Öko

Buch Öko

Al Gore, der neue Kühlschrank und ich

DuMont,


Rezension

Ökos galten jahrelang als rückständige, moralin­saure Miesepeter, die asketisch von schrumpeli­gen Möhren und selb­st­gemachtem Joghurt lebten, den Naturholz-Saunalook für den Gipfel des guten Ein­rich­tungs­geschmacks hielten und anderen nicht das kleinste bisschen Spaß gönnten, ohne mit mis­sion­ar­ischem Eifer über En­ergiev­er­schwen­dung und Müllberge zu dozieren. Doch in den letzten Jahren hat sich das Bild gewandelt – iro­nis­cher­weise unter der Führung amerikanis­cher Hollywood- und Polit­promi­nenz. Klimaschutz ist wieder in aller Munde und mit Al Gores Film Eine unbequeme Wahrheit hat das Öko-Virus auch Peter Unfried erwischt. Seine schwierige, manchmal widersprüchliche Wandlung vom Saulus zum Paulus beschreibt er lakonisch, lebensnah und oft witzig. Der in­ter­essierte Nachahmer lernt, wie man schräge Blicke ignoriert, ätzende Kommentare aushält und vertrackte All­t­agsprob­leme löst. Und er erhält en passant jede Menge leicht verständlicher Sachinfos. Das bisweilen penetrante Pro­duct­place­ment kann man praktisch finden – oder aber gefährlich nah an PR. So oder so: BooksInShort empfiehlt das vergnügliche Buch allen, denen die Umwelt nicht egal ist, das eigene Wohlbefinden aber auch nicht.

Take-aways

  • Der „Neue Öko“ propagiert bewussten Konsum, nicht Kon­sumverzicht.
  • Er fährt Auto, aber in en­ergieef­fizien­ten Hybridwagen ohne Klimaanlage.
  • Ein Wechsel des Stro­man­bi­eters ist für den Neuen Öko Pflicht.
  • Moderne Elektrogeräte der En­ergieef­fizien­zk­lasse A++ verbrauchen weniger Energie als Uralt-Mod­elle und sehen zudem auch besser aus.
  • Bio-Lebens­mit­tel enthalten weniger Schadstoffe und werden umweltscho­nen­der produziert.
  • Das CO2 von Flügen mit Umwelt­pro­jek­ten zu kom­pen­sieren, ist besser als nichts. Aber Fliegen bleibt prob­lema­tisch – hier ist keine technische Lösung in Sicht.
  • Wenn „öko“ als Lifestyle-At­tribut gilt, ist das in Ordnung. Es zählt das Resultat, nicht die Haltung.
  • Eine Reduktion des persönlichen En­ergie­ver­brauchs um 80 % ist möglich.
  • Der Westen muss in Sachen en­ergieef­fizien­ter Technologie – wie bei den Konsumgütern – Vorreiter sein und diese Technologie dann global verkaufen.
  • Ein Umdenken in En­ergiefra­gen ist sowieso nötig, egal, wie stark sich die Erde erwärmt.
 

Zusammenfassung

Die Öko-Bombe tickt

Die Fakten sind klar: Der Mensch ist der Hauptschuldige am Klimawandel, und wenn wir nichts dagegen tun, geht die Erde vor die Hunde. Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Klimaschutz billiger ist als kein Klimaschutz. So weit, so bekannt. In den letzten 15 Jahren wurde viel geforscht, auch viel geredet, vor allem sonntags. Getan wurde wenig. Der durch­schnit­tliche Verbraucher kümmert sich bis heute kaum um die ökologischen Folgen seines Konsums: Dickes Auto, Billigflüge nach Lust und Laune, ver­schwen­derische Haushalts­geräte. Bewusster Einkauf – ja klar, aber nicht nach ökologischen Kriterien, sondern eher danach, ob der Preis stimmt und die Sachen toll aussehen. Öko-Gedöns war einfach nicht gesellschaftsfähig.

„Ziel ist ein Leben in Saus und Braus, das schon bald komplett mit erneuer­baren Energien funk­tion­iert.“

So war es auch bei Peter Unfried. Die jährlichen Ferien in den USA waren für ihn ebenso selbstverständlich wie regelmäßige Kurztrips per Flugzeug, und der Strom – der kam einfach aus der Steckdose. Selbst Bruder Martin, Hardcore-Öko der ersten Stunde, konnte den Umweltig­no­ran­ten mit seinen Argumenten kaum erreichen. Unfrieds Haltung schien zementiert: Umweltschutz, ja klar, eine wichtige Sache, doch was hat das mit mir zu tun? Und überhaupt, was bringt es schon, wenn ich Energie spare? Einer allein kann eh nichts erreichen, schon gar nicht, wenn Inder und Chinesen nicht mitziehen.

