Ein Götze namens Betriebswirtschaft
Gründer sind Masochisten, die sich nur wohl fühlen, wenn sie komplett überfordert sind. Oder? Was Gründer alles drauf haben sollen: Eine tolle Geschäftsidee, beste Drähte in die Welt der Finanzen, einen intuitiven Wegweiser durch den bürokratischen Dschungel aus Verordnungen, Steuern und Rechtsvorschriften. Außerdem muss es ihnen selbstredend gelingen, ohne Geld überzeugende Marketingkonzepte in die Welt zu setzen und Kunden mit magnetischer Wirkung an sich zu binden. Das geht natürlich nur in 14-Stunden-Tagen (Wochenende inklusive), die jede Form von Privatleben verunmöglichen. Zumindest für ein paar Jahre, bis der statistisch wahrscheinliche Bankrott das Tempo von hundert auf null bremst. Was bleibt? Schulden.
„Eigentlich kann jeder ein erfolgreiches Unternehmen gründen.“
Wer das alles glaubt und trotzdem das Abenteuer Selbstständigkeit wagt, der muss mehr als mutig sein. Bekloppt wäre das passendere Wort. In Tat und Wahrheit sind aber eher jene bekloppt, die dieses Gruselbild für realistisch halten. Oder diejenigen, die Wirtschaft an der Universität studieren und dort lernen, den Götzen „Gewinnmaximierung“ anzubeten. Entrepreneurship ist eben nicht Betriebswirtschaft für Gründer. Es geht Unternehmern darum, aus dem, was sie antreibt, ihren Lebensinhalt zu machen – und ja: ordentlich Geld zu verdienen.
Probe aufs Exempel: die Teekampagne
Das sagt sich leicht dahin. Glaubwürdig wird es erst, wenn es gelebt wird. So kam Günter Faltin auf die Idee der „Teekampagne“. Dahinter stand eine simple Frage: Warum ist Tee in Europa zehnmal so teuer wie im Ursprungsland? Wegen der vielen Zwischenhändler. Die lassen sich nur ausschalten, wenn im Ursprungsland Mengen ab zwei Tonnen abgenommen werden und beim Verkauf keine nennenswerten Mehrkosten anfallen. Das lässt sich aber nicht vermeiden, wenn der Tee in 100-Gramm-Portionen aufgeteilt wird und der Teeladen eine Auswahl von dutzenden, wenn nicht hunderten Teesorten anbieten will. Der Ansatz der „Teekampagne“: Er bietet nur wenige, anerkannt herausragende Sorten in größeren Mengen an, und das in geprüfter Qualität. Das Problem mangelnden Kapitals wird gelöst, indem man die gesamte Lieferung innerhalb vier Wochen unters Volk bringt (daher „Kampagne“).
„Ein Gründer ist gut beraten, wenn er sein Konzept so einfach wie irgend möglich hält.“
In der Theorie überzeugend. Aber klappt das auch in der Praxis? Zwei Jahrzehnte nach dem Start hat die Teekampagne mehr als 180 000 Kunden und verkauft jährlich mehr als 400 Tonnen Darjeeling, davon 90 % in Großpackungen von einem Kilo. Und nicht nur das: Die Teekampagne zahlt den Pflückern von Anfang an bessere Löhne als die Konkurrenz. Das ist das – oft übersehene – Besondere an der Teekampagne: Hier zahlt der Konsument, um Gutes zu tun, nicht mehr, sondern weniger.
„Es geht keineswegs um geniale Gedankenblitze, sondern um harte Gedankenarbeit.“
Dieses Kreisen um eine Idee haben die meisten erfolgreichen Gründungen gemeinsam. Typischerweise kommt es dabei zu einem Bruch mit der Tradition. Irgendetwas könnte man anders, besser machen. Was zuerst nur eine nebulöse Idee ist, gewinnt durch Nachdenken und Hinterfragen immer mehr an Form. Ob nun Tee oder irgendetwas anderes: Hauptsache, aus der Idee ist ein griffiges Konzept gereift. Das gilt auch für Ikea, Aldi und The Body Shop. Die Idee hinter dem jeweiligen Konzept scheint simpel: Aber bis es so weit kam, war viel Hirnschmalz, waren viele unkonventionelle Fragen notwendig, um zum Kerngedanken vorzudringen – und zu erkennen, wie er umzusetzen ist. Ein Bruch mit den Erwartungen und dem Erwartbaren ist so ein Konzept immer.
