Kopf schlägt Kapital

Buch Kopf schlägt Kapital

Die ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen

Hanser,


Rezension

Gründer sind „Trotzdem“-Typen. Denn sie wissen, dass sie auf den Knien zum Bankberater rutschen müssen, dass sie die Unterlagen für den 28-seitigen Förderantrag nie zusam­menkriegen werden und dass sie die Finessen des Liquiditäts­man­age­ments nicht wirklich drauf haben. Gründer sind, ganz offen gesagt, irgendwie merkwürdig. Wer tut sich das schon freiwillig an, gepiesackt von den tausend Fall­stricken der Bürokratie? Falsch gefragt, sagt Günter Faltin. Sein Buch Kopf schlägt Kapital ist ein äußerst er­frischen­der Gege­nen­twurf zu all den Ratgebern, die helfen wollen und doch nur de­mo­tivieren. Faltins These ist simpel: Die nervig kom­plizierte Be­trieb­swirtschaft lässt sich heutzutage wunderbar an Fachleute delegieren. Was ein Gründer braucht, ist eine Idee. Und anschließend die Gedanke­nar­beit, daraus ein tragfähiges Konzept zu bauen. Das klappt, behauptet Faltin, und macht erst noch Spaß! Faltin weiß, wovon er spricht, denn er lehrt nicht nur En­tre­pre­neur­ship, sondern hat als Unternehmer das Versandhaus „Teekampagne“ gegründet und zum Erfolg geführt. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die jemals daran gedacht haben, sich selbstständig zu machen: Ein besserer und überzeu­gen­derer Mutmacher ist kaum vorstellbar.

Take-aways

  • En­tre­pre­neur­ship ist schöpferisches Gestalten.
  • Weil En­tre­pre­neurs nicht als kreative Geister verstanden werden, sondern als Knechte be­trieb­swirtschaftlicher Zwänge, fehlt vielen der Mut zur Gründung.
  • Be­trieb­swirtschaft schreckt ab. Dabei ist sie gar nicht so wichtig.
  • Gründer brauchen vor allem eine tragfähige Idee, die so lange hinterfragt und durchdacht wird, bis daraus ein marktfähiges Konzept entstanden ist.
  • Dazu ist ein Bruch mit Kon­ven­tio­nen nötig: Geht es auch anders – nämlich besser?
  • Die geniale Idee oder die bahn­brechende Erfindung sind nicht nötig. Wer darauf wartet, wartet meist ewig.
  • Unternehmer brauchen nur drei Erken­nt­nisse, um durchzus­tarten. Die erste: Das Konzept ist wichtiger als das Kapital.
  • Die zweite: Was Gründer nicht können, überlassen sie Fachleuten. Das gilt auch für die Be­trieb­swirtschaft.
  • Die dritte: Die Fachleute tragen ihr Scherflein bei, der Gründer steuert das Unternehmen.
  • Den typischen En­tre­pre­neur gibt es nicht. Fest steht: Wer gründet, lernt positiver zu denken.
 

Zusammenfassung

Ein Götze namens Be­trieb­swirtschaft

Gründer sind Masochisten, die sich nur wohl fühlen, wenn sie komplett überfordert sind. Oder? Was Gründer alles drauf haben sollen: Eine tolle Geschäftsidee, beste Drähte in die Welt der Finanzen, einen intuitiven Wegweiser durch den bürokratis­chen Dschungel aus Verord­nun­gen, Steuern und Rechtsvorschriften. Außerdem muss es ihnen selb­stre­dend gelingen, ohne Geld überzeugende Mar­ket­ingkonzepte in die Welt zu setzen und Kunden mit mag­netis­cher Wirkung an sich zu binden. Das geht natürlich nur in 14-Stun­den-Tagen (Wochenende inklusive), die jede Form von Privatleben verunmöglichen. Zumindest für ein paar Jahre, bis der statistisch wahrschein­liche Bankrott das Tempo von hundert auf null bremst. Was bleibt? Schulden.

„Eigentlich kann jeder ein er­fol­gre­iches Unternehmen gründen.“

Wer das alles glaubt und trotzdem das Abenteuer Selbstständigkeit wagt, der muss mehr als mutig sein. Bekloppt wäre das passendere Wort. In Tat und Wahrheit sind aber eher jene bekloppt, die dieses Gruselbild für realistisch halten. Oder diejenigen, die Wirtschaft an der Universität studieren und dort lernen, den Götzen „Gewin­n­max­imierung“ anzubeten. En­tre­pre­neur­ship ist eben nicht Be­trieb­swirtschaft für Gründer. Es geht Un­ternehmern darum, aus dem, was sie antreibt, ihren Lebensin­halt zu machen – und ja: ordentlich Geld zu verdienen.