Ein Bruder und ein Fast-Präsident

Dann kam Al Gore. Der gescheit­erte amerikanis­che Präsidentschaft­skan­di­dat kämpft seit einigen Jahren massiv gegen die Kli­makatas­tro­phe. Mit Auftritten, Vorträgen, Reden. Und mit dem Oscar-gekrönten Film: Eine unbequeme Wahrheit, der in den USA erstmals eine intensive Umwelt­de­batte auslöste, mit weltweiter Ausstrahlung. Unfried fragt sich zum ersten Mal im Leben, wie viel Energie er eigentlich verbraucht. Die Antwort erschreckt ihn. Er arbeitet sich in die Materie ein – und wird zum Neuen Öko. Das ist einer, der auf Konsum nicht soweit wie möglich verzichtet, sondern einer, der seinen Konsum nach ökologischen Kriterien ausrichtet. Der Grundsatz: So wenig Energie wie möglich zu verbrauchen, und wenn, dann nur re­gen­er­a­tive. Das wird früher oder später sowieso unumgänglich sein, egal, wie stark sich die Erde noch erwärmt.

„Wer einen handelsüblichen Strommix kauft, unterstützt die klassische Stro­min­dus­trie.“

Ein bisschen Einfluss hat Öko-Bruder Martin letztlich doch gehabt, und zwar schon Jahre vor Al Gore. Als Unfried 2003 ein neues Auto braucht, was ja schon per se keine Ökoin­vesti­tion ist, will er einen Mini-Van: praktisch, viel Platz und dabei total sexy. Martin meckert und ar­gu­men­tiert so lange, bis der ignorante Bruder sich um des lieben Friedens willen ein Drei-Liter-Auto zulegt. Danach – völlig unerwartet – ist er von seinem Kauf total begeistert und entbrennt regelrecht in Liebe zu seinem Neuwagen. Auch entwickelt er einen bis dato unbekannten Ehrgeiz beim Spritsparen, verbunden mit einem mis­sion­ar­ischen Eifer, andere von seinem neuen Superauto zu überzeugen. Er wird dafür belächelt, dass er Kli­maan­la­gen im mitteleuropäischen Raum für den größten Unsinn hält. Und er entwickelt eine völlig neue Vorstellung davon, was tech­nol­o­gisch innovativ bedeutet. In dicken, spritschluck­enden Schüsseln sieht er nicht mehr Pres­ti­geob­jekte, sondern ein Ar­mut­szeug­nis für deutsche Ingenieure. Dass diese Überlegungen der Anfang seines Wandels vom gedanken­losen Konsumenten zum Neuen Öko sind, weiß er allerdings noch nicht.

Schöner und ökologischer

Erst seit dem Gore-Film denkt Peter Unfried ernsthaft über die Ökobilanz der Produkte nach, die er kauft. Beispiel­sweise über seinen Kühlschrank: Der ist nach der Wasch- und Spülmaschine der größte En­ergiefresser des modernen Haushalts. Schnell wird klar: Ein neuer muss her, der alte verbraucht viel zu viel Strom. Nach und nach wird der gesamte Gerätepark durch sparsamere Al­ter­na­tiven ersetzt – die mit ihrem Edel­stahllook auch noch besser aussehen.

„Mein Eindruck ist: Man wird durch diese Art des Kon­sum­ierens generell ein kom­pe­ten­terer Konsument.“

Zeitgemäße Haushalts­geräte haben die En­ergies­park­lasse A++. Das ist für Unfried ein Zeichen innovativer Technik, ganz im Gegensatz etwa zu einer in­te­gri­erten Eiswürfel­mas­chine, die völlig überflüssig ist. Ebenso wie Flach­bild­schirme, bei denen es immer nur um die Bildqualität, aber nicht um den Stromver­brauch geht. Die En­ergiefrage ist für Unfried inzwischen ein wesentlicher Bestandteil jeder Kaufentschei­dung geworden, genauso wichtig wie der Preis und das Design. Das hat einen positiven Nebeneffekt: Er informiert sich besser und hat nicht mehr das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden. Er weiß viel genauer, was er will und was er tatsächlich für sein Geld kriegt.

