Die Öko-Bombe tickt
Die Fakten sind klar: Der Mensch ist der Hauptschuldige am Klimawandel, und wenn wir nichts dagegen tun, geht die Erde vor die Hunde. Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Klimaschutz billiger ist als kein Klimaschutz. So weit, so bekannt. In den letzten 15 Jahren wurde viel geforscht, auch viel geredet, vor allem sonntags. Getan wurde wenig. Der durchschnittliche Verbraucher kümmert sich bis heute kaum um die ökologischen Folgen seines Konsums: Dickes Auto, Billigflüge nach Lust und Laune, verschwenderische Haushaltsgeräte. Bewusster Einkauf – ja klar, aber nicht nach ökologischen Kriterien, sondern eher danach, ob der Preis stimmt und die Sachen toll aussehen. Öko-Gedöns war einfach nicht gesellschaftsfähig.
„Ziel ist ein Leben in Saus und Braus, das schon bald komplett mit erneuerbaren Energien funktioniert.“
So war es auch bei Peter Unfried. Die jährlichen Ferien in den USA waren für ihn ebenso selbstverständlich wie regelmäßige Kurztrips per Flugzeug, und der Strom – der kam einfach aus der Steckdose. Selbst Bruder Martin, Hardcore-Öko der ersten Stunde, konnte den Umweltignoranten mit seinen Argumenten kaum erreichen. Unfrieds Haltung schien zementiert: Umweltschutz, ja klar, eine wichtige Sache, doch was hat das mit mir zu tun? Und überhaupt, was bringt es schon, wenn ich Energie spare? Einer allein kann eh nichts erreichen, schon gar nicht, wenn Inder und Chinesen nicht mitziehen.
Ein Bruder und ein Fast-Präsident
Dann kam Al Gore. Der gescheiterte amerikanische Präsidentschaftskandidat kämpft seit einigen Jahren massiv gegen die Klimakatastrophe. Mit Auftritten, Vorträgen, Reden. Und mit dem Oscar-gekrönten Film: Eine unbequeme Wahrheit, der in den USA erstmals eine intensive Umweltdebatte auslöste, mit weltweiter Ausstrahlung. Unfried fragt sich zum ersten Mal im Leben, wie viel Energie er eigentlich verbraucht. Die Antwort erschreckt ihn. Er arbeitet sich in die Materie ein – und wird zum Neuen Öko. Das ist einer, der auf Konsum nicht soweit wie möglich verzichtet, sondern einer, der seinen Konsum nach ökologischen Kriterien ausrichtet. Der Grundsatz: So wenig Energie wie möglich zu verbrauchen, und wenn, dann nur regenerative. Das wird früher oder später sowieso unumgänglich sein, egal, wie stark sich die Erde noch erwärmt.
„Wer einen handelsüblichen Strommix kauft, unterstützt die klassische Stromindustrie.“
Ein bisschen Einfluss hat Öko-Bruder Martin letztlich doch gehabt, und zwar schon Jahre vor Al Gore. Als Unfried 2003 ein neues Auto braucht, was ja schon per se keine Ökoinvestition ist, will er einen Mini-Van: praktisch, viel Platz und dabei total sexy. Martin meckert und argumentiert so lange, bis der ignorante Bruder sich um des lieben Friedens willen ein Drei-Liter-Auto zulegt. Danach – völlig unerwartet – ist er von seinem Kauf total begeistert und entbrennt regelrecht in Liebe zu seinem Neuwagen. Auch entwickelt er einen bis dato unbekannten Ehrgeiz beim Spritsparen, verbunden mit einem missionarischen Eifer, andere von seinem neuen Superauto zu überzeugen. Er wird dafür belächelt, dass er Klimaanlagen im mitteleuropäischen Raum für den größten Unsinn hält. Und er entwickelt eine völlig neue Vorstellung davon, was technologisch innovativ bedeutet. In dicken, spritschluckenden Schüsseln sieht er nicht mehr Prestigeobjekte, sondern ein Armutszeugnis für deutsche Ingenieure. Dass diese Überlegungen der Anfang seines Wandels vom gedankenlosen Konsumenten zum Neuen Öko sind, weiß er allerdings noch nicht.
Schöner und ökologischer
Erst seit dem Gore-Film denkt Peter Unfried ernsthaft über die Ökobilanz der Produkte nach, die er kauft. Beispielsweise über seinen Kühlschrank: Der ist nach der Wasch- und Spülmaschine der größte Energiefresser des modernen Haushalts. Schnell wird klar: Ein neuer muss her, der alte verbraucht viel zu viel Strom. Nach und nach wird der gesamte Gerätepark durch sparsamere Alternativen ersetzt – die mit ihrem Edelstahllook auch noch besser aussehen.