Probe aufs Exempel: die Teekampagne

Das sagt sich leicht dahin. Glaubwürdig wird es erst, wenn es gelebt wird. So kam Günter Faltin auf die Idee der „Teekampagne“. Dahinter stand eine simple Frage: Warum ist Tee in Europa zehnmal so teuer wie im Ur­sprungs­land? Wegen der vielen Zwischenhändler. Die lassen sich nur ausschalten, wenn im Ur­sprungs­land Mengen ab zwei Tonnen abgenommen werden und beim Verkauf keine nen­nenswerten Mehrkosten anfallen. Das lässt sich aber nicht vermeiden, wenn der Tee in 100-Gramm-Por­tio­nen aufgeteilt wird und der Teeladen eine Auswahl von dutzenden, wenn nicht hunderten Teesorten anbieten will. Der Ansatz der „Teekampagne“: Er bietet nur wenige, anerkannt her­aus­ra­gende Sorten in größeren Mengen an, und das in geprüfter Qualität. Das Problem mangelnden Kapitals wird gelöst, indem man die gesamte Lieferung innerhalb vier Wochen unters Volk bringt (daher „Kampagne“).

„Ein Gründer ist gut beraten, wenn er sein Konzept so einfach wie irgend möglich hält.“

In der Theorie überzeugend. Aber klappt das auch in der Praxis? Zwei Jahrzehnte nach dem Start hat die Teekampagne mehr als 180 000 Kunden und verkauft jährlich mehr als 400 Tonnen Darjeeling, davon 90 % in Großpackungen von einem Kilo. Und nicht nur das: Die Teekampagne zahlt den Pflückern von Anfang an bessere Löhne als die Konkurrenz. Das ist das – oft übersehene – Besondere an der Teekampagne: Hier zahlt der Konsument, um Gutes zu tun, nicht mehr, sondern weniger.

„Es geht keineswegs um geniale Gedanken­blitze, sondern um harte Gedanke­nar­beit.“

Dieses Kreisen um eine Idee haben die meisten er­fol­gre­ichen Gründungen gemeinsam. Typ­is­cher­weise kommt es dabei zu einem Bruch mit der Tradition. Irgendetwas könnte man anders, besser machen. Was zuerst nur eine nebulöse Idee ist, gewinnt durch Nachdenken und Hin­ter­fra­gen immer mehr an Form. Ob nun Tee oder irgendetwas anderes: Hauptsache, aus der Idee ist ein griffiges Konzept gereift. Das gilt auch für Ikea, Aldi und The Body Shop. Die Idee hinter dem jeweiligen Konzept scheint simpel: Aber bis es so weit kam, war viel Hirnschmalz, waren viele un­kon­ven­tionelle Fragen notwendig, um zum Kerngedanken vorzu­drin­gen – und zu erkennen, wie er umzusetzen ist. Ein Bruch mit den Erwartungen und dem Erwartbaren ist so ein Konzept immer.

En­tre­pre­neur­ial Design

Dabei – das ist wichtig festzuhal­ten – geht es nicht darum, etwas zu erfinden. Viele Menschen eint das Verständnis, das „Geschäftsidee“ die Kurzform von „Erfindung plus Umsetzung“ sei. Das ist ebenso falsch wie der Glaube, die Umsetzung sei entschei­dend. Die New-Econ­omy-Blase hat das auf drastische Weise gezeigt: Geld und Man­age­ment-Know-how waren zwar da, aber trotzdem scheiterten die Startups reihenweise. Warum? Weil die Ideen und die daraus en­twick­el­ten Konzepte nicht tragfähig waren. Entschei­dend ist nicht, was eine neue Technologie alles kann. Entschei­dend ist, ob die Leute diese Technologie haben wollen. Es entscheidet der Markt.