Wenn Energie, dann erneuerbar

Egal wie viel Energie man spart, auf Null wird der Verbrauch nie sinken. Also soll der Strom wenigstens aus erneuer­baren Energien stammen. Ein An­bi­eter­wech­sel kostet nur wenige Minuten Zeit, danach ist alles wie vorher. Fast jedenfalls, denn für viele ist der Umstieg der Einstieg in das Thema En­ergies­paren. In jedem Fall hat man das gute Gefühl, Strom aus Kohle und Atom nicht weiter zu unterstützen. Jedenfalls dann, wenn man nicht auf die grün angestrich­enen Pseudo-Öko-Produkte der drei Anbieter RWE, EnBW und Vattenfall hereinfällt, mit denen man letztlich nur die kon­ven­tionelle Stromerzeu­gung quer­sub­ven­tion­iert. Die vier Anbieter von echtem Ökostrom (EWS, Lichtblick, Greenpeace Energy und Naturstrom) investieren in eine nachhaltige und re­gen­er­a­tive En­ergieerzeu­gung.

„Das erste Unternehmen, das einen bezahlbaren Plug-in-Hy­brid anbietet, kriegt mein Geld reingestopft.“

Rund 20 % des Gesamten­ergie­ver­brauchs macht das Heizen aus. Peter Unfrieds traurige Erfahrung von der Eigentümerver­samm­lung: En­ergies­paren in­ter­essiert niemanden. En­er­getis­che Sanierung bringt Kosten mit sich, und die fallen an, bevor das langfristig orientierte Spar-Ar­gu­ment greift. Uneingeschränkt empfehlenswert ist natürlich eine eigene Solaranlage auf dem Dach. Die kann aber nicht jeder in­stal­lieren. Die Alternative für Dachlose: Beteiligung an einer großen Fo­to­voltaikan­lage. Das kostet aber mindestens 25 000 €, mehr, als sich Unfried leisten kann. Also tut er sich mit anderen zusammen, um das Geld aufzubrin­gen. Jetzt produziert er auch ohne eigenes Dach seinen eigenen Strom.

Übers Essen reden

Erstaunlich, welche Kreise das En­ergies­parthema zieht: Auch beim Essen geht es Peter Unfried inzwischen nicht mehr ausschließlich um den Gesund­heit­saspekt. Bio ist eben nicht nur giftfrei und qualitativ besser, sondern schont außerdem noch das Klima. Die Maschinen, der Kunstdünger und die Pflanzen­schutzmit­tel der intensiven Land­wirtschaft erhöhen den CO2-Ver­brauch. Trotzdem: Bioläden findet Unfried nicht nur zu teuer, sondern auch ästhetisch-at­mo­sphärisch irgendwie abtörnend, das „Wir sind das wahre Bio“-Gehabe der Öko-An­bau­verbände elitär und ein bisschen lächerlich. Trotzdem kauft er seit Jahren Ökoprodukte. Im Bio-Su­per­markt, oder im normalen, der ja auch eine Bio-Ecke hat. Der Unterschied zu früher: Familie Unfried redet mehr über das Essen, wo es herkommt und wie es schmeckt. Natürlich gibt es zwis­chen­durch mal Fer­tig­pro­dukte, schon aus Zeitgründen. Die sind übrigens kon­ven­tionell, nicht Bio. Nur Hamburger isst Peter Unfried schon seit Jahren nicht mehr. Das hat aber nichts mit Al Gore zu tun, sondern mit den Praktiken der Fast-Food-In­dus­trie.

Fliegen oder nicht?

Eine echte Her­aus­forderung ist das Thema Fliegen. Schließlich sind Flugzeuge massive Klimakiller, doch wer nach Australien oder in die USA will, hat keine ökologisch vertretbare Alternative. Das Zauberwort zur Gewis­sensent­las­tung heißt Kom­pen­sa­tion: Freiwillige Zahlungen an eine Umwel­tor­gan­i­sa­tion, die mit dem Geld Kli­maschutzpro­jekte finanziert. Ist das nicht schein­heilig? Klar ist: Nicht Fliegen ist definitiv besser als Fliegen, Kli­maschutzpro­jekte sind aber auch definitiv besser als keine Projekte. USA-Urlaub oder nicht? Das Dilemma bleibt. In jedem Fall führt die Beschäftigung mit dem Thema zu größerem Umwelt­be­wusst­sein. Entscheiden muss dann jeder für sich selbst.

