obwohl eine Menge Zahlen im Umlauf sind, lässt sich nicht genau berechnen, wie hoch die Kosten durch den Klimawandel sein werden. Nach einem Modell, das un­mit­tel­bare Kosten (Schäden), mittelbare Kosten (Anpassung an das veränderte Klima) und durch den Klimawandel steigende En­ergiekosten beinhaltet, ergeben sich für Deutschland in den nächsten 50 Jahren Gesamtkosten von rund 800 Milliarden Euro. Das sind rund 3 % des Brut­tosozial­pro­dukts. Täglich macht das ca. 0,70 € für jeden Deutschen, also ungefähr 250 € pro Jahr. Auch wenn die ver­schiede­nen Branchen und Regionen un­ter­schiedlich stark von diesen Kosten betroffen sein werden: Völlig entziehen kann sich niemand. Die Industrie wird unter hohen En­ergiekosten leiden, die Land- und Forstwirtschaft unter Flächenbränden, die Fi­nanzbranche unter Kli­mafol­gen­speku­la­tio­nen.

Kohlen­diox­id­senkung mit Emis­sion­srechte­han­del

Wenn es Ihnen durch eine Änderung Ihres Lebenswan­dels gelänge, jährlich nur noch zwei bis drei Tonnen Kohlen­dioxid zu verbrauchen, wäre Ihre Lebensweise auf Dauer klimaverträglich. Im Durch­schnitt allerdings produzieren die Deutschen pro Kopf mehr als zehn Tonnen CO2 pro Jahr. Der europäische Durch­schnitt liegt bei 8,8 Tonnen. Dieser Ausstoß lässt sich prinzipiell politisch begrenzen und mit einem weltweiten Handel von Emis­sion­srechten wirtschaftlich sinnvoll regulieren. Emission wäre dann nicht mehr kostenlos; Umwel­t­ef­fizienz würde belohnt.

„Klimawandel und Klimaschutz bringen mehr Chancen mit sich als Bedrohungen.“

Obwohl das Ky­oto-Pro­tokoll den Emis­sion­srechte­han­del als Instrument eingeführt hat, gibt es keine weltweite Obergrenze für Emissionen. Dafür müsste künftig eine Mehrheit der Länder beim Emis­sion­srechte­han­del mitmachen. Je mehr Nationen sich beteiligen, desto billiger würde der Klimaschutz werden. Viele Politiker wissen aber nicht, worum es beim Emis­sion­srechte­han­del geht. Leute wie Arnold Schwarzeneg­ger, der als Gouverneur von Kalifornien die Vorschläge sachkundi­ger Berater zum Klimaschutz versteht und umsetzt, bilden die Ausnahme. Stattdessen ist meist die Be­sitz­s­tandswahrung der In­dus­triellen das oberste politische Prinzip. Der Emis­sion­srechte­han­del im europäischen Rahmen gilt als er­fol­gre­icher Vorläufer eines weltweiten Han­delssys­tems. Doch auch hier gibt es Kon­struk­tionsmängel. Die End­ver­braucher sind ausgenommen. Und aus­gerech­net einige der größten CO2-Verur­sacher – Erdölraf­fine­r­ien, Stahlwerke, Ver­bren­nungsan­la­gen, Kohlekraftwerke – wurden bei der Zuteilung bevorzugt. Die kostenlose Ausgabe der Rechte ist kon­trapro­duk­tiv. Besser wäre eine Ver­steigerung, bei der die Erlöse dem Klimaschutz zugutekom­men. Je früher diese In­vesti­tio­nen getätigt werden, desto preiswerter wird der Klimaschutz.

Neue Energie für Deutschland

Die Tech­nolo­gien für einen kli­mafre­undlicheren Lebenswan­del sind zum großen Teil bereits vorhanden. Deutschland profitiert dank des Erneuer­bare-En­ergien-Geset­zes von einer boomenden Umwelt­tech­nikin­dus­trie. Weltweit schwenken die Wirtschaft­sun­ternehmen um und investieren in Ökotech, seien es General Electric oder Siemens, Start-ups oder Mittelständler. Doch damit ist längst noch nicht alles getan. Der deutsche En­ergiesek­tor etwa muss deutlich stärker reguliert werden, damit das Stromnetz umwelt­fre­undlich und kosten­ef­fizient ausgebaut werden kann. Außerdem ist Deutschland weiterhin zu stark von En­ergieim­porten abhängig. Schon wegen dieser strate­gis­chen Abhängigkeit und den zur Neige gehenden Ölvorräten müssen Al­ter­na­tiven in Betracht gezogen werden. Eine Lösung wäre, alte Kohlekraftwerke durch neue zu ersetzen. Die Forschung zur Kohlen­dioxid-Ab­schei­dung steckt allerdings noch in den Kinder­schuhen. Dennoch werden kohlen­diox­i­darme oder -freie Kohlekraftwerke zum Energiemix der Zukunft gehören. Die Atomkraft birgt zu viele Risiken, um fossile Energien ersetzen zu können. Allerdings könnte eine Verlängerung der Reak­tor­laufzeiten die nötige Zeit verschaffen, um an der Nutzung erneuer­barer En­ergiequellen zu arbeiten.