„Kreative Ideen sind das Resultat von sys­tem­a­tis­chen Überlegungen.“

Aus einer Idee ein Konzept zu entwerfen, das in die Zeit passt und von den Menschen angenommen wird – das macht den En­tre­pre­neur aus. Ein gutes „En­tre­pre­neur­ial Design“ muss daher:

  1. klare und vom Kunden erkennbare Mark­tvorteile her­ausar­beiten,
  2. einen Vorsprung vor Imitatoren sichern,
  3. davor schützen, tech­nol­o­gisch schnell zu veralten,
  4. davor schützen, wirtschaftlich schnell zu veralten,
  5. den Fi­nanzierungsaufwand minimieren,
  6. Marketing als integralen Bestandteil sehen.
„Neues entsteht dort, wo Herkömmliches radikal infrage gestellt wird.“

Die Punkte zwei bis vier sind deutliche Indizien dafür, dass Sie lieber auf High-Tech verzichten sollten. Die Gefahr, von der Konkurrenz überholt zu werden, ist in diesem Bereich sehr groß. Wer die sechs Punkte beherzigt, sollte zusätzlich noch diese drei Bedingungen erfüllen:

  • Skalier­barkeit, d. h. bei Wachstum müssen die Kapazitäten nicht pro­por­tional erweitert werden.
  • Einfachheit, d. h. die Komplexität wird so weit wie möglich reduziert. Sonst verlieren Sie bei Wachstum schnell den Überblick.
  • Risiko­min­imierung, d. h. die erkennbaren Risiken vorher angehen, denn es werden noch genug unerwartete Risiken auftauchen.
„Von einer Anfangsidee sofort in die be­trieb­swirtschaftliche Umsetzung zu gehen, ist viel zu rasch.“

Das alles zu bedenken, wird Ihnen nicht von heute auf morgen gelingen. Deshalb gilt: Nichts überstürzen! Auch wenn es Jahre dauert. Und anschließend: Dranbleiben! Denn die Umstände ändern sich ständig, aber ein gutes En­tre­pre­neur­ial Design passt sich an.

Der Gründer als Komponist

Sich den Gründer als Komponisten vorzustellen, klingt wie ein Gege­nen­twurf zu all dem, was in den Broschüren und Handbücher für Jun­gun­ternehmer steht. Ja, es klingt nicht nur so, es ist auch so. Dort werden Tausend­sas­sas gefordert, die das be­trieb­swirtschaftliche Handw­erk­szeug beherrschen und auch in Marketing, Steuer­fra­gen etc. topfit sind. Nur: Solche Supermänner und -frauen gibt es nicht. Weil es faktisch unmöglich ist, sich in alle nötigen Bereiche einzuar­beiten, ist es wesentlich schlauer, diese Bereiche von vornherein an Fachleute zu delegieren. Diese Expertise muss sich ein Gründer leisten können, der am Markt erfolgreich agieren will. Er ist für das Konzept zuständig, aber für das Or­gan­isatorische gibt es schließlich tausende von MBA (Masters of Business Ad­min­is­tra­tion). Zu Deutsch: Verwalter.

„Strengen Sie Ihren Kopf an, nicht Ihren Geldbeutel.“

Ein Gründer ist eher ein Komponist: Er fügt Bekanntes und Vertrautes neu – hoffentlich aufregend! – zusammen. Aber er muss nicht jedes Instrument selbst spielen können. Dazu sind sozusagen die aus­ge­bilde­ten Musiker da: Lo­gis­tik­di­en­stleis­ter und Im­mo­bilien­ver­wal­ter, Versender, Rechtsanwälte und PR-Agen­turen. Sollen die sich um ihre jeweiligen Fachgebiete kümmern! Die Aufgabe des Gründers besteht darin, sein Konzept umzusetzen. Ein Teil davon besteht darin, die „Musiker“ zu ko­or­dinieren, aber sicherlich nicht, alle Instrumente gle­ichzeitig selbst spielen zu wollen.

„Das Un­ternehmer­bild vom Alleskönner und Gesamt­mata­dor ist passé.“

So, und jetzt kommt der Einwand: „Ja, aber kosten diese Musiker nicht schrecklich viel Geld? Schließlich sind das teure Spezial­is­ten!“ Die Antwort lautet: Nein. Ein aus­ge­feiltes Konzept beinhaltet Mittel und Wege, diese Spezial­is­ten quasi im Vorbeigehen zu nutzen – beispiel­sweise, indem ein Gründer mit seiner Idee hilft, ein Pro­duk­tion­swerk ein bisschen besser auszulasten. Da sein Beitrag anfangs kaum ins Gewicht fällt, fallen auch die Kosten niedrig aus. Und wenn das Konzept durch­startet und der Kleine so klein nicht mehr ist, dann sind sicherlich auch die Fi­nanzmit­tel gewachsen.