Entrepreneurial Design
Dabei – das ist wichtig festzuhalten – geht es nicht darum, etwas zu erfinden. Viele Menschen eint das Verständnis, das „Geschäftsidee“ die Kurzform von „Erfindung plus Umsetzung“ sei. Das ist ebenso falsch wie der Glaube, die Umsetzung sei entscheidend. Die New-Economy-Blase hat das auf drastische Weise gezeigt: Geld und Management-Know-how waren zwar da, aber trotzdem scheiterten die Startups reihenweise. Warum? Weil die Ideen und die daraus entwickelten Konzepte nicht tragfähig waren. Entscheidend ist nicht, was eine neue Technologie alles kann. Entscheidend ist, ob die Leute diese Technologie haben wollen. Es entscheidet der Markt.
„Kreative Ideen sind das Resultat von systematischen Überlegungen.“
Aus einer Idee ein Konzept zu entwerfen, das in die Zeit passt und von den Menschen angenommen wird – das macht den Entrepreneur aus. Ein gutes „Entrepreneurial Design“ muss daher:
- klare und vom Kunden erkennbare Marktvorteile herausarbeiten,
- einen Vorsprung vor Imitatoren sichern,
- davor schützen, technologisch schnell zu veralten,
- davor schützen, wirtschaftlich schnell zu veralten,
- den Finanzierungsaufwand minimieren,
- Marketing als integralen Bestandteil sehen.
„Neues entsteht dort, wo Herkömmliches radikal infrage gestellt wird.“
Die Punkte zwei bis vier sind deutliche Indizien dafür, dass Sie lieber auf High-Tech verzichten sollten. Die Gefahr, von der Konkurrenz überholt zu werden, ist in diesem Bereich sehr groß. Wer die sechs Punkte beherzigt, sollte zusätzlich noch diese drei Bedingungen erfüllen:
- Skalierbarkeit, d. h. bei Wachstum müssen die Kapazitäten nicht proportional erweitert werden.
- Einfachheit, d. h. die Komplexität wird so weit wie möglich reduziert. Sonst verlieren Sie bei Wachstum schnell den Überblick.
- Risikominimierung, d. h. die erkennbaren Risiken vorher angehen, denn es werden noch genug unerwartete Risiken auftauchen.
„Von einer Anfangsidee sofort in die betriebswirtschaftliche Umsetzung zu gehen, ist viel zu rasch.“
Das alles zu bedenken, wird Ihnen nicht von heute auf morgen gelingen. Deshalb gilt: Nichts überstürzen! Auch wenn es Jahre dauert. Und anschließend: Dranbleiben! Denn die Umstände ändern sich ständig, aber ein gutes Entrepreneurial Design passt sich an.
Der Gründer als Komponist
Sich den Gründer als Komponisten vorzustellen, klingt wie ein Gegenentwurf zu all dem, was in den Broschüren und Handbücher für Jungunternehmer steht. Ja, es klingt nicht nur so, es ist auch so. Dort werden Tausendsassas gefordert, die das betriebswirtschaftliche Handwerkszeug beherrschen und auch in Marketing, Steuerfragen etc. topfit sind. Nur: Solche Supermänner und -frauen gibt es nicht. Weil es faktisch unmöglich ist, sich in alle nötigen Bereiche einzuarbeiten, ist es wesentlich schlauer, diese Bereiche von vornherein an Fachleute zu delegieren. Diese Expertise muss sich ein Gründer leisten können, der am Markt erfolgreich agieren will. Er ist für das Konzept zuständig, aber für das Organisatorische gibt es schließlich tausende von MBA (Masters of Business Administration). Zu Deutsch: Verwalter.
„Strengen Sie Ihren Kopf an, nicht Ihren Geldbeutel.“
Ein Gründer ist eher ein Komponist: Er fügt Bekanntes und Vertrautes neu – hoffentlich aufregend! – zusammen. Aber er muss nicht jedes Instrument selbst spielen können. Dazu sind sozusagen die ausgebildeten Musiker da: Logistikdienstleister und Immobilienverwalter, Versender, Rechtsanwälte und PR-Agenturen. Sollen die sich um ihre jeweiligen Fachgebiete kümmern! Die Aufgabe des Gründers besteht darin, sein Konzept umzusetzen. Ein Teil davon besteht darin, die „Musiker“ zu koordinieren, aber sicherlich nicht, alle Instrumente gleichzeitig selbst spielen zu wollen.