„Mein Eindruck ist: Man wird durch diese Art des Konsumierens generell ein kompetenterer Konsument.“
Zeitgemäße Haushaltsgeräte haben die Energiesparklasse A++. Das ist für Unfried ein Zeichen innovativer Technik, ganz im Gegensatz etwa zu einer integrierten Eiswürfelmaschine, die völlig überflüssig ist. Ebenso wie Flachbildschirme, bei denen es immer nur um die Bildqualität, aber nicht um den Stromverbrauch geht. Die Energiefrage ist für Unfried inzwischen ein wesentlicher Bestandteil jeder Kaufentscheidung geworden, genauso wichtig wie der Preis und das Design. Das hat einen positiven Nebeneffekt: Er informiert sich besser und hat nicht mehr das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden. Er weiß viel genauer, was er will und was er tatsächlich für sein Geld kriegt.
Wenn Energie, dann erneuerbar
Egal wie viel Energie man spart, auf Null wird der Verbrauch nie sinken. Also soll der Strom wenigstens aus erneuerbaren Energien stammen. Ein Anbieterwechsel kostet nur wenige Minuten Zeit, danach ist alles wie vorher. Fast jedenfalls, denn für viele ist der Umstieg der Einstieg in das Thema Energiesparen. In jedem Fall hat man das gute Gefühl, Strom aus Kohle und Atom nicht weiter zu unterstützen. Jedenfalls dann, wenn man nicht auf die grün angestrichenen Pseudo-Öko-Produkte der drei Anbieter RWE, EnBW und Vattenfall hereinfällt, mit denen man letztlich nur die konventionelle Stromerzeugung quersubventioniert. Die vier Anbieter von echtem Ökostrom (EWS, Lichtblick, Greenpeace Energy und Naturstrom) investieren in eine nachhaltige und regenerative Energieerzeugung.
„Das erste Unternehmen, das einen bezahlbaren Plug-in-Hybrid anbietet, kriegt mein Geld reingestopft.“
Rund 20 % des Gesamtenergieverbrauchs macht das Heizen aus. Peter Unfrieds traurige Erfahrung von der Eigentümerversammlung: Energiesparen interessiert niemanden. Energetische Sanierung bringt Kosten mit sich, und die fallen an, bevor das langfristig orientierte Spar-Argument greift. Uneingeschränkt empfehlenswert ist natürlich eine eigene Solaranlage auf dem Dach. Die kann aber nicht jeder installieren. Die Alternative für Dachlose: Beteiligung an einer großen Fotovoltaikanlage. Das kostet aber mindestens 25 000 €, mehr, als sich Unfried leisten kann. Also tut er sich mit anderen zusammen, um das Geld aufzubringen. Jetzt produziert er auch ohne eigenes Dach seinen eigenen Strom.
Übers Essen reden
Erstaunlich, welche Kreise das Energiesparthema zieht: Auch beim Essen geht es Peter Unfried inzwischen nicht mehr ausschließlich um den Gesundheitsaspekt. Bio ist eben nicht nur giftfrei und qualitativ besser, sondern schont außerdem noch das Klima. Die Maschinen, der Kunstdünger und die Pflanzenschutzmittel der intensiven Landwirtschaft erhöhen den CO2-Verbrauch. Trotzdem: Bioläden findet Unfried nicht nur zu teuer, sondern auch ästhetisch-atmosphärisch irgendwie abtörnend, das „Wir sind das wahre Bio“-Gehabe der Öko-Anbauverbände elitär und ein bisschen lächerlich. Trotzdem kauft er seit Jahren Ökoprodukte. Im Bio-Supermarkt, oder im normalen, der ja auch eine Bio-Ecke hat. Der Unterschied zu früher: Familie Unfried redet mehr über das Essen, wo es herkommt und wie es schmeckt. Natürlich gibt es zwischendurch mal Fertigprodukte, schon aus Zeitgründen. Die sind übrigens konventionell, nicht Bio. Nur Hamburger isst Peter Unfried schon seit Jahren nicht mehr. Das hat aber nichts mit Al Gore zu tun, sondern mit den Praktiken der Fast-Food-Industrie.
Fliegen oder nicht?
Eine echte Herausforderung ist das Thema Fliegen. Schließlich sind Flugzeuge massive Klimakiller, doch wer nach Australien oder in die USA will, hat keine ökologisch vertretbare Alternative. Das Zauberwort zur Gewissensentlastung heißt Kompensation: Freiwillige Zahlungen an eine Umweltorganisation, die mit dem Geld Klimaschutzprojekte finanziert. Ist das nicht scheinheilig? Klar ist: Nicht Fliegen ist definitiv besser als Fliegen, Klimaschutzprojekte sind aber auch definitiv besser als keine Projekte. USA-Urlaub oder nicht? Das Dilemma bleibt. In jedem Fall führt die Beschäftigung mit dem Thema zu größerem Umweltbewusstsein. Entscheiden muss dann jeder für sich selbst.