Verkehr und Haus ganz ökogerecht

In Teilen der Welt ist bereits erkennbar, wie die Menschen in Zukunft umwelt­gerecht leben können. In den Nieder­lan­den, ja mit­tler­weile sogar in Kalifornien, trifft man auf viele Fahrrad­fahrer. Hybridautos wie der Toyota Prius dienen als Sta­tussym­bole al­ter­na­tiver Art. Beim Ausbau der Biokraft­stof­fver­sorgung ist darauf zu achten, dass der Anbau von Lebens­mit­teln nicht verdrängt wird. Alternative Mobilitätskonzepte, wie Car-Sharing oder Zugfahren, machen Sinn. Auch im Im­mo­biliensek­tor bietet der Klimawandel innovativen Firmen viele Chancen. So forciert der Fen­ster­her­steller Schüco nicht nur die Produktion von So­lar­mod­ulen, sondern auch den Fas­saden­schutz gegen Hagel und das En­ergies­paren. Durch Wärmedämmung und Kli­mat­e­ch­nik können Sie heute schon einen großen Teil der En­ergiev­er­luste im Gebäudebereich einsparen. Die Gebäudee­mis­sio­nen könnten in Deutschland leicht um 40 % gesenkt werden. Der Bausektor wird vom Klimawandel profitieren, ökologische Architektur ist auf dem Vormarsch. Eine niederländische Firma stellt übrigens bereits Amphibienhäuser her, die im Fall eines Dammbruchs schwimmen können.

„Hören Sie auf, den Arbeitsplätzen von gestern nachzu­trauern, investieren Sie lieber in die von morgen.“

In den USA mehren sich Gerichtsver­fahren gegen Kohlen­dioxid-Verur­sacher. Als bahn­brechend gilt ein Urteil des Obersten Gericht­shofs, das die US-Umwelt­behörde zum Handeln gegen den Klimawandel aufforderte. In der Fi­nanzbranche wird der Klimawandel wegen solcher ju­ris­tis­cher Folgen verstärkt beobachtet, und das weit über das klassische Rück­ver­sicherungs­geschäft hinaus. Spezielle Katas­tro­phenan­lei­hen, Nach­haltigkeitsin­dizes oder Umweltfonds sind Beispiele für diese neue Sichtweise.

Forderungen an Politik und Wirtschaft

Um den Klimawandel bewältigen zu können, sind dringend In­no­va­tio­nen nötig – auch in Deutschland. Denn das Land ist keineswegs so führend, wie es sich gern nach außen hin darstellt. Deutsche Kli­maschutzgüter verkaufen sich in­ter­na­tional nicht so gut wie deutsche Durch­schnittstech­nik. Die Wirtschaft benötigt jetzt klare politische Vorgaben über die künftige Klimapoli­tik. Erst dann können sich die Unternehmen darauf verlassen, dass Kli­ma­neu­tralität kein Modethema ist, und werden langfristig investieren. Als Unternehmer sollten Sie gezielt CO2-freie Produkte und Dienste anbieten und Ihre En­ergieef­fizienz steigern. Die private und die staatliche Forschung über Zukun­ft­sen­ergien müssen ausgeweitet werden. Auch Verbote sind nicht tabu: Herkömmliche Glühbirnen sind schlicht unnötig. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung wäre getan, wenn Deutschland ein En­ergiem­i­nis­terium bekäme, um die Zer­split­terung der Zuständigkeiten zu beenden.

Was Sie konkret tun können

Wenn Sie sich für den Klimaschutz engagieren wollen, können Sie damit anfangen, klimabe­wusst zu konsumieren. Für 70 Cent am Tag können Sie sich Kli­ma­neu­tralität kaufen – sei es durch Ökostrom, ein Hybridauto oder eine Fahrrad­fahrt. Darüber hinaus können Sie z. B. für Flugreisen Kom­pen­sa­tion­s­geschäfte abschließen. Ob der Anbieter vertrauenswürdig ist, sig­nal­isiert Ihnen sein Zertifikat. Über die am meisten geprüften Projekte finden Sie In­for­ma­tio­nen auf den Webseiten des UNFCC (United Nations Framework Convention on Climate Change). Manche Anbieter legen strengere Maßstäbe an als andere, deswegen kostet Sie die Kom­pen­sa­tio­nen für geflogene Kilometer dort etwas mehr.

„Am besten wäre ein globaler Emis­sion­srechte­han­del, das Kli­maschutzin­stru­ment erster Wahl!“

Britische Experten haben ein Konzept entwickelt, das weit über solche frei­willi­gen Kom­pen­sa­tionsver­suche hinausgeht: Mit einer „CO2-Card“, so der Vorschlag, bekommt jeder Bürger eine jährliche Menge Kohlen­dioxid zugeteilt, die er für seinen Konsum verwenden kann. Jeder weiß dann bei jedem Kauf, wie viel Treib­haus­gas bei der Herstellung des Produkts angefallen ist, und kann entscheiden, ob er sich das leisten will. Erste Han­dels­ket­ten zeichnen Produkte bereits mit einem solchen „Carbon Footprint“ aus. Eine neue Ver­braucher­gen­er­a­tion, die so genannten LOHAS (Lifestyle Of Health And Sus­tain­abil­ity), ist als Zielgruppe wie geschaffen für dieses CO2-La­bel­ing. Wollen Sie lieber sofort etwas tun, so wechseln Sie Ihren Stro­man­bi­eter – es gibt schließlich Anbieter von Ökostrom – oder sorgen Sie für eine bessere Wärmedämmung Ihres Hauses.

Über die Autorin

Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Umwelt und Verkehr am Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung in Berlin. Außerdem lehrt sie als Professorin für Volk­swirtschaft­slehre an der Hum­boldt-Uni­ver­sität Berlin und ist eine der wis­senschaftlichen Gutach­terin­nen des In­ter­gov­ern­men­tal Panel on Climate Change.