Das Konzept im Labor

Eine Idee ist erst nur ein Ansatz. Diesen gilt es in drei Richtungen weit­erzuen­twick­eln. Wie setze ich das Konzept um? Inwieweit ist es mark­t­tauglich? Und inwieweit finde ich mich selbst darin wieder? Der letzte Gedanke klingt verblüffend, ist aber essenziell. Viele Gründer denken anfangs zu kon­ven­tionell, denken „das ist eben so“. Erst im Prozess des Hin­ter­fra­gens bekommen sie ein Gespür für das, was sie wollen und wie sie ihre Idee in die Tat umsetzen möchten. Was ist es, das Sie antreibt? Geld allein sollte es nicht sein, es soll Ihnen auch Spaß machen, Geld zu verdienen. Sieben Punkte helfen Ihnen dabei:

  1. Niemand muss etwas Neues erfinden, um innovativ zu sein.
  2. Es reicht, Bekanntes neu zu kombinieren, bereits Vorhandenes zu entdecken.
  3. Fragen Sie nach der Funktion statt nach der Konvention: Erst wenn Sie anfangen, Ihre Umgebung respektlos und mit einer gewissen gedanklichen Stringenz zu hin­ter­fra­gen, kommen Ihnen neue Ideen.
  4. Erfüllen Sie mehr als nur eine Funktion: Warum nicht zusammenfügen, was scheinbar nicht zusam­men­passt, etwa das Café (für die Wartezeit) im Waschsalon?
  5. Verstehen Sie Probleme als Chance: Wenn andere Menschen sich ärgern, haben sie ein Problem und suchen nach einer Lösung. Darin steckt oft eine Geschäftsidee.
  6. Verwandeln Sie Arbeit in Spaß und Un­ter­hal­tung. Warum alles selber machen und nicht Kunden aktiv werden lassen? Der Gast zapft sein Bier, der Tourist melkt die Kuh ...
  7. Lassen Sie Visionen Wirk­lichkeit werden. Der Weg zum Ziel ist meist hart und steinig, Fehlschläge und Enttäuschungen gehören dazu.
„En­tre­pre­neur­ship ist Passion, Selb­stfind­ung, Berufung.“

So vorzugehen ist siebenmal sinnvoller als das Ausfüllen von Busi­ness-Plan-Vor­la­gen, in denen aus­gedachtes Zahlenwerk den Denkprozess ersetzen soll. Und der in eine Zukunft hinein­pro­jiziert wird, die garantiert ganz anders wird als es der Busi­ness-Plan vorsieht.

Gründen darf Spaß machen!

Aus all dem sollte klar geworden sein, wie erst das ständige Verfeinern einer Idee zu einem marktfähigen und lukrativen Konzept einen Gründer auf den Weg zum Erfolg führt. Diese Gründer sind übrigens – um mit einem gängigen Vorurteil aufzuräumen – keineswegs alle aus demselben Holz geschnitzt. Empirische Umfragen zeigen, dass er­fol­gre­iche Unternehmer komplett un­ter­schiedliche Persönlichkeitsmerk­male haben. Nur eines ist ihnen allen gemeinsam: Sie leben für ihre Idee, sie wagen das Abenteuer. Es sind öfter als gedacht kreative und freie Geister, keine buch­hal­ter­isch und be­trieb­swirtschaftlich versierten Gewin­n­max­imierer. Mehr noch: En­tre­pre­neure entwickeln sich zu kreativen und freien Geistern, werden lebenstüchtiger und -bejahender. Ihre Persönlichkeit wird durch und durch positiver. Wir können gar nicht genug von ihnen haben.

Über den Autor

Günter Faltin hat das Unternehmen „Teekampagne“ gegründet und an der Freien Universität Berlin den Ar­beits­bere­ich En­tre­pre­neur­ship aufgebaut. Faltin engagiert sich darüber hinaus als Busi­ness-An­gel und Coach für Start-ups. Aus seiner Feder stammt u. a. das gemeinsam mit Jürgen Zimmer und Sven Ripsas verfasste Buch En­tre­pre­neur­ship.