Das schlechte Gewissen
Erstaunlicherweise entlastet der bewusste Umgang mit Energie das Gewissen keineswegs. Energiesparlampen und Ökostrom sind kein Persilschein, um mit dem Hummer zum Brötchenholen zu fahren – im Gegenteil. Je mehr man weiß, desto schlechter wird das eigene Gewissen, und desto stärker das Gefühl, nicht genug zu tun. Ist die Neo-Ökologie nur eine andere Form der Konsumlust, kann man sich dank grüner Wende endlich mal so richtig exzessiv mit Konsumfragen beschäftigen? Bringt das persönliche Engagement etwas, angesichts der Millionen von Chinesen und Indern, die alle nichts lieber wollen als unseren Wohlstand? Ist das nicht alles nur ein Marketinggag, eine Art demonstratives Gutmenschentum für alle, die es sich leisten können? Hartz IV-Empfänger haben ja mit Sicherheit andere Probleme als CO2-optimierte Kühlschränke.
„Daher braucht es eine neue Elite, die statt oder neben der alten die Klimakonsum-Avantgarde bildet.“
Vielleicht. Aber trotzdem kann man die Erde nur retten, indem man handelt. Der Umwelt ist es egal, mit welchem Bewusstsein jemand zum Öko wird. Ob aus Lifestyle-Attitüde oder aus echter Überzeugung: Entscheidend ist, dass etwas geschieht, dass tatsächlich weniger CO2 in die Luft gepustet, wirklich weniger Energie verbraucht wird. Das zu tun, hat jeder selbst in der Hand. Und wenn es viele tun, werden die Unternehmen gezwungen, ökologische Produkte anzubieten, nicht nur in den entwickelten Ländern, sondern auch in den Schwellenländern. Die Umweltstandards, die bei uns gesetzt werden, haben internationale Auswirkungen.
Prominente Vorbilder gesucht
Was der neuen Öko-Bewegung nach wie vor fehlt, sind prominente Vorbilder, die glaubwürdig für den Wandel werben. Hollywood hat sie, aber Deutschland tut sich schwer mit dem Thema. Bekannte Gesichter sind aber wichtig, um das Thema nach den Regeln der Mediengesellschaft in die Schlagzeilen zu bringen. Genauso wichtig wie Politiker, Bildungs- und Leistungseliten, die ganz unaufgeregt und selbstverständlich Vorbild sind, die das Öko-Bewusstsein als Lifestyle der kommenden Avantgarde institutionalisieren. Denn: Das Hauptproblem des Neuen Ökos ist immer noch der klassische Öko: der in Biolatschen und Bioklamotten, mit Bio-Jutetasche und Bio-Bart. Ein echtes Feindbild, wer will so schon sein?
„Was ich sicher weiß: Meine persönliche Modernisierung funktioniert auch ohne die Chinesen und Inder.“
Überhaupt löst der Öko, egal ob alt oder neu, Abwehrreflexe aus, weil er mit seinem moralisch korrekten Verhalten den anderen durch seine bloße Existenz ein schlechtes Gewissen macht. Deshalb wird die Freiheit beschworen, die Beschränkung der Lebensqualität befürchtet, das demonstrative Gutmenschentum kritisiert. Oder die Ökoorientierung als reines Lifestyle-Attribut betrachtet, mit dem man sich gegen die bemitleidenswerte Masse der Geringverdiener abgrenzen kann und sich über alle erhebt, die aus finanziellen Gründen mit Giftgemüse aus konventionellem Anbau Vorlieb nehmen müssen.
„Mein Ziel ist es, besser zu konsumieren, um damit 80 % weniger Energie zu verbrauchen als früher.“
Doch trotz aller Anfeindungen: Es gibt immer mehr Neue Ökos. Selbst die Marketingabteilungen haben den Trend erkannt. Dort spricht man von Lohas, was für „Lifestyle of Health and Sustainability“ steht. Wie das Zukunftsinstitut von Matthias Horx behauptet, sind sie ein Megatrend. Und offenbar funktioniert dieser Lebensstil auch ohne Klimabewusstsein. Peter Unfried hat aber ein Klimabewusstsein. Gehört er demnach nicht zu den Lohas? Das ist ihm letztlich egal, denn sein Ziel ist ohnehin nicht die Rettung der Welt, auch nicht das perfekte Öko-Dasein, sondern die Reduktion seines ganz persönlichen Energieverbrauchs um 80 %. Jetzt und hier. Das geht, wie ihm sein Bruder gesagt hat.