„Das Unternehmerbild vom Alleskönner und Gesamtmatador ist passé.“
So, und jetzt kommt der Einwand: „Ja, aber kosten diese Musiker nicht schrecklich viel Geld? Schließlich sind das teure Spezialisten!“ Die Antwort lautet: Nein. Ein ausgefeiltes Konzept beinhaltet Mittel und Wege, diese Spezialisten quasi im Vorbeigehen zu nutzen – beispielsweise, indem ein Gründer mit seiner Idee hilft, ein Produktionswerk ein bisschen besser auszulasten. Da sein Beitrag anfangs kaum ins Gewicht fällt, fallen auch die Kosten niedrig aus. Und wenn das Konzept durchstartet und der Kleine so klein nicht mehr ist, dann sind sicherlich auch die Finanzmittel gewachsen.
Das Konzept im Labor
Eine Idee ist erst nur ein Ansatz. Diesen gilt es in drei Richtungen weiterzuentwickeln. Wie setze ich das Konzept um? Inwieweit ist es markttauglich? Und inwieweit finde ich mich selbst darin wieder? Der letzte Gedanke klingt verblüffend, ist aber essenziell. Viele Gründer denken anfangs zu konventionell, denken „das ist eben so“. Erst im Prozess des Hinterfragens bekommen sie ein Gespür für das, was sie wollen und wie sie ihre Idee in die Tat umsetzen möchten. Was ist es, das Sie antreibt? Geld allein sollte es nicht sein, es soll Ihnen auch Spaß machen, Geld zu verdienen. Sieben Punkte helfen Ihnen dabei:
- Niemand muss etwas Neues erfinden, um innovativ zu sein.
- Es reicht, Bekanntes neu zu kombinieren, bereits Vorhandenes zu entdecken.
- Fragen Sie nach der Funktion statt nach der Konvention: Erst wenn Sie anfangen, Ihre Umgebung respektlos und mit einer gewissen gedanklichen Stringenz zu hinterfragen, kommen Ihnen neue Ideen.
- Erfüllen Sie mehr als nur eine Funktion: Warum nicht zusammenfügen, was scheinbar nicht zusammenpasst, etwa das Café (für die Wartezeit) im Waschsalon?
- Verstehen Sie Probleme als Chance: Wenn andere Menschen sich ärgern, haben sie ein Problem und suchen nach einer Lösung. Darin steckt oft eine Geschäftsidee.
- Verwandeln Sie Arbeit in Spaß und Unterhaltung. Warum alles selber machen und nicht Kunden aktiv werden lassen? Der Gast zapft sein Bier, der Tourist melkt die Kuh ...
- Lassen Sie Visionen Wirklichkeit werden. Der Weg zum Ziel ist meist hart und steinig, Fehlschläge und Enttäuschungen gehören dazu.
„Entrepreneurship ist Passion, Selbstfindung, Berufung.“
So vorzugehen ist siebenmal sinnvoller als das Ausfüllen von Business-Plan-Vorlagen, in denen ausgedachtes Zahlenwerk den Denkprozess ersetzen soll. Und der in eine Zukunft hineinprojiziert wird, die garantiert ganz anders wird als es der Business-Plan vorsieht.
Gründen darf Spaß machen!
Aus all dem sollte klar geworden sein, wie erst das ständige Verfeinern einer Idee zu einem marktfähigen und lukrativen Konzept einen Gründer auf den Weg zum Erfolg führt. Diese Gründer sind übrigens – um mit einem gängigen Vorurteil aufzuräumen – keineswegs alle aus demselben Holz geschnitzt. Empirische Umfragen zeigen, dass erfolgreiche Unternehmer komplett unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale haben. Nur eines ist ihnen allen gemeinsam: Sie leben für ihre Idee, sie wagen das Abenteuer. Es sind öfter als gedacht kreative und freie Geister, keine buchhalterisch und betriebswirtschaftlich versierten Gewinnmaximierer. Mehr noch: Entrepreneure entwickeln sich zu kreativen und freien Geistern, werden lebenstüchtiger und -bejahender. Ihre Persönlichkeit wird durch und durch positiver. Wir können gar nicht genug von ihnen haben.