Das schlechte Gewissen

Er­staunlicher­weise entlastet der bewusste Umgang mit Energie das Gewissen keineswegs. En­ergies­par­lam­pen und Ökostrom sind kein Per­silschein, um mit dem Hummer zum Brötchenholen zu fahren – im Gegenteil. Je mehr man weiß, desto schlechter wird das eigene Gewissen, und desto stärker das Gefühl, nicht genug zu tun. Ist die Neo-Ökologie nur eine andere Form der Konsumlust, kann man sich dank grüner Wende endlich mal so richtig exzessiv mit Kon­sum­fra­gen beschäftigen? Bringt das persönliche Engagement etwas, angesichts der Millionen von Chinesen und Indern, die alle nichts lieber wollen als unseren Wohlstand? Ist das nicht alles nur ein Mar­ket­ing­gag, eine Art demon­stra­tives Gut­men­schen­tum für alle, die es sich leisten können? Hartz IV-Empfänger haben ja mit Sicherheit andere Probleme als CO2-op­ti­mierte Kühlschränke.

„Daher braucht es eine neue Elite, die statt oder neben der alten die Kli­makon­sum-Avant­garde bildet.“

Vielleicht. Aber trotzdem kann man die Erde nur retten, indem man handelt. Der Umwelt ist es egal, mit welchem Bewusstsein jemand zum Öko wird. Ob aus Lifestyle-At­titüde oder aus echter Überzeugung: Entschei­dend ist, dass etwas geschieht, dass tatsächlich weniger CO2 in die Luft gepustet, wirklich weniger Energie verbraucht wird. Das zu tun, hat jeder selbst in der Hand. Und wenn es viele tun, werden die Unternehmen gezwungen, ökologische Produkte anzubieten, nicht nur in den en­twick­el­ten Ländern, sondern auch in den Schwellenländern. Die Umwelt­stan­dards, die bei uns gesetzt werden, haben in­ter­na­tionale Auswirkun­gen.

Prominente Vorbilder gesucht

Was der neuen Öko-Bewegung nach wie vor fehlt, sind prominente Vorbilder, die glaubwürdig für den Wandel werben. Hollywood hat sie, aber Deutschland tut sich schwer mit dem Thema. Bekannte Gesichter sind aber wichtig, um das Thema nach den Regeln der Me­di­enge­sellschaft in die Schlagzeilen zu bringen. Genauso wichtig wie Politiker, Bildungs- und Leis­tungseliten, die ganz unaufgeregt und selbstverständlich Vorbild sind, die das Öko-Be­wusst­sein als Lifestyle der kommenden Avantgarde in­sti­tu­tion­al­isieren. Denn: Das Haupt­prob­lem des Neuen Ökos ist immer noch der klassische Öko: der in Biolatschen und Biok­lam­ot­ten, mit Bio-Jute­tasche und Bio-Bart. Ein echtes Feindbild, wer will so schon sein?

„Was ich sicher weiß: Meine persönliche Mod­ernisierung funk­tion­iert auch ohne die Chinesen und Inder.“

Überhaupt löst der Öko, egal ob alt oder neu, Ab­wehrreflexe aus, weil er mit seinem moralisch korrekten Verhalten den anderen durch seine bloße Existenz ein schlechtes Gewissen macht. Deshalb wird die Freiheit beschworen, die Beschränkung der Leben­squalität befürchtet, das demon­stra­tive Gut­men­schen­tum kritisiert. Oder die Ökoori­en­tierung als reines Lifestyle-At­tribut betrachtet, mit dem man sich gegen die be­mitlei­denswerte Masse der Ger­ingver­di­ener abgrenzen kann und sich über alle erhebt, die aus fi­nanziellen Gründen mit Giftgemüse aus kon­ven­tionellem Anbau Vorlieb nehmen müssen.

„Mein Ziel ist es, besser zu konsumieren, um damit 80 % weniger Energie zu verbrauchen als früher.“

Doch trotz aller An­fein­dun­gen: Es gibt immer mehr Neue Ökos. Selbst die Mar­ketingabteilun­gen haben den Trend erkannt. Dort spricht man von Lohas, was für „Lifestyle of Health and Sus­tain­abil­ity“ steht. Wie das Zukun­ftsin­sti­tut von Matthias Horx behauptet, sind sie ein Megatrend. Und offenbar funk­tion­iert dieser Lebensstil auch ohne Klimabe­wusst­sein. Peter Unfried hat aber ein Klimabe­wusst­sein. Gehört er demnach nicht zu den Lohas? Das ist ihm letztlich egal, denn sein Ziel ist ohnehin nicht die Rettung der Welt, auch nicht das perfekte Öko-Dasein, sondern die Reduktion seines ganz persönlichen En­ergie­ver­brauchs um 80 %. Jetzt und hier. Das geht, wie ihm sein Bruder gesagt hat.

Über den Autor

Peter Unfried ist stel­lvertre­tender Chefredak­teur der taz und lebt in Berlin.